Nachhilfe in Demokratie
Das wunderbare an meinem derzeitigen Leben – neben der Tatsache, daß mein Blog unfassbarerweise Leser hat – sind die vielen Gelegenheiten, interessante Vorträge zu hören. Vor vier Wochen etwa hat zum Beispiel M*hammed Y*nus einen Vortrag gehalten (nein, nicht der neue Name von Cat St*vens, sondern Gründer der Grameen Bank und Friedensnobelpreisträger). Diese Woche war Paul C*llier, seines Zeichens Professor in Oxford, zur Vorstellung seines neuen Buchs in der Stadt. C*llier ist eine der Gurus für fragile Staaten im Allgemeinen und solche mit einem Ressourcenproblem im Besonderen. Ressourcenproblem? Ja, es gibt die – empirisch leidlich belegte – These, daß Ressourcenreichtum den schönen Errungenschaften Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftlicher Entwicklung eher abträglich ist. In seinem neuen Buch beschäftigt er sich mit Demokratie in fragilen Staaten. C*llier zufolge sind Sicherheit (im Sinne von Defense) und Rechenschaftspflicht (Accountability) des Staates gegenüber seinen Bürgern zwei essentielle Bestandteile funktionierender Demokratien. Gerade in fragilen Staaten kommt die Regierung jedoch ihrer Leistungspflicht nicht nach, sei es aus Unvermögen oder Unwillen. Für afrikanische Staaten, entstanden durch oftmals willkürliche postkoloniale Grenzen, gilt allzu häufig, daß sie entweder zu groß sind, um eine Nation zu sein, oder zu klein für ein - teures - vollausgebildetes Staatswesen. C*llier knüpft damit an J. H*rbst und dessen Theorie an, daß in Europa zumindest große Staaten ihre nationale Identität erst in der kriegerischen Auseinandersetzung Abgrenzung zu anderen Nationen gefunden haben. Kriegsführung war teuer, wurde durch Steuern finanziert und das wiederum förderte die Rechenschaftspflicht des Staates gegenüber seinen Bürgern – ein Prozeß, der in Afrika durch Kolonialismus und das UN Kriegsverbot nach dem zweiten Weltkrieg nicht stattgefunden hat. Auch die Entwicklungshilfezusammenarbeit, die eine Einkommensquelle jenseits von Steuern darstellt, füttert den Problemkomplex. Kleine Anekdote eines mir bekannten Praktikers: In einem afrikanischen Land wurden Beschwerden der Bürger über die Qualität des Schulsystems laut - der Präsident erklärte daruafhin, das verstehe er gar nicht, die Geberländer seien sehr zufrieden. Plastisch, finde ich.

Besonders aus dem nationalen Identitätsproblem ergeben sich weitreichende Konsequenzen: Umfragen zeigen zum Beispiel, daß in multi-ethnischen Staaten die Bürger keinesfalls eine erfolgreiche Politik durch Wiederwahl belohnen, sondern regelmäßig nach Ethnien wählen. Für Politik ergibt sich daraus, daß der Weg zur Wiederwahl nicht mühsam mit guter Politik gepflastert werden muß, sondern sehr viel leichter durch Betrug verteert werden kann. Unter diesen Umständen sind ehrliche Politiker systematisch im Nachteil, vielmehr bevorteilt das System die Betrüger. Einmal an der Regierung, motiviert die fast allen Menschen eigene Bestandswahrungsmentalität dazu, die ohnehin schwächliche Gewaltenteilung auszuhebeln – und Wahlen verwandeln sich in eine Sackgasse, in der Mißstände endgültig zementiert werden.

C*lliers wohl provokativste These knüpft an die umfangreichen Wahlbeobachtungen durch Drittstaaten an, die ohnehin in Afrika alltäglich sind, möchte diese aber über leere Kritik ("Der Bundeskanzler verurteilt... aufs Schärfste... ") hinaus mit einem Anreiz verbinden. Statt weiter sinnlos Entwicklungshilfe auf potentielle Despoten herabregnen zu lassen wie Rettungsgelder auf marode Banken, schlägt er die gewissermaßen konstruktive Einbindung von Militärcoups als Drohkulisse vor. Militärcoups gibt es in Afrika wirklich mehr als genug. Ganz konkret könnte die Staatengemeinschaft internationale und verbindliche Standards für freie und faire Wahlen einführen, deren Einhaltung von Wahlbeobachtern überwacht wird. Die Vereinten Nationen und ihre verlängerten Arme könnten bei Einhaltung der Standards den solcherart legitim gewählten Regierungen zusichern, sie gegen Militärcoups abzusichern. Sollte es bei den Wahlen jedoch nach allgemeiner Ansicht nicht mit rechten Dingen zugegangen sein, wird die schützende Hand der Staatengemeinschaft zurückgezogen und die illegitime Regierung hätte möglicherweise ungemütliche Zeiten vor sich.

Zum Beleg rekurriert er auf die Wahlen in Senegal in 2000. Der damalige Regierungschef Di*uf akzeptierte nicht nur friedlich seine Wahlniederlage, er trat sogar noch vor Auszählung aller Stimmen zurück – nicht zuletzt weil ein kurz zuvor in Cote d’Ivoire erfolgter Staatsstreich durch Militärs nicht von Frankreich verhindert worden war - bis dahin die gängige Praxis. Die Logik dahinter? Der Verdacht liegt nahe, daß das senegalesische Militär zuvor Mißbilligung für und Verdacht auf gefälschte Wahlen geäußert hatte. Nachdem zu Anfang der Wahl der Oppositionskandidat deutlich vorne lag, wäre selbst ein ehrlicher, überraschender Wahlsieg für Di*uf mit dem Risiko des Staatsstreichs behaftet gewesen – also trat er lieber zurück. Die siegreiche Opposition hat danach Verfassungsreformen eingeleitet.
C*lliers These: mit Hilfe desselben Mechanismus, systematisch von der internationalen Staatengemeinschaft umgesetzt, könnte man auch in fragilen Staaten Wahlen wieder zu einem Instrument des – potentiellen – Machtwechsels machen.

Keine Frage, das ist ein großer Wurf und eine provokative These. Pragmatikerin die ich bin, sehe ich jedoch deutliche Umsetzungsschwierigkeiten. Die solide Machtposition Frankreichs in ihren ex-Kolonien war Voraussetzung dafür, daß Frankreich in Afrika tatsächlich lange ein Garant für Stabilität und gegen Militärcoups war (statistisch 1/3 weniger Konflikte als in vergleichbaren Staaten). Diese Position läßt sich aber nicht einfach künstlich herbeizaubern, sondern bedürfte einer Verbindlichkeit, die die Staatengemeinschaft wohl kaum wird aufbringen können. Um eine glaubwürdige Garantie abgeben zu können, bräuchte es Ressourcen und Willen, beides leider Mangelware auf dem internationalen Parkett.

Nicht weniger problematisch finde ich die Idee, daß die Industrieländer federführend für alle bestimmen, wie freie und faire Wahlen zu definieren sind. Die Geschichte hat oft genug gezeigt, daß man Länder nicht mit Demokratie zwangsbeglücken kann wie die Gans mit Futter für die Stopfleber. Jedes derartige Konzept krankt meiner bescheidenen Meinung nach an der Vorherrschaft der Industrieländer und dem Minderwertigkeitskomplex der Entwicklungs- und Schwellenländer und ist damit von vorneherein auf einer schiefen Ebene.

Ich bin gerade genau das, was ich besonders unbefriedigend finde: destruktiv ohne bessere Vorschläge zu haben. Schande auf mein Haupt. Ich hoffe, ich habe die Gedankengänge dieses klugen Mannes wenigstens vernünftig dargestellt, wer es jedoch auf Englisch nachvollziehen möchte, hier geht's lang.

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sunny5, Freitag, 6. März 2009, 21:25
Eine defintiv provokante These, aber leider nicht umsetzbar, da das Missbrauchspotential zu hoch ist und wie immer von außen kommt. Erinnert auch sehr an Züchtigungsmaßnahmen aus vergangenen Zeiten - widerspricht also allen heutigen Regeln und neuen Ideen.

Man kann ein Land nicht zwingen (los mach mal) damit es auf die Beine kommt, wie es sich die strengen Eltern wünschen.

Es gibt keine Minderwertigkeitskomplexe in Entwicklungsländern, Schwellenländern - das ist purer Schwachsinn. Man sollte einfach mal hinfahren und sich Zeit nehmen und verstehen.

Die haben einfach im Moment nicht das Sagen - was sich aber ändern kann, sollte, müsste ...

damenwahl, Sonntag, 8. März 2009, 00:05
Wenn ich ein Entwicklungsland wäre, hätte ich Minderwertigkeitskomplexe in dieser Welt. Ich kann es aber auch anders ausdrücken: Abwehrreflex. Nicht immer völlig zu Unrecht, wenn ich an manche glücklosen Heilsmaßnahmen der Industrieländer zurückdenke.