Respekt, bitte
Wann darf man andere Menschen als Dreck bezeichnen? Ich habe ich mich heute gefragt, welcher Gesprächston eigentlich angemessen ist. Anlass: Ich bin erschüttert über die Gesprächs(un)kultur, die mir in einigen Foren begegnet, von milder Herablassung bin hin zu wilder Polemik.
Eigentlich verdient - so dachte ich immer - jeder Mensch grundsätzlich Respekt, auch wenn ich andere Meinungen nicht teile oder sogar als völlig schwachsinnig abqualifizieren möchte. Dem Streit in der Sache tut aber doch der Tonfall keinen Abbruch. Beklagenswert hingegen finde ich die Herablassung, mit der einige Teilnehmer diskutieren.

Ich gebe zu, ich bin innerlich geteilt. Einerseits würde ich Personen von herausragender Bildung, anerkennenswerten Leistungen oder besonderer Integrität durchaus ein gewisses Mass an Stolz auf die eigene Person zugestehen - man kann auch sagen: ein bisschen gesunder und verdienter Snobismus ist für mich in Ordnung. Andererseits leben wir in einer Zeit, in der man nur noch schwer sagen kann, wer unverschuldet unmündig ist und wer seine Unmündigkeit in Bildungsfragen selbst zu verantworten hat. Und wer bin ich, dieses Urteil fällen zu wollen, indem ich mich über andere erhebe und über ihre mangelnde Bildung, mangelndes Wissen oder fehlerhafte Rechtschreibung zu richten versuche? Selbst wenn ich mir denn in Sachfragen sicher bin, der einzig wahren Wahrheit teilhaftig geworden zu sein, und alle anderen nachweislich Unsinn von sich geben - habe ich dann das Recht, diese Personen herablassend zu behandeln? Fraglos kann ich mich durch Unwissenheit in der Sache als Gesprächspartner disqualifizieren, fraglos darf man Menschen eines besseren zu belehren versuchen - aber ist Herablassung eine angemessene Attitude für solche Belehrungen?

Ich bin ein grosser Freund der Kontroverse, auch gerne in deutlichen Worten. Ich kann mich mit meiner Familie oder guten Freunden streiten wie die Kesselflicker und würde viele dieser Auseinandersetzungen nicht missen wollen - allerdings ruhen diese auf dem soliden Fundament des gegenseitgen Respekts, der sich gerade im Wesen der Freundschaft und der grundsätzlichen Zuneigung manifestiert. Solange beide um die gegenseitige Wertschätzung wissen, kann man auch verbale Ausrutscher verzeihen, weil sie gerade nicht die Respektsversagung implizieren.

Anders doch wohl im Internet, wo die gemeinsame Basis regelmässig fehlt. Sollte ich mich da nicht ganz ausdrücklich eines Tonfalls befleissigen, der es an Respekt nicht mangeln lässt? Mir arrogante, niedermachende Andeutungen ersparen, meine Worte bedachtsam wählen und fiktive oder anonymisierte Namen nicht ironisch-bösartig verballhornen? Im normalen Leben bemühe ich mich doch auch, mir Namen zu merken und Menschen korrekt zu adressieren - mehr noch: ich schäme mich, wenn ich den Namen verwechsele, vergesse oder verdrehe. Warum also im Internet diese verbale Inkontinenz, bei der plötzlich alles erlaubt ist? Schulde ich nicht allen anderen Menschen, ohne Ansehung ihrer Bildung oder Rechtschreibung Respekt? Und wo endet der, wenn ich angegriffen werde? Anders gesagt: wenn jemand sich mir gegenüber respektlos verhält, verwirkt er damit den Anspruch auf meinen Respekt? Daraus könnte ich dann aber folgern, dass man grundsätzlich den Anspruch auf Würde verwirken kann - mit allen daraus folgenden Abgrenzungsproblemen.
Kann ich aufhören, einen Vorstandsvorsitzenden zu respektieren, weil er Gelder seiner Firma veruntreut hat? Müsste ich dann aber nicht auch konsequent jeden Mitarbeiter verachten, der sich Papier oder Kugelschreiber seiner Firma zum privaten Gebrauch aneignet? Wo sind hier die Grenzen zu ziehen?
Ich fürchte, in meinen Ansichten hoffnunungslos naiv und anachronistisch zu sein - vielleicht greife ich auch in meinen Kategorien zu hoch, indem ich den Tonfall eines Gesprächs in eine Linie stelle mit Respekt und Menschenwürde, aber ich sehe in derlei Petitessen im Internet den Untergang der Respektskultur - wenn auch in sehr kleinem Masstab.

[Edit: Nein, ich werde meinen eigenen Ansprüchen oft nicht gerecht - aber immerhin registriere ich meine Fehlleistungen gelegentlich von alleine, bin offen für Kritik und bemühe mich darum, andere nicht leichtfertig zu verurteilen. Und wenn es mir auffällt, schäme ich mich. Immerhin ein Anfang.]

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mark793, Freitag, 13. März 2009, 22:44
Tja, man kann nach der goldenen Regel leben "was Du nicht willst, das man Dir tu...", aber man kann sich leider nicht darauf verlassen, dass alle nach dieser Regel spielen.

Und schon gar nicht im Internet. Da kann streng genommen keine Respektskultur untergehen, weil es nie wirklich eine solche gab. Für mich heißt das in der Konsequenz: Ich halte meine zivilisatorischen Mindeststandards, so gut es eben geht, nehme aber zur Kenntnis, dass andere hier draußen zum Teil mit anderen Standards unterwegs sind. Damit umzugehen, ist keine triviale Herausforderung. Aber langweilig ist es mir zumindest in den mehr als vier Jahren auf dieser Plattform nicht geworden. Ich hatte mich übrigens ursprünglich nur deswegen bei blogger.de als Kommentator mit diesem Nick mark793 angemeldet, um Widerspruch zu einem Beitrag von Don A. kundzutun. Tja...

damenwahl, Samstag, 14. März 2009, 01:39
Die deutliche Wortwahl hauptberuflicher Autoren kann ich ja vielleicht noch in die Schublade Provokation als gezieltes Stilmittel einordnen, aber was ist bitte mit den ganzen Menschen, denen innerhalb von Sekunden der verbale Geifer vorm Mund steht? Deren Kommentare von Herablassung gegenüber anderen Diskussionsteilnehmern (oder überhaupt Menschen mit abweichenden Interessen) nur so triefen?
Ich hatte nie hohe Erwartungen an die Kommunikationskultur im Netz (beruflicher E-Mailverkehr reicht da völlig zur totalen Desillusionierung) aber daß Menschen, die teilweise ganz offensichtlich gebildet und belesen sind, so wenig Mitgefühl haben, finde ich erschreckend.
Und natürlich: einige dieser Geiferer und Bildungsbesserwisser sind durchaus unterhaltsam - ich darf nur nicht zu lange darüber nachdenken.

tucholskyfuerarme, Sonntag, 15. März 2009, 19:03
Sehr geehrte Washingtonienne,

durch den guten Alfons bin ich auf Deine schönen Berichte des Lebens in Washington gestossen.
Nachdem Du um ein paar Kommentare gebeten hast, habe ich mich entschlossen mich direkt einmal hier zu verewigen und Grüße über den Teich zu senden.

Herzlich habe ich gelacht über Deine erste Erfahrung mit der Rechnung am Ende eines gemeinsamen Restaurantbesuchs.
Ich kann Dir nur sagen: Gewöhne Dich daran und mach das Beste daraus (Als Mann orderte ich bevorzugt stattdessen aufgrund des Essens einen zusätzlichen Drink, was meinem Ruf eher zugute kam und man Dank dem Training in der Lage war am Ende eines Abends als Einziger noch kohärente Satzbildung hinzubekommen).

MfG TucholskyfuerArme

damenwahl, Sonntag, 15. März 2009, 19:16
Danke für den heißen Tip, habe ich inzwischen auch begriffen. Werde zukünftig auch herzhaft zulangen! Und in der Tat haben die Deutschen hier den Ruf, außerordentlich trinkfest zu sein - da hast Du vielleicht auch beigetragen?

tucholskyfuerarme, Sonntag, 15. März 2009, 19:30
Ich habe sicherlich nicht den Eindruck hinterlassen Mitglied der dt. Abstinenzlerbewegung zu sein....

Edith fragt:
Ist es inzwischen eigentlich möglich in "normalen" nicht-italienischen Restaurants einen anständigen Espresso nach dem Essen zu bekommen?

damenwahl, Sonntag, 15. März 2009, 19:47
Lieber armer Tucholsky,
ich weiß es nicht - ich trinke nie Kaffee nach dem Essen - werde aber gerne beim nächsten Mal darauf achten und Bericht erstatten. Was ich allerdings in jenem, uh, selbsterannten französischen Restaurant erlebt habe, läßt mich daran zweifeln. Espresso ja, anständig nein, vermute ich.

tucholskyfuerarme, Sonntag, 15. März 2009, 20:50
Dann freue ich mich auf weitere Berichte aus diesem manchmal kulturlosen, aber praktisch nie gottlosen Land...

Übrigens, falls Du in einer amerikanischen Firma/Institution bzw. stark geprägten Umfeld arbeitest, steht Dir in der nächsten Woche/n ein weiteres Highlight des "American Lifestyle" bevor.
"It's time for March Madness"

tucholskyfuerarme, Sonntag, 15. März 2009, 21:52
Als letzte Bemerkung für heute:
Ich muss mich entschuldigen ungefragt das Du ausgepackt zu haben.
Eine schlechte Angewohnheit meiner Internetkommunikationskultur, die ich mir außerhalb des beruflichen Umfeldes nur schwer abgewöhnen kann.

Mfg