Meine Perle
Ich habe eine Perle. Die Perle ist männlich, heißt Jean Paul und ist für kongolesische Verhältnisse die Zuverlässigkeit in Person. Jean Paul kommt drei Mal die Woche vormittags, putzt, wäscht, bügelt und kauft auf Wunsch auch für uns ein. Diesen Wunsch haben wir vor allem dann, wenn Wasser und Toilettenpapier benötigt werden – sperrige Gegenstände also, mit denen wir uns nicht abschleppen wollen. Für seine Dienste erhält Jean Paul 130 USD im Monat, außerdem bezahlen wir gelegentliche Arztrechnungen und schulden ihm Geschenke bei Geburtstagen und sonstigen familiären Großereignissen. Damit ist er schon sehr großzügig bezahlt, ein Kollege hat einen homme de ménage der jeden Tag kommt und außerdem noch kocht, der erhält aber nur 200 USD im Monat.
Jean Paul hat natürlich seinen eigenen Schlüssel zur Wohnung – wir hingegen wissen nicht einmal, wo er wohnt. Er zieht sich immer zuallererst alte Kleidung an, bevor er ans Werk geht. Ich gebe zu: an diesen Luxus habe ich mich schnell gewöhnt.
An meinem ersten Tag habe ich noch einen engagierten Versuch unternommen, die Waschmaschine selbst zu bedienen, um Kontrolle über meinen Wäsche zu behalten – leider war ich der Waschmaschine nicht gewachsen. Nach vier Stunden erfolglosen Drehens an diversen Knöpfen hatte ich bergeweise tropfnasse, seifige Wäsche, die außerdem nach dem Trocknen unangenehm roch – danach habe ich aufgegeben. Ich geniere mich zwar immer noch ein bißchen, wenn ich abends nach Hause komme und meine Unterwäsche ordentlich aufgereiht in meinem – privaten – Badezimmer auf der Wäscheleine hängt, aber es ist ohne Zweifel fein, Blusen und Röcke immer perfekt gebügelt im Schrank vorzufinden.

Jean Paul macht auch immer ordentlich die Betten:


Er ordnet die Fläschchen im Badezimmer hübsch an (alle ganz dicht an den Spiegel):


Und spült nicht nur ab, sondern räumt auch alles ordentlich ein, bevor er geht.


Als ich zur Taufe eingeladen war, hatte ich ihn relativ kurzfristig gebeten, meinen weißen Rock noch zu waschen und am selben Tag zu bügeln und er fragte tatsächlich zwei Tage später nach, ob alles recht gewesen sei, er habe den Rock ganz besonders gründlich gebügelt. Andererseits hat er am Tag vor meiner Abreise nicht waschen können, weil die Maschine kaputt war und unglückseligerweise die halbfeuchte Wäsche wieder in den Wäschekorb zurückgelegt – das war weniger klug, weil abends alles klamm war und ich folglich morgens um sechs Koffer packen mußte.
Gibt es Besonderes zu berichten, schreibt Jean Paul uns auch nette Briefchen. Zum Beispiel auf der Rückseite des Kassenbelegs vom Einkaufen: Madame Damenwahl, c’est le rapport pour aujourd’hui. L’électricién n’est pas venu, il faut l’appeler encore une fois pour demain. J’ai acheté de l’eau et du savon. Votre serviteur, Jean Paul. Noch nie hat er einen einzigen Franc Wechselgeld unterschlagen, aber es bedarf regelmäßiger Geschenke und Primes, um ihn bei Laune zu behalten. Bevor unser ehemaliger dritter Mitbewohner und ich im September abgereist sind, hat er über Wochen jeden Morgen darauf hingewiesen, wie überaus üblich es im Kongo sei, Abschiedsgeschenke zu machen. Und wenn auch Ehrlichkeit eine seiner schönsten Eigenschaften ist, Bescheidenheit gehört ganz sicher nicht dazu. Ich beteilige mich selbstverständlich seit meinem Einzug mit der Hälfte an seinem Gehalt, er hat aber sehr nachdrücklich versucht, mir angelegentlich des Abschiedsgeschenks begreiflich zu machen, daß ich nicht die Hälfte vom bestehenden Gehalt bezahlen solle, sondern eigentlich noch einmal soviel wie das bestehende Gehalt schuldig sei, weil er doch doppelte Arbeit habe. Ungeachtet der Tatsache und in der Hoffnung, mir sei unbekannt, daß die Wohnung in der Vergangenheit fast immer von zwei Personen bewohnt wurde, die sich sein Gehalt geteilt haben. Man kann es ja mal versuchen. Ich kann auf rationaler Ebene seine Wünsche nachvollziehen: als Kongolese in Kinshasa zu leben ist unendlich viel schwieriger und anstrengender, denn als Expatriate – trotzdem habe ich inzwischen begriffen, daß unbegrenztes Vertrauen nicht angebracht ist. Wer hier seine Koffer packt, um das Land zu verlassen, informiert sein Hauspersonal als allerletztes. Sobald mit der Anstellung kein festes Einkommen mehr in der Waagschale zugunsten der Ehrlichkeit liegt, steigt die Versuchung, auf den letzten Lohn zu verzichten und den Hausschlüssel zur – für kongolesische Verhältnisse – luxuriös eingerichteten Wohnung anderen Zwecken zuzuführen. Als ich solche Warnungen zum ersten Mal von Kollegen zu hören bekam, mochte ich es nicht glauben, wurde aber auf der Abschiedsparty zweier Kollegen eines Besseren belehrt: bei einem hatte man am Vorabend eingebrochen und die gesamte Wohnung ausgeräumt, inklusive Pass und Bargeld. Der Schuldige ist unbekannt, aber Fenster und Türen waren sämtlich intakt – da ist der Kreis der möglichen Verdächtigen eher begrenzt. Das ist – bei allem Verständnis für existenzielle Not – traurig, aber man gewöhnt sich daran und verhält sich entsprechend. Und auch wenn ich Jean Paul keineswegs unbegrenzt vertraue, mag ich ihn irgendwie doch gerne. Solange ich irgendwann dieses Land verlassen werde, ohne meiner Wertsachen verlustig zu gehen. Sonst überdenke ich meinen Standpunkt noch mal.

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dergeschichtenerzaehler, Montag, 9. November 2009, 21:57
Werte Frau Damenwahl,

habe mir gerade an dem bisschen Französisch die Zähne ausgebissen...hehe... Gibt es eigentlich auch Haushälterinnen, oder dürfen nur Männer diesen Job ausüben?

damenwahl, Dienstag, 10. November 2009, 09:40
Nach inoffiziellen Erhebungen, fünfzig-fünfzig, würde ich sagen. Möglicherweise eher mehr Männer. Als Mutter von 7 bis 17 Kindern kann man schlecht auch noch einen Putzjob machen, sondern verkauft eher Brot oder Telefonkarten auf der Straße, während der Mann den richtigen Job hat. Es gibt aber durchaus auch femmes de ménages.

conma, Dienstag, 10. November 2009, 13:47
Ich überlege, ob ich auch in den Kongo übersiedle ;-)

arboretum, Dienstag, 10. November 2009, 13:53
Haben Sie sich mal die Preise zu Gemüte geführt, die hier mitunter genannt werden?

Der Kongo ist für unsereins viel zu teuer, das kann man sich doch gar nicht leisten.

damenwahl, Dienstag, 10. November 2009, 14:10
Das nennt man ausgleichende Gerechtigkeit. Gestern Abend zum Beispiel eingekauft: ein 200 g Paket Champignons, ein Päckchen Sahne, eine Dose Cola light, ein Stück Nougat, ein Baguette. Exakt so, Kosten: 13 USD, wovon etwa 6 auf die Champignons entfielen, und jeweils zwei auf Sahne, Cola und Nougat. Brot ist eine zu vernachlässigende Größe.

Typisch Entwicklungsland (viele Länder in Afrika haben ähnliche Lebenshaltungskosten) - europäische Lebensmittel, Wohnungen und Konsumgüter sind abartig teuer. Sämtliche Dienstleistungen hingegen spottbillig. Auch Schneiderinnen, Schuhputzer, etc. Autowaschen machen die Wachleute täglich von ganz alleine auf dem Parkplatz im Büro, im Hinterhof unseres Hauses zahlt man den Wachen ein oder zwei Dollar fürs Waschen.

arboretum, Mittwoch, 11. November 2009, 15:29
Einen Monat lang putzen, waschen und bügeln ergibt also den Gegenwert von 2 kg Champignons, 10 Päckchen Sahne, 10 Dosen Cola light, 10 Stück Nougat und 10 Baguettes.

Klingt nicht so, als würde das für einen Monat reichen. Deshalb sag ich auch, den Kongo könnte ich mir nicht leisten.

damenwahl, Mittwoch, 11. November 2009, 16:01
In anderen Zahlen ausgedrückt: Ich gebe im Monat in etwa für Miete (in einer WG) aus, was unser Hausmann im Jahr von uns bekommt. Und er arbeitet ja nur Teilzeit bei uns.
Andererseits gibt es in den Quartiers Populaires Zimmer (mit Campingkocher und so) schon ab 15 USD und Basisnahrungsmittel wie Brot, Maniok, und lokales Bier kosten kaum mehr als einen Dollar. Über die Gegensätze darf ich nicht zu oft und zu lange nachdenken, denn dann werde ich depressiv und verliere den Glauben an das Gute in der Welt.

arboretum, Mittwoch, 11. November 2009, 17:50
Wenn ich so von diesen Mondpreisen lese, hoffe ich ja immer nur, dass Sie wirklich genug verdienen. Denn wenn man sich schon für teure Miete mit Kakerlaken und undichten Fenstern in der Regenzeit arrangieren muss, möchte man sich wenigstens ab und zu mal ein Stück Nougat leisten. Denke ich mir jedenfalls so.

damenwahl, Donnerstag, 12. November 2009, 09:48
Liebe Frau Arboretum, Ihr Sorge ist sehr nett aber erfreulicherweise unbegründet. Ich verdiene ganz akzeptabel hier, und da mein Arbeitgeber die Unterkunft subventioniert, könnte ich theoretisch mehr Nougat leisten, als der Figur zuträglich wäre.

arboretum, Freitag, 13. November 2009, 00:12
Das freut mich. Ich war mir da nicht so sicher, denn bei manchen Restaurantbesuchen klang es mitunter so, als könnten Sie sich die eigentlich nicht leisten. Auch war mal von einer Vertragsverlängerung die Rede, die endlich mit einer besseren Bezahlung einhergehen sollte. Und da ich aus meinem eigenen Arbeitsumfeld weiß, wie absurd schlecht gute Leute oft bezahlt werden, und das, was Sie tun, ebenfalls mit einer gewissen Portion Idealismus verbunden ist, machte ich mir schon etwas Sorgen.

damenwahl, Freitag, 13. November 2009, 10:02
Der letzte Vertrag hier war in der Tat nicht von der Art, die üppige Einstellungen in die Altersvorsorge erlaubt hätte und ich war entsprechend dankbar für meine großherzigen Kollegen und abgerundete Rechnungen. Das war der Preis, den ich dafür bezahlt habe, das Umfeld komplett zu wechseln und aus der langweiligen Frankfurter Wirtschaft herauszukommen.
Der neue Vertrag ist zwar nur sehr kurzfristig, aber so, daß ich mein altes Gehaltsniveau wieder eingeholt habe. Ich versichere Ihnen: ich könnte mir genug Nougat leisten, um innerhalb einer Woche zum Diabetiker zu werden.

arboretum, Freitag, 13. November 2009, 10:33
Stimmt es eigentlich noch, dass das afrikanische Schönheitsideal eher dem Üppigen zuneigt oder hat sich bei den Wohlhabenden dort inzwischen auch size zero als erstrebendwertes Ideal durchgesetzt?

damenwahl, Freitag, 13. November 2009, 10:56
Die erste Hälfte kann ich eindeutig bejahen. Gleich in der ersten Woche komplimentierten mich unsere Wachen vorm Haus, während ich auf einen Bekannten wartete: Ich sei ihnen aufgefallen... neihein, nicht nur als einzige Weiße, die auf der Straße rumsteht, auch, weil weiße Frauen sonst flach wie ein Brett seien, ich aber anders... mehr wie schöne afrikanische Frauen. Das gefallen ihnen. Da sagt man sich tapfer: es ist als Kompliment gemeint, es ist als Kompliment gemeint, es ist als Kompliment gemeint.

Zweite Hälfte: die älteren Damen der besseren Gesellschaft sind immer noch eher matronenhaft. Die jüngeren hingegen schon sehr mode- und figurbewußt. Size zero à la Twiggy hingegen nicht. Zusammenfassend: ich bin nicht sicher, aber als Tendenz könnte es schon hinkommen.