Donnerstag, 6. September 2012
Social Hours
An amerikanischen Universitäten zahlt man bekanntlich Studiengebühren, und im Zweifel nicht zu wenig. Dafür bekommt man aber auch einiges geboten. Meine neue Emailadresse läßt sich nicht aktivieren? - ich schicke eine Email und erhalte eine Stunde später Antwort, mit Lösung des Problems von der IT-Abteilung. Ich habe eine administrative Frage? - der für mich zuständige Mitarbeiter im Zulassungsbüro hat selbstverständlich Zeit für meine komplizierten Ausführungen, und beantwortet über Wochen jede neue Frage immer gleichbleibend konstruktiv und freundlich.

Nach der Einreise in die Staaten muß mein Visum bestätigt werden – die Universität ist bestens organisiert. Für jeden internationalen Studenten wurde eine Akte mit den relevanten Unterlagen vorbereitet, die Studenten arbeiten sich durch drei Mitarbeiter durch: Nummer 1 sucht die Akte hervor. Nummer 2 macht die Stempel rein. Nummer 3 gibt uns Hefte und Blätter mit Informationsmaterial. Gegebenenfalls kann man mit Nummer 4 noch vertiefende Fragen klären. Nach zwanzig Minuten bin ich wieder draußen.

Es gibt auch reichlich Orientierungsevents, Mentoringprogramme, Einführungsveranstaltungen, Führungen über das Gelände und Begrüßungsempfänge. Es ist ein wenig verwirrend, die Termine alle auseinanderzuhalten,am Ende reden wir einfach immer von Social Hour. Social Hour on Monday, Social Hour on Friday, Social Hour on Wednesday. Jedes Mal gibt es warme Worte und kalte Getränke , Snacks, manchmal musikalische Darbietungen. Die verantwortlichen Respektspersonen der Universität sind stets dabei, überall ist man sehr um unser Wohl besorgt.

Mit der Entscheidung für ein Zimmer der Universität „on campus“ ist sogar, so höre ich von anderen, ein Rundum-Sorglos-Paket verbunden, bei dem man noch mehr an die Hand genommen wird – inklusive Einkaufstrips zu den einschlägigen Märkten und Supermärkten der Umgebung.

Die vielen Einführungsveranstaltungen haben große Vorteile, man kann nämlich hervorragend Leute kennenlernen. Zwar vorwiegend solche, die nicht unbedingt Lösungen für Probleme zu bieten haben, weil sie mit denselben kämpfen, aber auch geteiltes Leid ist schon ein großer Fortschritt, wenn man verzweifelt auf der Suche nach Wohnungen, Möbeln, Fahrrädern oder Kursen ist.

Bei meinem ersten sozialen Ereignis treffe ich gleich drei weitere Studenten, die in ähnlicher Funktion am gleichen Institut sein werden – und natürlich haben wir gemeinsame Bekannte, im weitesten Sinne. Bei der Wohnungssuche lerne ich eine andere Deutsche kennen, die wiederum bei einer Freundin übernachtet – welche ich vor zwei Jahren flüchtig kennengelernt habe. Das ist schon ein ziemlicher Zufall, auch wenn man bedenkt, daß es statistisch gesehen bei ähnlichen Interessen und Karriereplänen auch wiederum nicht völlig unwahrscheinlich ist, am gleichen Ort zu landen.

Das nächste soziale Ereignis bringt mich ins Gespräch mit einer Österreicherin, die in Musiktheorie promovieren wird. Zufällig hat mir eine Wiener Freundin mit musikwissenschaftlichem Hintergrund bereits im Vorfeld den Kontakt zu einer ihrer Freundinnen vermittelt, die auch hier ist – und die beiden wiederum kennen sich natürlich auch. Wir verabreden uns fleißig für Kaffees, tauschen Wohnungssuchnöte aus, und planen, die nächsten Veranstaltungen gemeinsam anzugehen. Überhaupt ist die Vielfalt unglaublich: Franzosen kommen hierher, um französische Literatur zu studieren. Ein Südafrikaner befasst sich mit afrikanischer Soziologie und Diskriminierung, ein Engländer mit Anthropologie, und eine Israelin mit Computerwissenschaften.

Manche dieser Gespräche fallen eher oberflächlich aus, bei anderen nehme ich meinen Mut zusammen und rege an, Kontaktdaten für zukünftiges Kaffetrinken auszutauschen. Schräge Vögel sind natürlich auch dabei: eine junge Frau ist gestern erst angekommen und hat ihre Eltern im Schlepptau. Eine Asiatin ist schon länger hier und auch nach sechs Monaten in diesem Umfeld kaum zu verstehen – die Hälfte des Gesprächs muß ich raten, was sie mir gerade erzählt. Eine Griechin mischt sich ziemlich demonstrativ ein Gespräch ein und erklärt uns umgehend, daß es die Krise eigentlich gar nicht gibt: erst seit so ein Rummel darum gemacht wird, seien Probleme entstanden – ich schweige dazu diplomatisch.

Das skurrilste Ereignis geht an mir leider völlig vorbei und ich erfahre Details erst später aus zweiter Hand: die Orientierungsveranstaltung für mitreisende Partner. Die dort anwesenden jungen Damen und (in kleinerer Anzahl) Herren wurden eingehend darüber informiert, wie sie ihren Partner im anstehenden Jahr optimal unterstützten können: Kochen, Putzen, Kinderbetreuung, administrative Pflichten übernehmen, inklusive nützlicher Hinweise, welche Supermärkte für welche Güter empfehlenswert sind und wie mit Behörden umzugehen ist. Die solcherart Belehrten haben es offenbar mit Humor genommen, jedenfalls lachen wir auf der abendlichen Social Hour herzlich darüber.

Insgesamt bin ich auf jeden Fall sehr froh, zum Semesteranfang hier gelandet zu sein – später fällt es, nach allem was ich höre, viel schwerer, Kontakte zu knüpfen und Anschluß zu finden. Ich hingegen finde es bis jetzt alles recht vielversprechend.

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Montag, 3. September 2012
Umzüge
Gefühlte siebzig Prozent der Mietverträge in dieser Stadt laufen vom 1. September bis zum 31. August des darauffolgenden Jahres. Entsprechend habe ich noch nie soviele Umzugswagen, Leute mit Möbeln auf dem Pick-up Truck und matratzenschleppende Studenten gesehen wie in den vergangenen paar Tagen. Es ist fast wie Reise nach Jerusalem: kurzzeitig und auf einmal scheinen sich alle Leute mit ihrem Hausstand auf der Strasse zu befinden - am Sonntag ist der Spuk wieder vorbei. Glücklicherweise habe ich meinen Umzug zu dem Zeitpunkt bereits erledigt.

Dessen Organisation führte mich erneut zu Craigslist: Umzugshelfer. suchen Die Anzeigen und Emails hinterlassen mich deprimiert. „Peter, 25, strong young man with years of moving experience“, bietet seine Dienste und seinen Truck an. Ein anderer hat sein Foto miteingestellt. No job too tough. Ein anderer: no job too small. Dieses Mal muß ich nicht betteln, meine Trefferquote ist enorm: drei Emails, zwei Telefonate, fünf Angebote. Alle haben an meinem Wunschtermin Zeit, ich entscheide mich am Ende für Dan. Wir vereinbaren 100 USD „flatrate“ für maximal zwei Stunden Arbeit inklusive Truck – das scheint für beide Seiten fair zu sein.

Dan kommt ein paar Minuten zu spät, aber da er unsere Verabredung nachmittags noch bestätigt hat, mache ich mir keine Sorgen. Er ist ein junger Mann – vermutlich jünger als ich, sieht allerdings älter aus, vom Leben gebeutelt. Schmal im Gesicht, mit schmutzigen, abgearbeiteten Händen und traurigen Augen. Wir tragen meine paar Gegenstände raus, er organsiert alles auf der Ladefläche seines alten kleinen Trucks. Er bittet, daß ich ihm das Geld vor der Abfahrt zur neuen Wohnung gebe und entschuldigt sich noch dafür – es ginge nicht anders, die Zeiten seien schlecht. Damit habe ich kein Problem, dann rutschen wir auf der Bank zusammen (die helfende Freundin und ich) und fahren los. Nebenbei erfahren wir, daß Dan alleinerziehender Vater eine zweijährigen Tochter ist. Im letzten Jahr waren sie für kurze Zeit im Obdachlosenheim, nachdem Dan seinen Job verloren hatte, jetzt versucht er, mit Kleinumzügen Geld zu verdienen, aber es läuft nicht sehr gut. Tagsüber hütet er die Kinder der Nachbarinnen mit – dafür kann er abends arbeiten gehen. Demnächst wird seine Tochter in die Kindertagesstätte gehen, die allerdings kostet 450 USD pro Woche – unbezahlbar für ihn, wobei er in einem längeren Papierkrieg Gutscheine für bedürftige Familien beantragt hat, so daß das Mädchen demnächst trotzdem hingehen kann. Wer soviel verdient, über 2.000 USD im Monat für die Kinderbetreuung ausgeben zu können, entzieht sich allerdings völlig seiner Vorstellungskraft.

Wir brauchen eineinhalb Stunden für die ganze Angelegenheit, wobei der Bettkasten nicht durchs Treppenhaus passt, sodaß wir ihn über die hintere Veranda nach oben ziehen. Am Ende entscheide ich, daß zehn Dollar für Dan mehr bedeuten als für mich (obwohl ich mein Budget längst überschritten habe), gebe noch ein Trinkgeld und fühle mich trotzdem wie ein fieser Ausbeuter.

Die nächsten Tage kann ich dafür ziemlich entspannt damit verbringen, nach den paar Teilen zu suchen, die mir noch fehlen. Gardinen brauche ich auf jeden Fall, und eine kleine Lampe für den Schreibtisch. Ein Fön wäre nicht schlecht, ein Spiegel, und ein Mülleimer, vielleicht noch ein hübsches Bild für die Wand? Ich klappere am frühen Nachmittag einige Umzugsverkäufe ab, die – wieder einmal – auf Craigslist inseriert waren, aber da ist um die Uhrzeit nur noch Schrott. Am Sonntag Morgen stehe ich buchstäblich früher auf, und werde immerhin mit einer Kaffeemaschine für den Herd belohnt. Nachmittags mache ich einen kleinen Spaziergang durchs Viertel und passiere etliche Entsorgungsaktionen. Vor den Häusern, an den Ecken, neben den Mülleimern: überall aussortierte Gegenstände. Säcke mit Bettzeug und Kleidung, auseinanderfallende Möbelstücke, ein paar verranzte Matratzen, Kisten mit Büchern, dazwischen gelegentliches Küchengerät. Am Ende drücke ich mich ein paar Minuten neben einer der Bücherkisten herum und eigne mir noch einen Stadtführer für Zugezogene an. Ich weiß nicht, ob die Second-Hand-Kultur in den USA vor der Krise auch schon so ausgeprägt war, oder ob die Not Menschen erfinderisch macht - es scheint aber gut zu funktionieren.

Danach setze ich mich, zum ersten Mal seit zwei Wochen, wieder an einen Schreibtisch und befasse mich mit den Sachen, für die ich eigentlich hier bin.

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Donnerstag, 30. August 2012
Settled
Ich habe Entscheidungen getroffen. Das Lehrgeld der ersten Woche war teuer, aber ich bin ja lernfähig und habe an meiner Entscheidungsfreude gearbeitet. Beim nächsten passablen Angebot, das mir unterkam, habe ich den Sack – für meine Verhältnisse – in der Rekordzeit von 4 Stunden zugemacht. Seither habe ich mich weiter verbessert, auf nur noch 4 Minuten.

Mit der Erkenntnis im Gepäck, daß von meinen fünf Wunschkriterien maximal drei realisierbar sein würden, lief ich bei John und Matt auf. Die beiden sind in meinem Alter, haben allerdings im Gegensatz zu mir nach dem Studium vernünftige Jobs angetreten. Sie wohnen in einem hübschen Haus, mit Veranda dahinter, sehr sauber, und haben ein unmöbliertes Zimmer zu vergeben. Von fünfzehn Emailanfragen auf ihre sehr knapp gehaltene Anzeige fanden sie, nur zwei Personen „had their things together“ - darunter ich. Wir plauderten ein bißchen, besprachen die Eckpunkte des Mietvertrags und gingen auseinander in dem Gefühl, das könne durchaus passen. Ich allerdings wünschte – wie üblich – Bedenkzeit, die beiden wiederum wollten den zweiten Kandidaten noch sichten. Nach kaum zwanzig Minuten, ich hatte mir gerade zur Feier des Tages einen geeisten Kaffee geleistet, klingelte das Telefon. John ließ mich wissen, der andere Typ sei nicht ihr Ding, wenn ich wolle, sei das Zimmer meins. Drei Stunden später sagte ich zu.

Am nächsten Tag noch eine Besichtigung, wieder katastrophal, dafür sehr gut fürs Gefühlsleben, weil "open house". Ich traf etliche andere Wohnungssuchende und konnte endlich einmal mein Leid mitteilen und teilen, war danach aber nur noch überzeugter, daß die Entscheidung für John und Matt richtig war. Umso dringender wollte ich die Übereinkunft definitiv machen, von Panik getrieben, daß man mir ein weiteres Mal absagen könne. John war verhindert, aber Matt hatte Zeit, eine Stunde später tauschten wir Kaution in bar gegen Schlüssel. Bis auf weiteres werde ich also mit "zwei all-american boys" zusammenwohnen. John hat eine große Flagge über dem Bett hängen, Matt freut sich schon darauf, mich zu Hockey- und Baseballspielen mitzunehmen. Beide sind „so excited and looking forward to flatsharing“ mit mir. Sie haben zwar nur normale Autos, keine Trucks, aber gerne helfen sie mir beim Möbelschleppen. Sie schicken der panischen Deutschen sogar noch abends um zehn freundliche und beruhigende SMS.

Am nächsten Morgen führte mein erster Gang mich dennoch wieder zu Craigslist: Möbel kaufen. Das war nicht im Budget eingeplant, aber egal. Ich habe das hier noch nie gemacht, wohl aber Freunde damals in Washington, und was andere können, das kann ich auch. Um halb elf sah ich eine Anzeige für eine komplette Zimmerausstattung – nicht mein Traumdesign, aber auch nicht völlig häßlich. Um kurz nach elf verabredete ich mich mit der Besitzerin, brach auf, verfuhr mich, mußte noch mal nach Hause, kam um 12 Uhr schweißgebadet am andere Ende der Stadt an. Möbel in Ordnung, Preis runtergehandelt, Handschlag drauf, Anzahlung, erledigt. 4 Minuten. Das Fahrrad der Mitbewohnerin der Verkäuferin aus dem Keller (mit Helm und Schloß) nahm ich ebenfalls gleich und werde demnächst der größte Lacher der hieisigen Straßen sein: BMX-Rad (habe ich nunmehr) mit Körbchen (ist der Plan). Niemals nämlich werde ich mich im Alltag mit einem Rucksack abgeben - und wo sonst sollte ich mein Handtäschchen hintun?

Weiterhin einigten wir uns auf etliche Teile Bettzeug. Bettzeug, das hört sich trivial an – ist aber eine Wissenschaft für sich. Das amerikanische Standardbett wird nämlich völlig anders bezogen als zu Hause. Die Oberdecke bleibt praktisch immer liegen – gewechselt werden lediglich die „sheets“. Selbige kann man im Paket kaufen: 1-2 Kopfkissebezüge, ein Spannbettuch und ein bettlakenartiges „flat sheet“ im Paket kosten ab 25 USD aufwärts. Im Zweifel wird dabei der flat sheet straff zwischen Matratze und Auflagen festgesteckt, und nachts zwängt man sich buchstäblich zwischen die Laken. Nicht mein Ding, weder will ich mich zwängen, noch will ich ein Jahr die gleiche Oberdecke sehen. Ich möchte mich im kalten Neuenglandwinter in ein Federbett einwickeln und das kann ich demnächst auch: 200x200. Ha! Dieser Luxus wäre mir im Laden zu teuer gewesen (zu selten, daher fast nur hochpreisige Produkte verfügbar) - umso besser, daß die ausziehenden Damen hierbei aushelfen konnten, und zwar sogar mit Bettwäsche in meiner Wunschfarbe.

Die nächste Hürde: der Umzug. Davon dann morgen.

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