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Irrenhaus auf Rädern
Nach soviel Gutmenschentum ist es wirklich Zeit für die nächste misanthropische Hasstirade. Aus der Reihe Bahnbloggen: nervige Mitfahrer, oder: wie ich mich zur meistgehassten Person des Waggons machte.
Der Zug war am Wochenende voller, als ich ihn je erlebt habe zu dieser Zeit, es sollte Urlaubern verboten werden, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Auf der Suche nach einem Sitzplatz mit Tischchen für den Laptop stand ich endlos im Gang herum, während sich die anderen Einsteiger sortierten – ich werde nie begreifen, warum man nicht erst mal aus Rücksicht auf andere Platz macht, sondern endlos im Gang steht, sein Gepäck sortiert, rauf und runter hebt, jetzt noch ein paar Sachen umpacken, und vielleicht braucht man die Zeitung... oder doch nicht, aber die Kekse auf jeden Fall. Nun ja. Ich wurde fündig gegenüber eine alten Nonne, einem Rastafari-Backpacker und neben einer jungen Frau. Nur blockierte der Koffer der Nonne – Format Großfamilie – den letzten freien Sitzplatz. Freundlich fragte ich nach, bot an, den Koffer hoch und auch wieder runterzuheben. Während die alte Dame mir vor Verlegenheit ihren Platz anbot, sie steige ohnehin bald aus, hob ich den Koffer (der natürlich nur halbvoll und keineswegs zu schwer war) hoch. Ein paar Wasserspritzer auf dem Tischchen fielen mir zuerst kaum auf, aber kaum stand mein Rechner drauf: platsch! - tropfte es von oben aus dem Gepäckfach. Unter dem Rucksack eine verbeulte Metallflasche, kopfunter, und undicht. Verlegen weckte ich den jungen Mann, rüttelte vorsichtig sein Bein, deutete auf die Flasche. Er räumte um, setzte sich hin, zog seine Müsse wieder über die Augen. Platsch! Von oben. Peinlich berührt, weckte ich ihn erneut und diesmal nahm er die Flasche komplett runter.
Zwei Stops später wurde es endlich leerer, ich konnte die Beine ausstrecken, die Papiere auf dem freien Sitz neben mir ausbreiten und mich endlich der Arbeit widmen. Ein brabbelndes Kleinkind weiter hinten, auf der Fahrt über eine Brücke: „guck mal, Wasser!“ fand ich anfangs noch putzig. Die beiden Asiatinnen, die sich in perfektem Englisch unterhielten ebensowenig. Der Rastafari-Backpacker mir gegenüber ein schweigender Geselle.
Nicht jedoch die junge Frau in der Sitzgruppe nebenan. Dort ein fleißiger Student der weniger mode-affinen Sorte, ein Computer-Nerd der coolen Sorte mit Dreitagebart und Fachzeitschrift bewaffnet, und eine junge Frau der Kategorie öko-brav. Kaum war der Zug wieder angerollt, kaum hatte ich die Arbeit wieder aufgenommen packte sie eine große Packung Cracker aus. Lange, runde Stangen, etwas dicker als Grissini, in Plastikschale und Folie eingeschweißt. Mit spitzen Fingern und reichlich Knistern öffnete sie pedantisch das eine Ende der Tüte, fingerte ein Grisssinistangenende hervor, brach es ab, und aß. Über – ungelogen – zehn Minuten. In endloser Folge verschwanden Stücke (deutlich länger, als ein damenhaftes, mundgerechtes Häppchen) in ihrem Mund, knusper-knusper, mahlte ihr Mundwerk. Ein Stück nach dem anderen brach sie ab. Fasziniert beobachtete ich, wie sie niemals eine ganze Stange hervorholte, sondern jedes Mal unter knacken und rascheln die fingerlangen Stücke abbrach. Methodisch, voll konzentriert, eines ums andere. Kaum verschwand ein Stück in ihrem Mund, fuhren die schmalen, spitzen Finger wieder in die Tüte, verharrten dort, während sie kaute, dann wurde das nächste Stück abgebrochen.
Die ersten paar Minuten schielte ich nur verstohlen hinüber, dann – zunehmend fasziniert und zunehmend genervt– konnte ich kaum noch wegschauen. An dem Punkt, an dem ich hysterisch loslachen wollte vor aufgestauter Aggression, fing ich einen sichtlich amüsierten Blick des coolen Computer-Nerds auf, dem das Spektakel ebensowenig entgangen war. Wir lachten, er widmete sich wieder seiner Zeitung, ich guckte weiter. Sie völlig versunken in ihr knabbern, ich völlig fasziniert von solchem Verhalten. Völlig unempfindlich gegenüber ihrer Umwelt, der Mitpassagiere – keine Ahnung, wie man so wird. Mir rätselhaft. Irgendwann ging es nicht mehr, gleichermaßen beschämt wie aufgebracht bat ich, sie möge doch bitte, bitte! die Packung aus der Folie holen und das Knistern einstellen. Worauf sie mich ganz groß ansah aus ihren Kulleraugen: warum ich nicht gleich was gesagt hätte? Danach schien ihr schlagartig der Appetit vergangen und ich hatte endlich Ruhe.
Das Kind inzwischen, das am Anfang noch so niedlich gekräht hatte, fing inzwischen an zu brüllen wie wahnsinnig. Hörbar nur aus Langeweile und Mutwille turnte sie auf der Rückenlehne über dem Kopf einer älteren Dame herum und brüllte immer wieder vor Lust und Frust. Einfach so. Als nächstes stolperte sie den Gang hinunter, nahm plötzlich Tempo auf und schoß wie eine kleine Kanonenkugel auf eine allein sitzende Dame neben ihrem MCM Gepäck los. Ungebremste prallte sie der Dame auf den Schoß, die weißblonden Haare flogen, dann trat die Kleine zurück, fingerte verlegen an ihrem Hemdchen, bevor sie auf die Ohrringe ihres Opfers zeigte: Ohren! verkündete. Betastete ihre eigenen Ohrringe, tat ein paar vorsichtige Schritte in den Gang, ich lächelte ihr zu, sie zeigte auf mich, sah die Dame an und jubelte mit Blick auf mich „Ohren!“. Als nächstes nahm sie den Rastafari neben mir in Augenschein, der natürlich keine Ohrringe trug. Kam nach einigen Minuten konzentrierten Schweigens zu dem Ergebnis „Keine Ohren“. Wirklich, sowas finde ich niedlich, aber als das Gebrüll kurz darauf wieder einsetze, wurde es mir zu bunt.
Um meinen Ruf als Königin aller Passagier-Pedanten endgültig zu festigen, machte ich mich auf die Suche nach der Mutter. Fragte als erstes die geduldige alte Dame: ob das Kind zu ihr gehöre? Nein. Sie deutete verlegen in die Sitzreihe dahinter. Dort eine junge Frau, kaum 20, weißblondierte Haare, Nasenpiercing, der Boden voller Spielzeugtrümmer und Müll, die ganze Vierergruppe ein einziges Chaos. Freundlich fragte ich, ob das ihr Kind sei und erklärte – wirklich freundlich und vorsichtig –, daß ich Kindern durchaus zugetan sei, Kinder dürften spielen, rumlaufen und rumkrähen, aber das mutwillige Geschrei sei doch zunehmend anstrengend, ob man vielleicht die Kleine mal ermahnen könne? Nein, wurde mir empört beschieden, solle sie ihr denn den Mund zukleben? Woraufhin ich erwiderte, das natürlich nicht, aber dem Mädchen vielleicht doch erklären, daß es nicht aus Spaß rumschreien dürfe. Pah, kam es zurück, die Kleine sei erst zwei, ich hätte wohl keine Ahnung von Kindern... . Woraufhin ich antwortete, auch Zweijährigen könne man so etwas erklären. Im Gegenteil könne man gar nicht früh genug anfangen, Kindern beizubringen, daß man in der Öffentlichkeit nicht alles machen kann und sich ein bißchen benehmen muß. Und bei mir dachte, daß hätte man auch der Mutter mal erklären sollen, als noch Chance bestand, mitmenschenverträgliches Verhalten dauerhaft zu festigen.
Ich plädiere für eine Irren-Quote auf Bahnfahrten: kein Abteil darf mehr als, nun ja, zwei nervige Idioten mit nennenswertem Störpotential enthalten. Eltern dürfen mit ihren Kindern nicht lautstark Kinderlieder singen (das war auf der nicht weniger irren Rückfahrt), und wer regelmäßig fährt, muß einen Benimmkurs "Anstand auf Reisen" machen. Die Bahn hingegen auf Pünktlichkeit zu verpflichten ist ein so hoffnungsloses Unterfangen, davon lasse ich die Finger.
Der Zug war am Wochenende voller, als ich ihn je erlebt habe zu dieser Zeit, es sollte Urlaubern verboten werden, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Auf der Suche nach einem Sitzplatz mit Tischchen für den Laptop stand ich endlos im Gang herum, während sich die anderen Einsteiger sortierten – ich werde nie begreifen, warum man nicht erst mal aus Rücksicht auf andere Platz macht, sondern endlos im Gang steht, sein Gepäck sortiert, rauf und runter hebt, jetzt noch ein paar Sachen umpacken, und vielleicht braucht man die Zeitung... oder doch nicht, aber die Kekse auf jeden Fall. Nun ja. Ich wurde fündig gegenüber eine alten Nonne, einem Rastafari-Backpacker und neben einer jungen Frau. Nur blockierte der Koffer der Nonne – Format Großfamilie – den letzten freien Sitzplatz. Freundlich fragte ich nach, bot an, den Koffer hoch und auch wieder runterzuheben. Während die alte Dame mir vor Verlegenheit ihren Platz anbot, sie steige ohnehin bald aus, hob ich den Koffer (der natürlich nur halbvoll und keineswegs zu schwer war) hoch. Ein paar Wasserspritzer auf dem Tischchen fielen mir zuerst kaum auf, aber kaum stand mein Rechner drauf: platsch! - tropfte es von oben aus dem Gepäckfach. Unter dem Rucksack eine verbeulte Metallflasche, kopfunter, und undicht. Verlegen weckte ich den jungen Mann, rüttelte vorsichtig sein Bein, deutete auf die Flasche. Er räumte um, setzte sich hin, zog seine Müsse wieder über die Augen. Platsch! Von oben. Peinlich berührt, weckte ich ihn erneut und diesmal nahm er die Flasche komplett runter.
Zwei Stops später wurde es endlich leerer, ich konnte die Beine ausstrecken, die Papiere auf dem freien Sitz neben mir ausbreiten und mich endlich der Arbeit widmen. Ein brabbelndes Kleinkind weiter hinten, auf der Fahrt über eine Brücke: „guck mal, Wasser!“ fand ich anfangs noch putzig. Die beiden Asiatinnen, die sich in perfektem Englisch unterhielten ebensowenig. Der Rastafari-Backpacker mir gegenüber ein schweigender Geselle.
Nicht jedoch die junge Frau in der Sitzgruppe nebenan. Dort ein fleißiger Student der weniger mode-affinen Sorte, ein Computer-Nerd der coolen Sorte mit Dreitagebart und Fachzeitschrift bewaffnet, und eine junge Frau der Kategorie öko-brav. Kaum war der Zug wieder angerollt, kaum hatte ich die Arbeit wieder aufgenommen packte sie eine große Packung Cracker aus. Lange, runde Stangen, etwas dicker als Grissini, in Plastikschale und Folie eingeschweißt. Mit spitzen Fingern und reichlich Knistern öffnete sie pedantisch das eine Ende der Tüte, fingerte ein Grisssinistangenende hervor, brach es ab, und aß. Über – ungelogen – zehn Minuten. In endloser Folge verschwanden Stücke (deutlich länger, als ein damenhaftes, mundgerechtes Häppchen) in ihrem Mund, knusper-knusper, mahlte ihr Mundwerk. Ein Stück nach dem anderen brach sie ab. Fasziniert beobachtete ich, wie sie niemals eine ganze Stange hervorholte, sondern jedes Mal unter knacken und rascheln die fingerlangen Stücke abbrach. Methodisch, voll konzentriert, eines ums andere. Kaum verschwand ein Stück in ihrem Mund, fuhren die schmalen, spitzen Finger wieder in die Tüte, verharrten dort, während sie kaute, dann wurde das nächste Stück abgebrochen.
Die ersten paar Minuten schielte ich nur verstohlen hinüber, dann – zunehmend fasziniert und zunehmend genervt– konnte ich kaum noch wegschauen. An dem Punkt, an dem ich hysterisch loslachen wollte vor aufgestauter Aggression, fing ich einen sichtlich amüsierten Blick des coolen Computer-Nerds auf, dem das Spektakel ebensowenig entgangen war. Wir lachten, er widmete sich wieder seiner Zeitung, ich guckte weiter. Sie völlig versunken in ihr knabbern, ich völlig fasziniert von solchem Verhalten. Völlig unempfindlich gegenüber ihrer Umwelt, der Mitpassagiere – keine Ahnung, wie man so wird. Mir rätselhaft. Irgendwann ging es nicht mehr, gleichermaßen beschämt wie aufgebracht bat ich, sie möge doch bitte, bitte! die Packung aus der Folie holen und das Knistern einstellen. Worauf sie mich ganz groß ansah aus ihren Kulleraugen: warum ich nicht gleich was gesagt hätte? Danach schien ihr schlagartig der Appetit vergangen und ich hatte endlich Ruhe.
Das Kind inzwischen, das am Anfang noch so niedlich gekräht hatte, fing inzwischen an zu brüllen wie wahnsinnig. Hörbar nur aus Langeweile und Mutwille turnte sie auf der Rückenlehne über dem Kopf einer älteren Dame herum und brüllte immer wieder vor Lust und Frust. Einfach so. Als nächstes stolperte sie den Gang hinunter, nahm plötzlich Tempo auf und schoß wie eine kleine Kanonenkugel auf eine allein sitzende Dame neben ihrem MCM Gepäck los. Ungebremste prallte sie der Dame auf den Schoß, die weißblonden Haare flogen, dann trat die Kleine zurück, fingerte verlegen an ihrem Hemdchen, bevor sie auf die Ohrringe ihres Opfers zeigte: Ohren! verkündete. Betastete ihre eigenen Ohrringe, tat ein paar vorsichtige Schritte in den Gang, ich lächelte ihr zu, sie zeigte auf mich, sah die Dame an und jubelte mit Blick auf mich „Ohren!“. Als nächstes nahm sie den Rastafari neben mir in Augenschein, der natürlich keine Ohrringe trug. Kam nach einigen Minuten konzentrierten Schweigens zu dem Ergebnis „Keine Ohren“. Wirklich, sowas finde ich niedlich, aber als das Gebrüll kurz darauf wieder einsetze, wurde es mir zu bunt.
Um meinen Ruf als Königin aller Passagier-Pedanten endgültig zu festigen, machte ich mich auf die Suche nach der Mutter. Fragte als erstes die geduldige alte Dame: ob das Kind zu ihr gehöre? Nein. Sie deutete verlegen in die Sitzreihe dahinter. Dort eine junge Frau, kaum 20, weißblondierte Haare, Nasenpiercing, der Boden voller Spielzeugtrümmer und Müll, die ganze Vierergruppe ein einziges Chaos. Freundlich fragte ich, ob das ihr Kind sei und erklärte – wirklich freundlich und vorsichtig –, daß ich Kindern durchaus zugetan sei, Kinder dürften spielen, rumlaufen und rumkrähen, aber das mutwillige Geschrei sei doch zunehmend anstrengend, ob man vielleicht die Kleine mal ermahnen könne? Nein, wurde mir empört beschieden, solle sie ihr denn den Mund zukleben? Woraufhin ich erwiderte, das natürlich nicht, aber dem Mädchen vielleicht doch erklären, daß es nicht aus Spaß rumschreien dürfe. Pah, kam es zurück, die Kleine sei erst zwei, ich hätte wohl keine Ahnung von Kindern... . Woraufhin ich antwortete, auch Zweijährigen könne man so etwas erklären. Im Gegenteil könne man gar nicht früh genug anfangen, Kindern beizubringen, daß man in der Öffentlichkeit nicht alles machen kann und sich ein bißchen benehmen muß. Und bei mir dachte, daß hätte man auch der Mutter mal erklären sollen, als noch Chance bestand, mitmenschenverträgliches Verhalten dauerhaft zu festigen.
Ich plädiere für eine Irren-Quote auf Bahnfahrten: kein Abteil darf mehr als, nun ja, zwei nervige Idioten mit nennenswertem Störpotential enthalten. Eltern dürfen mit ihren Kindern nicht lautstark Kinderlieder singen (das war auf der nicht weniger irren Rückfahrt), und wer regelmäßig fährt, muß einen Benimmkurs "Anstand auf Reisen" machen. Die Bahn hingegen auf Pünktlichkeit zu verpflichten ist ein so hoffnungsloses Unterfangen, davon lasse ich die Finger.
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