Dienstag, 31. August 2010
Urlaubssehnsucht
Draußen ist es ganz plötzlich Herbst geworden. Auf den Gehwegen verfaulen bröselige, Blätter in allen Variationen von braun und es ist so bitterkalt, daß ich meine Winterpullover herbeiwünsche und in meiner Wohnung eine Wolldecke wie einen Poncho umgelegt habe – die Heizung scheint noch in der Sommerpause zu sein. Immerhin bewahrheiten sich die Vorhersagen vom Altweibersommer in den Bergen: es regnet nur noch halbe Tage, die andere Hälfte drückt sich eine verlegene Sonne am Himmel herum, als wüßte sie nicht so recht, was sie hier soll.

Vor einem Jahr saß ich in klimatisierten Büros und planschte abends um acht im Pool, draußen drückende, schwüle, tropische Hitze, die mich gen Weihnachten zunehmend irritierte – dieses Jahr frage ich mich, wo der Sommer geblieben ist. Ich war ein paar Mal in Bergweihern oder Waldseen schwimmen, erinnere ich mich auch an einige Radtouren, einen Nachmittag in der Sonne auf der Bank hinter der Kirche um die Ecke, drei Tage verbrannte Füße auf der elterlichen Terrasse, aber das qualifiziert doch wohl noch nicht als Sommer?

Ich hätte gerne Urlaub. Am Meer. Wie sehr ich ein großes Wasser für das wahre, richtige Urlaubsgefühl brauche, ist mir gerade erst aufgefallen. In meinem neuen Umfeld im Alpenland habe ich lauter Kollegen, die wandern gehen, bergradeln und noch mehr wandern. Sie preisen die Schönheiten der grünen Wiesen und Berge. Davon habe ich jetzt auch einiges gesehen und gestehe: Ja, Bergseen sind idyllisch, grüne Wiesen hübsch, Felsmassive und Gletscher beeindruckend, aber zum Urlaub gehören für mich Wellen und Strand. Meine Familie hat die Mehrzahl der Sommerurlaube an der See verbracht, meistens Nordsee, ein paar Mal der Teich, der sich Ostsee schimpft, oder der etwas größere Teich namens Mittelmeer, eine endlose Folge von Stränden, Burgenbau, und Planschen im Meer. Die Urlaube in den Bergen hingegen kann ich präzise benennen: ein Mal Skifahren in der Schweiz, drei Mal Herbstferien oder Weihnachten im Schwarzwald.

Meine Sandkastenfreundin wiederum verbrachte alle Sommerurlaube in Österreich. So sicher, wie man meine Familie mit Schaufeln und Regenjacken gewappnet an der Nordsee finden konnte, war sie im Sommer mit den Eltern mit Wanderschuhen in den Bergen unterwegs, erzählte danach von grünen Wiesen, Gemsen, Edelweiß und Hütten, während ich Wellenbaden, Quallen und Regenschauer vorzuweisen hatte. Ich wußte, ich darf das nicht laut sagen, aber heimlich und verstohlen habe ich sie immer bemitleidet. Urlaub ohne Strand und Meer, das konnte ich mir nur als todlangweilig und irgendwie falsch vorstellen. Bis heute ist mir das Wetter im Urlaub völlig schnuppe, wenn es nur einen langen Strand gibt, die unbegrenzte Weite der Aussicht übers Meer, das beständige Rauschen der Wellen und Wind, der mir durch die Haare fegt. Ich gehe auch bei 17 Grad kreischend, aber unerschüttert ins Wasser, ich laufe barfuß und genieße den Sand zwischen den Zehen (und Wochen später noch in allen Socken und Schuhen) und koste die abendliche Erschöpfung von der salzigen Luft (Reizklima!) aus. Nur das ist für mich Urlaub.

Leider bin ich im Moment denkbar weit entfernt von allen großen Wassern, eine schlechtere Wahlheimat hätte ich mir in dieser Hinsicht kaum aussuchen können. Urlaubssehnsüchtig wie ich im Moment bin, habe ich die gestrige Nacht meine Möglichkeiten erforscht und das Ergebnis ist enttäuschend: bis zur Nordsee wäre ich 24h mit der Bahn unterwegs – zuviel Aufwand für ein Wochenende. Bis zum Mittelmeer in Italien wären es nur sechs bis acht Stunden, aber die Schweizer Bahn wünscht dafür 190 CHF pro Strecke – das kommt nicht in Frage. Ich könnte ans französische Mittelmeer fliegen, aber auch das ist nicht unter 300 Euro möglich und so bin ich nach Mitternacht zu der traurigen Erkenntnis gelangt, daß der Urlaub dieses Jahr ausfällt. Eine Möglichkeit habe ich allerdings noch: Kollegen haben mich gefragt, ob ich am Wochenende im Tessin wandern gehen möchte. Na denn.

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