Mittwoch, 26. Mai 2010
Praktische Erwägungen
Meine alte und neue Heimat liegen eher ungünstig zueinander. Zwei nette kleine Provinzstädtchen, mit dem Auto braucht man etwa sechs Stunden, das geht durchaus, aber leider habe ich kein eigenes. Und so teste ich mich langsam durch die zur Verfügung stehenden öffentlichen Verkehrsmittel. Im Januar bin ich mal geflogen, das war ganz angenehm, aber im Ergebnis sind es viele kleine Streckenabschnitte zu einem in der Summe nicht wirklich günstigen Preis: hin zum Flughafen, warten, fliegen, weg vom Flughafen – macht insgesamt sechs Stunden zu über hundert Euro.
Mit der Bahn sind tagsüber acht Stunden, da ist der Tag ganz und gar vorbei. Davon immerhin fünf in einem einzigen Zug abzusitzen bedeutet, daß man im günstigeren Fall – in Abwesenheit von Kegelclubs, schreienden Säuglingen und verreisenden Schulklassen – tatsächlich einfache Arbeiten machen kann. Im ungünstigen sitzt man sich den Rücken krumm und am Ende liegen die Nerven blank. Das zu vermeiden bin ich vor einigen Wochen zum ersten Mal nachts mit dem ICE über Basel und Köln gefahren. Nachts dauert die Fahrt zwar noch länger, eher um zwölf Stunden, aber es hat ganz entschieden seine Vorteile. Bis Basel kann ich noch ein Stündchen arbeiten, der ICE ist dann meist völlig leer, man kann sich ein hübsches Kompartement für sich allein suchen, die Tasche unter den Kopf, die Schuhe aus und sich lang auf einer Dreier-Bank ausstrecken. Bei meinem ersten Versuch stieg gegen zwei ein zahnloser Streckenarbeiter zu, beim zweiten Mal ein junger Bundi – nicht direkt die Gesellschaft meiner Wahl, aber auch keine Katastrophe. Unterträglich ist jedoch, daß der Zug die Großstädte an der Strecke abklappert und stündlich der Schaffner sein Sprüchlein durch die Lautsprecher plärrt: „Meine Damen und Herren, in Kürze gegen 3h25 erreichen wir Karlsruhe. Ihre Anschlüsse... .“ Für alle, die bei der deutschen Version nicht wachwerden, gerne auch noch einmal auf Englisch. Darüber hinaus kommt es in Frankfurt unweigerlich zum Personalwechsel, so daß mitten in der Nacht die Fahrscheine erneut vorgezeigt werden müssen – und nein, das Ticket und die Bahncard demonstrativ auf den Tisch zu legen, reicht nicht aus. DAS würde ja geistige Transferleistung seitens des Zugbegleiters erfordern.
Nach zwei Anläufen muß ich leider sagen: ICE nachts ist bequem genug, aber man döst sich leider nur von einer Stunde zur nächsten. Suboptimal und keine Option für Stressphasen.

Unverdrossen habe ich also die nächste Alternative probiert, CNL im „Ruhesessel im Großraumwagen“. Bevor Sie denken, ich sei zu geizig für Liegewagen: der war nicht mehr verfügbar, nächstes Mal vielleicht. Meine Schwester, vor Jahren ebenfalls CNL gefahren, erinnerte sich nur noch dunkel an besoffene Kerle und unbequeme Sessel. Ganz so schlimm wurde es dann aber nicht. Das Abteil war voll mit europäischen Jugendlichen, Interrail scheint immer noch ein Reisekonzept zu sein, leider brachten die Mitpassagiere Nachtzug nicht mit Ruhe in Beziehung und quasselten zwischendurch ungehemmt. Auch nachdem ich nachdrücklich Ruhe eingefordert hatte. Ansonsten hatte ich aber genug Platz, der Sessel läßt sich tatsächlich ganz angenehm zurücklehnen, es gibt Decken und – für die früh Eingestiegenen – Luftkissen. Vor allem aber: der Zug hält zwar gelegentlich, aber es bleibt dunkel und niemand plärrt durch die Lautsprecher – ein ganz entschiedener Vorteil, weil es drei Stunden Schlaf am Stück ermöglicht, bis man vor lauter Unbequemlichkeit und eingeschlafenen Gliedmaßen aufwacht.

Bisher resümiere ich also: Fliegen ist zu teuer. Bahnfahren tagsüber eine unerträgliche Zeitverschwendung. ICE nachts ist bequem, aber zu laut, Bahnfahren im CNL hingegen ruhig aber unbequem. Sozusagen de Wahl zwischen Pest und Cholera. Nächstes Mal werde ich den Liegewagen versuchen. Und natürlich berichten.

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