Sonntag, 10. Juli 2011
Pimp my dress
Das Kleid war schon langweilig als ich es gekauft habe. Seinerzeit allerdings war ich so fürchterlich sparsam mit meinem hartverdienten Geld, daß meine Familie schon über mich lachte. Noch weniger als ich heute habe ich es eingesehen, für ein Kleidungsstück, das man höchstens drei Nächte lang trägt (auch wenn Ballnächte immer besonders sind) 300 Euro oder mehr auszugeben.
Damals also war ich geizig sehr sparsam, ich brauchte dringend ein Kleid, und dieses war reduziert. Immerhin sagte mir die grau-grüne Farbe zu, und angezogen machte es etwas mehr her als auf dem Bügel: obwohl weitgehend hochgeschlossen, hatte es doch einen erstaunlich tiefen Ausschnitt. Kein Kleid, mit dem man Blicke auf sich zieht – aber hat man die Blicke anders angezogen, bietet es doch eine nette Aussicht. Den Aussschnitt. Und einen hohen Schlitz am Bein.

Um nicht gänzlich als grau-grüne Maus dazustehen, kaufte ich einen fuchsiafarbenen Schal und passende Ohrringen dazu und trug das Kleid seinerzeit auf einem kleineren Fest und Anfang dieses Jahres noch einmal in Wien. Jetzt allerdings brauche ich wieder eines und mochte dieses wirklich nicht mehr sehen – aber meine anderen Kleider hatte ich alle schon mehrfach an. Zuviele Festlichkeiten sind auch in den sekundären Kosten ein teurer Zeitvertreib und ein neues Kleid in der Schweiz zu kaufen, kommt schon gar nicht in Frage. Jenes Kleid vom Wiener Shopping-Marathon, das mir am meistens zusagte (dort 380 Euro) hängt auch hier in einem Laden – für 580 Franken. Das sehe ich keinesfalls ein.

Nun besitze ich allerdings seit kurzem eine Nähmaschine. Versuchshalber habe ich soviele Kissen genäht, daß ich einen Einzelhandel eröffnen könnte und fühlte mich damit gewappnet für Höheres. Nämlich die Kleiderverschönerung. Das Kleid hat rund um die Taille einen breiten, gerade Abnäher, der sich für farbliche Akzente anbot, was ich mir außerdem nicht sonderlich schwierig vorstellte. Bunten Stoff draufnähen und gut, dachte ich. Hätte mich jemand dabei beobachtet, wie ich abends in meiner Wohnung Satinbänder und Schals faltete und an verschiedenen Stellen ans Kleid drapierte, um Farbkombinationen zu beurteilen, er hätte sicherlich sehr gelacht. Am Ende fand ich pink immer noch am schönsten und ging anderntags zum Stoffkauf. Als Alternative hatte ich außerdem gelb oder orange, vielleicht mit orientalischer Anmutung, im Hinterkopf, das hatte ich am Vorabend in einem Film gesehen und war sehr angetan. Aber doch unsicher, ob das passen würde. Pink war also ganz klar mein Favorit – aber pink gab es leider nicht. Vom Futterstoff riet mir die patente Verkäuferin ab, und wunderbar schillernde Rohseide gab es in allen Farben, nur nicht in pink. Wohl aber in safrangelb. Und ein Reststück schwarzer Stoff mit Japan-Motiven aufgedruckt war außerdem im Angebot. Ich wußte schon, warum ich für die Stoffabteilung bei Karstadt eine Stunde eingeplant hatte, überzog aber mein Zeitbudget trotzdem, während ich mit der Verkäuferin Machbarkeit und Optik diskutierte.

Daß sie möglicherweise – bei allem Bemühen – nicht die beste Beraterin in Geschmacksfragen war und ich allein würde entscheiden müssen, verstand ich, als sie vorschlug, auf die farbige geplante farbige Schärpe um die Taille noch eine Glitzer-Chiffon-Tüll-Blume aufzunähen, damit das Kleid weniger langweilig sei. Ts. Am Ende schob ich alle Bedenken beiseite, investierte 40 Euro in Stoff und Garn und eilte wieder heim.

Am Sonntag zitterten mir beinahe die Finger vor Sorge, ich könnte sowohl das Kleid als auch die schönen Stoffe mit meinem Dilettantismus ruinieren, aber siehe da: nach vier Stunden Arbeit saß die Schärpe ums Kleid ziemlich so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Kurzzeitig befürchtete ich, zu großzügig genäht zu haben, aber am Ende brauchte es ein bißchen Spiel für Bewegung (man stelle sich vor, ich setze mich zu Tisch und der Stoff reißt ab!). Handwerklich gibt es noch minimales Optimierungspotential, einmal kam ich leicht vom Weg ab, aber das verschwindet in einer Falte (auch Fehler kann man strategisch begehen). Vielleicht war es etwas rabiat, den versehentlich zwischen Naht und Maschine geratenen (und damit fest angetackerten) Futterstoff innen einfach abzuschneiden. Aber egal, innen sieht keiner.

Die verbleibenden Stoffstücke zu einem Schal zusammenzusetzen (vorne Asiatika-Druck, hinten gelbe Rohseide) kostete weitere sieben Stunden an der Nähmaschine. Präziser: sieben Stunden Handarbeiten. Für jede fünf Minuten nähen an der Maschine nämlich hocke ich dreißig Minuten auf dem Fußboden und messe, stecke, markiere, hefte, und bügele. Bei meinen ersten Versuchen habe ich gelernt, daß jede Schlampigkeit sich später rächt. Wann immer ich dachte: wird schon passen, passte am Ende gar nichts, ich vermute beinahe, Stoffe führen ein Eigenleben und krabbeln heimlich wieder auseinander, wenn man sie aus den Augen läßt. Vielleicht waren es aber auch nur meine tolpatschigen Pfoten. Nachdem ich dieses Mal einen konkreten Anlaß vor Augen und wirklich Geld investiert hatte, habe ich lieber alles drei Mal geprüft. Am Ende kann ich es kaum glauben: die Mühe hat sich gelohnt. ICH! Ich höchstselbst, habe mein Kleid verschönt und einen passenden Schal genäht und im Gegensatz zu vielen anderen Dingen gilt hier: wenn man nicht sieht, daß es handgemacht ist, ist es gut. Und das ist es.

Oder?

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