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Urlaubssehnsucht
Draußen ist es ganz plötzlich Herbst geworden. Auf den Gehwegen verfaulen bröselige, Blätter in allen Variationen von braun und es ist so bitterkalt, daß ich meine Winterpullover herbeiwünsche und in meiner Wohnung eine Wolldecke wie einen Poncho umgelegt habe – die Heizung scheint noch in der Sommerpause zu sein. Immerhin bewahrheiten sich die Vorhersagen vom Altweibersommer in den Bergen: es regnet nur noch halbe Tage, die andere Hälfte drückt sich eine verlegene Sonne am Himmel herum, als wüßte sie nicht so recht, was sie hier soll.
Vor einem Jahr saß ich in klimatisierten Büros und planschte abends um acht im Pool, draußen drückende, schwüle, tropische Hitze, die mich gen Weihnachten zunehmend irritierte – dieses Jahr frage ich mich, wo der Sommer geblieben ist. Ich war ein paar Mal in Bergweihern oder Waldseen schwimmen, erinnere ich mich auch an einige Radtouren, einen Nachmittag in der Sonne auf der Bank hinter der Kirche um die Ecke, drei Tage verbrannte Füße auf der elterlichen Terrasse, aber das qualifiziert doch wohl noch nicht als Sommer?
Ich hätte gerne Urlaub. Am Meer. Wie sehr ich ein großes Wasser für das wahre, richtige Urlaubsgefühl brauche, ist mir gerade erst aufgefallen. In meinem neuen Umfeld im Alpenland habe ich lauter Kollegen, die wandern gehen, bergradeln und noch mehr wandern. Sie preisen die Schönheiten der grünen Wiesen und Berge. Davon habe ich jetzt auch einiges gesehen und gestehe: Ja, Bergseen sind idyllisch, grüne Wiesen hübsch, Felsmassive und Gletscher beeindruckend, aber zum Urlaub gehören für mich Wellen und Strand. Meine Familie hat die Mehrzahl der Sommerurlaube an der See verbracht, meistens Nordsee, ein paar Mal der Teich, der sich Ostsee schimpft, oder der etwas größere Teich namens Mittelmeer, eine endlose Folge von Stränden, Burgenbau, und Planschen im Meer. Die Urlaube in den Bergen hingegen kann ich präzise benennen: ein Mal Skifahren in der Schweiz, drei Mal Herbstferien oder Weihnachten im Schwarzwald.
Meine Sandkastenfreundin wiederum verbrachte alle Sommerurlaube in Österreich. So sicher, wie man meine Familie mit Schaufeln und Regenjacken gewappnet an der Nordsee finden konnte, war sie im Sommer mit den Eltern mit Wanderschuhen in den Bergen unterwegs, erzählte danach von grünen Wiesen, Gemsen, Edelweiß und Hütten, während ich Wellenbaden, Quallen und Regenschauer vorzuweisen hatte. Ich wußte, ich darf das nicht laut sagen, aber heimlich und verstohlen habe ich sie immer bemitleidet. Urlaub ohne Strand und Meer, das konnte ich mir nur als todlangweilig und irgendwie falsch vorstellen. Bis heute ist mir das Wetter im Urlaub völlig schnuppe, wenn es nur einen langen Strand gibt, die unbegrenzte Weite der Aussicht übers Meer, das beständige Rauschen der Wellen und Wind, der mir durch die Haare fegt. Ich gehe auch bei 17 Grad kreischend, aber unerschüttert ins Wasser, ich laufe barfuß und genieße den Sand zwischen den Zehen (und Wochen später noch in allen Socken und Schuhen) und koste die abendliche Erschöpfung von der salzigen Luft (Reizklima!) aus. Nur das ist für mich Urlaub.
Leider bin ich im Moment denkbar weit entfernt von allen großen Wassern, eine schlechtere Wahlheimat hätte ich mir in dieser Hinsicht kaum aussuchen können. Urlaubssehnsüchtig wie ich im Moment bin, habe ich die gestrige Nacht meine Möglichkeiten erforscht und das Ergebnis ist enttäuschend: bis zur Nordsee wäre ich 24h mit der Bahn unterwegs – zuviel Aufwand für ein Wochenende. Bis zum Mittelmeer in Italien wären es nur sechs bis acht Stunden, aber die Schweizer Bahn wünscht dafür 190 CHF pro Strecke – das kommt nicht in Frage. Ich könnte ans französische Mittelmeer fliegen, aber auch das ist nicht unter 300 Euro möglich und so bin ich nach Mitternacht zu der traurigen Erkenntnis gelangt, daß der Urlaub dieses Jahr ausfällt. Eine Möglichkeit habe ich allerdings noch: Kollegen haben mich gefragt, ob ich am Wochenende im Tessin wandern gehen möchte. Na denn.
Vor einem Jahr saß ich in klimatisierten Büros und planschte abends um acht im Pool, draußen drückende, schwüle, tropische Hitze, die mich gen Weihnachten zunehmend irritierte – dieses Jahr frage ich mich, wo der Sommer geblieben ist. Ich war ein paar Mal in Bergweihern oder Waldseen schwimmen, erinnere ich mich auch an einige Radtouren, einen Nachmittag in der Sonne auf der Bank hinter der Kirche um die Ecke, drei Tage verbrannte Füße auf der elterlichen Terrasse, aber das qualifiziert doch wohl noch nicht als Sommer?
Ich hätte gerne Urlaub. Am Meer. Wie sehr ich ein großes Wasser für das wahre, richtige Urlaubsgefühl brauche, ist mir gerade erst aufgefallen. In meinem neuen Umfeld im Alpenland habe ich lauter Kollegen, die wandern gehen, bergradeln und noch mehr wandern. Sie preisen die Schönheiten der grünen Wiesen und Berge. Davon habe ich jetzt auch einiges gesehen und gestehe: Ja, Bergseen sind idyllisch, grüne Wiesen hübsch, Felsmassive und Gletscher beeindruckend, aber zum Urlaub gehören für mich Wellen und Strand. Meine Familie hat die Mehrzahl der Sommerurlaube an der See verbracht, meistens Nordsee, ein paar Mal der Teich, der sich Ostsee schimpft, oder der etwas größere Teich namens Mittelmeer, eine endlose Folge von Stränden, Burgenbau, und Planschen im Meer. Die Urlaube in den Bergen hingegen kann ich präzise benennen: ein Mal Skifahren in der Schweiz, drei Mal Herbstferien oder Weihnachten im Schwarzwald.
Meine Sandkastenfreundin wiederum verbrachte alle Sommerurlaube in Österreich. So sicher, wie man meine Familie mit Schaufeln und Regenjacken gewappnet an der Nordsee finden konnte, war sie im Sommer mit den Eltern mit Wanderschuhen in den Bergen unterwegs, erzählte danach von grünen Wiesen, Gemsen, Edelweiß und Hütten, während ich Wellenbaden, Quallen und Regenschauer vorzuweisen hatte. Ich wußte, ich darf das nicht laut sagen, aber heimlich und verstohlen habe ich sie immer bemitleidet. Urlaub ohne Strand und Meer, das konnte ich mir nur als todlangweilig und irgendwie falsch vorstellen. Bis heute ist mir das Wetter im Urlaub völlig schnuppe, wenn es nur einen langen Strand gibt, die unbegrenzte Weite der Aussicht übers Meer, das beständige Rauschen der Wellen und Wind, der mir durch die Haare fegt. Ich gehe auch bei 17 Grad kreischend, aber unerschüttert ins Wasser, ich laufe barfuß und genieße den Sand zwischen den Zehen (und Wochen später noch in allen Socken und Schuhen) und koste die abendliche Erschöpfung von der salzigen Luft (Reizklima!) aus. Nur das ist für mich Urlaub.
Leider bin ich im Moment denkbar weit entfernt von allen großen Wassern, eine schlechtere Wahlheimat hätte ich mir in dieser Hinsicht kaum aussuchen können. Urlaubssehnsüchtig wie ich im Moment bin, habe ich die gestrige Nacht meine Möglichkeiten erforscht und das Ergebnis ist enttäuschend: bis zur Nordsee wäre ich 24h mit der Bahn unterwegs – zuviel Aufwand für ein Wochenende. Bis zum Mittelmeer in Italien wären es nur sechs bis acht Stunden, aber die Schweizer Bahn wünscht dafür 190 CHF pro Strecke – das kommt nicht in Frage. Ich könnte ans französische Mittelmeer fliegen, aber auch das ist nicht unter 300 Euro möglich und so bin ich nach Mitternacht zu der traurigen Erkenntnis gelangt, daß der Urlaub dieses Jahr ausfällt. Eine Möglichkeit habe ich allerdings noch: Kollegen haben mich gefragt, ob ich am Wochenende im Tessin wandern gehen möchte. Na denn.
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Mission: Wohnungsverschönerung
Meine Familie hält mich irrtümlich für handwerklich geschickt, weil ich schon als Kind bei jeder Bastelsitzung mit Feuereifer dabei war. Pferdeköpfe aus Gips, Salzteigfiguren zu Weihnachten, Schmuck aus Fimoknete und Halstücher auf Seide – ich habe wirklich alles probiert, allerdings, wenn man ehrlich ist, mit mehr Leidenschaft als Können. Diese Glanzzeiten der Fingerfertigkeit sind zwar lange vorbei, meine Familie hält jedoch unbeirrbar daran fest, vermutlich weil ich Weihnachten vor drei Jahren Memory Boards geradezu in Serie produzierte und alle Freunde und Geschwister damit beglückte.
Gegen handwerkliches Geschick spricht jedenfalls, daß ich in meiner ersten Wohnung die Gardinen, die ohnehin nur zu dekorativen Zwecken dienten, mit Tesafilm und kleinen Nägeln an der Wand befestigte. Alle vier Wochen kamen die Dinger 'runter, dann mußte ich neu kleben. Nach einem Jahr zog ich um, die nächste Gardine brachte mein Vater an (seines Zeichens passionierter Baumarktbesucher, von ihm kommt vermutlich das „mehr Leidenschaft als Können“ Gen). Ein paar Jahre später brachte ein wirklich patenter junger Mann meine Gardinen an und in der nächsten Wohnung hingen die Stangen schon.
Es gab außerdem genau zwei Gelegenheiten, wo ich Wände weiß streichen mußte beim Auszug, wobei meine zur Unterstützung angerückte Mutter kommentierte: „Damenwahl, machst Du auch Farbe auf die Wände oder landet das alles nur auf Dir?“ Sie sehen, ich kann leidlich schreiben, rechnen, putzen und auch Kakerlaken totmachen, aber beim Nagel in der Wand stoße ich klar an meine Grenzen.
Beim Einzug in mein Schweizer Heim zählte ich fest auf die Unterstützung eines handwerklich außerordentlich geschickten jungen Mannes, der auch pflichtschuldigst Lampen anbrachte und unter vielen Flüchen Billy-Regale schraubte, aber irgendwie waren die Wochenenden immer zu kurz und der Baumarkt so weit, und so hing der Vorhang vor meinem Bett auch vier Monate nach dem Einzug immer noch auf drei Nägeln, hinter dem Kopfende des Bettes klaffte ein Abgrund so tief wie der Grand Canyon und bei der Aufhängung der Bilder blieb es aufgrund unterschiedlicher ästhetischer Ansichten auch bei der Planung.

Das jedoch ist nichts im Vergleich zur Wohnung meiner Schwester, die ich vor einigen Wochen auf der Durchreise besichtigte. Die Kombination aus von der Vormieterin zwangsübernommenen Möbeln – namentlich einem siffigen, dunkelgrauen Sofa – und neutralen, weißen Ikea Notwendigkeiten (Schrank, Tisch, Stühle, Regale) war trostlos sondergleichen, daß es mir fast das Herz bracht. Eine patente junge Frau hätte einfach ein paar bunte Vorhänge, Kissen und Accessoires verteilt, aber die Schwester ist tatsächlich so geraten, daß ich im Vergleich dazu tatsächlich als handwerklich geschickt durchgehen kann. Guter Mensch der ich bin, machte ich mich also wenige Wochen später mit meinem – haha – Handwerkszeug auf den Weg, Hammer, Schraubendreher, eine Sammlung Schrauben und Nägel, Tacker und eine Variation Inbus-Schlüssel. Die Schwester wiederum hatte alten Gardinenstoff von zu Hause mitgebracht, stand allerding meinem Enthusiasmus bezüglich der neuen Sofa-Bezüge eher skeptisch gegenüber.
Später als erwartet und halbverhungert kam ich an, wir widmeten uns kurz dem Abendessen und der Prosecco-Flasche, als ich dann jedoch mit Tacker und Stoff dem Sofa zuleibe rücken wollte, erntete ich entgeisterte Blicke: „Heute Abend noch? Muß das sein?“
Natürlich mußte es sein, ich war schließlich der kommandierende Offizier der Aktion Wohnungsverschönerung und fing voller Begeisterung an, das Sofa auseinanderzunehmen. Die Sitzflächen gingen relativ einfach, das erste Seitenteil nach einiger Diskussion ebenso – Streifen unterschiedlicher Breite sind nicht trivial, nein – aber dann wurde mein Eifer gebremst: wir wußten nicht mehr recht, wie wir eigentlich den Stoff bei der ersten Armlehne gefaltet hatten, und die zweite sollte doch möglichst identisch sein. Bestimmt zwanzig Minuten lang überlegten wir und probierten allerlei Alternativen durch, bis wir die günstige Lösung der ersten Armlehne reproduzieren konnten. Der Rest war ein Kinderspiel, wobei ich meine Pedanterie beim Tackern, Eckenschneiden, Straffspannen und derlei Details fast ungebremst ausleben konnte – sowas muß man ordentlich machen, jawohl. Das Ergebnis übertraf dann tatsächlich alle Erwartungen inklusive meiner eigenen. Mehr noch jedoch die meiner Schwester, die mir schlagartig alle besserwisserischen Ermahnungen verzieh.
Am nächsten Morgen machten wir einen Ausflug in den Baumarkt, wo wir in typischer Mädchenmanier die Herren Berater in den Wahnsinn trieben. Welches Regal? Und wo ist da der Unterschied? Welche Farbe? Und wo ist der Unterschied zwischen Wand- und Acrylfarbe? Ach, kann man die nicht für beides nutzen? Na gut. Welche Pinsel? Und wo ist da der Unterschied, zwischen den teuren und billigen? Keiner? Na, dann nehmen wir die billigen.
Mein persönlicher Höhepunkt war der Erwerb einer Bohrmaschine. Eigentlich hatte ich ja die Schwester beauftragt, mit dem Vater im Baumarkt eine zu kaufen (für das Vergnügen, in den Baumarkt zu fahren hätte er sicher die Ausgabe auf sich genommen), aber das hatte nicht mehr geklappt. Nach zwei Stunden trabten wir mit etlichen Tüten schwer beladen und einem neon-orange leuchtenden Bohrer aus dem Baumarkt und machten erst mal Kaffeepause, uns von dieser Anstrengung zu erholen. Das war durchaus eine glückliche Entscheidung, ließ es mir doch Zeit festzustellen, daß die acht Regalwinkel alle sechs Löcher insgesamt hatten, wir also mit den erstandenen 15 Dübeln+Schrauben nicht auskommen würden. Erst zu Hause ging mir auf, daß ich mit weiteren 45 Dübeln doch etwas viele nachgekauft hatte – die Bretter werden ja nicht verschraubt. Hätte also keine 60 Schrauben gebraucht, sondern nur 24. Aber gut, ich habe jetzt genug Dübel+Schrauben für den Rest meines Lebens.
Zurück in den eigenen vier Wänden gab ich die Marschrichtung vor: Unangenehmes zuerst, bohren und dübeln also. Das erforderte etliche Telefonkonferenzen mit der Handwerkerhotline meines Herzens. Zuerst bei der Entdeckung, daß die Wandverkleidung nur Gipskarton war. Dann bei dem schrillen Kreischen, das die Bohrmaschine nach den ersten fünf Umdrehungen von sich gab. Dann bei der Frage, ob bei Regalwinkeln die lange oder die kurze Seite an die Wand (respektive das Brett) kommt. Und schließlich angesichts der Steckdosen, fünf Zentimeter neben der Bohr-Planstelle. Das habe ich dann lieber gelassen, womit sich nach dem ersten glücklich angebrachten Brett die nächsten drei von selbst erübrigten. Darunter jenes, das über der Heizung neben der Tür hätte hängen sollen, und das neben Steckdosen auch noch Heizungsrohre als besondere Herausforderung bereitgehalten hätte. Am Ende haben wir eines der abgesägten Holzklötzchenreste aus dem Baumarkt (Schwester: „Laß die doch hier. Ist doch nur Müll.“ Kommandeursschwester: „Man weiß nie, wann man's brauchen kann, das wird mitgekommen. Ins Marschgepäck und kehrtum!“), also, eines der Holzklötzchen auf die Heizung gelegt, das Regal damit abgestützt und nur einen Regalwinkel angedübelt, weit weg von Steckdosen und Wasserrohren. Dann gab es noch eine schöne, alte Lampe fürs Bett anzubringen, deren alte Kabel allerdings funkensprühend gegen den unregelmäßigen Strom der Altbauwohnung protestierten und beim Anschalten unter Feuerwerk durchbrannten und alle Sicherungen rausfliegen ließen. Den Rest des Tages klebten wir die dreißig Steckdosen in der Fernsehecke ab und machten uns blau. Und die Wand dahinter. Das Sternchen auf der Heimwerkeraktion war jedoch das Klebeband für den PVC-Boden zum Fugen abdecken (Schwester: „Ach, das brauche ich nicht.“ Kommendeur: „Du kaufst das jetzt!“ Schwester später: „Sieht toll aus.“)
Nach einem langen Arbeitstag waren wir in doppelter Hinsicht fertig, ich hatte viel Acryllack von Händen und Beinen abzukratzen, eine Blase vom Schraubendrehen in der Handfläche zu verarzten und konnte am nächsten Tag mit mir völlig unbekannten, schmerzenden Muskelpartien Bekanntschaft machen. Das Ergebnis aber war alle Mühe wert und die Schwester ist nach meinem Kenntnisstand immer noch zufrieden und hat noch keine Auszugswünsche geäußert.
Meiner eigenen Wohnung habe ich mich dann heute angenommen, mit mäßigem Erfolg, leider. Das für den Abgrund hinterm Bett erstandene Regalbrett ist zu lang, zu kurz oder zu breit, je nachdem wie man es nimmt und hinlegt. Es passt jedenfalls nicht wirklich. Die Gardinenstange macht die Gardine gleichfalls zu lang oder zu kurz – ich habe mich nun für zu lang entschieden (und beneide nicht jene Person, die die Schrauben irgendwann aus der Holzdecke wieder rausdrehen muß. Ich hoffe, das werde nicht ich sein). Die Bohrmaschine wiederum stieß nach weniger als einem Zentimeter auf irgendwas Hartes, sprühte Funken, wonach ich das Unterfangen aufgab und statt des schweren Spiegels ein leichtes Bild über das riesige Loch hängte, das ich so schön angebohrt hatte. Danach verlegte ich mich auf Nägel, der Zentner-Spiegel steht jetzt immer noch rum.
Nach diesen Kämpfen werde ich mich jetzt dem widmen, was ich wirklich kann: Putzen. Kochen. Schreiben.
Gegen handwerkliches Geschick spricht jedenfalls, daß ich in meiner ersten Wohnung die Gardinen, die ohnehin nur zu dekorativen Zwecken dienten, mit Tesafilm und kleinen Nägeln an der Wand befestigte. Alle vier Wochen kamen die Dinger 'runter, dann mußte ich neu kleben. Nach einem Jahr zog ich um, die nächste Gardine brachte mein Vater an (seines Zeichens passionierter Baumarktbesucher, von ihm kommt vermutlich das „mehr Leidenschaft als Können“ Gen). Ein paar Jahre später brachte ein wirklich patenter junger Mann meine Gardinen an und in der nächsten Wohnung hingen die Stangen schon.
Es gab außerdem genau zwei Gelegenheiten, wo ich Wände weiß streichen mußte beim Auszug, wobei meine zur Unterstützung angerückte Mutter kommentierte: „Damenwahl, machst Du auch Farbe auf die Wände oder landet das alles nur auf Dir?“ Sie sehen, ich kann leidlich schreiben, rechnen, putzen und auch Kakerlaken totmachen, aber beim Nagel in der Wand stoße ich klar an meine Grenzen.
Beim Einzug in mein Schweizer Heim zählte ich fest auf die Unterstützung eines handwerklich außerordentlich geschickten jungen Mannes, der auch pflichtschuldigst Lampen anbrachte und unter vielen Flüchen Billy-Regale schraubte, aber irgendwie waren die Wochenenden immer zu kurz und der Baumarkt so weit, und so hing der Vorhang vor meinem Bett auch vier Monate nach dem Einzug immer noch auf drei Nägeln, hinter dem Kopfende des Bettes klaffte ein Abgrund so tief wie der Grand Canyon und bei der Aufhängung der Bilder blieb es aufgrund unterschiedlicher ästhetischer Ansichten auch bei der Planung.

Das jedoch ist nichts im Vergleich zur Wohnung meiner Schwester, die ich vor einigen Wochen auf der Durchreise besichtigte. Die Kombination aus von der Vormieterin zwangsübernommenen Möbeln – namentlich einem siffigen, dunkelgrauen Sofa – und neutralen, weißen Ikea Notwendigkeiten (Schrank, Tisch, Stühle, Regale) war trostlos sondergleichen, daß es mir fast das Herz bracht. Eine patente junge Frau hätte einfach ein paar bunte Vorhänge, Kissen und Accessoires verteilt, aber die Schwester ist tatsächlich so geraten, daß ich im Vergleich dazu tatsächlich als handwerklich geschickt durchgehen kann. Guter Mensch der ich bin, machte ich mich also wenige Wochen später mit meinem – haha – Handwerkszeug auf den Weg, Hammer, Schraubendreher, eine Sammlung Schrauben und Nägel, Tacker und eine Variation Inbus-Schlüssel. Die Schwester wiederum hatte alten Gardinenstoff von zu Hause mitgebracht, stand allerding meinem Enthusiasmus bezüglich der neuen Sofa-Bezüge eher skeptisch gegenüber.
Später als erwartet und halbverhungert kam ich an, wir widmeten uns kurz dem Abendessen und der Prosecco-Flasche, als ich dann jedoch mit Tacker und Stoff dem Sofa zuleibe rücken wollte, erntete ich entgeisterte Blicke: „Heute Abend noch? Muß das sein?“
Natürlich mußte es sein, ich war schließlich der kommandierende Offizier der Aktion Wohnungsverschönerung und fing voller Begeisterung an, das Sofa auseinanderzunehmen. Die Sitzflächen gingen relativ einfach, das erste Seitenteil nach einiger Diskussion ebenso – Streifen unterschiedlicher Breite sind nicht trivial, nein – aber dann wurde mein Eifer gebremst: wir wußten nicht mehr recht, wie wir eigentlich den Stoff bei der ersten Armlehne gefaltet hatten, und die zweite sollte doch möglichst identisch sein. Bestimmt zwanzig Minuten lang überlegten wir und probierten allerlei Alternativen durch, bis wir die günstige Lösung der ersten Armlehne reproduzieren konnten. Der Rest war ein Kinderspiel, wobei ich meine Pedanterie beim Tackern, Eckenschneiden, Straffspannen und derlei Details fast ungebremst ausleben konnte – sowas muß man ordentlich machen, jawohl. Das Ergebnis übertraf dann tatsächlich alle Erwartungen inklusive meiner eigenen. Mehr noch jedoch die meiner Schwester, die mir schlagartig alle besserwisserischen Ermahnungen verzieh.
Am nächsten Morgen machten wir einen Ausflug in den Baumarkt, wo wir in typischer Mädchenmanier die Herren Berater in den Wahnsinn trieben. Welches Regal? Und wo ist da der Unterschied? Welche Farbe? Und wo ist der Unterschied zwischen Wand- und Acrylfarbe? Ach, kann man die nicht für beides nutzen? Na gut. Welche Pinsel? Und wo ist da der Unterschied, zwischen den teuren und billigen? Keiner? Na, dann nehmen wir die billigen.
Mein persönlicher Höhepunkt war der Erwerb einer Bohrmaschine. Eigentlich hatte ich ja die Schwester beauftragt, mit dem Vater im Baumarkt eine zu kaufen (für das Vergnügen, in den Baumarkt zu fahren hätte er sicher die Ausgabe auf sich genommen), aber das hatte nicht mehr geklappt. Nach zwei Stunden trabten wir mit etlichen Tüten schwer beladen und einem neon-orange leuchtenden Bohrer aus dem Baumarkt und machten erst mal Kaffeepause, uns von dieser Anstrengung zu erholen. Das war durchaus eine glückliche Entscheidung, ließ es mir doch Zeit festzustellen, daß die acht Regalwinkel alle sechs Löcher insgesamt hatten, wir also mit den erstandenen 15 Dübeln+Schrauben nicht auskommen würden. Erst zu Hause ging mir auf, daß ich mit weiteren 45 Dübeln doch etwas viele nachgekauft hatte – die Bretter werden ja nicht verschraubt. Hätte also keine 60 Schrauben gebraucht, sondern nur 24. Aber gut, ich habe jetzt genug Dübel+Schrauben für den Rest meines Lebens.
Zurück in den eigenen vier Wänden gab ich die Marschrichtung vor: Unangenehmes zuerst, bohren und dübeln also. Das erforderte etliche Telefonkonferenzen mit der Handwerkerhotline meines Herzens. Zuerst bei der Entdeckung, daß die Wandverkleidung nur Gipskarton war. Dann bei dem schrillen Kreischen, das die Bohrmaschine nach den ersten fünf Umdrehungen von sich gab. Dann bei der Frage, ob bei Regalwinkeln die lange oder die kurze Seite an die Wand (respektive das Brett) kommt. Und schließlich angesichts der Steckdosen, fünf Zentimeter neben der Bohr-Planstelle. Das habe ich dann lieber gelassen, womit sich nach dem ersten glücklich angebrachten Brett die nächsten drei von selbst erübrigten. Darunter jenes, das über der Heizung neben der Tür hätte hängen sollen, und das neben Steckdosen auch noch Heizungsrohre als besondere Herausforderung bereitgehalten hätte. Am Ende haben wir eines der abgesägten Holzklötzchenreste aus dem Baumarkt (Schwester: „Laß die doch hier. Ist doch nur Müll.“ Kommandeursschwester: „Man weiß nie, wann man's brauchen kann, das wird mitgekommen. Ins Marschgepäck und kehrtum!“), also, eines der Holzklötzchen auf die Heizung gelegt, das Regal damit abgestützt und nur einen Regalwinkel angedübelt, weit weg von Steckdosen und Wasserrohren. Dann gab es noch eine schöne, alte Lampe fürs Bett anzubringen, deren alte Kabel allerdings funkensprühend gegen den unregelmäßigen Strom der Altbauwohnung protestierten und beim Anschalten unter Feuerwerk durchbrannten und alle Sicherungen rausfliegen ließen. Den Rest des Tages klebten wir die dreißig Steckdosen in der Fernsehecke ab und machten uns blau. Und die Wand dahinter. Das Sternchen auf der Heimwerkeraktion war jedoch das Klebeband für den PVC-Boden zum Fugen abdecken (Schwester: „Ach, das brauche ich nicht.“ Kommendeur: „Du kaufst das jetzt!“ Schwester später: „Sieht toll aus.“)
Nach einem langen Arbeitstag waren wir in doppelter Hinsicht fertig, ich hatte viel Acryllack von Händen und Beinen abzukratzen, eine Blase vom Schraubendrehen in der Handfläche zu verarzten und konnte am nächsten Tag mit mir völlig unbekannten, schmerzenden Muskelpartien Bekanntschaft machen. Das Ergebnis aber war alle Mühe wert und die Schwester ist nach meinem Kenntnisstand immer noch zufrieden und hat noch keine Auszugswünsche geäußert.
Meiner eigenen Wohnung habe ich mich dann heute angenommen, mit mäßigem Erfolg, leider. Das für den Abgrund hinterm Bett erstandene Regalbrett ist zu lang, zu kurz oder zu breit, je nachdem wie man es nimmt und hinlegt. Es passt jedenfalls nicht wirklich. Die Gardinenstange macht die Gardine gleichfalls zu lang oder zu kurz – ich habe mich nun für zu lang entschieden (und beneide nicht jene Person, die die Schrauben irgendwann aus der Holzdecke wieder rausdrehen muß. Ich hoffe, das werde nicht ich sein). Die Bohrmaschine wiederum stieß nach weniger als einem Zentimeter auf irgendwas Hartes, sprühte Funken, wonach ich das Unterfangen aufgab und statt des schweren Spiegels ein leichtes Bild über das riesige Loch hängte, das ich so schön angebohrt hatte. Danach verlegte ich mich auf Nägel, der Zentner-Spiegel steht jetzt immer noch rum.
Nach diesen Kämpfen werde ich mich jetzt dem widmen, was ich wirklich kann: Putzen. Kochen. Schreiben.
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Irrenhaus auf Rädern
Nach soviel Gutmenschentum ist es wirklich Zeit für die nächste misanthropische Hasstirade. Aus der Reihe Bahnbloggen: nervige Mitfahrer, oder: wie ich mich zur meistgehassten Person des Waggons machte.
Der Zug war am Wochenende voller, als ich ihn je erlebt habe zu dieser Zeit, es sollte Urlaubern verboten werden, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Auf der Suche nach einem Sitzplatz mit Tischchen für den Laptop stand ich endlos im Gang herum, während sich die anderen Einsteiger sortierten – ich werde nie begreifen, warum man nicht erst mal aus Rücksicht auf andere Platz macht, sondern endlos im Gang steht, sein Gepäck sortiert, rauf und runter hebt, jetzt noch ein paar Sachen umpacken, und vielleicht braucht man die Zeitung... oder doch nicht, aber die Kekse auf jeden Fall. Nun ja. Ich wurde fündig gegenüber eine alten Nonne, einem Rastafari-Backpacker und neben einer jungen Frau. Nur blockierte der Koffer der Nonne – Format Großfamilie – den letzten freien Sitzplatz. Freundlich fragte ich nach, bot an, den Koffer hoch und auch wieder runterzuheben. Während die alte Dame mir vor Verlegenheit ihren Platz anbot, sie steige ohnehin bald aus, hob ich den Koffer (der natürlich nur halbvoll und keineswegs zu schwer war) hoch. Ein paar Wasserspritzer auf dem Tischchen fielen mir zuerst kaum auf, aber kaum stand mein Rechner drauf: platsch! - tropfte es von oben aus dem Gepäckfach. Unter dem Rucksack eine verbeulte Metallflasche, kopfunter, und undicht. Verlegen weckte ich den jungen Mann, rüttelte vorsichtig sein Bein, deutete auf die Flasche. Er räumte um, setzte sich hin, zog seine Müsse wieder über die Augen. Platsch! Von oben. Peinlich berührt, weckte ich ihn erneut und diesmal nahm er die Flasche komplett runter.
Zwei Stops später wurde es endlich leerer, ich konnte die Beine ausstrecken, die Papiere auf dem freien Sitz neben mir ausbreiten und mich endlich der Arbeit widmen. Ein brabbelndes Kleinkind weiter hinten, auf der Fahrt über eine Brücke: „guck mal, Wasser!“ fand ich anfangs noch putzig. Die beiden Asiatinnen, die sich in perfektem Englisch unterhielten ebensowenig. Der Rastafari-Backpacker mir gegenüber ein schweigender Geselle.
Nicht jedoch die junge Frau in der Sitzgruppe nebenan. Dort ein fleißiger Student der weniger mode-affinen Sorte, ein Computer-Nerd der coolen Sorte mit Dreitagebart und Fachzeitschrift bewaffnet, und eine junge Frau der Kategorie öko-brav. Kaum war der Zug wieder angerollt, kaum hatte ich die Arbeit wieder aufgenommen packte sie eine große Packung Cracker aus. Lange, runde Stangen, etwas dicker als Grissini, in Plastikschale und Folie eingeschweißt. Mit spitzen Fingern und reichlich Knistern öffnete sie pedantisch das eine Ende der Tüte, fingerte ein Grisssinistangenende hervor, brach es ab, und aß. Über – ungelogen – zehn Minuten. In endloser Folge verschwanden Stücke (deutlich länger, als ein damenhaftes, mundgerechtes Häppchen) in ihrem Mund, knusper-knusper, mahlte ihr Mundwerk. Ein Stück nach dem anderen brach sie ab. Fasziniert beobachtete ich, wie sie niemals eine ganze Stange hervorholte, sondern jedes Mal unter knacken und rascheln die fingerlangen Stücke abbrach. Methodisch, voll konzentriert, eines ums andere. Kaum verschwand ein Stück in ihrem Mund, fuhren die schmalen, spitzen Finger wieder in die Tüte, verharrten dort, während sie kaute, dann wurde das nächste Stück abgebrochen.
Die ersten paar Minuten schielte ich nur verstohlen hinüber, dann – zunehmend fasziniert und zunehmend genervt– konnte ich kaum noch wegschauen. An dem Punkt, an dem ich hysterisch loslachen wollte vor aufgestauter Aggression, fing ich einen sichtlich amüsierten Blick des coolen Computer-Nerds auf, dem das Spektakel ebensowenig entgangen war. Wir lachten, er widmete sich wieder seiner Zeitung, ich guckte weiter. Sie völlig versunken in ihr knabbern, ich völlig fasziniert von solchem Verhalten. Völlig unempfindlich gegenüber ihrer Umwelt, der Mitpassagiere – keine Ahnung, wie man so wird. Mir rätselhaft. Irgendwann ging es nicht mehr, gleichermaßen beschämt wie aufgebracht bat ich, sie möge doch bitte, bitte! die Packung aus der Folie holen und das Knistern einstellen. Worauf sie mich ganz groß ansah aus ihren Kulleraugen: warum ich nicht gleich was gesagt hätte? Danach schien ihr schlagartig der Appetit vergangen und ich hatte endlich Ruhe.
Das Kind inzwischen, das am Anfang noch so niedlich gekräht hatte, fing inzwischen an zu brüllen wie wahnsinnig. Hörbar nur aus Langeweile und Mutwille turnte sie auf der Rückenlehne über dem Kopf einer älteren Dame herum und brüllte immer wieder vor Lust und Frust. Einfach so. Als nächstes stolperte sie den Gang hinunter, nahm plötzlich Tempo auf und schoß wie eine kleine Kanonenkugel auf eine allein sitzende Dame neben ihrem MCM Gepäck los. Ungebremste prallte sie der Dame auf den Schoß, die weißblonden Haare flogen, dann trat die Kleine zurück, fingerte verlegen an ihrem Hemdchen, bevor sie auf die Ohrringe ihres Opfers zeigte: Ohren! verkündete. Betastete ihre eigenen Ohrringe, tat ein paar vorsichtige Schritte in den Gang, ich lächelte ihr zu, sie zeigte auf mich, sah die Dame an und jubelte mit Blick auf mich „Ohren!“. Als nächstes nahm sie den Rastafari neben mir in Augenschein, der natürlich keine Ohrringe trug. Kam nach einigen Minuten konzentrierten Schweigens zu dem Ergebnis „Keine Ohren“. Wirklich, sowas finde ich niedlich, aber als das Gebrüll kurz darauf wieder einsetze, wurde es mir zu bunt.
Um meinen Ruf als Königin aller Passagier-Pedanten endgültig zu festigen, machte ich mich auf die Suche nach der Mutter. Fragte als erstes die geduldige alte Dame: ob das Kind zu ihr gehöre? Nein. Sie deutete verlegen in die Sitzreihe dahinter. Dort eine junge Frau, kaum 20, weißblondierte Haare, Nasenpiercing, der Boden voller Spielzeugtrümmer und Müll, die ganze Vierergruppe ein einziges Chaos. Freundlich fragte ich, ob das ihr Kind sei und erklärte – wirklich freundlich und vorsichtig –, daß ich Kindern durchaus zugetan sei, Kinder dürften spielen, rumlaufen und rumkrähen, aber das mutwillige Geschrei sei doch zunehmend anstrengend, ob man vielleicht die Kleine mal ermahnen könne? Nein, wurde mir empört beschieden, solle sie ihr denn den Mund zukleben? Woraufhin ich erwiderte, das natürlich nicht, aber dem Mädchen vielleicht doch erklären, daß es nicht aus Spaß rumschreien dürfe. Pah, kam es zurück, die Kleine sei erst zwei, ich hätte wohl keine Ahnung von Kindern... . Woraufhin ich antwortete, auch Zweijährigen könne man so etwas erklären. Im Gegenteil könne man gar nicht früh genug anfangen, Kindern beizubringen, daß man in der Öffentlichkeit nicht alles machen kann und sich ein bißchen benehmen muß. Und bei mir dachte, daß hätte man auch der Mutter mal erklären sollen, als noch Chance bestand, mitmenschenverträgliches Verhalten dauerhaft zu festigen.
Ich plädiere für eine Irren-Quote auf Bahnfahrten: kein Abteil darf mehr als, nun ja, zwei nervige Idioten mit nennenswertem Störpotential enthalten. Eltern dürfen mit ihren Kindern nicht lautstark Kinderlieder singen (das war auf der nicht weniger irren Rückfahrt), und wer regelmäßig fährt, muß einen Benimmkurs "Anstand auf Reisen" machen. Die Bahn hingegen auf Pünktlichkeit zu verpflichten ist ein so hoffnungsloses Unterfangen, davon lasse ich die Finger.
Der Zug war am Wochenende voller, als ich ihn je erlebt habe zu dieser Zeit, es sollte Urlaubern verboten werden, die öffentlichen Verkehrsmittel zu nutzen. Auf der Suche nach einem Sitzplatz mit Tischchen für den Laptop stand ich endlos im Gang herum, während sich die anderen Einsteiger sortierten – ich werde nie begreifen, warum man nicht erst mal aus Rücksicht auf andere Platz macht, sondern endlos im Gang steht, sein Gepäck sortiert, rauf und runter hebt, jetzt noch ein paar Sachen umpacken, und vielleicht braucht man die Zeitung... oder doch nicht, aber die Kekse auf jeden Fall. Nun ja. Ich wurde fündig gegenüber eine alten Nonne, einem Rastafari-Backpacker und neben einer jungen Frau. Nur blockierte der Koffer der Nonne – Format Großfamilie – den letzten freien Sitzplatz. Freundlich fragte ich nach, bot an, den Koffer hoch und auch wieder runterzuheben. Während die alte Dame mir vor Verlegenheit ihren Platz anbot, sie steige ohnehin bald aus, hob ich den Koffer (der natürlich nur halbvoll und keineswegs zu schwer war) hoch. Ein paar Wasserspritzer auf dem Tischchen fielen mir zuerst kaum auf, aber kaum stand mein Rechner drauf: platsch! - tropfte es von oben aus dem Gepäckfach. Unter dem Rucksack eine verbeulte Metallflasche, kopfunter, und undicht. Verlegen weckte ich den jungen Mann, rüttelte vorsichtig sein Bein, deutete auf die Flasche. Er räumte um, setzte sich hin, zog seine Müsse wieder über die Augen. Platsch! Von oben. Peinlich berührt, weckte ich ihn erneut und diesmal nahm er die Flasche komplett runter.
Zwei Stops später wurde es endlich leerer, ich konnte die Beine ausstrecken, die Papiere auf dem freien Sitz neben mir ausbreiten und mich endlich der Arbeit widmen. Ein brabbelndes Kleinkind weiter hinten, auf der Fahrt über eine Brücke: „guck mal, Wasser!“ fand ich anfangs noch putzig. Die beiden Asiatinnen, die sich in perfektem Englisch unterhielten ebensowenig. Der Rastafari-Backpacker mir gegenüber ein schweigender Geselle.
Nicht jedoch die junge Frau in der Sitzgruppe nebenan. Dort ein fleißiger Student der weniger mode-affinen Sorte, ein Computer-Nerd der coolen Sorte mit Dreitagebart und Fachzeitschrift bewaffnet, und eine junge Frau der Kategorie öko-brav. Kaum war der Zug wieder angerollt, kaum hatte ich die Arbeit wieder aufgenommen packte sie eine große Packung Cracker aus. Lange, runde Stangen, etwas dicker als Grissini, in Plastikschale und Folie eingeschweißt. Mit spitzen Fingern und reichlich Knistern öffnete sie pedantisch das eine Ende der Tüte, fingerte ein Grisssinistangenende hervor, brach es ab, und aß. Über – ungelogen – zehn Minuten. In endloser Folge verschwanden Stücke (deutlich länger, als ein damenhaftes, mundgerechtes Häppchen) in ihrem Mund, knusper-knusper, mahlte ihr Mundwerk. Ein Stück nach dem anderen brach sie ab. Fasziniert beobachtete ich, wie sie niemals eine ganze Stange hervorholte, sondern jedes Mal unter knacken und rascheln die fingerlangen Stücke abbrach. Methodisch, voll konzentriert, eines ums andere. Kaum verschwand ein Stück in ihrem Mund, fuhren die schmalen, spitzen Finger wieder in die Tüte, verharrten dort, während sie kaute, dann wurde das nächste Stück abgebrochen.
Die ersten paar Minuten schielte ich nur verstohlen hinüber, dann – zunehmend fasziniert und zunehmend genervt– konnte ich kaum noch wegschauen. An dem Punkt, an dem ich hysterisch loslachen wollte vor aufgestauter Aggression, fing ich einen sichtlich amüsierten Blick des coolen Computer-Nerds auf, dem das Spektakel ebensowenig entgangen war. Wir lachten, er widmete sich wieder seiner Zeitung, ich guckte weiter. Sie völlig versunken in ihr knabbern, ich völlig fasziniert von solchem Verhalten. Völlig unempfindlich gegenüber ihrer Umwelt, der Mitpassagiere – keine Ahnung, wie man so wird. Mir rätselhaft. Irgendwann ging es nicht mehr, gleichermaßen beschämt wie aufgebracht bat ich, sie möge doch bitte, bitte! die Packung aus der Folie holen und das Knistern einstellen. Worauf sie mich ganz groß ansah aus ihren Kulleraugen: warum ich nicht gleich was gesagt hätte? Danach schien ihr schlagartig der Appetit vergangen und ich hatte endlich Ruhe.
Das Kind inzwischen, das am Anfang noch so niedlich gekräht hatte, fing inzwischen an zu brüllen wie wahnsinnig. Hörbar nur aus Langeweile und Mutwille turnte sie auf der Rückenlehne über dem Kopf einer älteren Dame herum und brüllte immer wieder vor Lust und Frust. Einfach so. Als nächstes stolperte sie den Gang hinunter, nahm plötzlich Tempo auf und schoß wie eine kleine Kanonenkugel auf eine allein sitzende Dame neben ihrem MCM Gepäck los. Ungebremste prallte sie der Dame auf den Schoß, die weißblonden Haare flogen, dann trat die Kleine zurück, fingerte verlegen an ihrem Hemdchen, bevor sie auf die Ohrringe ihres Opfers zeigte: Ohren! verkündete. Betastete ihre eigenen Ohrringe, tat ein paar vorsichtige Schritte in den Gang, ich lächelte ihr zu, sie zeigte auf mich, sah die Dame an und jubelte mit Blick auf mich „Ohren!“. Als nächstes nahm sie den Rastafari neben mir in Augenschein, der natürlich keine Ohrringe trug. Kam nach einigen Minuten konzentrierten Schweigens zu dem Ergebnis „Keine Ohren“. Wirklich, sowas finde ich niedlich, aber als das Gebrüll kurz darauf wieder einsetze, wurde es mir zu bunt.
Um meinen Ruf als Königin aller Passagier-Pedanten endgültig zu festigen, machte ich mich auf die Suche nach der Mutter. Fragte als erstes die geduldige alte Dame: ob das Kind zu ihr gehöre? Nein. Sie deutete verlegen in die Sitzreihe dahinter. Dort eine junge Frau, kaum 20, weißblondierte Haare, Nasenpiercing, der Boden voller Spielzeugtrümmer und Müll, die ganze Vierergruppe ein einziges Chaos. Freundlich fragte ich, ob das ihr Kind sei und erklärte – wirklich freundlich und vorsichtig –, daß ich Kindern durchaus zugetan sei, Kinder dürften spielen, rumlaufen und rumkrähen, aber das mutwillige Geschrei sei doch zunehmend anstrengend, ob man vielleicht die Kleine mal ermahnen könne? Nein, wurde mir empört beschieden, solle sie ihr denn den Mund zukleben? Woraufhin ich erwiderte, das natürlich nicht, aber dem Mädchen vielleicht doch erklären, daß es nicht aus Spaß rumschreien dürfe. Pah, kam es zurück, die Kleine sei erst zwei, ich hätte wohl keine Ahnung von Kindern... . Woraufhin ich antwortete, auch Zweijährigen könne man so etwas erklären. Im Gegenteil könne man gar nicht früh genug anfangen, Kindern beizubringen, daß man in der Öffentlichkeit nicht alles machen kann und sich ein bißchen benehmen muß. Und bei mir dachte, daß hätte man auch der Mutter mal erklären sollen, als noch Chance bestand, mitmenschenverträgliches Verhalten dauerhaft zu festigen.
Ich plädiere für eine Irren-Quote auf Bahnfahrten: kein Abteil darf mehr als, nun ja, zwei nervige Idioten mit nennenswertem Störpotential enthalten. Eltern dürfen mit ihren Kindern nicht lautstark Kinderlieder singen (das war auf der nicht weniger irren Rückfahrt), und wer regelmäßig fährt, muß einen Benimmkurs "Anstand auf Reisen" machen. Die Bahn hingegen auf Pünktlichkeit zu verpflichten ist ein so hoffnungsloses Unterfangen, davon lasse ich die Finger.
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