Samstag, 9. Mai 2020
Ein Heim in der Fremde
Immer, wenn ich ein neues Abenteuer aufbreche, habe ich dankenswerterweise verdrängtvergessen, wie anstrengend die Ankunft in einer neuen Heimat ist. Von der Wohnungssuche abgesehen muss man sich ja auch damit vertraut machen, wie Strom und Wasser zu registrieren und bezahlen sind, wo man eine Reinigung findet, wo Supermärkte, wo Drogeriemärkte, wo Einrichtungsgegenstände, Öffnungszeiten, Bankautomaten, Versicherungen… Selbst wenn man, so wie ich, einen “Relocation Agent” zur Seite gestellt bekommt, der dabei helfen soll, ist es trotzdem anstrengend.

Andererseits: Ich habe bisher noch jeder Stadt gute und liebenswerte Seiten abgewinnen können, und bin in der Hinsicht nicht wählerisch – bei meiner Wohnung aber schon. Von Vorteil war, daß der Markt hier klein ist – nach zwanzig Besichtigungen mit Maklern hatte ich alles gesehen, was in Frage kam. Das hat die Entscheidung einfacher gemacht.

Das wichtigste Kriterium in Abidjan ist die Strecke zum Büro – der Verkehr ist vollkommen unberechenbar und es gibt unzählige Staus, mehr als 8km Strecke sind dumm, und oft sind sogar 8km nicht klug, wenn darunter die falschen Strassen sind (die mit Staus rund um die Uhr). Davon abgesehen wollte ich einen Swimming Pool, und nicht zuviel Geld ausgeben. Nicht zuviel ist hier unter 2,000 Euro, aber ganz sicher über 1,000 Euro. Das sind natürlich Preise, die sich hier kaum jemand leisten kann – es gibt parallel einen riesigen Markt für Apartments in kleinen und großen Wohnblöcken, die deutlich günstiger sind (300 Euro im Monat oder so), aber ich wollte ja einen Pool und ein “Immeuble de Standing”. Ohnehin hätte eine Wohnung außerhalb eines gesicherten, ummauerten, und mein eine “Guardien” ausgestatteten Block auch nicht die Zustimmung meines Arbeitgebers gefunden.

Ich habe also verschiedene Immobilienmakler kontaktiert, die mir dann Fotos und Beschreibungen über WhatsApp geschickt haben, online ist praktisch nichts. Die Fotos waren manchmal lachhaft schlecht, manchmal künstlerisch gut und irreführend. Die ersten Besichtigungen waren etwas mühsam, weil es nicht leicht war, den Makler begreiflich zu machen, daß ich wirklich nicht mehr als 2,000 Euro ausgeben möchte. Auch nicht für die tollste Wohnung der Stadt, auch nicht für einen besonders großen Pool, auch nicht für vier oder fünf (statt nur zwei bis drei) Schlafzimmer.

Erschwerend kam hinzu, daß ich an meinem ersten Abend hier in einem Schlagloch auf der Strasse umgeknickt war, und daher die Besichtigungen mit Bänderriss und Krücke absolvieren mußte. In einem Fall kamen wir in dem Gebäude an, und warteten auf den Aufzug, bis uns jemand sagte, der sei leider gerade “en panne”. Woraufhin der Makler sich anschickte, die vier Etagen Treppen hochzusteigen, bis ich ihn daran erinnerte, daß das mit Krücke gerade keine so gute Idee für mich sei.

Nach 15 Besichtigungen hatte ich einen klaren Favoriten: ein tolles Haus mit schönem Pool und Garten, die Wohnung klein (nur zwei Schlafzimmer – also gerade richtig für mich) aber mit Küche und Bädern geschmackvoll ausgestattet und einer kleinen Terrasse mit Garten und Blick auf den Pool. Der einzige Haken: es waren tatsächlich gute 8km ins Büro. Der Makler versicherte mir natürlich, das sei problemlos in 30-40 Minuten zu schaffen, aber ich war unsicher. Und bin vorrübergehend für zwei Nächte in eine AirBnB Wohnung um die Ecke gezogen, um die Strecke unter alltäglichen Bedingungen testen zu können. Da ich abends tatsächlich nur 45 Minuten gebraucht habe (dank cleverer Taxifahrer mit guter Kenntnis von Schleichwegen, aber dennoch) berichtete ich freudestrahlen den Kollegen von meinem Erfolg. Bis einer meinte: “aber diese Woche waren Schulferien – nächste Woche mußt Du noch mal 15 Minuten drauflegen, wenn die Staus wieder da sind” (es war auch so schon kein Mangel an Staus gewesen, aber ich war ja noch Anfänger hier in Sachen Staubeurteilung).

Im zweiten Anlauf unterschrieb ich dann eine Vertrag für eine gleichfalls schöne Wohnung im Obergeschoß eines fast fertigen Neubaus, aber das war ein versehentlicher Fund. Der Makler hätte mir lieber die Maisonette Wohnung im Erdgeschoß angedreht, aber die war mir (wieder Mal) zu groß, zu teuer und auch zu dunkel. Nur in einem Nebensatz erwähnte er “Le Penthouse” - und das war spontan ein Treffer. Das Wohnzimmer hat riesige Glasfenster, vom Boden zur Decke, mit Blick über die Stadt – auch nach drei Monaten macht mich die Aussicht jeden Abend glücklich, wenn die Sonner untergeht. Davon abgesehen habe ich ich hier drei Schlafzimmer, vier Bäder (eines extra für die Haushälterin), fünf Toiletten, zwei Balkons (einen für Hauswirtschaftsangelegenheiten), und bereits der Eingangsbereich ist größer als mein Schlafzimmer in London es war. Davon abgesehen gibt es im Haus auch einen kleinen Sportraum, und eine Tiefgarage für elf Autos – wobei keinem der Mieter klar ist, wie das gehen soll. Im Moment haben wir drei Bewohner vier Autos und kommen so gerade in die Parklücken rein.

Vor Unterzeichnung des Mietvertrags gab ein Kollege zur Besichtigung und Freigabe meines Arbeitgebers vorbei. Er war so beeindruckt, daß er am liebsten selbst eingezogen war, empfahl allerdings die Installation diverser Türriegel, Sicherheitsschlösser, eine Spion (durch den ich noch nie durchgeschaut habe, aber egal). Zur Vertragsunterzeichnung waren dann fällig: zwei Monatsmieten Kaution, zwei Monatsmieten im Voraus, und eine Monatsmiete für den Makler. Eine hübsche fünfstellige Summe ingesamt, in lokalem Geld 5,400,000 FCFA.



Ein Neubau hat viele Vorteile: nichts ist abgewohnt und im Prinzip sollte auch nichts defekt sein. Ganz so war es aber natürlich nicht. Am Einzugstag funktierte leider der Herd nicht. Der wird hier nämlich immer mit Gas betrieben und ich mußte erst eine Flasche kaufen. Auch die Klimaanlage war nicht vollkommen funktional: es gab nur “sehr stark an” oder “ganz und gar aus”. Bei 34 Grad Außentemperatur (und direkter Sonneneinstrahlung dank der großen Fenster) war das die Wahl zwischen Kühlschrank und Backofen. Die Klimaanlagenreparatur zog sich ungefähr zwei Wochen hin. Die Gästetoilette hatte über eine Woche ein Wasserleck. Die Parkplätzzuweisung war unklar, weil die Hälfte der Garage immer noch voller Bauschutt war. Die Lieferung von Möbeln nahm mehre Tage in Anspruch. Sie dachten, die Telekom sei schlimm unpünktlich? Da geht noch was… . Beim ersten richtigen Regensturm sickerte das Wasser in kleinen Bächen unter meinen wunderbaren Fenstern durch. Durch eines regnet es auch heute, nach mehr als zwei Monaten, immer noch ins Wohnzimmer. Wir hatten außerdem zwischendurch ein Wasserleck im Gemeinschaftsbereich. Meine Waschmaschine wurde drei Mal installiert, bis sie richtig angeschlossen war.

Das allerdings sind alles Petitessen im Vergleich zu den Kämpfen, die meine (zugegebenermaßen recht anspruchsvolle) gleichzeitig eingetroffene Kollegin und Freundin hier rund um den Zustand und die Funktionalität ihrer Villa durchzustehen hat.



Jetzt sitze ich gerade auf meine Balkon, der nach Südwesten schaut, mit Blick über die Stadt. Ich schaue auf einen Avocadobaum, in dem trotz diverser Tropenstürme immer noch eine Plastikplane hängt. Die Regenzeit hat angefangen, es sind angenehme 29 Grad mit leichter Brise. Ich habe drei Topfpflanzen (von denen bisher noch keine eingegangen ist), und ein Polster auf einer Europalette als Sofa. Neben meinem Haus zur Hauptstrasse hin ist ein Hof wo ein Schreiner Möbel verkauft, und Autos repariert werden. Manchmal schreien dort Leute laut, aber ich glaube, das sind nur besonders animierte Diskussionen. In der Villa nebenan schreit oft ein kleine Kind (das schreit leider richtig), und abends (!) höre ich den Hahn krähen, dessen Harem in der Schotterstrasse hinter meinem Haus wohnt. Dabei sitze ich mitten in einer Stadt mit fünf Millionen Einwohnern – einer der größten in Afrika überhaupt. Und bin froh, hier zu sein.

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