Kaffeefahrt
Natürlich war ich schon auf Schiffen. Viele Jahre lang begann der Sommerurlaub mit einer Fahrt durchs Nordseewatt zur Insel, ich bin auch mal mit einer Fähre über den Kanal nach Dover, war mit Freunden auf der Schlei segeln und bei einer Klassenfahrt haben wir uns kollektiv darum gestritten, wer wann im Klüvernetz sitzen darf. Ich vorne mit dabei, je mehr Seegang desto besser.
Den Traum meines Vaters, irgendwann mit einem Frachtschiff den Atlantik zu überqueren teile ich durchaus, Segelurlaub mit Freunden wäre ich auch nicht abgeneigt, wenn mir nur jemand sagt, an welcher Strippe ich ziehen soll – eine Kommerz-Kreuzfahrt hingegen stand bisher so wenig auf meiner Wunschliste wie All-Inclusive-Urlaub in der Bettenburg.

Andererseits höre ich seit zwei Wochen regelmäßig das tiefe Tuten der großen Schiffe, wenn sie ablegen. Ob ich in der Bibliothek sitze, in der Stadt bummeln bin oder in meinem Zimmerchen auf dem Bett sitze – der Abschiedsgruß des Typhons trägt über die ganze Stadt und jedes Mal merke ich auf und denke sehnsuchtsvoll „Hach!“. Wenn ich morgens an den hochhausgroßen Schiffen vorbeilaufe, staune ich die Autos an, die aus dem Bauch der Fähre herausrollen, auf dem Heimweg sehe ich, wie sich diese riesige Masse langsam in Bewegung setzt... und möchte doch mitfahren, Kommerz hin oder her.

Nun ergab es sich, daß meine schönen, von langer Hand vorbereiteten Pläne für dieses Wochenende kurzfristig sabotiert wurden, und ich am Freitag Mittag schleunigst ein Plan B brauchte, um nicht noch einmal drei Tage alleine in meinem Zimmerchen sitzen zu müssen. Davon hatte ich nämlich letzte Woche schon genug und dabei wieder mal festgestellt: alleine in einer fremden Stadt ohne nennenswerte Sehenswürdigkeiten, dafür womöglich mit fieskaltem, ekligen Wetter, ist kein Vergnügen. Man kann sich natürlich strebermäßig der Arbeit widmen, aber das tue ich schon unter der Woche, man kann alternativ im Buchladen auf Fischzug gehen (zwei Bücher pro Wochenende plus 2 DVDs), bummeln, einkaufen, sich am norddeutschen Idiom erfreuen („Kabbeln nur Müll, die Leute, probier mal die hier“ - sagte der Obsthändler während er mir eine Mandarine unter die Nase hielt), aber solches Programm ist allerhöchsten einmal attraktiv – beim zweiten Mal wird es trübselig.

Umso besser, daß ich rechtzeitig anfing, gewissermaßen in Serie lauter kleine, kluge Entscheidungen zu treffen. Sehr klug war es, schon am Freitag Morgen im Terminal der Fährlinie nach Preisen und Karten zu fragen und nicht aufs Internet zu vertrauen. Der Wochenendtrip nämlich, der im Internet fast 200 Euro gekostet hätte, war auch für weniger als 100 Euro zu haben. Eine Einzelkabine gegen Aufpreis – da war ich kurz in Versuchung, und ließ es dann doch aus lauter Geiz. Schlimmer als Nachtzug fahren, so sagte ich mir, kann es nicht werden – und ich wollte ja nur die Zeit sinnvoll rumbringen, nicht auf großem Fuß erholungsurlauben. Völlig richtige Entscheidung: Stunden nach dem Auslaufen nämlich war die Kabinennachbarin immer noch nicht aufgetaucht, ihr Bett hingegen ungemacht, und überhaupt war auch gar nicht wirklich klar, wer welches Bett, und festzustellen, wer da eigentlich neben mir hätte schlafen sollen... und am Ende hatte ich die Kabinenstewardessen solange genervt und bequatscht, bis sie mir die letzte freie Kabine zur Einzelnutzung überließen. Diese übrigens viel komfortabler als bei der Bahn: richtige Matratzen, richtiges Bettzeug und sogar ein kleines Badezimmerchen.

So ein Schiff ist ein Soziotop sui generis und bietet für sich genommen schon reichlich Unterhaltungswert. Wir hatten kaum abgelegt, da belagerten Passagiere jedes Alters bereits die Daddelautomaten auf allen Etagen und an allen Ecken. Die blinkenden Lichter und Dudelmelodien hatten was von Jahrmarktatmosphäre, und alle, vom Schulkind bis zum Rentner, schienen sich dabei großartig zu amüsieren. Ich inspizierte erst mal in Ruhe alle Decks, das „on board shopping“ zu Preisen, die allenfalls die skandinavische Hälfte der Passagiere als vorteilhaft empfinden konnte, die Restaurants und Bars zu Preisen, die wirklich niemand hätte als günstig bezeichnen können (gut, daß ich – noch eine weise Entscheidung – mittags ein fettes Schnitzel gewählt und für abends ein Brötchen eingepackt hatte) und natürlich das Oberdeck, wo man meist ziemlich alleine mit dem Wind war. Unter dem Wasser, ziemlich tief unten.

Ich nehme an, daß man im Sommer hübsch draußen sitzen kann und beim Ablegemanöver zuschauen, angesichts des schweinekalten Windes hingegen beschränkte ich mich auf einige Bilder fürs Fotoalbum und widmete mich dann meinen mitgebrachten Büchern. In der großspurig angekündigten Disko war leider auch zu fortgeschrittener Stunde nix los, obwohl ich mir extra noch mal die Haare aufgemoppt und Lipgloss aufgetragen hatte. Ein paar fürchterlich aufgerüschte Teenager (die hatten sichtlich mehr Zeit als ich vorm Spiegel verbracht und sogar in Erwartung einer Mega-Party die passende Kleidung im Gepäck), ansonsten ein trauriges Grüppchen einsamer Herren an der Restetheke und der DJ – auch nicht mehr taufrisch an Jahren. Das war aber vermutlich nicht anders zu erwarten, war doch die Mehrzahl der Gäste doppelt so alt wie ich und von der Sorte Leute, die Kaffeefahrten als Vergnügen klassifizieren. Die hatten sich vermutlich schon bei der vorangegangen Hotellobbymusik-Vorführung eine Gruppe semigreiser Entertainer im Restaurant verausgabt und waren dann früh in ihre Kojen verschwunden.

Nach meiner erfolglosen Runde durch diesen traurigen Haufen tat ich dasselbe – früh zu Bett gehen – und freute mich auf die nächste richtige Entscheidung: das Frühstück. Sündhaft viel Geld fürs Abendessen an Bord auszugeben, schien mir schwachsinnig, zum Frühstück hingegen liebe ich Rühreier mit Speck und auf die spekulierte ich – da es doch Buffett geben sollte. Bei Buchung am Schalter hatte ich mir hübsch vorgestellt, wie ich am Fenster sitzen würde, Aussicht auf die Küstenlandschaft, und dabei meinen Kaffee trinken genießen könnte. Dafür bin ich sogar früher aufgestanden, als die Lautsprecheransagen (voreingestellt auf ohrenbetäubend laut in allen Kabinen) die Passagiere zu weiterem Geldausgeben aus den Betten schrecken konnten und eroberte einen der letzten Fenstertische. Rühreier mit Speck gab es, Würstchen auch, Pfannkuchen, Sirup, Kaffee – es hätte fast nicht besser sein können. Komischen Kaviar aus der Tube und eingelegte Gurken gab es auch – die führten mich aber nicht in Versuchung.

Die einzige wirklich unkluge Entscheidung des Wochenendes war, meinen Schirm auf dem Schiff zu lassen und dann auf dem – nicht ganz so kurz wie im Flyer angekündigt ausfallenden – Fußmarsch Richtung Innenstadt einen zweiten nachzukaufen. Wohl hätte ich wissen können, daß es regnet – aber daß es dann im Laufe des Tages überhaupt nicht mehr regnen würde, das war wirklich unerwartet. Aber natürlich trotzdem ganz angenehm. Zuerst absolvierte ich hingebungsvoll das Bildungsprogramm, das ich am Vorabend geplant hatte. Danach vertraute in meiner unendlichen Weisheit bei den Einkaufstipps allerdings nicht länger dem Reiseführer, sondern meiner Nase. Die mich sicher zu einem großartigen Laden führte, wo ich großartige, dunkelblaue Gummistiefel mit dunkelroter Schleife erstand. Sehr vernünftige Investition für die nächste Regensaison im Voralpenland. Eine notwendige Anschaffung, geradezu, nachdem meine alten Gummistiefel hinüber sind und seit kurzem mehr Wasser innen aufsammeln, als außen in den Pfützen steht.

Nach so vielen klugen Entscheidungen und Anstrengungen war ich zu erschöpft, um mir viele Gedanken um die nächste Mahlzeit zu machen, zumal ich leider mit den – logischerweise nicht auf Deutsch geschriebenen – Speisekarten wenig anfangen konnte. Suppe hätte ich gewollt - konnte es aber auf den Karten und Tafeln nicht identifzieren, jedenfalls nicht in den ganzen Cafés, die ich eine halbe Stunde lang abklapperte. Am Ende wurde es Hühnchen-Curry, und danach reichte das Geld so gerade noch für ein Käsebrötchen zum Abendbrot (eingedenk der sittenwidrigen Preise an Bord) und ein Gebäckdings – einmal wenigstens wollte ich lokale Küche. Das stellte sich als eine Kreuzung aus Rumkugel (innen) und Kokosferrero (außen) heraus, war aber gar nicht schlecht. Auf dem Rückweg quetschte ich noch eine weitere Runde Bildung dazwischen, um das Multi-Museums-Ticket bestmöglich auszureizen, und war am Ende ein weiteres Mal dankbar für den Segen der Einzelkabine, die mir so unerwartet zuteil geworden war.

Als ich irgendwann gegen neun eine letzte Zigarette auf Deck rauchen ging, waren wir schon auf hoher See, der Wind riß mir fast die Klammern aus dem Haar und die Kippe aus der Hand, unter den Flutlichtern auf Deck glitzerten die Gischttropfen wie Nebel, zuvor in Küstennähe hatten wir sogar Teppiche von Eisschollen passiert, aber jetzt stampfte der Koloß von Schiff im Seegang, und ich war sehr, sehr zufrieden mit meinem Wochenende. Jedes Mal, wenn ich jemanden bitten mußte, ein Foto von Irgendwas mit mir drauf zu machen, habe ich mich einen kurzen Moment meiner offensichtlich Einsamkeit inmitten von Familien, Pärchen und Reisegruppen geschämt– aber am Ende ist es doch um Längen besser und befriedigender, alleine etwas zu unternehmen als alleine rumzusitzen.

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nnier, Sonntag, 13. März 2011, 23:09
Ich muss sagen, darum beneide ich Sie ein wenig. Nicht nur um diese Reise. Sondern vor allem um die Möglichkeit, sie einfach so zwischendurch zu machen. Danke für den Bericht! (Und offenbar sind Sie nicht auf schlimme Alkoholskandinavier gestoßen, sonst hätten Sie's erwähnt - oder?)

damenwahl, Sonntag, 13. März 2011, 23:25
Nur Alkoholdeutsche, aber selbst die Jungs, die ordentlich getankt hatten, waren im Rahmen dessen, was die Dame ignorieren kann.

destello, Montag, 14. März 2011, 20:12
Da habe ich wohl irgendwas nicht mitbekommen. Wo wohnen Sie denn gerade? Und wohin sind Sie dieses Wochenende gefahren?

damenwahl, Montag, 14. März 2011, 21:00
Vorübergehend in der norddeutschen Heimat, wo die Leute "moin" sagen und "st"s getrennt werden. Und am Wochenende dann noch weiter nördlich, sozusagen auf Kaffeefahrt.

ilnonno, Mittwoch, 16. März 2011, 09:53
Die Entscheidung zu einer solchen Tour verstehe ich gut. Ich muss nur ein Schiff betreten, sofort setzt eine tiefe Entspannung ein. Keine Ahnung, warum. Es funktioniert allerdings auf mittelgroßen Schiffen (ca. Linienschiff auf Boden- oder Zürichsee) noch besser als auf Monsterfähren.

damenwahl, Mittwoch, 16. März 2011, 14:31
Entspannung war gar nicht meine Motivation - ich wollte nur raus, und was Neues erleben. Die Weite des Meeres und der Wind berühren mich allerdings schon immer, wenn ich an der See bin - aber eben nicht auf Teichen.