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Tapetenwechsel
Die Bahnfahrt ist deutsch. Sehr deutsch sogar: fest hatte ich damit gerechnet, daß es der Bahn gelingen würde, das Sicherheitsfenster von vier Stunden auf der Fahrt nach Frankfurt Flughafen auszuschöpfen. Im InterCity sitzen vor mir zwei kleine Mädchen in Begleitung ihrer Großeltern, die einen Vertrag in ordentlicher Mädchenschrift aufgemalt haben: „Hiermit bestätigen Katharina und ich, daß wir uns nicht mehr um alles streiten wollen und dem anderen auch was gönnen. Wenn es doch zum Streit kommt... .“ ausgestattet mit Gültigkeitsdauer (befristet, natürlich) und Herzchen und rosa Unterstreichungen.
Als ich fast pünktlich am Flughafen stehe, saubere, ordentliche, neue und heile Dollarscheine eingetauscht habe und zum Check-in trabe, kann ich es kaum glauben. Es ist wichtig, ich hatte mit wenig Sicherheitspuffer geplant und bin mehr als rechtzeitig. Trotz Bahnfahrt.
Afrika beginnt umgehend, am Flughafen. Das äthiopische Bodenpersonal freut sich aufrichtig, daß ich tatsächlich nach Afrika fliege und nicht nur zum Vorabend-Check-in von Condor möchte. Den Hinweis auf die richtige Schlange zum Anstellen hätte ich allerdings nicht gebraucht: es gibt nur eine, und die vielen schwarzen Gesichter der Mitreisenden sprechen für sich. Hinter mir zwei sehr junge Äthiopierinnen mit kleinem Kind und fünf Gepäckstücken. Während wir uns langsam, etappenweise vorwärts bewegen, spricht mich die eine an: Ob ich nach Addis reise? Ich bejahe, aber nur als Layover. Sie denkt nach, fragt weiter: Ob ich nur das eine Gepäckstück habe? Ich ahne, worauf die Konversation hinausläuft und bejahe erneut, füge aber hinzu, daß mein Gepäck wohl bis Kinshasa durchgecheckt wird und ich folglich nicht zu Diensten sein kann. Enttäuscht wendet sie sich ab, diskutiert mit ihrer Begleiterin, beginnt dann, die für dieses zierliche Persönchen viel zu schweren Koffer von der Karre zu heben und einzeln nacheinander zu den Waagen gegenüber zu zerren.
An den Schaltern vor mir geht es ebenfalls kurios zu: vor allem afrikanische Passagiere stellen sich mit ihren unzähligen Koffern vor, heben sie auf das Gepäckband und treten dann unverrichteter Dinge den Rückzug an, um abseits der Schalter in großem Stil aus- und umzupacken. Strategisches Management von Stückzahl- und Gewichtsgrenzen. Das scheint die jungen Damen hinter mir zu inspirieren: während die Schlange weiter vorrückt, beginnen die beiden, Babywäsche von dem kleinsten (kabinentauglichen, aber mutmaßlich zu schweren) Trolley umzuladen in einen großen Koffer, der sich beim Schließen kugelförmig zu wölben beginnt.
Anstandslos bekomme ich meinen Sitzplatz, Maschine komplett ausgebucht, noch ein Kaffee, dann auf zum Gate. Afrika scheint inzwischen auch in meinem Kopf zu sein, jedenfalls verwechsele ich Platznummer und Gatenummer und werde von der Dame im A-Bereich zurück in den C-Bereich verwiesen. Immerhin läßt mir der längere Spaziergang hin und zurück Zeit für eine letzte geistige Gepäck-Kontrolle und mir fällt mit Entsetzen ein: ich habe die Schokolade für die Kollegen vergessen. Irgendwann in der letzten Woche streifte mich zum unpassenden Zeitpunkt (im Bett? Im Auto unterwegs?) der Gedanke an diese unabdingbare kollegiale Pflicht, jetzt erst fällt es mir wieder ein. Im nächsten Duty Free Shop kaufe ich ein Kilogramm Schokolade; Weingummi wäre besser (wegen der Temperaturen), aber da kann ich jetzt nicht mehr wählerisch sein. Die Wartehalle ist am Ende der Welt, möglicherweise schon außerhalb der Stadtgrenzen Frankfurts. Als Beinahe-Vielflieger habe ich inzwischen fast nie Probleme bei der Sicherheitskontrolle (außer mit den Christmas Crackers in Heathrow, vor Weihnachten), aber hinter mir sorgt jemand für Lacher:
Typ am Monitor: Da ist eine Weinflasche im Handgepäck. (wendet den Bildschirm)
Kontrollkollegin: Und was soll ich jetzt machen? Austrinken?
Typ am Monitor: Schön wär's..
Es gibt keine Läden, der Kiosk ist geschlossen und der Getränkeautomat zeigt angeberisch fünf Reihen mit Wasserflaschen, will aber keine herausgeben: ausverkauft. Nebenan am Gate von El Al werde ich fündig, Not macht erfinderisch und ich komme mental schon in Afrika Stimmung.
Beim Boarding scheint die Maschine jedenfalls vorerst – im Gegensatz zur Auskunft beim Check-in – keineswegs ausgebucht, aber vielleicht steigen ja noch hunderte Italiener in Rom zu. Neben mir jedenfalls sitzt ein junger Mann, Afrikaner und während ich mich noch frage, wie man es fertigbringt, bei mildem Frühlingswetter und bekleidet nur mit einem Kurzarmhemd trotzdem leicht verschwitzt zu riechen, erzählt er mir, daß sein Vater gestorben ist und er deshalb am Vortag schon in Montréal losgeflogen ist, den ganzen Tag am Frankfurter Flughafen verbracht hat, jetzt also weiter nach Addis reist und von dort nach Bujumbura. Jetzt bringe ich mehr Verständnis für den unangenehmen Geruch auf, setze mich aber trotzdem weg, als in Rom tatsächlich die Maschine halb leer bleibt. Ausgestreckt über drei Sitze gelingt es mir sogar, drei Stunden zu schlafen ohne vor Schmerzen aufzuwachen, bis morgens um fünf eine junge Frau im Gang neben mir kollabiert und ich den Platz für sie frei mache.
Das Umsteigen in Addis ist auch typisch Afrika. In Paris ist Umsteigen jedes Mal ein Drama. Schon die Passkontrolle beim Verlassen des Ankunftsbereichs kann dauern, und ohnehin ist man komplett auf sich gestellt. Alles ist automatisiert und ausgeschildert: beim Check-in wird in dem kleinen Heftchen für die Bordkarten angekreuzt, welches Terminal für den Weiterflug aufzusuchen ist, Flughafenplan liegt bei und wer sich verirrt, ist selber schuld. Personal bleibt unsichtbar oder kann nicht weiterhelfen, kilometerweit marschiert man Flure hinunter, Rolltreppen rauf, Gänge hinunter, immer den Schildern nach. Ein zweites Mal die Sicherheitsschleusen und Passkontrollen zu passieren kostet noch mehr Zeit und die Erfahrung hat gezeigt, daß weniger als eineinhalb Stunden definitiv zu kurz sind. In Addis hingegen gibt es ein Schild „Transfer Passengers“ aber noch bevor man daran vorbei ist, wird man schon vom Bodenpersonal mit Funkgeräten abgefangen, in Gruppen für die anstehenden Weiterflüge sortiert und dann wird gewartet. Anzeigetafeln gibt es keine, Gate-Schilder gibt es keine und das Sortiersystem der Mitarbeiter ist undurchsichtig. Erst bin ich alleine, dann bekomme ich Gesellschaft von zwei Kongolesen, dann eine vielköpfige Gruppe Chinesen, die intensiv nach Plastik riecht (aber vielleicht bilde ich mir das auch ein). Als ich es schon lange leid bin, hilflos im Gang zu warten, tut sich etwas, ein Stewardess bringt uns den Gang runter zum Gate (auch ohne Nummer) und schon dürfen wir einsteigen. Meine Gebete werden erhört, von den plastikduftumwehten Chinesen sitzt keiner neben mir und irgendwann sind wir dann auch endlich angekommen. Wenn man die Immigrationskontrolle in Kinshasa passiert hat, ist es jedes Mal ein Segen, den Herrschaften der Reiseagentur den Kofferschnipsel in die Hand drücken zu können und die Wartezeit aufs Gepäck in der klimatisierten Lounge zu verbringen. Ich bin, wie bisher immer, die einzige im Bus, die Fahrt dauert kaum eine Stunde und im Hotel erwartet mich schon die nächste Herausforderung: eine Reservierung für mich gibt es nicht. Die ist, wie ich bei genauem Hinschauen feststelle, nämlich für Mai gebucht. Während ich schon im Geiste alle meine Bekannten durchtelefoniere auf der Suche nach einem Nachtlager kommt eine Kollegin in die Lobby, der Empfangschef findet doch noch ein Zimmer und ich muß glücklicherweise nur die ersten sechs Nächte im Voraus bezahlen (bis auf weiteres), mehr hätte meine Kreditkarte auf einmal auch kaum hergegeben. Das Zimmer ist mittelmäßig (für soviel Geld hätte man an jedem anderem Ort der Welt einen anderen Standard erwartet), aber Wasser und Strom funktionieren, auf die abgeschlossene Minibar kann ich verzichten und das Bett ist schön groß. Angekommen, endlich.
Als ich fast pünktlich am Flughafen stehe, saubere, ordentliche, neue und heile Dollarscheine eingetauscht habe und zum Check-in trabe, kann ich es kaum glauben. Es ist wichtig, ich hatte mit wenig Sicherheitspuffer geplant und bin mehr als rechtzeitig. Trotz Bahnfahrt.
Afrika beginnt umgehend, am Flughafen. Das äthiopische Bodenpersonal freut sich aufrichtig, daß ich tatsächlich nach Afrika fliege und nicht nur zum Vorabend-Check-in von Condor möchte. Den Hinweis auf die richtige Schlange zum Anstellen hätte ich allerdings nicht gebraucht: es gibt nur eine, und die vielen schwarzen Gesichter der Mitreisenden sprechen für sich. Hinter mir zwei sehr junge Äthiopierinnen mit kleinem Kind und fünf Gepäckstücken. Während wir uns langsam, etappenweise vorwärts bewegen, spricht mich die eine an: Ob ich nach Addis reise? Ich bejahe, aber nur als Layover. Sie denkt nach, fragt weiter: Ob ich nur das eine Gepäckstück habe? Ich ahne, worauf die Konversation hinausläuft und bejahe erneut, füge aber hinzu, daß mein Gepäck wohl bis Kinshasa durchgecheckt wird und ich folglich nicht zu Diensten sein kann. Enttäuscht wendet sie sich ab, diskutiert mit ihrer Begleiterin, beginnt dann, die für dieses zierliche Persönchen viel zu schweren Koffer von der Karre zu heben und einzeln nacheinander zu den Waagen gegenüber zu zerren.
An den Schaltern vor mir geht es ebenfalls kurios zu: vor allem afrikanische Passagiere stellen sich mit ihren unzähligen Koffern vor, heben sie auf das Gepäckband und treten dann unverrichteter Dinge den Rückzug an, um abseits der Schalter in großem Stil aus- und umzupacken. Strategisches Management von Stückzahl- und Gewichtsgrenzen. Das scheint die jungen Damen hinter mir zu inspirieren: während die Schlange weiter vorrückt, beginnen die beiden, Babywäsche von dem kleinsten (kabinentauglichen, aber mutmaßlich zu schweren) Trolley umzuladen in einen großen Koffer, der sich beim Schließen kugelförmig zu wölben beginnt.
Anstandslos bekomme ich meinen Sitzplatz, Maschine komplett ausgebucht, noch ein Kaffee, dann auf zum Gate. Afrika scheint inzwischen auch in meinem Kopf zu sein, jedenfalls verwechsele ich Platznummer und Gatenummer und werde von der Dame im A-Bereich zurück in den C-Bereich verwiesen. Immerhin läßt mir der längere Spaziergang hin und zurück Zeit für eine letzte geistige Gepäck-Kontrolle und mir fällt mit Entsetzen ein: ich habe die Schokolade für die Kollegen vergessen. Irgendwann in der letzten Woche streifte mich zum unpassenden Zeitpunkt (im Bett? Im Auto unterwegs?) der Gedanke an diese unabdingbare kollegiale Pflicht, jetzt erst fällt es mir wieder ein. Im nächsten Duty Free Shop kaufe ich ein Kilogramm Schokolade; Weingummi wäre besser (wegen der Temperaturen), aber da kann ich jetzt nicht mehr wählerisch sein. Die Wartehalle ist am Ende der Welt, möglicherweise schon außerhalb der Stadtgrenzen Frankfurts. Als Beinahe-Vielflieger habe ich inzwischen fast nie Probleme bei der Sicherheitskontrolle (außer mit den Christmas Crackers in Heathrow, vor Weihnachten), aber hinter mir sorgt jemand für Lacher:
Typ am Monitor: Da ist eine Weinflasche im Handgepäck. (wendet den Bildschirm)
Kontrollkollegin: Und was soll ich jetzt machen? Austrinken?
Typ am Monitor: Schön wär's..
Es gibt keine Läden, der Kiosk ist geschlossen und der Getränkeautomat zeigt angeberisch fünf Reihen mit Wasserflaschen, will aber keine herausgeben: ausverkauft. Nebenan am Gate von El Al werde ich fündig, Not macht erfinderisch und ich komme mental schon in Afrika Stimmung.
Beim Boarding scheint die Maschine jedenfalls vorerst – im Gegensatz zur Auskunft beim Check-in – keineswegs ausgebucht, aber vielleicht steigen ja noch hunderte Italiener in Rom zu. Neben mir jedenfalls sitzt ein junger Mann, Afrikaner und während ich mich noch frage, wie man es fertigbringt, bei mildem Frühlingswetter und bekleidet nur mit einem Kurzarmhemd trotzdem leicht verschwitzt zu riechen, erzählt er mir, daß sein Vater gestorben ist und er deshalb am Vortag schon in Montréal losgeflogen ist, den ganzen Tag am Frankfurter Flughafen verbracht hat, jetzt also weiter nach Addis reist und von dort nach Bujumbura. Jetzt bringe ich mehr Verständnis für den unangenehmen Geruch auf, setze mich aber trotzdem weg, als in Rom tatsächlich die Maschine halb leer bleibt. Ausgestreckt über drei Sitze gelingt es mir sogar, drei Stunden zu schlafen ohne vor Schmerzen aufzuwachen, bis morgens um fünf eine junge Frau im Gang neben mir kollabiert und ich den Platz für sie frei mache.
Das Umsteigen in Addis ist auch typisch Afrika. In Paris ist Umsteigen jedes Mal ein Drama. Schon die Passkontrolle beim Verlassen des Ankunftsbereichs kann dauern, und ohnehin ist man komplett auf sich gestellt. Alles ist automatisiert und ausgeschildert: beim Check-in wird in dem kleinen Heftchen für die Bordkarten angekreuzt, welches Terminal für den Weiterflug aufzusuchen ist, Flughafenplan liegt bei und wer sich verirrt, ist selber schuld. Personal bleibt unsichtbar oder kann nicht weiterhelfen, kilometerweit marschiert man Flure hinunter, Rolltreppen rauf, Gänge hinunter, immer den Schildern nach. Ein zweites Mal die Sicherheitsschleusen und Passkontrollen zu passieren kostet noch mehr Zeit und die Erfahrung hat gezeigt, daß weniger als eineinhalb Stunden definitiv zu kurz sind. In Addis hingegen gibt es ein Schild „Transfer Passengers“ aber noch bevor man daran vorbei ist, wird man schon vom Bodenpersonal mit Funkgeräten abgefangen, in Gruppen für die anstehenden Weiterflüge sortiert und dann wird gewartet. Anzeigetafeln gibt es keine, Gate-Schilder gibt es keine und das Sortiersystem der Mitarbeiter ist undurchsichtig. Erst bin ich alleine, dann bekomme ich Gesellschaft von zwei Kongolesen, dann eine vielköpfige Gruppe Chinesen, die intensiv nach Plastik riecht (aber vielleicht bilde ich mir das auch ein). Als ich es schon lange leid bin, hilflos im Gang zu warten, tut sich etwas, ein Stewardess bringt uns den Gang runter zum Gate (auch ohne Nummer) und schon dürfen wir einsteigen. Meine Gebete werden erhört, von den plastikduftumwehten Chinesen sitzt keiner neben mir und irgendwann sind wir dann auch endlich angekommen. Wenn man die Immigrationskontrolle in Kinshasa passiert hat, ist es jedes Mal ein Segen, den Herrschaften der Reiseagentur den Kofferschnipsel in die Hand drücken zu können und die Wartezeit aufs Gepäck in der klimatisierten Lounge zu verbringen. Ich bin, wie bisher immer, die einzige im Bus, die Fahrt dauert kaum eine Stunde und im Hotel erwartet mich schon die nächste Herausforderung: eine Reservierung für mich gibt es nicht. Die ist, wie ich bei genauem Hinschauen feststelle, nämlich für Mai gebucht. Während ich schon im Geiste alle meine Bekannten durchtelefoniere auf der Suche nach einem Nachtlager kommt eine Kollegin in die Lobby, der Empfangschef findet doch noch ein Zimmer und ich muß glücklicherweise nur die ersten sechs Nächte im Voraus bezahlen (bis auf weiteres), mehr hätte meine Kreditkarte auf einmal auch kaum hergegeben. Das Zimmer ist mittelmäßig (für soviel Geld hätte man an jedem anderem Ort der Welt einen anderen Standard erwartet), aber Wasser und Strom funktionieren, auf die abgeschlossene Minibar kann ich verzichten und das Bett ist schön groß. Angekommen, endlich.
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