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Das Elend dieser Welt
Früh morgens. Heute.
Wenn ich in meinem Hotelzimmer am Fenster stehe, schaue ich auf die Straßen vor dem Hotelportal. Gegenüber ist ein anderes, aber sehr schäbiges Hotel, in dem selbst die ärmste NGO ihre internationalen Mitarbeiter nicht unterzubringen wagen würde. Daneben ein heruntergekommenes Gebäude mit Appartements und kleinen Büros, unten einige Läden, gegenüber die Hauptfiliale eines Telekom-Anbieters. Tagsüber tobt in der Straße das pralle Leben. Vor dem Hotel stehen einige Wachkräfte und rufen gelegentlich die vielen kleinen Straßenhändler zur Ordnung. John, mein treuer Telefonkartenversorger, ein anderer bietet Geldwechsel, daneben Zigarettenverkäufer und Landkartenverkäufer und die an touristischen Orten unausweichlichen Anbieter von Tim und Struppi Bildern. Der Verkehr fließt unaufhaltsam, dauernd halten schöne Autos vor dem Portal und entlassen ihre Insassen in die glänzende, saubere Lobby, bevor die Fahrer sich auf den Parkplatz um die Ecke zurückziehen. Gegenüber auf der anderen Straßenseite weitere Verkäufer, gelegentlich passieren fliegende Händler die Straße, verkaufen billige Sandwiches und allerlei Krempel an die vor Ort auf der Straße stationierten Händler und Chauffeure. Dazwischen Frauen in ihren farbenfrohen Kleidern, die vom Schnitt immer wie europäisches Abendkleider aussehen, bettelnde Kinder und aller menschliches Strandgut, das irgendwie auf Ausbeute hofft angesichts der reichen Hotelklientel.
Sonntags nachts hingegen ist die Straße wie leergefegt. In der Ferne blinken einige Lichter am Mont Ngaliema, dem Edelviertel, unter mir leuchtet die Hotelreklame, ansonsten ist die Nacht hier dunkler als irgendwo in Europa. Die kleinen Läden gegenüber sind verrammelt, die Fenster im Appartementhaus fast alle dunkel. In der Gosse liegt Unrat, dadrüber thronen zwei Männer auf der Bürgersteigkante und unterhalten sich. Hinter ihnen sitzt eine junge, knappe gekleidete Frau auf einem Plastikstuhl und wartet – ich weiß nicht, worauf. In einer Nische vor einem der geschlossenen Läden liegt ein Mann. Er trägt eine dunkle Hose und ein helles Hemd, hat Pappen untergelegt. Ich kann im Abglanz der Hotelbeleuchtung nicht viel erkennen, aber er liegt wie ein Kind zusammengekauert in der Nische und schläft. Ohne daß ich es sehe, weiß ich, daß auf der anderen Straßenseite, auf der anderen Seite des Hotels weitere Menschen in den Nischen der Hotelmauern liegen, ich habe sie neulich beim heimkommen gesehen. Flüchtig, während mein Auto vorfuhr, habe ich den Anblick wohl wahrgenommen, aber über der Verabschiedung von den Kollegen und dem Treppensteigen zu meinem Zimmer, und der Planung des kommenden Tages den Eindruck schnell beiseite gewischt.
Jetzt aber stehe ich an meinem Fenster, hinter mir ein blitzend sauberes Bad und nicht minder sauberes Bett. Zwei mal zwei Meter, viel zu groß für mich alleine, zwei Kissen, eine riesige Bettdecke. Der dunkelrote Überwurf passt zu den dunkelroten Vorhängen und überhaupt ist alles recht hübsch. Neben mir, unter mir, über mir, weitere Zimmer von derselben Art, viele Betten und sicherlich manche davon leer. Gegenüber aber liegt der Mann und um die Ecke liegen Kinder auf der Straße. Kein Zuhause, kein Dach über dem Kopf, vermutlich höchstens eine Mahlzeit am Tag. Keine Bildung, kein Beruf, keine Zukunft. In einem Land, in dem man bei der Hochzeit noch Mitgift zahlen muß, vermutlich auch niemals Heirat und niemals Familie. Werden sie krank, wird sie kein Arzt behandeln. Werden sie alt, wird sich niemand kümmern. Werden sie sterben, bekommen sie ein Armengrab – falls es hier sowas gibt.
So gerne ich dem Gedanken ausweichen würde, ich kann nicht umhin, mich nach der Sinnhaftigkeit dessen zu fragen, was ich hier tue. Trägt meine Arbeit irgendwie dazu bei, diesem Mann zu helfen? Vermutlich nicht. Ich frage mich, ob ich irgend etwas anders machen könnte in meinem Leben, aber mir fällt nichts ein. Jetzt hinunter zu gehen und ihm hundert Dollar zu geben, würde wenig helfen. Könnte ich ihm eine Ausbildung bezahlen? Sagen wir mal, drei Jahre à 100 USD Lebenshaltungskosten im Monat, also 3.600 Dollar plus sechs mal 500 USD für Ausbildungskosten, macht insgesamt 6.600 Dollar insgesamt. Ich könnte also, vermutlich. Aber würde es was bringen? Und würde er das Geld nicht möglicherweise ganz anders anwenden? Würde er dann, mit Ausbildung, tatsächlich eine Stelle finden in diesem Land, wo ohne Kontakte und Beziehungen selbst der beste Universitätsabsolvent keine Chancen hat? Es ist leicht, festzustellen, sich selbst zu trösten, daß nichts, was ich persönlich ausrichten könnte mit meinen beschränkten Mitteln, mehr als ein Mini-Tropfen auf einem kochend-heißen Stein wäre und es daher von vorneherein sinnlos ist. Daß ich immerhin nicht meinen Hintern in einer Beratunsgesellschaft plattsitze und mein Geld damit verdiene, anderen den Job wegzurationalisieren. Obwohl mir das in jenem Moment lieber wäre, denn dann wäre ich nicht mit diesem Bild konfrontiert. Ich stehe immer noch am Fenster, länger als sonst, wenn die Zigarette schon aus ist. In so einem Moment kommt mir mein Leben sinnlos vor. Ich möchte nach Hause, ich möchte das nicht sehen, ich möchte dieses Bild nicht mein Leben lang mit mir herumtragen und wissen: es gibt Milliarden von Menschen, denen es auch an meinem Todestag, viele Jahre von heute, noch so elend gehen wird wie diesem Mann, gegenüber, in seiner Nische.
Ein Teil von mir möchte in solchen Momenten auf mehr verzichten. Weniger Gehalt, weniger Hotel, weniger Auto – damit mehr Geld bleibt, solchen Menschen zu helfen. Gleichzeitig habe ich Angst. Ich möchte nicht in fünfzig Jahren auf Hartz 4 angewiesen sein, ich möchte Rücklagen bilden, ich möchte ein angenehmes Leben haben, einkaufen, gut essen, in Konzerte gehen. Ich möchte nicht den letzten Pfennig meines Einkommens für gute Werke opfern, sondern auch Spaß an meinem eigenen Leben haben, aber wie kann ich das tun, wenn andere Menschen hungern? Zu Hunderttausenden? Wie kann ich, nachdem ich das gesehen habe, mich in meine weichen Federn kuscheln und vom nächsten Abenteuer träumen, während um mich herum 10 Millionen schlafen, für dieses Land kein Abenteuer ist, sondern bittere Realität?
Wenn ich in meinem Hotelzimmer am Fenster stehe, schaue ich auf die Straßen vor dem Hotelportal. Gegenüber ist ein anderes, aber sehr schäbiges Hotel, in dem selbst die ärmste NGO ihre internationalen Mitarbeiter nicht unterzubringen wagen würde. Daneben ein heruntergekommenes Gebäude mit Appartements und kleinen Büros, unten einige Läden, gegenüber die Hauptfiliale eines Telekom-Anbieters. Tagsüber tobt in der Straße das pralle Leben. Vor dem Hotel stehen einige Wachkräfte und rufen gelegentlich die vielen kleinen Straßenhändler zur Ordnung. John, mein treuer Telefonkartenversorger, ein anderer bietet Geldwechsel, daneben Zigarettenverkäufer und Landkartenverkäufer und die an touristischen Orten unausweichlichen Anbieter von Tim und Struppi Bildern. Der Verkehr fließt unaufhaltsam, dauernd halten schöne Autos vor dem Portal und entlassen ihre Insassen in die glänzende, saubere Lobby, bevor die Fahrer sich auf den Parkplatz um die Ecke zurückziehen. Gegenüber auf der anderen Straßenseite weitere Verkäufer, gelegentlich passieren fliegende Händler die Straße, verkaufen billige Sandwiches und allerlei Krempel an die vor Ort auf der Straße stationierten Händler und Chauffeure. Dazwischen Frauen in ihren farbenfrohen Kleidern, die vom Schnitt immer wie europäisches Abendkleider aussehen, bettelnde Kinder und aller menschliches Strandgut, das irgendwie auf Ausbeute hofft angesichts der reichen Hotelklientel.
Sonntags nachts hingegen ist die Straße wie leergefegt. In der Ferne blinken einige Lichter am Mont Ngaliema, dem Edelviertel, unter mir leuchtet die Hotelreklame, ansonsten ist die Nacht hier dunkler als irgendwo in Europa. Die kleinen Läden gegenüber sind verrammelt, die Fenster im Appartementhaus fast alle dunkel. In der Gosse liegt Unrat, dadrüber thronen zwei Männer auf der Bürgersteigkante und unterhalten sich. Hinter ihnen sitzt eine junge, knappe gekleidete Frau auf einem Plastikstuhl und wartet – ich weiß nicht, worauf. In einer Nische vor einem der geschlossenen Läden liegt ein Mann. Er trägt eine dunkle Hose und ein helles Hemd, hat Pappen untergelegt. Ich kann im Abglanz der Hotelbeleuchtung nicht viel erkennen, aber er liegt wie ein Kind zusammengekauert in der Nische und schläft. Ohne daß ich es sehe, weiß ich, daß auf der anderen Straßenseite, auf der anderen Seite des Hotels weitere Menschen in den Nischen der Hotelmauern liegen, ich habe sie neulich beim heimkommen gesehen. Flüchtig, während mein Auto vorfuhr, habe ich den Anblick wohl wahrgenommen, aber über der Verabschiedung von den Kollegen und dem Treppensteigen zu meinem Zimmer, und der Planung des kommenden Tages den Eindruck schnell beiseite gewischt.
Jetzt aber stehe ich an meinem Fenster, hinter mir ein blitzend sauberes Bad und nicht minder sauberes Bett. Zwei mal zwei Meter, viel zu groß für mich alleine, zwei Kissen, eine riesige Bettdecke. Der dunkelrote Überwurf passt zu den dunkelroten Vorhängen und überhaupt ist alles recht hübsch. Neben mir, unter mir, über mir, weitere Zimmer von derselben Art, viele Betten und sicherlich manche davon leer. Gegenüber aber liegt der Mann und um die Ecke liegen Kinder auf der Straße. Kein Zuhause, kein Dach über dem Kopf, vermutlich höchstens eine Mahlzeit am Tag. Keine Bildung, kein Beruf, keine Zukunft. In einem Land, in dem man bei der Hochzeit noch Mitgift zahlen muß, vermutlich auch niemals Heirat und niemals Familie. Werden sie krank, wird sie kein Arzt behandeln. Werden sie alt, wird sich niemand kümmern. Werden sie sterben, bekommen sie ein Armengrab – falls es hier sowas gibt.
So gerne ich dem Gedanken ausweichen würde, ich kann nicht umhin, mich nach der Sinnhaftigkeit dessen zu fragen, was ich hier tue. Trägt meine Arbeit irgendwie dazu bei, diesem Mann zu helfen? Vermutlich nicht. Ich frage mich, ob ich irgend etwas anders machen könnte in meinem Leben, aber mir fällt nichts ein. Jetzt hinunter zu gehen und ihm hundert Dollar zu geben, würde wenig helfen. Könnte ich ihm eine Ausbildung bezahlen? Sagen wir mal, drei Jahre à 100 USD Lebenshaltungskosten im Monat, also 3.600 Dollar plus sechs mal 500 USD für Ausbildungskosten, macht insgesamt 6.600 Dollar insgesamt. Ich könnte also, vermutlich. Aber würde es was bringen? Und würde er das Geld nicht möglicherweise ganz anders anwenden? Würde er dann, mit Ausbildung, tatsächlich eine Stelle finden in diesem Land, wo ohne Kontakte und Beziehungen selbst der beste Universitätsabsolvent keine Chancen hat? Es ist leicht, festzustellen, sich selbst zu trösten, daß nichts, was ich persönlich ausrichten könnte mit meinen beschränkten Mitteln, mehr als ein Mini-Tropfen auf einem kochend-heißen Stein wäre und es daher von vorneherein sinnlos ist. Daß ich immerhin nicht meinen Hintern in einer Beratunsgesellschaft plattsitze und mein Geld damit verdiene, anderen den Job wegzurationalisieren. Obwohl mir das in jenem Moment lieber wäre, denn dann wäre ich nicht mit diesem Bild konfrontiert. Ich stehe immer noch am Fenster, länger als sonst, wenn die Zigarette schon aus ist. In so einem Moment kommt mir mein Leben sinnlos vor. Ich möchte nach Hause, ich möchte das nicht sehen, ich möchte dieses Bild nicht mein Leben lang mit mir herumtragen und wissen: es gibt Milliarden von Menschen, denen es auch an meinem Todestag, viele Jahre von heute, noch so elend gehen wird wie diesem Mann, gegenüber, in seiner Nische.
Ein Teil von mir möchte in solchen Momenten auf mehr verzichten. Weniger Gehalt, weniger Hotel, weniger Auto – damit mehr Geld bleibt, solchen Menschen zu helfen. Gleichzeitig habe ich Angst. Ich möchte nicht in fünfzig Jahren auf Hartz 4 angewiesen sein, ich möchte Rücklagen bilden, ich möchte ein angenehmes Leben haben, einkaufen, gut essen, in Konzerte gehen. Ich möchte nicht den letzten Pfennig meines Einkommens für gute Werke opfern, sondern auch Spaß an meinem eigenen Leben haben, aber wie kann ich das tun, wenn andere Menschen hungern? Zu Hunderttausenden? Wie kann ich, nachdem ich das gesehen habe, mich in meine weichen Federn kuscheln und vom nächsten Abenteuer träumen, während um mich herum 10 Millionen schlafen, für dieses Land kein Abenteuer ist, sondern bittere Realität?
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