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Provinz vs. Metropole
Es gibt in den späten Harry-Potter-Filmen einige Szenen, wo Harry in die Erinnerungen anderer Leute eintaucht. Die Erinnerung schimmert wie eine silbrige Flüssigkeit in einer Schüssel und sobald Harry das Gesicht in die Schüssel taucht, wird er kopfüber in die Erinnerung hineingezogen. So ungefähr kommt mir mein Berlin-Ausflug vor: geradezu unwirklich in seiner völligen Andersartigkeit, verglichen mit der beschaulichen Schweizer Provinz.
Am ersten Abend war ich bei einer Podiumsdiskussion im Auswärtigen Amt, ganz knapp vom verspätet gelandeten Flugzeug jetzte ich nach Mitte, schlich am Ziel etwas verschämt durch Horden von Anzugträgern um mich herum. Schöne Räume, auf jene ganz bestimmte, anonym-elegante Art geschmacksneutral eingerichtet, die öffentlichen Repräsentationsräumen oft zu eigen ist. Etwas verloren hielt ich Ausschau nach den wenigen mir bekannten Gesichtern, die wiederum im Gespräch mit anderen Anzugträgern waren. Im Gespräch mit einem Botschafter (endlich ein vertrautes Gesicht, das mich rettete) fiel mir auch irgendwann ein, mein Jackett ebenfalls überzuziehen, statt es über dem Arm zu tragen. Später soufflierten die Freunde Namen zu dem ein oder anderen nicht völlig unbekannten Gesicht der Politszene und ich lauschte und war beeindruckt.
Im Anschluß gab es Häppchen und Wein, Espressotassen mit Blumenkohlschaumsüppchen, fritierte Garnelenschwänze an Erdnußbutter, Petit Fours und Mangocreme, dazu ein hervorragender Riesling und Service, der auf unaufdringliche Weise die Gläser immer voll hielt. Alles ganz wunderbar, aber sehr anders als Mensaessen in Jeans mit den Kollegen. Während die Freunde sich dem Networking widmeten, drückte ich mich am Rand herum, versuchte mich unsichtbar zu machen, studierte die Bilder an der Wand und gab vor, die Aussicht aus der siebten Etage über Politberlin zu genießen.
Überhaupt Politik. Berlin ist ja zuallererst unsere hippe Metropole, Zentrum für Künstler, Kreative und Biolektuelle, Berlin ist endlich mal etwas, worauf man im Ausland stolz sein kann Sogar New Yorker beneiden uns seit neuestem, für einen Wohnsitz in Prenzlauer Berg muß man sich selbst im Meatpacking-District nicht schämen, wurde mir zugetragen. Von all dem habe ich viel gehört, und sogar eine Provinzgans wie ich kann Personen mit offensichtlich eigenwilligem Kleidungsgeschmack den hippen Künstlerzirkeln zuordnen, aber damit erschöpft sich meine Kenntnis dieser Szene. Anders verhält es sich mit der Politik. Kann sein, ich bilde mir das alles ein, aber irgendwie habe ich in Berlin immer das Gefühl, Politik liege in der Luft. Einerseits hatte ich das Glück (oder Unglück?), vermutlich mehr Botschaften und Ministerien von innen gesehen und mehr namhafte Politiker in Vorträgen erlebt zu haben, als, sagen wir, die Mehrheit meiner Mitschüler in der heimatlichen Provinz. Obwohl ich selbst damit rein gar nichts zu tun habe, nie in Berlin gearbeitet, nie in der Politik intrigiert habe, gibt es doch in meinem Freundeskreis das ein oder andere Rädchen des Establishment und so sehe ich in Berlin Mitte zwar die Touristen, verzweifelt auf der Suche nach der nächsten S-Bahn Station, aber gleichzeitig halte ich die Augen offen nach der großen Politik, die hier gemacht wird. Ich halte die Nase in den Wind und frage mich, hinter welchem der Fenster gerade Beschlüsse gefasst werden, wo fleißige Referenten Abstimmungsvorlagen erstellen, und Lobbyisten bei einem Café im Caras oder Einstein die Beamten zu beeinflussen suchen.
Überhaupt Berlin. Im Alter von siebzehn Jahren bescherte das Schicksal mir eine Freundin in Berlin. Westberlin. Die Familie wohnte in Charlottenburg, oder so, zwei Etagen Stilaltbau, hervorragend saniert, drei Meter hohe Decken, Stuck, dazwischen moderne, aber sehr extravagante Möbel, eine traumhafte Dachterrasse. Ich erinnere mich noch an einen der ersten Abende, wir gingen mit den Eltern und ihrem Bruder zum Lieblingsitaliener um die Ecke. Die Art, wie meine Gastgeber freundschaftlich vom Koch begrüßt wurden, dort frischer Parmesan auf den Tisch kam, Olivenöl mit Brot, Pfeffer frisch auf den Teller aus einer riesigen Mühle, beeindruckte mich nachhaltig. Wir hatten zwar auch unsere Stammrestaurants in der Provinz, wo man vom Personal vertraut begrüßt wurde, aber in Berlin schien alles unendlich viel mondäner. Wir zwei Mädels gingen bummeln am Ku'Damm und einige Jahre später auch auf Cocktailparties in Kreuzberger Ruinenhäusern, wo ich den ersten Mojito meines Lebens trank und mich sagenhaft cool fand.
Heute gehen alle coolen Leute, die ich kenne, prinzipiell nur noch im Osten aus. Kreuzberg, Prenzlberg, Friedrichshain. Viele Freunde, die seit 2000 in Berlin studiert haben, kennen den alten Westen gar nicht mehr so recht – zu peripher, Alte-Leute-Viertel. Niemand von ihnen käme auf die Idee, im alten Westen zu wohnen, Neukölln muß es sein, oder Friedrichshain. Donnerstagsmorgens kamen mir die Straßen in Charlottenburg reichlich leer vor, endlos mußte ich nach netten Cafés suchen, selbst ein Starbucks wäre irgendwann willkommen gewesen, aber die Kaffeeketten-Dichte war mit Schwarzafrika zu vergleichen. Vielleicht liegt es an der mangelnden Ortskenntnis, aber ich fühlte mich in Westberlin verloren – in Mitte hingegen kann man in Touristenströmen untergehen und muß nicht stundenlang durch Geschäftsstraßen irren, bevor das nächste halbwegs akzeptable Restaurant kommt. Ich kam mir alt vor, mit meinen Erfahrungen einer anderen Zeit, und etwas verloren.
Zurück mit einem ordentlichen Päckchen Neid auf das mondäne Leben der Freunde im Gepäck, sitze ich nun wieder in der Schweizer Gemütlichkeit, habe fünf wunderbare Tage sonnigen Herbst genossen, mich beim Joggen am Duft nach Heu, Gräsern und Herbstblumen erfreut, die Kühe auf den Wiesen mit ihren bimmelnden Glocken beobachtet und muß sagen:
all das ist auch nicht so schlecht.
Am ersten Abend war ich bei einer Podiumsdiskussion im Auswärtigen Amt, ganz knapp vom verspätet gelandeten Flugzeug jetzte ich nach Mitte, schlich am Ziel etwas verschämt durch Horden von Anzugträgern um mich herum. Schöne Räume, auf jene ganz bestimmte, anonym-elegante Art geschmacksneutral eingerichtet, die öffentlichen Repräsentationsräumen oft zu eigen ist. Etwas verloren hielt ich Ausschau nach den wenigen mir bekannten Gesichtern, die wiederum im Gespräch mit anderen Anzugträgern waren. Im Gespräch mit einem Botschafter (endlich ein vertrautes Gesicht, das mich rettete) fiel mir auch irgendwann ein, mein Jackett ebenfalls überzuziehen, statt es über dem Arm zu tragen. Später soufflierten die Freunde Namen zu dem ein oder anderen nicht völlig unbekannten Gesicht der Politszene und ich lauschte und war beeindruckt.
Im Anschluß gab es Häppchen und Wein, Espressotassen mit Blumenkohlschaumsüppchen, fritierte Garnelenschwänze an Erdnußbutter, Petit Fours und Mangocreme, dazu ein hervorragender Riesling und Service, der auf unaufdringliche Weise die Gläser immer voll hielt. Alles ganz wunderbar, aber sehr anders als Mensaessen in Jeans mit den Kollegen. Während die Freunde sich dem Networking widmeten, drückte ich mich am Rand herum, versuchte mich unsichtbar zu machen, studierte die Bilder an der Wand und gab vor, die Aussicht aus der siebten Etage über Politberlin zu genießen.
Überhaupt Politik. Berlin ist ja zuallererst unsere hippe Metropole, Zentrum für Künstler, Kreative und Biolektuelle, Berlin ist endlich mal etwas, worauf man im Ausland stolz sein kann Sogar New Yorker beneiden uns seit neuestem, für einen Wohnsitz in Prenzlauer Berg muß man sich selbst im Meatpacking-District nicht schämen, wurde mir zugetragen. Von all dem habe ich viel gehört, und sogar eine Provinzgans wie ich kann Personen mit offensichtlich eigenwilligem Kleidungsgeschmack den hippen Künstlerzirkeln zuordnen, aber damit erschöpft sich meine Kenntnis dieser Szene. Anders verhält es sich mit der Politik. Kann sein, ich bilde mir das alles ein, aber irgendwie habe ich in Berlin immer das Gefühl, Politik liege in der Luft. Einerseits hatte ich das Glück (oder Unglück?), vermutlich mehr Botschaften und Ministerien von innen gesehen und mehr namhafte Politiker in Vorträgen erlebt zu haben, als, sagen wir, die Mehrheit meiner Mitschüler in der heimatlichen Provinz. Obwohl ich selbst damit rein gar nichts zu tun habe, nie in Berlin gearbeitet, nie in der Politik intrigiert habe, gibt es doch in meinem Freundeskreis das ein oder andere Rädchen des Establishment und so sehe ich in Berlin Mitte zwar die Touristen, verzweifelt auf der Suche nach der nächsten S-Bahn Station, aber gleichzeitig halte ich die Augen offen nach der großen Politik, die hier gemacht wird. Ich halte die Nase in den Wind und frage mich, hinter welchem der Fenster gerade Beschlüsse gefasst werden, wo fleißige Referenten Abstimmungsvorlagen erstellen, und Lobbyisten bei einem Café im Caras oder Einstein die Beamten zu beeinflussen suchen.
Überhaupt Berlin. Im Alter von siebzehn Jahren bescherte das Schicksal mir eine Freundin in Berlin. Westberlin. Die Familie wohnte in Charlottenburg, oder so, zwei Etagen Stilaltbau, hervorragend saniert, drei Meter hohe Decken, Stuck, dazwischen moderne, aber sehr extravagante Möbel, eine traumhafte Dachterrasse. Ich erinnere mich noch an einen der ersten Abende, wir gingen mit den Eltern und ihrem Bruder zum Lieblingsitaliener um die Ecke. Die Art, wie meine Gastgeber freundschaftlich vom Koch begrüßt wurden, dort frischer Parmesan auf den Tisch kam, Olivenöl mit Brot, Pfeffer frisch auf den Teller aus einer riesigen Mühle, beeindruckte mich nachhaltig. Wir hatten zwar auch unsere Stammrestaurants in der Provinz, wo man vom Personal vertraut begrüßt wurde, aber in Berlin schien alles unendlich viel mondäner. Wir zwei Mädels gingen bummeln am Ku'Damm und einige Jahre später auch auf Cocktailparties in Kreuzberger Ruinenhäusern, wo ich den ersten Mojito meines Lebens trank und mich sagenhaft cool fand.
Heute gehen alle coolen Leute, die ich kenne, prinzipiell nur noch im Osten aus. Kreuzberg, Prenzlberg, Friedrichshain. Viele Freunde, die seit 2000 in Berlin studiert haben, kennen den alten Westen gar nicht mehr so recht – zu peripher, Alte-Leute-Viertel. Niemand von ihnen käme auf die Idee, im alten Westen zu wohnen, Neukölln muß es sein, oder Friedrichshain. Donnerstagsmorgens kamen mir die Straßen in Charlottenburg reichlich leer vor, endlos mußte ich nach netten Cafés suchen, selbst ein Starbucks wäre irgendwann willkommen gewesen, aber die Kaffeeketten-Dichte war mit Schwarzafrika zu vergleichen. Vielleicht liegt es an der mangelnden Ortskenntnis, aber ich fühlte mich in Westberlin verloren – in Mitte hingegen kann man in Touristenströmen untergehen und muß nicht stundenlang durch Geschäftsstraßen irren, bevor das nächste halbwegs akzeptable Restaurant kommt. Ich kam mir alt vor, mit meinen Erfahrungen einer anderen Zeit, und etwas verloren.
Zurück mit einem ordentlichen Päckchen Neid auf das mondäne Leben der Freunde im Gepäck, sitze ich nun wieder in der Schweizer Gemütlichkeit, habe fünf wunderbare Tage sonnigen Herbst genossen, mich beim Joggen am Duft nach Heu, Gräsern und Herbstblumen erfreut, die Kühe auf den Wiesen mit ihren bimmelnden Glocken beobachtet und muß sagen:
all das ist auch nicht so schlecht.
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