Montag, 1. November 2010
Grusel am Abend
Ich gehe nicht nur nicht ins Kino - ich habe auch keinen Fernseher. Nicht mehr, seit wir vor einigen Jahren ein schwarzes Monstrum vergeblich ins zweite Obergeschoß geschleppt haben und meine Mutter fragte: Wohin damit? Mein Vater meinte: In die Nähe der Buchse, natürlich. Die es nicht gab. Zu dritt krochen wir eine Weile auf dem Fußboden herum, untersuchten Anschlüsse und Steckdosen ohne Erfolg, bis wir nach Rückfrage bei den Nachbarn den Fernseher wieder zurück ins Auto trugen und ich in den folgenden zwei Jahren feststellte: der Fernseher gehört zu den Dingen, deren Abwesenheit einem klarmacht, daß man sie überhaupt nicht braucht.

An dieser Einstellung hat sich grundsätzlich nichts verändert, einzelne Nächte mit unterirdisch schlechtem Programm in Hotels oder zu Hause haben mich in meiner Auffassung nur bestätigt.
Mittlerweile gibt es jedoch Fernsehen auch übers Internet, dieses Wochenende stapelte sich die Arbeit, das neue Buch läßt sich nur mühsam an und in der Not frißt der Teufel bekanntlich Fliegen - und ich schaue Unterschichten-Programm.

"Bauer sucht Frau". Sehen Sie es mir nach, ich war heute Abend wirklich verzweifelt und bin der morbiden Faszination solcher Programme erlegen. Da gibt es "scharmante Schweinewirte", "einsame Schäfer" und "tätowierte Schwäbinnen" (das muß das Fernseh-Pendant zur tätowierten First Lady sein), Damen werden an Bushaltestellen abgeholt, die wirklich nur ein betoniertes Viereck am Straßenrand sind, beim Wiedersehen gebärden sich die Herrschaften als wären sie Königskinder, die endlich das tiefe Wasser überwunden haben, und das Pathos wäre auch Tristans und Isoldes würdig gewesen. Die Sendung ist eine grandiose Lehrstunde in Euphemismen. Man muß nicht sagen, daß ein Hof völlig heruntergekommen ist - "urig" klingt doch viel schöner, arbeitslos wird ersetzt durch das "hübsche Haufrau". Wobei sich meiner Meinung das mit dem hübsch in Grenzen hält - aber ich ja auch eine stutenbissige Ziege. Merken Sie sich: kein Nomen ohne illustrierendes Adjektiv. Da eröffnen sich ungeahnte sprachliche Möglichkeiten. Und wußten Sie, daß "gelernte Melkerin" ein Ausbildungsberuf ist? Die Dame hatte natürlich ein entsprechend hervorragendes Verständnis für das ländliche Umfeld:
"Ich habe noch nie Schafe mit so'm langen Schwanz gesehen! Wo ha'm die die her?" Sprach's, kniete nieder und machte "Putt, putt, putt".

Das tollste sind jedoch die Einblicke in fremde Schlafzimmer: was da an Scheußlichkeiten in Biber-Pseudo-Satin auf Plastik-Furnier geboten wird verschlägt mir glatt die Sprache, da helfen auch keine niedlich auf dem Kopfkissen drapierten Marzipanschweinchen mehr und die Kissen können noch so rührend bemüht vom jeweiligen Bauern (oder seiner Mutti) aufgeschüttelt werden. Daß solche Einrichtung neu gekauft sein soll (ja ehrlich!) kann ich mir kaum vorstellen, aber wenn es im Fernsehen kommt, muß es ja wahr sein. Trotz solcher Widrigkeiten findet der wahrhaft Bemühte auch hier Gelegenheit zu tiefsinnigen Dialogen:
Sie so: "Schönes großes Bett. Da kann man auch zu zweit drin liegen."
Er so: "Ja, kann man, und das ist sogar 2 Meter lang!"
Sie so: "Da kann man aber auch drin liegen, wenn man nur 1,70 groß ist". Das nenne ich mal eine subtile Anmache.

Zwangsläufig frage ich mich: wer guckt sowas? Einschaltquoten können ja nicht nur von verzweifelten Individuen wie mir geschaffen werden - es muß wohl Leute geben, die sich sowas regelmäßig anschauen. Ein Rätsel. Eigentlich wollte ich jetzt lobende Worte über die Hintergrundmusik verlieren, aber da läuft gerade "Modern Talking". Das muß also entfallen. Vielleicht versuche ich es nochmal mit dem Buch. Notfalls nehme ich das "Handbuch Außenpolitik" mit ins Bett - alles ist besser, als das hier.

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