Mittwoch, 2. Februar 2011
Erinnerungen
Eigentlich muß man Goldman Sachs Banker nicht mögen, immerhin waren die ganz bestimmt mitschuld an der Finanzkrise. Andererseits muß ich gestehen, daß gerade die drei Exemplare in meinem weiteren Bekanntenkreis außerordentliche Persönlichkeiten sind. Solche, die neben ihrem Job noch ein Studium in Informatik lernen, weil sie Computer so gerne mögen. Oder Arabisch lernen – nicht, um jemals mit Arabern Geschäfte zu machen (viel zu riskant!), sondern aus Neugier an Kultur und Sprache. Einfach so.
Finanzkrise hin oder her, soviel Wissbegier ist mir immer sympathisch, sogar wenn sie einen teuren Anzug trägt und sonst in einem Londoner Büro hockt. Ganz besonders sympathisch ist mir das Interesse an arabischen Ländern, das ich zufällig teile. Mein erster Ausflug nach Nordafrika nach dem Studium war noch ein Zufall, es sollte nur außerhalb von Europa sein. Beim ersten passenden Angebot habe ich zugegriffen, und habe mich zum Entsetzen meiner Familie drei Monate nach Marokko verabschiedet. Ich freundete mich mit Kakerlaken in der Büroküche an, knabberte zum ersten Mal frittieren Fisch direkt von den Gräten runter, ging regelmäßig Sonntags ins Hammam, schnappte ein paar Wörter auf, machte sonderbare und außergewöhnliche Bekanntschaften und war danach angefixt.

Trotzdem vergingen zwei Jahre, bis ich der Abenteuerlust das nächste Mal nachgeben konnte. Das erste Mal in meinem Leben brach ich auf, ohne am anderen Ende der Reise von jemandem erwartet zu werden – abgesehen vom Taxifahrer des Hostels meiner Wahl. Nicht jeder mag es entspannend finden, vier Wochen lang mit fremden Schriftzeichen zu kämpfen und vergeblich den Unterschied zwischen zwei verschiedenen h's und t's hören zu wollen, aber das war der beste Urlaub meines Lebens. Morgens weckten mich die Glocken der koptischen Kirche gegenüber, tagsüber lernte ich eine faszinierende Sprache, und abends saß ich mit den jungen Ägyptern von der Rezeption auf dem Dach, rauchte Shisha, und sprach über Gott und die Welt. Ich linste neugierig um die Ecke, wenn sie ihre Gebetsteppiche ausrollten und zog mich dann schnell diskret zurück. Wurde aufs freundlichste unterstützt, als mein Rechner sich verabschiedete. Bekam vom Eigentümer aus der Hand mein Schicksal geweissagt und erkundete am Wochenende die Souks und Moscheen.
Innerhalb kürzester Zeit war ich bevorzugter Gast, nach kurzer Abwesenheit bekam ich das schönste Zimmer, Vermittlung in tausendundeins Angelegenheiten und Unternehmungen, und hatte ernsthaft das Gefühl, Freundschaften geschlossen zu haben.

In dem Maße, in dem die Taxifahrer mir keine Mondpreise mehr abverlangten, und der Verkäufer im Kiosk zwischen Talaat Harb und dem Midan Tahrir schon wußte, was ich kaufen würde, fühlte ich mich auf sonderbare Art zu Hause in einer unüberschaubaren Millionenmetropole. Ich wohnte in Downtown, saß jeden Tag zwei Mal mindestens dreißig Minuten im Taxi für wenige Kilometer Strecke, der Dreck, der Lärm, das Gehupe, die Pfiffe, die Baggerversuche, das Gewühl – Kairo überfordert und ist sagenhaft anstrengend, so daß man nach drei Wochen eine Pause herbeisehnt, aber trotz allem wunderbar.

Einen Abend verbrachte ich mit Freunden aus der Sprachschule auf einem der Partyboote, die von den Kais am Ostufers ablegen, und bei lauter arabischer Musik unter schaukelnden, bunten Lampions ein Stück flußabwärts fahren und wieder zurück. Das Boot liegt so lange an der Pier, bis wirklich alle Sitzplätze rund um die Reling besetzt sind und keine Maus mehr dazwischen passt.

Mädchen in langen Röcken, modischen Kopftüchern und mit glitzernden Täschchen und dezentem Make-up herausgeputzt, junge Männer in sorgsam gebügelten Hemden mit spitzen Schuhen, möglicherweise Plastik aber tiptop geputzt, und dazwischen wir drei Sprachschüler, verstohlen beäugt von der urbanen Jugend. Solange das Boot noch vertäut ist, sitzen alle brav, plaudern halblaut, aber sobald das Ufer sich entfernt, geht es rund. Die Musik wird lauter bis einem die Ohren klingeln, zuerst stehen die Mädchen auf, streifen die Schuhe ab und lassen die Hüften im Bauchtanz kreisen. Die jungen Männer sitzen drumrum, rauchen, schnippen die Kippen in den Nil. Stehen irgendwann auch auf, tanzen mit auf der schaukelnden Tanzfläche und vereinzelt passt nun zwischen die Tanzenden keine Maus mehr dazwischen. Viel Bauchtanz – nicht ohne Reize – aber auch viel Stil, wie man ihn auch in jeder europäischen Disko sehen könnte. Für eine völlig surreale Stunde hat man das Gefühl, an einem anderen Ort zu sein. Bis das Boot umkehrt, das Land wieder in Sicht kommt – und die Welt wieder in den Normalzustand zurückfindet.

Dieser Abend war wie alles in Kairo: herausfordernd und anstrengend in seiner Andersartigkeit, aber auch eine grandiose Erfahrung. In einem großen Land, das zu Recht stolz auf eine große Vergangenheit ist. Und hoffentlich eine große Zukunft haben wird.

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