Donnerstag, 10. Februar 2011
Wann ist man ein Held?
Ich war nie ein Kind von Traurigkeit, wenn es darum ging, mich in Abenteuer zu stürzen. Mit sechzehn alleine nach Amerika, mit Mitte zwanzig dann Marokko, wenig später Ägypten, Tunis und dann Kongo. Mit Ausnahme der letzten Station waren das alles nicht gerade Risikoländer, aber ich hatte natürlich gehörigen Respekt davor, mich in ein Flugzeug zu setzen ohne genau zu wissen, was mich – je nach Situation – am anderen Ende der Reise erwarten würde. Manchmal Freunde Gastfamilien, manchmal Taxifahrer, manchmal niemand. Es ist bisher immer gut gegangen, und gerade im Kongo hatte ich ja einen verläßlichen Arbeitgeber, hinter dessen breitem Rücken ich mich notfalls würde verstecken können.

Dieses Mal war anders. Ich habe mich gestern nachmittag ins Bett gelegt und bin 24h nicht mehr aufgestanden, erschöpft von der Agonie einer mühsamen Entscheidungsfindung, bei der ich immerhin auch einiges über mich gelernt habe.
Ich wollte - das konnte ja niemandem entgehen - von Anfang an unbedingt nach Kairo. Dabei sein. Darüber schreiben. Es war nicht immer klar, zu welchen Konditionen, wer bezahlt die Reisekosten, wie versichert man eine solche Reise, wer publiziert, was ich berichten könnte, und wer holt mich raus, wenn meine Abenteuerlust gewaltig daneben geht?

Die letzten beiden Punkte waren am Ende die entscheidenden, mit deren Bewertung meine Entscheidung stand und fiel, und das wie ein Stehaufmännchen. Wie in einem Kaleidoskop fielen mir immer neue Gegengründe und Risiken ein - und dem begegnete immer wieder das Gefühl, da unbedingt hinzumüssen. Ich kann das nicht erklären - es war einfach so. Die machen Geschichte, ich wollte dabei sein.

Ich bin der felsenfesten Überzeugung, daß Ägypten in dieser Situation Journalisten braucht. Öffentlichkeit schafft Sicherheit im Land, wo andauernde Berichterstattung sicherlich dazu beigetragen hat, am Dienstag neue Massen zu motivieren. Berichterstattung sorgt auch dafür, daß festgenommene Personen – von ägyptischen Aktivisten bis zu deutschen Journalisten – wieder freikommen, oder gleich frei bleiben. Und schließlich sorgt Öffentlichkeit auch dafür, daß internationaler Druck auf das Regime erhalten bleibt. Lange habe ich mit mir gerungen, ob ich überhaupt einen nennenswerten Beitrag leisten kann zur Publizität. Nett schreiben zu können ist schließlich noch keine Qualifikation zum Krisenreporter, und auch Verhandlungs- und Krisentrainings sind am Ende nur graue Theorie – gegenüber der Praxis, die zum Teil in den vergangenen Tagen in Farbe über die Bildschirme flimmerte. Möglicherweise, so überlegte ich, habe ich mehr Herz für das Land und Ansätze von Landeskenntnis aufgrund früherer Aufenthalte – dafür fehlt mir allerdings die Sicherheit eines großen Hofstaats von Kollegen. Sicherheitstechnisch hätte man dafür natürlich auch argumentieren können, daß ich mehr als Rucksacktouristin denn als Journalistin gefahren wären und damit in bestimmten Punkten möglicherweise unterhalb des Radars geflogen wäre.

Viele komplizierte Überlegungen habe ich angestellt über den gesellschaftlichen Nutzen eines solchen Unterfangens. Denn den muß es geben. Jeder Krisenreporter wie auch jeder, der in riskanten Ländern arbeitet, hat ein Abenteuergen in sich. Es ist verdammt cool, Khartoum oder Kabul als Arbeitsort angeben zu können, das private Umfeld zu Hause gruselt sich so schön fasziniert, wenn man von solchen Orten berichtet, und nicht zuletzt beweist man auch sich selbst, was für ein harter Hund (oder harte Hündin) man ist. Spaß an Grenzerfahrungen gehört ebenfalls dazu, ausgeprägte Neugier auf fremde Länder wie auch das Gefühl der Langeweile bei normalen Berufen. Kurz: niemand, der so etwas machen möchte, tut es ausschließlich aus altruistischen Gründen. Behaupte ich, aus eigener Erfahrung und meiner Einschätzung von Kollegen. Wieviel Altruismus im Einzelfall drinsteckt, sieht man den Leuten nicht an. Trotzdem finde ich, daß die Risiken eines gesellschaftlichen Auftrags zur Legitimation bedürfen. Jeder würde wohl zustimmen: es muß Journalisten geben, die von solchen Orten berichten. Ohne couragierte Einzelpersonen wüssten wir nichts über die Apartheid, den Fall der Berliner Mauer oder den Krieg in Afghanistan. Jeder Berichterstatter und Helfer geht Risiken ein, die immer auch die Familie berühren, in manchen Fällen sogar die Gesellschaft insgesamt. Man denke nur an Susanne Ostmann, die damals im Irak sicherlich gute Arbeit machte, aber eben auch sehr leichtsinnig war und am Ende vom AA auf Kosten des Steuerzahlers befreit werden mußte.

Als vernunftbegabter Mensch informiert man sich gut, besorgt sich passende Versicherungen, wägt die Restrisiken ab und schätzt ein, wieviel Leichtsinn übrig bleibt. Denn der ist immer im Gepäck. Die Risiken sind nicht abschätzbar, schon gar nicht beim ersten Mal, und damit muß man sagen: jeder Trip solcher Art enthält ein Teilchen Leichtsinn. Wo aber verlaufen die Grenzen zwischen den vertretbaren Risiken für eine sinnvolle Aufgabe und reinem Leichtsinn aus Abenteuerlust?

Nach vierzehn Tagen endloser Überlegungen habe ich immer noch keine Antwort gefunden. Hätte mir eine Zeitung Öffentlichkeit und Rückendeckung zugesagt, ich wäre jetzt inmitten der jubelnden Massen auf dem Tahrir. Die Risiken mit einer Zeitung im Rücken hätte ich überschaubar gefunden, eine der Nutznießer hätte Mitverantwortung übernommen und meine Familie entlastet - das hätte ich daher als vertretbar eingestuft. Leider kam es anders. Einen Abnehmer meiner Berichte hätte es wohl gegeben, aber im Krisenfall wäre ich auf mich alleine gestellt gewesen – und auch wenn ich fast jede Stunde wieder mit mir ringe, habe ich mich unter diesen Umständen dagegen entschieden. Mit bleischwerem Herzen und bitterer Enttäuschung über die verpasste Chance.

Es gibt für solche Dinge immer ein erstes Mal und vermutlich gab es viele Menschen vor mir, die sich für das Risiko entschieden haben – obwohl sie alleine waren, ohne gemütlich geteilte Verantwortung mit den breiten Schultern eines Unternehmens. Andere wiederum machen so etwas überhaupt nur, wenn sie das Sicherheitsnetz einer Organisation unter sich wissen. Ich habe nach endlosem Ringen entschieden, daß ich das nicht machen kann. Hätte es nämlich jemand anderen als mich betroffen und wäre schief gegangen, ich hätte gesagt: wie verantwortungslos. Alleine, als Frau, ohne Erfahrung in akuten Krisensituationen, ohne Rückendeckung, in solche Risiken: das geht nicht. Aus Verantwortung und Rechenschaft gegenüber meiner Familie, meinen Freunden, aber auch gegenüber der Gesellschaft, die vielleicht am Ende mit dem Finger auf mich leichtsinniges Huhn gezeigt hätte.

Wenn Menschen so etwas machen, entscheidet vermutlich am Ende der Erfolg über die Bewertung. Möglicherweise, wäre ich jetzt dort, würde ich teilnehmen an der Geschichte und könnte darüber berichten. Wer weiß, welche Gesprächspartner oder Abenteuer mit gutem Ausgang dort auf mich gewartet hätte. Vielleicht hätte ich den Grundstein für eine journalistische Karriere gelegt oder wäre eine Heldin der Live-Berichterstattung geworden. Meine Eltern wären stolz gewesen, die Zweifler der letzten Tage hätten sich in den hinteren Reihen für ihr Découragement meiner Person geschämt und die Öffentlichkeit hätte gesagt: Wie mutig! Wie gut, daß es solche Menschen gibt!

Vielleicht aber auch hätte mich die Polizei fünf Tage lang festgesetzt, mir ein paar blaue Flecken verpasst, ich hätte meinen Arbeitgeber verärgert, der Familie viel Leid und Sorge bereitet und wäre ein Klotz am Bein irgendwelcher diplomatischen Stellen gewesen. Dann hätte die Öffentlichkeit mit dem Finger auf mich gezeigt, wie damals auf Susanne Ostmann, und geurteilt: Wie leichtsinnig! Wie dämlich muß so jemand sein!

Ich werde nie wissen, wie es ausgegangen wäre. Man könnte sagen, ich war zu vernünftig, um unüberschaubare Risiken einzugehen für eine eher unwesentliche Verbesserung der deutschen Presselandschaft. Man könnte auch sagen, ich hatte nicht genug A*sch in der Hose, um für das einzustehen, wovon ich zutiefst überzeugt bin. Keine Ahnung, was richtig ist.

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