Freitag, 14. September 2012
Uni
Alle sagen, das Studium in den USA sei anstrengender und anspruchsvoller. Vermutlich kommt es auf die Kurse an, aber die Belastung ist auf jeden Fall hoch. Jeder Kurs findet zwei bis drei Mal wöchentlich statt, und zu jeder Sitzung umfasst die Lektüreliste fünf bis zehn Titel, von denen drei bis vier verpflichtend zu lesen sind. Macht etwa 300-500 Seiten pro Woche. Dazu wöchentliche Essays oder alle paar Wochen ein „Problem Set“, das vermehrten Arbeitseinsatz erfordert. Es ist mir rätselhaft, wie andere Studenten vier Kurse und mehr belegen – ich bin mit einem ausgelastet. Allerdings treibe ich mich auch in allerlei Seminaren herum, wo Präsentationen nur zum Zuhören gehalten werden (=muß nichts vorbereiten, aber kostet trotzdem Zeit), und staune jeden Tag aufs Neue.

Auch in Europa gibt es an vielen Universitäten Brown Bag Lunches, aber das heißt einfach nur, daß es akzeptabel ist, sein Mittagessen in einer (braunen) Papiertüte mitzubringen und während der Präsentation eines Wissenschaftskollegen zu essen. In Washington haben wir damals manchen Brown Bag Lunch besucht, weil es dort meistens Kekse und Kaffee umsonst gab, ganz selten auch mal ein Sandwich. Hier jedoch wird dem Titel Ehre gemacht: es gibt ein richtiges Mittagessen, bereitgestellt vom veranstaltenden Institut. Ich habe diese Woche Sandwiches und Kuchen gegessen, Salate und Pitabrot und Kekse gegessen, dazu gab es Cola, „Lemonade“, Wasser und Kaffee.

Gleichzeitig bin völlig abgelenkt von den spannenden Vorträgen – und angesehenen Vortragenden. „Celebrity Sighting“, meinte eine Kollegin und das trifft es in der Tat.

Dabei habe ich noch lange nicht die diversen, zur Verfügung stehenden Kantinen in den anderen Instituten ausprobiert, mich dafür aber mit der Infrastruktur befasst und einen ganz außergewöhnlichen Scanner benutzt. Ich legte in europäischer Unschuld das Papier, Text nach unten, auf die schwarze Fläche, hielt es dort – und konnte Sekunden später am Bildschirm nebenan ein Foto meiner Hände bestaunen. Die Maschine nämlich scannt von oben, ganz ohne Abdeckplatte oder so, wie ein Fotoapparat. Und speichert dann direkt auf den eingestöpselten USB-Stick. Hätte ich nicht etliche Anläufe mit der neuen Technologie gebraucht, es wäre der schnellste Scan meines Lebens gewesen.

Die Gerüchte von der einmaligen Infrastruktur stimmen also durchaus – außer für Doktoranden. Wo wir in der Schweiz jeder einen eigenen Schreibtisch in hübschen Büros hatten, sitzen die Doktoranden hier im Keller in klaustrophobischen „Carrel Spaces“ - einen zu haben gilt allerdings schon als Privileg für die Fortgeschrittenen, und ich hätte auch gerne einen. Werde dann aber vermutlich mein lauschiges Plätzchen in der Schweiz vermissen. Aber es kann ja auch nicht alles besser sein hier.

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