Freitag, 14. September 2012
Uni
Alle sagen, das Studium in den USA sei anstrengender und anspruchsvoller. Vermutlich kommt es auf die Kurse an, aber die Belastung ist auf jeden Fall hoch. Jeder Kurs findet zwei bis drei Mal wöchentlich statt, und zu jeder Sitzung umfasst die Lektüreliste fünf bis zehn Titel, von denen drei bis vier verpflichtend zu lesen sind. Macht etwa 300-500 Seiten pro Woche. Dazu wöchentliche Essays oder alle paar Wochen ein „Problem Set“, das vermehrten Arbeitseinsatz erfordert. Es ist mir rätselhaft, wie andere Studenten vier Kurse und mehr belegen – ich bin mit einem ausgelastet. Allerdings treibe ich mich auch in allerlei Seminaren herum, wo Präsentationen nur zum Zuhören gehalten werden (=muß nichts vorbereiten, aber kostet trotzdem Zeit), und staune jeden Tag aufs Neue.

Auch in Europa gibt es an vielen Universitäten Brown Bag Lunches, aber das heißt einfach nur, daß es akzeptabel ist, sein Mittagessen in einer (braunen) Papiertüte mitzubringen und während der Präsentation eines Wissenschaftskollegen zu essen. In Washington haben wir damals manchen Brown Bag Lunch besucht, weil es dort meistens Kekse und Kaffee umsonst gab, ganz selten auch mal ein Sandwich. Hier jedoch wird dem Titel Ehre gemacht: es gibt ein richtiges Mittagessen, bereitgestellt vom veranstaltenden Institut. Ich habe diese Woche Sandwiches und Kuchen gegessen, Salate und Pitabrot und Kekse gegessen, dazu gab es Cola, „Lemonade“, Wasser und Kaffee.

Gleichzeitig bin völlig abgelenkt von den spannenden Vorträgen – und angesehenen Vortragenden. „Celebrity Sighting“, meinte eine Kollegin und das trifft es in der Tat.

Dabei habe ich noch lange nicht die diversen, zur Verfügung stehenden Kantinen in den anderen Instituten ausprobiert, mich dafür aber mit der Infrastruktur befasst und einen ganz außergewöhnlichen Scanner benutzt. Ich legte in europäischer Unschuld das Papier, Text nach unten, auf die schwarze Fläche, hielt es dort – und konnte Sekunden später am Bildschirm nebenan ein Foto meiner Hände bestaunen. Die Maschine nämlich scannt von oben, ganz ohne Abdeckplatte oder so, wie ein Fotoapparat. Und speichert dann direkt auf den eingestöpselten USB-Stick. Hätte ich nicht etliche Anläufe mit der neuen Technologie gebraucht, es wäre der schnellste Scan meines Lebens gewesen.

Die Gerüchte von der einmaligen Infrastruktur stimmen also durchaus – außer für Doktoranden. Wo wir in der Schweiz jeder einen eigenen Schreibtisch in hübschen Büros hatten, sitzen die Doktoranden hier im Keller in klaustrophobischen „Carrel Spaces“ - einen zu haben gilt allerdings schon als Privileg für die Fortgeschrittenen, und ich hätte auch gerne einen. Werde dann aber vermutlich mein lauschiges Plätzchen in der Schweiz vermissen. Aber es kann ja auch nicht alles besser sein hier.

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Donnerstag, 6. September 2012
Social Hours
An amerikanischen Universitäten zahlt man bekanntlich Studiengebühren, und im Zweifel nicht zu wenig. Dafür bekommt man aber auch einiges geboten. Meine neue Emailadresse läßt sich nicht aktivieren? - ich schicke eine Email und erhalte eine Stunde später Antwort, mit Lösung des Problems von der IT-Abteilung. Ich habe eine administrative Frage? - der für mich zuständige Mitarbeiter im Zulassungsbüro hat selbstverständlich Zeit für meine komplizierten Ausführungen, und beantwortet über Wochen jede neue Frage immer gleichbleibend konstruktiv und freundlich.

Nach der Einreise in die Staaten muß mein Visum bestätigt werden – die Universität ist bestens organisiert. Für jeden internationalen Studenten wurde eine Akte mit den relevanten Unterlagen vorbereitet, die Studenten arbeiten sich durch drei Mitarbeiter durch: Nummer 1 sucht die Akte hervor. Nummer 2 macht die Stempel rein. Nummer 3 gibt uns Hefte und Blätter mit Informationsmaterial. Gegebenenfalls kann man mit Nummer 4 noch vertiefende Fragen klären. Nach zwanzig Minuten bin ich wieder draußen.

Es gibt auch reichlich Orientierungsevents, Mentoringprogramme, Einführungsveranstaltungen, Führungen über das Gelände und Begrüßungsempfänge. Es ist ein wenig verwirrend, die Termine alle auseinanderzuhalten,am Ende reden wir einfach immer von Social Hour. Social Hour on Monday, Social Hour on Friday, Social Hour on Wednesday. Jedes Mal gibt es warme Worte und kalte Getränke , Snacks, manchmal musikalische Darbietungen. Die verantwortlichen Respektspersonen der Universität sind stets dabei, überall ist man sehr um unser Wohl besorgt.

Mit der Entscheidung für ein Zimmer der Universität „on campus“ ist sogar, so höre ich von anderen, ein Rundum-Sorglos-Paket verbunden, bei dem man noch mehr an die Hand genommen wird – inklusive Einkaufstrips zu den einschlägigen Märkten und Supermärkten der Umgebung.

Die vielen Einführungsveranstaltungen haben große Vorteile, man kann nämlich hervorragend Leute kennenlernen. Zwar vorwiegend solche, die nicht unbedingt Lösungen für Probleme zu bieten haben, weil sie mit denselben kämpfen, aber auch geteiltes Leid ist schon ein großer Fortschritt, wenn man verzweifelt auf der Suche nach Wohnungen, Möbeln, Fahrrädern oder Kursen ist.

Bei meinem ersten sozialen Ereignis treffe ich gleich drei weitere Studenten, die in ähnlicher Funktion am gleichen Institut sein werden – und natürlich haben wir gemeinsame Bekannte, im weitesten Sinne. Bei der Wohnungssuche lerne ich eine andere Deutsche kennen, die wiederum bei einer Freundin übernachtet – welche ich vor zwei Jahren flüchtig kennengelernt habe. Das ist schon ein ziemlicher Zufall, auch wenn man bedenkt, daß es statistisch gesehen bei ähnlichen Interessen und Karriereplänen auch wiederum nicht völlig unwahrscheinlich ist, am gleichen Ort zu landen.

Das nächste soziale Ereignis bringt mich ins Gespräch mit einer Österreicherin, die in Musiktheorie promovieren wird. Zufällig hat mir eine Wiener Freundin mit musikwissenschaftlichem Hintergrund bereits im Vorfeld den Kontakt zu einer ihrer Freundinnen vermittelt, die auch hier ist – und die beiden wiederum kennen sich natürlich auch. Wir verabreden uns fleißig für Kaffees, tauschen Wohnungssuchnöte aus, und planen, die nächsten Veranstaltungen gemeinsam anzugehen. Überhaupt ist die Vielfalt unglaublich: Franzosen kommen hierher, um französische Literatur zu studieren. Ein Südafrikaner befasst sich mit afrikanischer Soziologie und Diskriminierung, ein Engländer mit Anthropologie, und eine Israelin mit Computerwissenschaften.

Manche dieser Gespräche fallen eher oberflächlich aus, bei anderen nehme ich meinen Mut zusammen und rege an, Kontaktdaten für zukünftiges Kaffetrinken auszutauschen. Schräge Vögel sind natürlich auch dabei: eine junge Frau ist gestern erst angekommen und hat ihre Eltern im Schlepptau. Eine Asiatin ist schon länger hier und auch nach sechs Monaten in diesem Umfeld kaum zu verstehen – die Hälfte des Gesprächs muß ich raten, was sie mir gerade erzählt. Eine Griechin mischt sich ziemlich demonstrativ ein Gespräch ein und erklärt uns umgehend, daß es die Krise eigentlich gar nicht gibt: erst seit so ein Rummel darum gemacht wird, seien Probleme entstanden – ich schweige dazu diplomatisch.

Das skurrilste Ereignis geht an mir leider völlig vorbei und ich erfahre Details erst später aus zweiter Hand: die Orientierungsveranstaltung für mitreisende Partner. Die dort anwesenden jungen Damen und (in kleinerer Anzahl) Herren wurden eingehend darüber informiert, wie sie ihren Partner im anstehenden Jahr optimal unterstützten können: Kochen, Putzen, Kinderbetreuung, administrative Pflichten übernehmen, inklusive nützlicher Hinweise, welche Supermärkte für welche Güter empfehlenswert sind und wie mit Behörden umzugehen ist. Die solcherart Belehrten haben es offenbar mit Humor genommen, jedenfalls lachen wir auf der abendlichen Social Hour herzlich darüber.

Insgesamt bin ich auf jeden Fall sehr froh, zum Semesteranfang hier gelandet zu sein – später fällt es, nach allem was ich höre, viel schwerer, Kontakte zu knüpfen und Anschluß zu finden. Ich hingegen finde es bis jetzt alles recht vielversprechend.

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Montag, 3. September 2012
Umzüge
Gefühlte siebzig Prozent der Mietverträge in dieser Stadt laufen vom 1. September bis zum 31. August des darauffolgenden Jahres. Entsprechend habe ich noch nie soviele Umzugswagen, Leute mit Möbeln auf dem Pick-up Truck und matratzenschleppende Studenten gesehen wie in den vergangenen paar Tagen. Es ist fast wie Reise nach Jerusalem: kurzzeitig und auf einmal scheinen sich alle Leute mit ihrem Hausstand auf der Strasse zu befinden - am Sonntag ist der Spuk wieder vorbei. Glücklicherweise habe ich meinen Umzug zu dem Zeitpunkt bereits erledigt.

Dessen Organisation führte mich erneut zu Craigslist: Umzugshelfer. suchen Die Anzeigen und Emails hinterlassen mich deprimiert. „Peter, 25, strong young man with years of moving experience“, bietet seine Dienste und seinen Truck an. Ein anderer hat sein Foto miteingestellt. No job too tough. Ein anderer: no job too small. Dieses Mal muß ich nicht betteln, meine Trefferquote ist enorm: drei Emails, zwei Telefonate, fünf Angebote. Alle haben an meinem Wunschtermin Zeit, ich entscheide mich am Ende für Dan. Wir vereinbaren 100 USD „flatrate“ für maximal zwei Stunden Arbeit inklusive Truck – das scheint für beide Seiten fair zu sein.

Dan kommt ein paar Minuten zu spät, aber da er unsere Verabredung nachmittags noch bestätigt hat, mache ich mir keine Sorgen. Er ist ein junger Mann – vermutlich jünger als ich, sieht allerdings älter aus, vom Leben gebeutelt. Schmal im Gesicht, mit schmutzigen, abgearbeiteten Händen und traurigen Augen. Wir tragen meine paar Gegenstände raus, er organsiert alles auf der Ladefläche seines alten kleinen Trucks. Er bittet, daß ich ihm das Geld vor der Abfahrt zur neuen Wohnung gebe und entschuldigt sich noch dafür – es ginge nicht anders, die Zeiten seien schlecht. Damit habe ich kein Problem, dann rutschen wir auf der Bank zusammen (die helfende Freundin und ich) und fahren los. Nebenbei erfahren wir, daß Dan alleinerziehender Vater eine zweijährigen Tochter ist. Im letzten Jahr waren sie für kurze Zeit im Obdachlosenheim, nachdem Dan seinen Job verloren hatte, jetzt versucht er, mit Kleinumzügen Geld zu verdienen, aber es läuft nicht sehr gut. Tagsüber hütet er die Kinder der Nachbarinnen mit – dafür kann er abends arbeiten gehen. Demnächst wird seine Tochter in die Kindertagesstätte gehen, die allerdings kostet 450 USD pro Woche – unbezahlbar für ihn, wobei er in einem längeren Papierkrieg Gutscheine für bedürftige Familien beantragt hat, so daß das Mädchen demnächst trotzdem hingehen kann. Wer soviel verdient, über 2.000 USD im Monat für die Kinderbetreuung ausgeben zu können, entzieht sich allerdings völlig seiner Vorstellungskraft.

Wir brauchen eineinhalb Stunden für die ganze Angelegenheit, wobei der Bettkasten nicht durchs Treppenhaus passt, sodaß wir ihn über die hintere Veranda nach oben ziehen. Am Ende entscheide ich, daß zehn Dollar für Dan mehr bedeuten als für mich (obwohl ich mein Budget längst überschritten habe), gebe noch ein Trinkgeld und fühle mich trotzdem wie ein fieser Ausbeuter.

Die nächsten Tage kann ich dafür ziemlich entspannt damit verbringen, nach den paar Teilen zu suchen, die mir noch fehlen. Gardinen brauche ich auf jeden Fall, und eine kleine Lampe für den Schreibtisch. Ein Fön wäre nicht schlecht, ein Spiegel, und ein Mülleimer, vielleicht noch ein hübsches Bild für die Wand? Ich klappere am frühen Nachmittag einige Umzugsverkäufe ab, die – wieder einmal – auf Craigslist inseriert waren, aber da ist um die Uhrzeit nur noch Schrott. Am Sonntag Morgen stehe ich buchstäblich früher auf, und werde immerhin mit einer Kaffeemaschine für den Herd belohnt. Nachmittags mache ich einen kleinen Spaziergang durchs Viertel und passiere etliche Entsorgungsaktionen. Vor den Häusern, an den Ecken, neben den Mülleimern: überall aussortierte Gegenstände. Säcke mit Bettzeug und Kleidung, auseinanderfallende Möbelstücke, ein paar verranzte Matratzen, Kisten mit Büchern, dazwischen gelegentliches Küchengerät. Am Ende drücke ich mich ein paar Minuten neben einer der Bücherkisten herum und eigne mir noch einen Stadtführer für Zugezogene an. Ich weiß nicht, ob die Second-Hand-Kultur in den USA vor der Krise auch schon so ausgeprägt war, oder ob die Not Menschen erfinderisch macht - es scheint aber gut zu funktionieren.

Danach setze ich mich, zum ersten Mal seit zwei Wochen, wieder an einen Schreibtisch und befasse mich mit den Sachen, für die ich eigentlich hier bin.

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Donnerstag, 30. August 2012
Settled
Ich habe Entscheidungen getroffen. Das Lehrgeld der ersten Woche war teuer, aber ich bin ja lernfähig und habe an meiner Entscheidungsfreude gearbeitet. Beim nächsten passablen Angebot, das mir unterkam, habe ich den Sack – für meine Verhältnisse – in der Rekordzeit von 4 Stunden zugemacht. Seither habe ich mich weiter verbessert, auf nur noch 4 Minuten.

Mit der Erkenntnis im Gepäck, daß von meinen fünf Wunschkriterien maximal drei realisierbar sein würden, lief ich bei John und Matt auf. Die beiden sind in meinem Alter, haben allerdings im Gegensatz zu mir nach dem Studium vernünftige Jobs angetreten. Sie wohnen in einem hübschen Haus, mit Veranda dahinter, sehr sauber, und haben ein unmöbliertes Zimmer zu vergeben. Von fünfzehn Emailanfragen auf ihre sehr knapp gehaltene Anzeige fanden sie, nur zwei Personen „had their things together“ - darunter ich. Wir plauderten ein bißchen, besprachen die Eckpunkte des Mietvertrags und gingen auseinander in dem Gefühl, das könne durchaus passen. Ich allerdings wünschte – wie üblich – Bedenkzeit, die beiden wiederum wollten den zweiten Kandidaten noch sichten. Nach kaum zwanzig Minuten, ich hatte mir gerade zur Feier des Tages einen geeisten Kaffee geleistet, klingelte das Telefon. John ließ mich wissen, der andere Typ sei nicht ihr Ding, wenn ich wolle, sei das Zimmer meins. Drei Stunden später sagte ich zu.

Am nächsten Tag noch eine Besichtigung, wieder katastrophal, dafür sehr gut fürs Gefühlsleben, weil "open house". Ich traf etliche andere Wohnungssuchende und konnte endlich einmal mein Leid mitteilen und teilen, war danach aber nur noch überzeugter, daß die Entscheidung für John und Matt richtig war. Umso dringender wollte ich die Übereinkunft definitiv machen, von Panik getrieben, daß man mir ein weiteres Mal absagen könne. John war verhindert, aber Matt hatte Zeit, eine Stunde später tauschten wir Kaution in bar gegen Schlüssel. Bis auf weiteres werde ich also mit "zwei all-american boys" zusammenwohnen. John hat eine große Flagge über dem Bett hängen, Matt freut sich schon darauf, mich zu Hockey- und Baseballspielen mitzunehmen. Beide sind „so excited and looking forward to flatsharing“ mit mir. Sie haben zwar nur normale Autos, keine Trucks, aber gerne helfen sie mir beim Möbelschleppen. Sie schicken der panischen Deutschen sogar noch abends um zehn freundliche und beruhigende SMS.

Am nächsten Morgen führte mein erster Gang mich dennoch wieder zu Craigslist: Möbel kaufen. Das war nicht im Budget eingeplant, aber egal. Ich habe das hier noch nie gemacht, wohl aber Freunde damals in Washington, und was andere können, das kann ich auch. Um halb elf sah ich eine Anzeige für eine komplette Zimmerausstattung – nicht mein Traumdesign, aber auch nicht völlig häßlich. Um kurz nach elf verabredete ich mich mit der Besitzerin, brach auf, verfuhr mich, mußte noch mal nach Hause, kam um 12 Uhr schweißgebadet am andere Ende der Stadt an. Möbel in Ordnung, Preis runtergehandelt, Handschlag drauf, Anzahlung, erledigt. 4 Minuten. Das Fahrrad der Mitbewohnerin der Verkäuferin aus dem Keller (mit Helm und Schloß) nahm ich ebenfalls gleich und werde demnächst der größte Lacher der hieisigen Straßen sein: BMX-Rad (habe ich nunmehr) mit Körbchen (ist der Plan). Niemals nämlich werde ich mich im Alltag mit einem Rucksack abgeben - und wo sonst sollte ich mein Handtäschchen hintun?

Weiterhin einigten wir uns auf etliche Teile Bettzeug. Bettzeug, das hört sich trivial an – ist aber eine Wissenschaft für sich. Das amerikanische Standardbett wird nämlich völlig anders bezogen als zu Hause. Die Oberdecke bleibt praktisch immer liegen – gewechselt werden lediglich die „sheets“. Selbige kann man im Paket kaufen: 1-2 Kopfkissebezüge, ein Spannbettuch und ein bettlakenartiges „flat sheet“ im Paket kosten ab 25 USD aufwärts. Im Zweifel wird dabei der flat sheet straff zwischen Matratze und Auflagen festgesteckt, und nachts zwängt man sich buchstäblich zwischen die Laken. Nicht mein Ding, weder will ich mich zwängen, noch will ich ein Jahr die gleiche Oberdecke sehen. Ich möchte mich im kalten Neuenglandwinter in ein Federbett einwickeln und das kann ich demnächst auch: 200x200. Ha! Dieser Luxus wäre mir im Laden zu teuer gewesen (zu selten, daher fast nur hochpreisige Produkte verfügbar) - umso besser, daß die ausziehenden Damen hierbei aushelfen konnten, und zwar sogar mit Bettwäsche in meiner Wunschfarbe.

Die nächste Hürde: der Umzug. Davon dann morgen.

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Dienstag, 28. August 2012
Auf ein Neues.
Ich wußte immer, daß die USA anders sind als Europa, oder wenigstens wußte ich das, seit ich das erste Mal länger da war. Dennoch unterschätze ich die Andersartigkeit jedes Mal wieder und falle aus allen Wolken, wenn ich ankomme. Meine Ankünfte sind ein bißchen wie Super Mario auf dem Game Boy: jedes Mal ein neues Level. Das erste Mal war ein Rundum-Sorglos-Paket, ich mußte mich um nichts kümmern. Das zweite Mal, der Besuch einer Freundin, war schon anstrengender, weil die Freundin nicht eben die bestorganisierteste Person war.

Nummer drei, vor fast vier Jahren in Washington, erforderte schon einige Organisation. Tatsächlich fand ich den Gedanken, in einem fremden Land, so weit weg, eine Wohnung finden zu müssen, ziemlich beängstigend, aber am Ende lief es erstaunlich einfach: Ein paar Tage Anzeigen auf Craigslist gelesen, fünf Mails geschrieben, drei Antworten bekommen, mit einer davon einig geworden. Es war eine Bauchentscheidung, gemeinsame berufliche Interessen, passable Fotos, bequemes Arrangement (mit Bettwäsche und so) – also habe ich zugeschlagen. Erst rückblickend begreife ich, was für ein unglaublicher Glücksfall das war.

Nunmehr sind wir auf Level vier angekommen, und das Glück ist nicht mit mir bei diesem Unterfangen (ich will ja nicht jammern, aber: es ist schon länger nicht mit mir, und hätte ich die letzten Monate gebloggt, es wäre ein einziges wortreiches Jammertal gewesen). Immerhin, ich habe ein Visum, eine vorrübergehende Unterkunft, sogar ein Leihfahrrad und bin wohlbehalten angekommen – aber meine größte Sorge ist, daß ich ab nächstem Freitag obdachlos bin.

Schon vor Wochen habe ich begonnen, Anzeigen auf Craisglist zu durchsuchen und knappe, präzise, aber freundliche Mails zu schreiben. Knapp ist nicht gut, dämmerte mir recht schnell. Ich legte mir eine spezielle Emailadresse zu, mit der ich meine Bemühungen nunmher als Nebeneffekt großartig beaufsichtigen kann (125 verschickte Anfragen, 39 Antworten) und schrieb ausführlicher über mich selbst. Es half nichts. Die Antwortquote dümpelte bei 10% vor sich hin, davon wiederum 5 % umgehende Absagen, 4,5 % Absagen nach einigen Mails und Überlegungen, mal auf Skype zu telefonieren. Ich entschied (nach Rücksprache mit versierten Freunden), daß das auf die Entfernung aussichtslos sei, konzentrierte mich aufs Kofferpacken, und startete eine Woche vor meiner Ankunft den nächsten Versuch, meine baldige physische Anwesenheit ankündigend. Ohne Ergebnis.

Seither, gebe ich zu, hat sich die Antwortquote drastisch verbessert (immerhin von 10 % auf 30 % ). Ich verbringe nunmehr meine Tage damit, bei 30 Grad im Schatten auf einem klapprigen Rad über Straßen zu holpern, die auch Kinshasa Ehre machen würden. Zwischen den Fahrradtouren besichtige ich vorwiegend trostlose Buden. In manchen sind die Möbel so heruntergekommen, daß ich Depressionen kriege. In anderen sieht es aus, als wäre eine Bombe aus Staubsaugerbeuteln, Lebensmittelpackungen und Kleidungsstücken explodiert. In wieder anderen fällt so wenig Licht durch die Fenster, daß auch tagsüber eine Lampe notwendig wäre. Manche Leute machen gar nicht erst die Tür auf, andere sind nicht willens, am Telefon auch nur grundlegende Auskünfte zu erteilen (ich will doch wenigstens wissen, wofür ich mich 30 Minuten durch die Stadt quäle). In einem Fall war eine Familie gerade im Auszug begriffen, es roch durchdringend nach alten Lebensmitteln, die Zimmer völlig chaotisch, auf Rückfrage nach den weiteren Bewohnern: die Mutter des etwa 45-jährigen Vermieters. Aha. Die „moderne Küche“ war so dreckig, daß man aus den Resten in den Ecken eine Mahlzeit hätte kochen können. Interessant auch die Arrangements, wo die potentiellen Mitbewohner von 90 qm für 4 Personen so desinteressiert sind, daß sie die Auswahl komplett den Vermieterin überlassen, oder sich zur Besichtigung jedenfalls nicht blicken lassen.

Und das sind nur die normalen Anzeigen. Nicht diejenigen, wo ein „artist“ wünscht, daß sich eine „clothing optional atmosphere“ einstellt, so die Witterungsverhältnisse erlauben. Nicht die 40-jährige Aktivistin mit strengen Hausregeln, deren Anzeige jeden Morgen unter neuem Namen auftaucht. Auch nicht die beiden DJ-Jungs, 420-friendly (googeln Sie das mal), die zwar gerne Musik machen, aber ganz bestimmt nicht laut und nicht spät nachts. Oder der junge Mann mit dem „well-toned muscular body“, der sich eine Mitbewohnerin für „family atmosphere“ wünscht, in Astrophyisk dilettiert, bitte mit Bild, falls ihm selbiges gefällt, würde er antworten, „but not if you're more than 45 that's too old“.

Nein, ich erwäge ja überhaupt nur Anzeigen, die sich vernünftig und vielversprechend anhören, normale Menschen mit normalen Interessen. Zugegebenermaßen, den Inder, der während einer Europareise seiner jungen Ehefrau eine Mitbewohnerin zur Seite stellen möchte für ihr „luxury apartment“ mit Jacuzzi, das würde ich ernsthaft erwägen. Man muß ja flexibel sein. Aber selbst bei normalen Leuten erwarten einen Überraschungen.

Ich bin zugegebenermaßen keine Freundin schneller Entschlüsse, schon gar nicht, wenn es um essentielle Fragen wie mein Zuhause für die nächsten Monate geht. Da würde ich gerne eine Nacht, oder wenigens einen halben Tag in mich gehen. Ich bin andererseits ehrlich genug, daß ich nicht zusagen möchte, und dann im Nachhinein wieder zurückziehen – also sage ich, ich nehme die Wohnung fast mit Sicherheit, erbitte nur einen halben Tag Bedenkzeit. Daß der Markt (mit viel Nachfrage und begrenztem Angebot) diese Karenzzeit nicht zuläßt habe ich auf die bittere Art begriffen, als die Wohnung vier Stunden später weg war – als ich endgültig zusagen wollte. Beim nächsten Mal habe ich noch definitiver zugesagt, mein Dilemma erklärt und gebeten: wenn jemand anderes kommt, der das Zimmer will, dann ruf bitte an – ich will die Wohnung eigentlich. Ich brauche nur eine Stunde für mich, aber ich melde mich nachher. Die potentielle Mitbewohnerin war verständnisvoll, sagte mir zu, bestätigte, sie finde wir passten gut zusammen, ich sei eine gute Wahl. Im gegenseitigen Einverständnis gingen wir auseinander. Ich rief zwei Stunde später wie versprochen an – das Einverständnis war weg. Sie würde morgen noch einige andere Interessenten treffen, mir aber eventuell dann mittags die Bewerbungsunterlagen für den Vermieter schicken. Dazu kam es allerdings nie.

Die jungen Leute, die morgens in Antwort auf meine Mail (auf ihre Anzeige hin) anriefen und mir später einen Termin für den nächsten Tag mitteilen wollten – nie wieder von gehört (obwohl ich ausdrücklich um eine Absage gebeten hatte). Die Erfahrung zeigt: alles, was nicht umgehend funktioniert ist aussichtslos. Es scheint, als würde man hier permanent alles zusagen, nur um dann einen Rückzieher zu machen, wenn es etwas passenderes auftaucht.

Dafür hat mir jemand anderes – sehr knappe Anzeige – ein sonderbares Angebot unterbreitet, bei dem ich für vergleichsweise wenig Geld den reinsten Palast bekäme, während er im abenteuerlichen Asien weilt – er habe allerdings Schlüssel und Dokumente wegen überstürzter Abreise nirgendwo hinterlegen können, die Wohnung stünde dann mir alleine zur Verfügung, ich möchte bitte antworten bzgl. der Verträge. Wie ich in die Wohnung reinkommen soll, wenn die Schlüssel bei ihm in Asien sind, und warum er überhaupt eine solche Residenz für einen Notgroschen vermietet, das ganze noch für unspezifierte Dauer – sehr sonderbar. Es ist schon komisch genug, im Moment im Bett der Freundin einer Freundin zu schlafen, ohne die Person jemals getroffen zu haben – im Bett eines völlig Unbekannten zu schlafen wäre allerdings noch sonderbarer. Aber vielleicht wird das ja die ultimative Verzweiflungstat der krönende Abschluß meiner Wohnungssuche im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.

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