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Jetzt also Schweiz
Die Fahrt mit der Deutschen Bahn war, wie zu erwarten, ätzend. Der ICE hatte Verspätung, die Angst um den Anschlußzug in Basel trieb mich im Schweinsgalopp die Rampe in Kassel hoch zum Infopoint. Anliegen vorgetragen.
Infotante fragt: Sie möchten also andere Anschlüsse in Basel?
Ich: Ja. Mit zwanzig Minuten Verspätung werde ich wohl den Anschluß nach fünfzehn Minuten nicht schaffen. Schließlich ist die Schweizer Bahn im Gegensatz zur Deutschen pünktlich.
Tante: Ja. Das habe ich gehört.
Ich: Ich kann Ihnen bestätigen: es ist so.
Tante: Ach? Bitte, hier Ihre Verbindungen, da geht 'ne halbe Stunde noch ein Zug.
Ich: Danke.
Reservierung mit Tisch, Gangplatz, im Ruheabteil, leider keine Ruhe. Neben mir zwei alte Schachteln, die sich zwischen Ihren Thermoskannen, Kreuzworträtseln in der Senioren-Bravo und feministischer Literatur häuslich eingerichtet hatten und ohne Unterlaß ihren gesamten Bekanntenkreis durchhechelten. Zur linken ein Großelternpaar mit Enkel bei Butterbrotdosen und Skat. Zu allem Überfluß eine Zugbegleiterin, die jeden Bummelzug an jeder Hundehütte der Strecke nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch ausplärrte – also ununterbrochen sprach -, nur den Satz „Wir entschuldigen uns für die Ihnen entstandenen Unannehmlichkeiten und wünschen Ihnen trotzdem noch einen schönen Tag und gute Weiterreise“, den brachte Sie auf Englisch nicht zustande, war wohl zu kompliziert. In Basel war ein Teil der Verspätung wieder aufgeholt, ich galoppierte mit meinen drei Gepäckstücken über den Bahnsteig, warf mich in den nächsten Zug. Fragte andere Passagiere: Nach Zürich? Ja, nach Zürich. Erst nach kurzer Kontemplation des für einen IC zu schäbigen Interieurs dämmerte mir, daß es doch der falsche Zug war, rausgestürzt, mit dem Hintern schmerzhaft Bekanntschaft mit den Treppenstufen gemacht, keine Zeit zu verschnaufen, endlich doch noch der richtige Zug, gerade rechtzeitig. Pünktlich, natürlich. Außerdem abendlicher Sonnenschein, freundliche Schaffner und viele hilfsbereite Hände für mein Gepäck. Ich verstehe die Schweizer vielleicht nicht, aber ich mag sie trotzdem.
Am Zielort reichte mein Vorrat an Franken so gerade fürs Taxi, der fürsorgliche Mitbewohner hatte den Schlüssel bei den Nachbarn deponiert, die mir erstens eine kurze Einweisung gaben, zweitens eine Wohnung im Anschluß ab April anboten und drittens mich in die Stadt mitnahmen: verkaufsoffener Donnerstagabend, Stromkabel für Rechner erstanden. Hat sich in Washington bewährt, für ein so essentielles Arbeitsgerät wie den Rechner nicht mit Adaptern zu hantieren, sondern einfach ein passendes Kabel an den Trafo zu hängen und funktioniert wunderbar. Zur Feier des Tages habe ich mich selbst auf ein köstliches Focaccia und ein Glas Rotwein eingeladen, meinen Eichendorffer Taugenichts ausgelesen und habe auf dem Heimweg, nun ja, sagen wir: eine Abkürzung über die Treppen genommen. Dauerte kaum länger als mit Nachbar auf dem Hinweg.
Koffer ausgepackt, Bett bezogen, Fotos aufgestellt, festgestellt: das Zeug, das meine grauen Haare unsichtbar macht, ist ausgelaufen. Fragen Sie mich nicht, wie das in einem Hartschalenkoffer passieren kann, jedenfalls konnte ich es ja nicht einfach wieder wegstellen, also abends noch Haare geschönt. Und gezittert, ob das Zeug vielleicht schon im Koffer reagiert hat und ich morgen mit grünen Haaren bei den neuen Kollegen vorstellig werde. Alles gut gegangen (das Glück ist mit den Dummen). Hoffe, daß es immerhin meinem Ansehen als Studentin dienlich sein wird.
Ab morgen berichte ich also aus einer universitären Elitessenhochburg. Von einigen mopsigen Pfunden zuviel auf den Rippen füge ich mich hier optisch wunderbar ein und kann, derart getarnt, gewissermaßen incognito recherchieren. Wir werden ja sehen, ob das Volk hier genauso unterhaltsam ist wie die Kongolesen.
Infotante fragt: Sie möchten also andere Anschlüsse in Basel?
Ich: Ja. Mit zwanzig Minuten Verspätung werde ich wohl den Anschluß nach fünfzehn Minuten nicht schaffen. Schließlich ist die Schweizer Bahn im Gegensatz zur Deutschen pünktlich.
Tante: Ja. Das habe ich gehört.
Ich: Ich kann Ihnen bestätigen: es ist so.
Tante: Ach? Bitte, hier Ihre Verbindungen, da geht 'ne halbe Stunde noch ein Zug.
Ich: Danke.
Reservierung mit Tisch, Gangplatz, im Ruheabteil, leider keine Ruhe. Neben mir zwei alte Schachteln, die sich zwischen Ihren Thermoskannen, Kreuzworträtseln in der Senioren-Bravo und feministischer Literatur häuslich eingerichtet hatten und ohne Unterlaß ihren gesamten Bekanntenkreis durchhechelten. Zur linken ein Großelternpaar mit Enkel bei Butterbrotdosen und Skat. Zu allem Überfluß eine Zugbegleiterin, die jeden Bummelzug an jeder Hundehütte der Strecke nicht nur auf Deutsch, sondern auch auf Englisch ausplärrte – also ununterbrochen sprach -, nur den Satz „Wir entschuldigen uns für die Ihnen entstandenen Unannehmlichkeiten und wünschen Ihnen trotzdem noch einen schönen Tag und gute Weiterreise“, den brachte Sie auf Englisch nicht zustande, war wohl zu kompliziert. In Basel war ein Teil der Verspätung wieder aufgeholt, ich galoppierte mit meinen drei Gepäckstücken über den Bahnsteig, warf mich in den nächsten Zug. Fragte andere Passagiere: Nach Zürich? Ja, nach Zürich. Erst nach kurzer Kontemplation des für einen IC zu schäbigen Interieurs dämmerte mir, daß es doch der falsche Zug war, rausgestürzt, mit dem Hintern schmerzhaft Bekanntschaft mit den Treppenstufen gemacht, keine Zeit zu verschnaufen, endlich doch noch der richtige Zug, gerade rechtzeitig. Pünktlich, natürlich. Außerdem abendlicher Sonnenschein, freundliche Schaffner und viele hilfsbereite Hände für mein Gepäck. Ich verstehe die Schweizer vielleicht nicht, aber ich mag sie trotzdem.
Am Zielort reichte mein Vorrat an Franken so gerade fürs Taxi, der fürsorgliche Mitbewohner hatte den Schlüssel bei den Nachbarn deponiert, die mir erstens eine kurze Einweisung gaben, zweitens eine Wohnung im Anschluß ab April anboten und drittens mich in die Stadt mitnahmen: verkaufsoffener Donnerstagabend, Stromkabel für Rechner erstanden. Hat sich in Washington bewährt, für ein so essentielles Arbeitsgerät wie den Rechner nicht mit Adaptern zu hantieren, sondern einfach ein passendes Kabel an den Trafo zu hängen und funktioniert wunderbar. Zur Feier des Tages habe ich mich selbst auf ein köstliches Focaccia und ein Glas Rotwein eingeladen, meinen Eichendorffer Taugenichts ausgelesen und habe auf dem Heimweg, nun ja, sagen wir: eine Abkürzung über die Treppen genommen. Dauerte kaum länger als mit Nachbar auf dem Hinweg.
Koffer ausgepackt, Bett bezogen, Fotos aufgestellt, festgestellt: das Zeug, das meine grauen Haare unsichtbar macht, ist ausgelaufen. Fragen Sie mich nicht, wie das in einem Hartschalenkoffer passieren kann, jedenfalls konnte ich es ja nicht einfach wieder wegstellen, also abends noch Haare geschönt. Und gezittert, ob das Zeug vielleicht schon im Koffer reagiert hat und ich morgen mit grünen Haaren bei den neuen Kollegen vorstellig werde. Alles gut gegangen (das Glück ist mit den Dummen). Hoffe, daß es immerhin meinem Ansehen als Studentin dienlich sein wird.
Ab morgen berichte ich also aus einer universitären Elitessenhochburg. Von einigen mopsigen Pfunden zuviel auf den Rippen füge ich mich hier optisch wunderbar ein und kann, derart getarnt, gewissermaßen incognito recherchieren. Wir werden ja sehen, ob das Volk hier genauso unterhaltsam ist wie die Kongolesen.
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Erinnerungen auf Papier
damenwahl | 14. Februar 10 | Topic 'Liebschaften'
Ich habe mich gestern einer, obwohl vergnüglichen, doch lange aufgeschobenen Aufgabe gewidmet und Fotos eingeklebt. Zweihundert Bilder von Pyramiden, Wüste, und ägyptischem Verkehrschaos, dazwischen Bekanntschaften aus aller Welt und natürlich ich. Wenn ich nicht wenigstens gelegentlich die Kamera Fremden in die Hand drücke und mich selbst fotografieren lasse, ist meine Mutter enttäuscht, das ist also Pflicht. In einer Mischung aus verstocktem Anachronismus, Festhalten an Familientraditionen und Pedanterie habe ich meine Bilder stets in Fotoläden auf der ganzen Welt getragen und entwickeln lassen, gebe gutes Geld für große Alben aus und klebe alles hübsch ein, sammele auch Eintrittskarten und Bahntickets und versehe die Seiten mit Anmerkungen und Beschreibungen.
Ich muß etwa acht oder zehn Jahre alt gewesen sein, als meine Eltern mir einefür heutige Verhältnisse riesige kleine, rote, grau abgesetzte Olympus Kompaktkamera schenkten, die mich bis 2006 treu begleitete, in ferne Länder wie auch in provinzielle Universitätsstädtchen. In 2005 hatte ich meinem damaligen Liebsten zum Geburtstag einen Tag mit seinen Lieblingstieren – Tapiren – im Zoo geschenkt und begegnete am Eingang einem kleinen Jungen mit dem gleichen Modell, allerdings in grau mit rot abgesetzt. Ich zog meine Kamera hervor und erklärte: guck, die habe ich auch, aber meine ist rot und schöner. Er erwiderte beleidigt, daß seine selbstverständlich schöner sei und wir trennten uns ohne Einigung. Danach war die Kamera noch mit mir in Marokko und schenkte mir um Längen bessere Bilder als die teuren Digitalmodelle diverser Besucher, das allerdings war das Ende unserer langjährigen Beziehung – kurz danach ging nichts mehr. Ich probierte diverse Digitalkameras aus, wurde der Schrecken der lokalen Fotofachhändler, wenn ich nach wenigen Tagen die Kameras mit Probebildern zurückbrachte und einwandfrei zeigen konnte, daß meine alten Bilder vom Film qualitativ besser waren. Am Ende kaufte ich eine gebrauchte APS Kamera im Internet für lächerliche 15 Euro, die mich nach Ägypten begleitete. Inzwischen besitze ich auch noch eine wunderbare Spiegelreflexkamera, mit der ich kaum umgehen kann, die aber sogar meine Idiotenfehler verzeiht und mich mit schönen Bildern beehrt, deren ordnungsgemäße Archivierung auf Papier mein nächstes Projekt ist. Künstlerischen Wert können meine Bilder – wie Sie vermutlich schon gemerkt haben – nicht beanspruchen, alle Baudenkmäler und malerischen Aussichten dieser Welt sind schon tausend Mal von besseren Fotografen als mir für die Nachwelt festgehalten worden und da ich meist allein reise, bin ich auch eher selten vor den fraglichen Sehenswürdigkeiten auf den Bildern zu sehen. Trotzdem mache ich fleißig Fotos, obwohl ich fotografieren eigentlich gar nicht mag. Im besten Fall hat es etwas lächerlich Touristisches, im schlechten wirkt man wie ein Voyeur und in jedem Fall zieht man – gerade abseits der Sehenswürdigkeiten – Aufmerksamkeit auf sich, was ich ebenfalls nicht mag. Ich arbeite aber nicht nur pflichtschuldigst Denkmäler ab, ich fotografiere auch den verhungerten Esel auf der Straße, den Schuttberg auf dem Souk, und die bunt eingefärbten Küken auf dem Markt. Ich möchte auch das Ungewöhnliche, sogar das Häßliche und Traurige festhalten und wenigstens jene Menschen, die ich näher kennenlerne. Bei Unbekannten traue ich mich nicht, auch wenn es da viel zu bewahren gäbe. Ich tue das nicht für meine Eltern mit ihren bescheidenen Ansprüchen, hier würde ein schönes Bild von mir am Strand reichen, um der Mutterliebe zu genügen. Noch viel weniger tue ich es, um nach der Heimkehr Freunde und Bekannte stundenlang vor das Album oder den Rechner zu zwingen und in einer Tour de Force endlos von Anekdoten und Errungenschaften zu berichten. Ich fotografiere für mich, für mich ganz allein.
Irgendwann werde ich alt sein und meine grauen Haare nicht mehr zählen noch ausreißen können, ich werde dann vermutlich mit einer jämmerlichen Rente in einer kleinen Wohnung sitzen an einem Ort, der auf der Liste meiner Wunschdestinationen nicht eingeplant war. Ich werde zu klapprig sein, um selbst mit Rollator den Weg zum Lebensmittelladen bewältigen zu können und die moderne Kommunikation wird mich mit Lichtgeschwindigkeit auf der rechten Spur überholt haben, während ich mit den weit entfernt lebenden Weggefährten meiner unternehmungslustigen Jahre in traurigen e-Mails vergangenen Zeiten nachhängen werde. Damals, als wir noch jung und dynamisch waren... .
Wenn es so weit ist, werde ich mich an meine Bilder denken, die Fotoalben herausholen und mich erinnern. Werde milde lächeln beim Gedanken an kindliche Sorgen während der Schulzeit, wie bedeutsam mir Nichtigkeiten schienen, wie wunderbar sich gefühlte Katastrophen in Wohlgefallen auflösten. Werde noch einmal die Aufregung des ersten Langestreckenflugs spüren, die Erwartung gegenüber dem Fremden, die Neugier und Naivität der Jugend, die ich mir hoffentlich so lange wie möglich bewahren werde. Vor allem aber werde ich stundenlang die Bilder von Marokko und Ägypten, von New York und Kinshasa und all den Orten, an denen ich noch leben möchte, studieren und mich über mein eigenes Leben wundern. Die Weite der Wüste wird so unendlich fern sein von den Beschränkungen meiner kleinen Wohnung, die Trümmer und das Chaos von Kinshasa werden wie aus einer anderen Zeit wirken. Ganz gleich, ob Afrika bis dahin auf die Füße gekommen ist oder endgültig zum vergessenen Kontinent wurde, ich werde zurückdenken, wie ich heute nicht weiß, was die Zukunft bringen wird, aber irgendwann wird sie da sein und ich werde vergleichen können – meine Erwartungen, und was wirklich kam.
Und wenn ich so in meinem Sessel sitze, die Füße in eine Wolldecke gewickelt, sabbernd und Tee aus einer Schnabeltasse nuckelnd, werde ich hoffentlich befinden, daß mein Leben gut war. Daß ich so viel möglich gesehen , so viel wie möglich gemacht habe, keine Chancen ausgelassen, keine Reise verpasst habe. Ich werde das schimmernde Perlmuttblau des Himmels über Kinshasa mit dem eisigen Stahlblau des Himmels über den Alpen vergleichen und mich daran erfreuen, beides gesehen zu haben. Nicht nur auf Bildern und in Filmen, nicht nur touristisch auf der Durchreise sondern so richtig. Egal wie kosmopolitisch der Mensch auch sein mag, als Tourist oder Besucher fällt er immer auf und bleibt ein Fremdkörper auf den Straßen – von der Sorte, die von fliegenden Händlern und Straßenkindern umlagert und bekniet wird. Je fremder das Land, desto unmöglicher ist es, jemals mit dem Leben dort zu verschmelzen, aber wenn man eine Weile bleibt, sich niederläßt, einen Ort zu Hause nennt, und die Sprache lernt, kommt der Tag, an dem man immerhin ein unauffälliger, geduldeter Beobachter werden kann. Man steht am Straßenrand und kann in Ruhe zusehen, ist gesättigt mit Touristischem und offen für den Alltag und die Kleinigkeiten und das ist das Beste, was man erwarten kann. Dann beginnt man, nicht nur touristische Sehenswürdigkeiten und präsentable Anekdoten für die Daheimgebliebenen zu sammeln, sondern Erinnerungen für sich selbst. Momente, die man nie mit jemandem teilen wird. Man legt die Kamera beiseite und versucht nicht, das Unsichtbare, Einmalige zwanghaft einfangen zu wollen, sondern genießt den Moment und speichert die Bilder auf der Festplatte im Kopf, nicht auf dem Chip in der Kamera. Und hat im Alter ein Geflecht aus Brücken über die Abgründe des Lebens. Die gelebten Ereignisse werden mir irgendwann ein schmaler Steg zu den verpassten Gelegenheiten und Enttäuschungen sein, die ich nirgendwo festhalten konnte. Die papierenen Bilder werden solide Steinbogen sein zu jenen Momenten, die nur in meinem Gedächtnis existieren. Von den Personen und Sehenswürdigkeiten der Bilder werde ich mich wie an Seilen zu Gesprächen und Gefühlen hangeln können, die ich vergessen glaubte. Und alles zusammen wird ein Schatz an Erinnerungen sein, der mir über die langen Jahre der Vergreisung und zunehmender Einsamkeit hinweghelfen wird. In meinem nachlassenden Gedächtnis werden die Orte, Menschen und Ereignisse langsam im Nebel verschwinden, aber die Fotos werden meine Brücke sein und mir lebhafter und unmittelbarer als jedes geschriebene Wort in Erinnerung rufen, daß es bessere Zeiten gab, daß ich mein Leben genutzt habe, so gut ich irgend konnte, solange ich konnte.
Ich muß etwa acht oder zehn Jahre alt gewesen sein, als meine Eltern mir eine
Irgendwann werde ich alt sein und meine grauen Haare nicht mehr zählen noch ausreißen können, ich werde dann vermutlich mit einer jämmerlichen Rente in einer kleinen Wohnung sitzen an einem Ort, der auf der Liste meiner Wunschdestinationen nicht eingeplant war. Ich werde zu klapprig sein, um selbst mit Rollator den Weg zum Lebensmittelladen bewältigen zu können und die moderne Kommunikation wird mich mit Lichtgeschwindigkeit auf der rechten Spur überholt haben, während ich mit den weit entfernt lebenden Weggefährten meiner unternehmungslustigen Jahre in traurigen e-Mails vergangenen Zeiten nachhängen werde. Damals, als wir noch jung und dynamisch waren... .
Wenn es so weit ist, werde ich mich an meine Bilder denken, die Fotoalben herausholen und mich erinnern. Werde milde lächeln beim Gedanken an kindliche Sorgen während der Schulzeit, wie bedeutsam mir Nichtigkeiten schienen, wie wunderbar sich gefühlte Katastrophen in Wohlgefallen auflösten. Werde noch einmal die Aufregung des ersten Langestreckenflugs spüren, die Erwartung gegenüber dem Fremden, die Neugier und Naivität der Jugend, die ich mir hoffentlich so lange wie möglich bewahren werde. Vor allem aber werde ich stundenlang die Bilder von Marokko und Ägypten, von New York und Kinshasa und all den Orten, an denen ich noch leben möchte, studieren und mich über mein eigenes Leben wundern. Die Weite der Wüste wird so unendlich fern sein von den Beschränkungen meiner kleinen Wohnung, die Trümmer und das Chaos von Kinshasa werden wie aus einer anderen Zeit wirken. Ganz gleich, ob Afrika bis dahin auf die Füße gekommen ist oder endgültig zum vergessenen Kontinent wurde, ich werde zurückdenken, wie ich heute nicht weiß, was die Zukunft bringen wird, aber irgendwann wird sie da sein und ich werde vergleichen können – meine Erwartungen, und was wirklich kam.
Und wenn ich so in meinem Sessel sitze, die Füße in eine Wolldecke gewickelt, sabbernd und Tee aus einer Schnabeltasse nuckelnd, werde ich hoffentlich befinden, daß mein Leben gut war. Daß ich so viel möglich gesehen , so viel wie möglich gemacht habe, keine Chancen ausgelassen, keine Reise verpasst habe. Ich werde das schimmernde Perlmuttblau des Himmels über Kinshasa mit dem eisigen Stahlblau des Himmels über den Alpen vergleichen und mich daran erfreuen, beides gesehen zu haben. Nicht nur auf Bildern und in Filmen, nicht nur touristisch auf der Durchreise sondern so richtig. Egal wie kosmopolitisch der Mensch auch sein mag, als Tourist oder Besucher fällt er immer auf und bleibt ein Fremdkörper auf den Straßen – von der Sorte, die von fliegenden Händlern und Straßenkindern umlagert und bekniet wird. Je fremder das Land, desto unmöglicher ist es, jemals mit dem Leben dort zu verschmelzen, aber wenn man eine Weile bleibt, sich niederläßt, einen Ort zu Hause nennt, und die Sprache lernt, kommt der Tag, an dem man immerhin ein unauffälliger, geduldeter Beobachter werden kann. Man steht am Straßenrand und kann in Ruhe zusehen, ist gesättigt mit Touristischem und offen für den Alltag und die Kleinigkeiten und das ist das Beste, was man erwarten kann. Dann beginnt man, nicht nur touristische Sehenswürdigkeiten und präsentable Anekdoten für die Daheimgebliebenen zu sammeln, sondern Erinnerungen für sich selbst. Momente, die man nie mit jemandem teilen wird. Man legt die Kamera beiseite und versucht nicht, das Unsichtbare, Einmalige zwanghaft einfangen zu wollen, sondern genießt den Moment und speichert die Bilder auf der Festplatte im Kopf, nicht auf dem Chip in der Kamera. Und hat im Alter ein Geflecht aus Brücken über die Abgründe des Lebens. Die gelebten Ereignisse werden mir irgendwann ein schmaler Steg zu den verpassten Gelegenheiten und Enttäuschungen sein, die ich nirgendwo festhalten konnte. Die papierenen Bilder werden solide Steinbogen sein zu jenen Momenten, die nur in meinem Gedächtnis existieren. Von den Personen und Sehenswürdigkeiten der Bilder werde ich mich wie an Seilen zu Gesprächen und Gefühlen hangeln können, die ich vergessen glaubte. Und alles zusammen wird ein Schatz an Erinnerungen sein, der mir über die langen Jahre der Vergreisung und zunehmender Einsamkeit hinweghelfen wird. In meinem nachlassenden Gedächtnis werden die Orte, Menschen und Ereignisse langsam im Nebel verschwinden, aber die Fotos werden meine Brücke sein und mir lebhafter und unmittelbarer als jedes geschriebene Wort in Erinnerung rufen, daß es bessere Zeiten gab, daß ich mein Leben genutzt habe, so gut ich irgend konnte, solange ich konnte.
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Winterreise
Neulich war ich im Feld laufen und glaubte mich fast in einer fremden Welt. Meine Familie fragte leicht ungläubig, ob ich das wirklich riskieren wolle angesichts des Zustands der Wege, woraufhin ich nichtsahnend fröhlich erklärte: die Strecke sei ja komplett geteert, wie solle man da nicht laufen können? Ha! den Feldweg gab es nicht mehr, nur noch einen schmalen sich schlängelnden Pfad aus festgetretenem Schnee und streckenweise nicht mal mehr den. Unterschiedslos waren geteerte, schottrige und grüne Flächen einfach alle weiß, Straßengräben wie aufgeschüttet, der Pfad schlängelte sich zuweilen um Schneeverwehungen herum, wo er sonst geradeaus führte und als ich mich durch den Tiefschnee den Berg hinunter kämpfte, kam ich mir vor wie ein Pferdchen bei der Passage, das tüchtig die Beine anziehen muß. Um mich herum waren alle Formen von kuscheligen Schneekapuzen umgeben, was sonst zackig und eckig wäre war alles rund und weich. Baumstümpfe sehen aus wie riesige Pilze, Holzstapel wie gefederte Matrazen, Bänke wie gepolsterte Sofas. Laufen war herrlich, gelegentlich blendete die Sonne mich fast und ließ Fußstapfen und kleine Erhebungen blau-glitzernde Schatten werfen, ganz selten riß die Wolkendecke auf und der Himmel glänzte leuchtend-blau.
Davon abgesehen möchte ich beinahe um Verzeihung bitten, daß mein Blog derzeit so traurig und orientierungslos vor sich hindümpelt – es folgt dabei leider meinem überaus unaufregenden Leben. Während ich der Zukunft harre, vertrödele ich meine Zeit, gondele von einem Ort zum nächsten und tue nicht viel außer warten –kann daher beklagenswert weniges berichten. Außer natürlich weitere Bahn-Geschichten, aus gegebenem Anlaß. Sollten Sie jemals im Bord Bistro eines Zugs der Bahn eine junge Frau mit untergeschlagenen Beinen sitzen sehen, ganz sicher mit irgendeinem Schal oder Halstuch, diverse Habseligkeiten festungsartig um sich herum aufgebaut, den Laptop vor der Nase und einen Becher Kaffee daneben, dann könnten Sie versuchen, mich zu begrüßen, denn mit einiger Wahrscheinlichkeit bin ich das. Ich sitze fast immer im Bistro – nicht im Restaurant, wohlgemerkt!, im Bistro – ich schlage immer mindestens ein Bein unter und ich habe auch fast immer irgendeinen Schal bei mir, mindestens aber ein Halstuch. Heute: ein grün-rosa Seidentuch, ein pinkfarbener Kaschmirschal, ein grauer Schal überm Mantel. Möglicherweise bin ich auch jene, die schimpft wie ein Rohrspatz oder leicht hysterisch lacht, weil von zehn Zügen in vier Wochen nun der neunte verspätet ist.
Der Zug ist voll, im Durchgang sammeln sich immer mehr Bundis auf dem Fußboden, und im Bistro ist erstaunlich viel los. Mir gegenüber vier Männer, einer etwas älter, die anderen eher jünger als ich, von ihnen drei mit Bier. Während der Ältere beginnt, in seinem Gepäck zu kramen, beginnt sein Bierglas langsam gen Tischkante zu rutschen und der junge Mann daneben (von der Sorte: zu dünn gekleidet, rundum erforen aussehend, aber mit Mütze) lächelt fein und hält es fest, bis sein Banknachbar fertig ist mit kramen. Vor dem letzten Halt saß gegenüber eine ältliche Dame mit Buch – sicherlich Erbauungsliteratur – die es geschafft hat, sogar auf der Innenseite ihres Kaffeebechers pinkfarbenen Lippenstift zu hinterlassen. Keine Ahnung, wie sie das gemacht hat. Außerdem drei halbstarke Jungs, einer sieht etwas verwahrlost aus, einer brav und einer etwas verhuscht. Sonderbare Zusammenstellung, die drei – man sollte nicht meinen, daß sie sehr viel gemein haben. Nach einer Weile nehmen sie Sandwiches mit Teller mit ins Abteil, bringen die leeren Teller aber später artig zurück. Schließlich ist gleichzeitig mit mir – aus dem verspäteten Regionalexpress, dessentwegen wir nun alle verspätet sind – ein junger Mann, noch in Arbeitskleidung, leuchtend besetzt mit neongelben Reflektoren und mit Siemens-ID Kärtchen, eingestiegen. Er hat wuschelige, seitlich aus der Stirn gekämmte, blonde Haare, blaue Augen und sähe aus wie eine zu groß geratene schlaksige Putte, trüge er nicht am linken Auge ein Pflaster, das in seinem Gesicht weiß leuchtet. Alle paar Minuten tippt er auf seinem Handy rum, trotz der derben Kleidung sind seine Finger und Nägel makellos sauber, und lächelt dabei ganz glücklich. Ich stelle mir vor, daß er auf dem Weg ins Wochenende zu seiner Liebsten ist, sich freut, daß der ICE gewartet hat und er zumindest bis auf weiteres pünktlich sein wird. Sie schreibt zurück und freut sich auch und so tauschen die zwei endlos und geduldig Liebeleien und Zärtlichkeiten aus, wie es nur frisch Verliebte tun, und genießen die Vorfreude aufs Wiedersehen, während er sich dem Zielort entgegensehnt. Dem Bahnsteig, auf dem sie schon wartet, etwas hektisch mit den Augen den Zug rauf- und runtersuchend, um ihn nur nicht zu verpassen, wenn er aus dem Zug steigt oder – noch schlimmer – in dem Menschengewusel momentelang zu übersehen. Er hingegen stünde an der Tür ganz vorne, einen Schritt Abstand zum Glas, um besser die Personen auf dem Bahnsteig sehen zu können und dann flöge sie geradezu in seine Arme (wo man ihn doch so gut sieht in der gelben Jacke, die wie ein Schrei all die dunkeln Mäntel ausblenden würde). Andererseits hat der junge Mann besondere, leicht hochgezogene Mundwinkel und so scheint er eigentlich immer leicht amüsiert, vielleicht wohlwollend zu lächeln – und seine Telefon-Fixierung hat nichts zu bedeuten außer der Langeweile des Reisenden ohne Lektüre.
600 km durch Deutschland und alles ist weiß. Im Norden sieht man mehr von der Welt und der Schnee ist es eine etwas schäbige, leicht zerfetzte Decke, nach Süden hin meint man, die Bäume und Sträucher müssten beinahe zusammenbrechen unter der dicken, weißen Last, aber wohin man schaut, auf der gesamten Strecke: Schnee, Schnee, Schnee. Kaum zu fassen, daß die Welt in wenigen Monaten wieder bunt werden wird, daß es gelbe Rapsfelder und Felder und Wälder in den verschiedensten Grüntönen geben wird. Für den Moment ist das Draußen ein Foto in Sepia: braun schattierte Sträucher, schmutzig-weißer Schnee und grauer Himmel. Sonst nichts.
Davon abgesehen möchte ich beinahe um Verzeihung bitten, daß mein Blog derzeit so traurig und orientierungslos vor sich hindümpelt – es folgt dabei leider meinem überaus unaufregenden Leben. Während ich der Zukunft harre, vertrödele ich meine Zeit, gondele von einem Ort zum nächsten und tue nicht viel außer warten –kann daher beklagenswert weniges berichten. Außer natürlich weitere Bahn-Geschichten, aus gegebenem Anlaß. Sollten Sie jemals im Bord Bistro eines Zugs der Bahn eine junge Frau mit untergeschlagenen Beinen sitzen sehen, ganz sicher mit irgendeinem Schal oder Halstuch, diverse Habseligkeiten festungsartig um sich herum aufgebaut, den Laptop vor der Nase und einen Becher Kaffee daneben, dann könnten Sie versuchen, mich zu begrüßen, denn mit einiger Wahrscheinlichkeit bin ich das. Ich sitze fast immer im Bistro – nicht im Restaurant, wohlgemerkt!, im Bistro – ich schlage immer mindestens ein Bein unter und ich habe auch fast immer irgendeinen Schal bei mir, mindestens aber ein Halstuch. Heute: ein grün-rosa Seidentuch, ein pinkfarbener Kaschmirschal, ein grauer Schal überm Mantel. Möglicherweise bin ich auch jene, die schimpft wie ein Rohrspatz oder leicht hysterisch lacht, weil von zehn Zügen in vier Wochen nun der neunte verspätet ist.
Der Zug ist voll, im Durchgang sammeln sich immer mehr Bundis auf dem Fußboden, und im Bistro ist erstaunlich viel los. Mir gegenüber vier Männer, einer etwas älter, die anderen eher jünger als ich, von ihnen drei mit Bier. Während der Ältere beginnt, in seinem Gepäck zu kramen, beginnt sein Bierglas langsam gen Tischkante zu rutschen und der junge Mann daneben (von der Sorte: zu dünn gekleidet, rundum erforen aussehend, aber mit Mütze) lächelt fein und hält es fest, bis sein Banknachbar fertig ist mit kramen. Vor dem letzten Halt saß gegenüber eine ältliche Dame mit Buch – sicherlich Erbauungsliteratur – die es geschafft hat, sogar auf der Innenseite ihres Kaffeebechers pinkfarbenen Lippenstift zu hinterlassen. Keine Ahnung, wie sie das gemacht hat. Außerdem drei halbstarke Jungs, einer sieht etwas verwahrlost aus, einer brav und einer etwas verhuscht. Sonderbare Zusammenstellung, die drei – man sollte nicht meinen, daß sie sehr viel gemein haben. Nach einer Weile nehmen sie Sandwiches mit Teller mit ins Abteil, bringen die leeren Teller aber später artig zurück. Schließlich ist gleichzeitig mit mir – aus dem verspäteten Regionalexpress, dessentwegen wir nun alle verspätet sind – ein junger Mann, noch in Arbeitskleidung, leuchtend besetzt mit neongelben Reflektoren und mit Siemens-ID Kärtchen, eingestiegen. Er hat wuschelige, seitlich aus der Stirn gekämmte, blonde Haare, blaue Augen und sähe aus wie eine zu groß geratene schlaksige Putte, trüge er nicht am linken Auge ein Pflaster, das in seinem Gesicht weiß leuchtet. Alle paar Minuten tippt er auf seinem Handy rum, trotz der derben Kleidung sind seine Finger und Nägel makellos sauber, und lächelt dabei ganz glücklich. Ich stelle mir vor, daß er auf dem Weg ins Wochenende zu seiner Liebsten ist, sich freut, daß der ICE gewartet hat und er zumindest bis auf weiteres pünktlich sein wird. Sie schreibt zurück und freut sich auch und so tauschen die zwei endlos und geduldig Liebeleien und Zärtlichkeiten aus, wie es nur frisch Verliebte tun, und genießen die Vorfreude aufs Wiedersehen, während er sich dem Zielort entgegensehnt. Dem Bahnsteig, auf dem sie schon wartet, etwas hektisch mit den Augen den Zug rauf- und runtersuchend, um ihn nur nicht zu verpassen, wenn er aus dem Zug steigt oder – noch schlimmer – in dem Menschengewusel momentelang zu übersehen. Er hingegen stünde an der Tür ganz vorne, einen Schritt Abstand zum Glas, um besser die Personen auf dem Bahnsteig sehen zu können und dann flöge sie geradezu in seine Arme (wo man ihn doch so gut sieht in der gelben Jacke, die wie ein Schrei all die dunkeln Mäntel ausblenden würde). Andererseits hat der junge Mann besondere, leicht hochgezogene Mundwinkel und so scheint er eigentlich immer leicht amüsiert, vielleicht wohlwollend zu lächeln – und seine Telefon-Fixierung hat nichts zu bedeuten außer der Langeweile des Reisenden ohne Lektüre.
600 km durch Deutschland und alles ist weiß. Im Norden sieht man mehr von der Welt und der Schnee ist es eine etwas schäbige, leicht zerfetzte Decke, nach Süden hin meint man, die Bäume und Sträucher müssten beinahe zusammenbrechen unter der dicken, weißen Last, aber wohin man schaut, auf der gesamten Strecke: Schnee, Schnee, Schnee. Kaum zu fassen, daß die Welt in wenigen Monaten wieder bunt werden wird, daß es gelbe Rapsfelder und Felder und Wälder in den verschiedensten Grüntönen geben wird. Für den Moment ist das Draußen ein Foto in Sepia: braun schattierte Sträucher, schmutzig-weißer Schnee und grauer Himmel. Sonst nichts.
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