Sonntag, 26. September 2010
Die Bahn und die Vor(aus)sicht
Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste, ist ein Spruch, den ich sehr mag und abgesehen von einer ganz untypischen Risikofreude bei Reisen in fremde Länder bin ich eine ausgesprochen vorsichtige Person. In langen Jahren des Leidens habe ich gelernt, daß man bei der Bahn niemals die letzte Verbindung nehmen darf – zu groß die Gefahr, nicht mehr ans Ziel zu gelangen. Erwartet mich eine wichtige Verpflichtung am Ziel meiner Reise nehme ich immer eine Verbindung früher als notwendig, vorsichtshalber.

Dieses eine Mal jedoch trieben mich die Umstände in eine Situation zwischen Regen und Traufe: die Übernacht-Verbindung im Liegewagen wäre morgens ziemlich knapp geworden, die letzte Verbindung abends war da quasi die „sichere“ - haha – Möglichkeit, mit planmäßiger Ankunft in der Heimat um halb zwei Uhr nachts. Immerhin, so dachte ich mir, hast Du notfalls die ganze Nacht, die Weiterreise bis zum nächsten Morgen sicherzustellen, für diese letzte Verbindung gab es außerdem noch vergünstigte Tickets, also ging ich das Wagnis ein. Und wurde, wie zu erwarten, bitter bestraft.

Ankunft am Abfahrtsbahnhof am späten Nachmittag, noch fünf Minuten Zeit, der Zug: verspätet wegen ärztlicher Behandlung eines Fahrgasts. Bei Umsteigefristen von etwa 10 Minuten hätte mir das schon die pünktliche Ankunft verdorben, rechnete ich rasch nach. Also zum Serviceschalter, wo mir eine alternative Strecke ausgedruckt wurde, das zuggebundene Ticket freigegeben für die neue Route und schon eilte ich zum neuen Gleis, mein Vater mit dem Gepäck im Schlepptau. Der übrigens, wäre es seine Reise gewesen, hätte vermutlich mangels Erfahrung nicht so weit im Voraus gedacht und wäre fröhlich in die perfide aufgestellte Verspätungsfalle getappt.

Auch dieser Zug fünf Minuten Verspätung, immerhin besser als zwanzig auf der ursprünglichen Strecke. Ich suchte mir einen Platz in einem kleinen Compartement, ein Ehepaar in mittleren Jahren, dessen weibliche Hälfte hoffnungsvoll verkündete: Sicher holt der Zug die Verspätung auf der Strecke wieder ein, sonst verpassen wir ja unseren Anschluß. Ich verbot mir das Lachen, dachte: Du liebe Unschuld! Und fand mich wenig später in meiner Ansicht bestätigt, als der Zug wegen spielender Kinder auf den Gleisen weitere zehn Minuten Stop einlegte.

Zum zweiten Mal sah ich die mittelfristigen Anschlüsse gefährdet, suchte den Zugchef auf. Sein Personal teilte mir mit, über die Verbindungen werde man erst zehn Minuten vor Ankunft am Bahnhof informiert, worauf ich mich demonstrativ dem Schaffner-Abteil gegenüber an die Wand lehnte und erklärte, unter solchen Umständen würde ich gerne vor Ort warten. Irgendwann erbarmte sich jemand und teilte mir nach Recherchen auf seine Smartphone mit, was ich schon längst wußte: bis zum Zielbahnhof würde ich es nicht mehr schaffen an diesem Tag, sollten die jeweiligen Verbindungen nicht warten. Das taten sie am Ende aber doch, entsprechend natürlich alle verspätet, und irgendwann vor Karlsruhe wurde deutlich, daß hier das Warten ein Ende finden würde: Anschlußverbindung bereits abgefahren, nächster Zug eine Stunde später. Zu spät für mich.

Ein nicht-uniformierter, in Nadelstreifen gekleideter Bahnmitarbeiter suchte mich irgendwann auf (nachdem ich die Schaffner 20 Minuten lang zugauf-zugab gesucht hatte), überreichte mir ein Kärtchen mit Notfallnummer und erklärte: "Sie kommen dann ja heute nur noch bis Basel und werden sich dort wohl ein Hotel nehmen, vermute ich. Die Kosten dafür können Sie hier (auf das Kärtchen weisen) bei der Servicestelle einreichen und in der Regel klappt das auch, daß die von der Bahn übernommen werden. Versprechen kann ich aber natürlich nichts."
Ja. So. In Karlsruhe angekommen startete ich die Hotelrecherchen. Am Servicepointe konnte man mir nicht helfen. Internet gab es nur für 8 Euro pro Stunde. Die Schwester nicht erreichbar. Der Freund mit Basler Wohnsitz nicht erreichbar. Am Ende suchte mein liebster Telefonjoker mir ein Hotel raus, 80 Euro die günstigste Option, direkt am Bahnhof gegenüber. Derart gewappnet stieg ich in den Zug nach Basel, und widmete mich meiner Zeitung, bis die Durchsage ertönte, Passagiere mit Hotelgutscheinen mögen sich bei der Zugleitung melden. Hotelgutscheine? Was für Hotelgutscheine? Und warum hatte ich sowas nicht? Ich eilte also erneut los und wurde nach einigen Diskussionen belehrt, daß ich noch bis Zürich fahren könne und von da aus ein Taxi nehmen. Angenehm überrascht ließ ich mir das auf meinem Ticket vermerken (reine Vorsicht ... Sie wissen schon). Eine Stunde später schleppte der Zugchef einen Schweizer an, vielleicht etwas älter als ich, ganz untypisch redselig und stellte ihn mir als meinen Taxipartner ab Zürich vor. Zu diesem Zweck erhielten wir sogar einen Gutschein, den allerdings die Züricher Taxifahrer nur nach einigem Verhandeln zu akzeptieren bereit waren. Das war, nachdem der letzte Anschlußzug nach Zürich wegen einer Schlägerei ebenfalls verspätet war und wir die Fahrt in Gesellschaft einer wie ein Rohrspatz schimpfenden Schweizerin verbracht hatten, die diese unmöglichen Zustände in ihrer zukünftigen Karriere als Nationalrätin (geplant) anprangern wollte. Den Rest der Fahrt erfuhr ich mehr über das Leben dieses Schweizers, als ich jemals hätte wissen wollen, war ich doch zu höflich, mir einfach meine Musikstöpsel in die Ohren zu stecken.

Nach den Problemen mit den Taxifahrern war ich nicht undankbar, daß der geschwätzige Schweizer mich erst nach Hause brachte und selbst als letzter ausstieg, auch wenn das Taxameter zum Zeitpunkt unserer Trennung 250 CHF angab. Nach einigem Diskutieren rückte ich eher widerwillig meine Telefonnummer heraus: für die Bahn war ich mittels Bahncard-Nummer eindeutig zu identifizieren, fremden Menschen gegenüber jedoch bin ich, nun ja, vorsichtig.

Zu Recht, wie sich zeigen sollte: seither habe ich bereits 5 Textnachrichten von dem komischen Typ erhalten, in der letzten stand immerhin etwas von Gutscheinen der Bahn und so überlege ich jetzt, ob ich antworten soll. Wenn ich mich nicht melde, denkt er vielleicht, es sei eine falsche Nummer gewesen und läßt mich fürderhin in Frieden– andernfalls müßte ich die Karte entsorgen und mir einen neue anschaffen. Nur zur Vorsicht.

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Freitag, 24. September 2010
Provinz vs. Metropole
Es gibt in den späten Harry-Potter-Filmen einige Szenen, wo Harry in die Erinnerungen anderer Leute eintaucht. Die Erinnerung schimmert wie eine silbrige Flüssigkeit in einer Schüssel und sobald Harry das Gesicht in die Schüssel taucht, wird er kopfüber in die Erinnerung hineingezogen. So ungefähr kommt mir mein Berlin-Ausflug vor: geradezu unwirklich in seiner völligen Andersartigkeit, verglichen mit der beschaulichen Schweizer Provinz.
Am ersten Abend war ich bei einer Podiumsdiskussion im Auswärtigen Amt, ganz knapp vom verspätet gelandeten Flugzeug jetzte ich nach Mitte, schlich am Ziel etwas verschämt durch Horden von Anzugträgern um mich herum. Schöne Räume, auf jene ganz bestimmte, anonym-elegante Art geschmacksneutral eingerichtet, die öffentlichen Repräsentationsräumen oft zu eigen ist. Etwas verloren hielt ich Ausschau nach den wenigen mir bekannten Gesichtern, die wiederum im Gespräch mit anderen Anzugträgern waren. Im Gespräch mit einem Botschafter (endlich ein vertrautes Gesicht, das mich rettete) fiel mir auch irgendwann ein, mein Jackett ebenfalls überzuziehen, statt es über dem Arm zu tragen. Später soufflierten die Freunde Namen zu dem ein oder anderen nicht völlig unbekannten Gesicht der Politszene und ich lauschte und war beeindruckt.

Im Anschluß gab es Häppchen und Wein, Espressotassen mit Blumenkohlschaumsüppchen, fritierte Garnelenschwänze an Erdnußbutter, Petit Fours und Mangocreme, dazu ein hervorragender Riesling und Service, der auf unaufdringliche Weise die Gläser immer voll hielt. Alles ganz wunderbar, aber sehr anders als Mensaessen in Jeans mit den Kollegen. Während die Freunde sich dem Networking widmeten, drückte ich mich am Rand herum, versuchte mich unsichtbar zu machen, studierte die Bilder an der Wand und gab vor, die Aussicht aus der siebten Etage über Politberlin zu genießen.

Überhaupt Politik. Berlin ist ja zuallererst unsere hippe Metropole, Zentrum für Künstler, Kreative und Biolektuelle, Berlin ist endlich mal etwas, worauf man im Ausland stolz sein kann Sogar New Yorker beneiden uns seit neuestem, für einen Wohnsitz in Prenzlauer Berg muß man sich selbst im Meatpacking-District nicht schämen, wurde mir zugetragen. Von all dem habe ich viel gehört, und sogar eine Provinzgans wie ich kann Personen mit offensichtlich eigenwilligem Kleidungsgeschmack den hippen Künstlerzirkeln zuordnen, aber damit erschöpft sich meine Kenntnis dieser Szene. Anders verhält es sich mit der Politik. Kann sein, ich bilde mir das alles ein, aber irgendwie habe ich in Berlin immer das Gefühl, Politik liege in der Luft. Einerseits hatte ich das Glück (oder Unglück?), vermutlich mehr Botschaften und Ministerien von innen gesehen und mehr namhafte Politiker in Vorträgen erlebt zu haben, als, sagen wir, die Mehrheit meiner Mitschüler in der heimatlichen Provinz. Obwohl ich selbst damit rein gar nichts zu tun habe, nie in Berlin gearbeitet, nie in der Politik intrigiert habe, gibt es doch in meinem Freundeskreis das ein oder andere Rädchen des Establishment und so sehe ich in Berlin Mitte zwar die Touristen, verzweifelt auf der Suche nach der nächsten S-Bahn Station, aber gleichzeitig halte ich die Augen offen nach der großen Politik, die hier gemacht wird. Ich halte die Nase in den Wind und frage mich, hinter welchem der Fenster gerade Beschlüsse gefasst werden, wo fleißige Referenten Abstimmungsvorlagen erstellen, und Lobbyisten bei einem Café im Caras oder Einstein die Beamten zu beeinflussen suchen.

Überhaupt Berlin. Im Alter von siebzehn Jahren bescherte das Schicksal mir eine Freundin in Berlin. Westberlin. Die Familie wohnte in Charlottenburg, oder so, zwei Etagen Stilaltbau, hervorragend saniert, drei Meter hohe Decken, Stuck, dazwischen moderne, aber sehr extravagante Möbel, eine traumhafte Dachterrasse. Ich erinnere mich noch an einen der ersten Abende, wir gingen mit den Eltern und ihrem Bruder zum Lieblingsitaliener um die Ecke. Die Art, wie meine Gastgeber freundschaftlich vom Koch begrüßt wurden, dort frischer Parmesan auf den Tisch kam, Olivenöl mit Brot, Pfeffer frisch auf den Teller aus einer riesigen Mühle, beeindruckte mich nachhaltig. Wir hatten zwar auch unsere Stammrestaurants in der Provinz, wo man vom Personal vertraut begrüßt wurde, aber in Berlin schien alles unendlich viel mondäner. Wir zwei Mädels gingen bummeln am Ku'Damm und einige Jahre später auch auf Cocktailparties in Kreuzberger Ruinenhäusern, wo ich den ersten Mojito meines Lebens trank und mich sagenhaft cool fand.

Heute gehen alle coolen Leute, die ich kenne, prinzipiell nur noch im Osten aus. Kreuzberg, Prenzlberg, Friedrichshain. Viele Freunde, die seit 2000 in Berlin studiert haben, kennen den alten Westen gar nicht mehr so recht – zu peripher, Alte-Leute-Viertel. Niemand von ihnen käme auf die Idee, im alten Westen zu wohnen, Neukölln muß es sein, oder Friedrichshain. Donnerstagsmorgens kamen mir die Straßen in Charlottenburg reichlich leer vor, endlos mußte ich nach netten Cafés suchen, selbst ein Starbucks wäre irgendwann willkommen gewesen, aber die Kaffeeketten-Dichte war mit Schwarzafrika zu vergleichen. Vielleicht liegt es an der mangelnden Ortskenntnis, aber ich fühlte mich in Westberlin verloren – in Mitte hingegen kann man in Touristenströmen untergehen und muß nicht stundenlang durch Geschäftsstraßen irren, bevor das nächste halbwegs akzeptable Restaurant kommt. Ich kam mir alt vor, mit meinen Erfahrungen einer anderen Zeit, und etwas verloren.

Zurück mit einem ordentlichen Päckchen Neid auf das mondäne Leben der Freunde im Gepäck, sitze ich nun wieder in der Schweizer Gemütlichkeit, habe fünf wunderbare Tage sonnigen Herbst genossen, mich beim Joggen am Duft nach Heu, Gräsern und Herbstblumen erfreut, die Kühe auf den Wiesen mit ihren bimmelnden Glocken beobachtet und muß sagen:

all das ist auch nicht so schlecht.

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Montag, 20. September 2010
Vakanz


In unserem Hause ist die neugeschaffene Stelle des Bräutigams (m) zu besetzen. In dieser Position können Sie nach Ablauf der Probezeit die alleinige Verantwortung für einen unserer anspruchsvollsten Key Accounts übernehmen, zukünftig besteht die Möglichkeit, das Tätigkeitsfeld auch auf deren Tochterunternehmen auszudehnen, da die Kundin Expansionsmaßnahmen plant. In diesem Fall wird die Stelle in eine unbefristete Position bis zur endgültigen Verrentung umgewandelt.

Von den Bewerbern erwarten wir Durchsetzungsfähigkeit, aber auch außerordentliches Fingerspitzengefühl im Umgang mit komplexen Prozessen und dem mehrdimensionalen Geschäftsumfeld. Flexibilität und die Bereitschaft zu ausgedehnter Reisetätigkeit – auch außerhalb des europäischen Kulturkreises – setzen wir voraus. Sie verfügen außerdem über eine solide Allgemeinbildung und sicheres Auftreten im Umgang mit den Seniorchefs unserer Kundin. Fremdsprachenkenntnisse und Grundkenntnisse im Gedankenlesen sind wünschenswert, aber keine Voraussetzung.
Aufgrund der besonderen Anforderungen der Position können nur männliche Bewerber in Betracht gezogen werden, bei gleicher Eignung werden solche mit geschmackvollem Kleidungsstil bevorzugt.

Es erwartet Sie eine herausfordernde und abwechslungsreiche Tätigkeit sowie ein dynamisches Umfeld mit flachen Hierarchien und ambitionierten Zielen. Aussagekräftige Bewerbungsunterlagen – mit Bild – richten Sie bitte an unsere Personalabteilung, die auch für Rückfragen zur Verfügung steht.

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