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Totale Freiheit
6h09 – der Wecker klingelt, ich bleibe liegen.
6h15 – der mechanische Schepperwecke klingelt, ich bleibe liegen.
6h20 – eigentllich wollte ich schon unter der Dusche sein... ich stehe auf.
6h45 – mit einem Kaffee in der einen Hand und den Klausurunterlagen in der anderen überlege ich, was es mit dem „critical μ“ auf sich hat
7h00 – vielleicht bekomme ich das mithilfe der Unterlagen in der Uni raus? Ich gehe los.
7h35 – es scheint mehr als nur ein „critical μ“ zu geben – noch 45 Minuten Zeit, das Rätsel zu lösen.
7h55 – ich begreife das nicht. Höchste Zeit, die Nash-Gleichgewichte zu jedem μ einfach stumpf auswendig zu lernen.
8h12 – eine Zigarette geht noch, wird mich inspirieren.
8h15 – der Professor freut sich über meine Ankunft.
8h16 – die Aufgaben sind doof. Gut, daß ich das Modell, von dem ich annahm, es käme eh nicht dran, trotzdem gelernt habe. Es ist Frage 1.
9h13 – ich schreibe den letzten Satz.
9h14 – ich habe über dem letzten Satz noch Platz gelassen, kluge Sache das, kann noch einen weiteren Satz hineinquetschen.
9h15 – Krampf in der Hand. Meine guten Vorsätzen, nicht alles aufs Papier zu schmieren, was ich weiß, habe ich vergessen vor lauter Strebsamkeit.
9h20 – jetzt erst mal 'ne Zigarette, zur Belohnung.
9h30 – Mails gecheckt, jetzt sollte ich anfangen, die Literaturübersicht für das morgige Seminar zu schreiben.
9h40 – man soll ja systematisch vorgehen, ich überführe das alles erst mal von MS Word in LaTeX.
9h45 – ich habe vergessen, wie das in LaTeX ging. Nachschlagen.
10h30 – vielleicht war ich bei der Recherche etwas abgelenkt – aber dafür bin ich jetzt voll im Bilde was das Tagesgeschehen betrifft.
10h45 – 40 Aufsätze aus Google-Scholar raussuchen und Bibtex-Einträge kopieren. Das kann dauern.
11h20 – Ende in Sicht. Hunger.
11h21 – großer Hunger. Wann gehen wir essen?
11h25 – hoffentlich kommen die anderen bald.
11h31 – Schritte im Treppenhaus, ich raffe Geld und Schlüssel zusammen und sprinte zur Tür, man könnte mich ja nach mehrwöchiger Abwesenheit vergessen.
11h32 – falsche Kollegentruppe, egal, Hauptsache Essen.
12h05 – Kaffee mit richtiger Kollegentruppe. Man muß ja soziale Kontakte pflegen, unbedingt.
12h20 – jetzt aber, Literature Review schreiben. Im Ernst.
12h22 – einige Einträge sehen komisch aus. Ich muß noch mal schauen wie das mit der Formatierung war. Ohnehin gefällt mir der „plainnat“ style nicht – vielleicht probiere ich mal Harvard Style?
12h35 – ich fange an, ernsthaft über den Inhalt meiner Literature Review nachzudenken.
12h36 – eine Mail! Studentin, hat eine Frage. Wird sofort beantwortet, ich trage schließlich Verantwortung.
12h39 – Literature Review. Auf ein Neues.
13h00 – meine Finger fliegen über die Tasten – außer, wenn ich gerade etwas nachschlagen muss in den Aufsätzen.
14h00 – eine Seite, für den Anfang gar nicht schlecht.
14h15 – wie beschreibt man den eigenen Forschungsbeitrag, wenn man noch gar nicht weiß, was am Ende rauskommt? Schwierig.
14h25 – immer noch keine Eingebung. Schwachsinnig, jetzt Ergebnisse zu beschreiben, die ich gar nicht finden werde. Darauf einen Kaffee, vielleicht hilft das.
15h20 – so mag es angehen, das bleibt jetzt so. Layout aufhübschen, dann abschicken.
15h35 – ... oder auch nicht. Eigentlich, wenn ich so drüber nachdenke... geht das irgendwie am Ziel und Zweck des Seminars vorbei. Wenn, sollte ich so schreiben, wie es auch später im Paper stehen soll. Ob ich das jetzt noch mal neu abfasse?
15h40 – aber das ist so viel Arbeit. Hausegehen will.
16h00 – aber ich sollte das wirklich noch fertig machen. Oder reicht auch morgen früh?
16h03 – ... und in die Stadt muß ich auch noch. Bevor hier alle Läden schließen.
16h05 – eine Zigarette wird mir bei der Entscheidung helfen.
16h06 – ich könnte den Rechner anlassen, in die Stadt gehen, und nachher wiederkommen.
16h07 – ich könnte den Rechner aber auch ausmachen.
16h09 – ... dann kommt ich aber ganz sicher nicht wieder.
16h10 – auf dem Weg in die Stadt. Der Rechner wartet auf mich.
16h45 – ging schneller als erwartet. Noch schnell ein Stück Kuchen mitnehmen, wo ich schon mal unterwegs bin.
17h00 – frisch ans Werk, jetzt wird eine supertolle Literature Review geschrieben.
17h30 – der erste Teil war leicht, aber mein Forschungsbeitrag hat sich in den vergangenen drei Stunden leider nicht weiterentwickelt. Was schreib ich bloß?
18h00 – nix. Ich schreibe nichts und erklär's dem Prof in einer Mail.
18h10 – drei Sätze mit Mühe abgerungen.
18h20 – mal gucken was im Fernsehen kommt. Tatort! Die, die ich gerne gucke (und das ist nur ein Stadt-Serie). Jawoll! Jetzt schnell fertig werden.
18h30 – eine Stunde noch, da kann ich das Layout noch fertig machen.
18h40 – oder das Layout macht mich fertig.
19h00 – endlich fertig. Obwohl: ich sollte vielleicht noch die Arbeiten meines Professors der Literaturliste anfügen – macht sich besser.
19h05 – wo ich schon dabei: auch gleich ausdrucken, und endlich mal lesen. Die Sachen meines Profs.
19h20 – Heimweg.
19h30 – Risotto kochen. Mehr als zwölf Stunden produktiv gewesen (nominal, nicht real). Wenn das kein erfolgreicher Tag war.
6h15 – der mechanische Schepperwecke klingelt, ich bleibe liegen.
6h20 – eigentllich wollte ich schon unter der Dusche sein... ich stehe auf.
6h45 – mit einem Kaffee in der einen Hand und den Klausurunterlagen in der anderen überlege ich, was es mit dem „critical μ“ auf sich hat
7h00 – vielleicht bekomme ich das mithilfe der Unterlagen in der Uni raus? Ich gehe los.
7h35 – es scheint mehr als nur ein „critical μ“ zu geben – noch 45 Minuten Zeit, das Rätsel zu lösen.
7h55 – ich begreife das nicht. Höchste Zeit, die Nash-Gleichgewichte zu jedem μ einfach stumpf auswendig zu lernen.
8h12 – eine Zigarette geht noch, wird mich inspirieren.
8h15 – der Professor freut sich über meine Ankunft.
8h16 – die Aufgaben sind doof. Gut, daß ich das Modell, von dem ich annahm, es käme eh nicht dran, trotzdem gelernt habe. Es ist Frage 1.
9h13 – ich schreibe den letzten Satz.
9h14 – ich habe über dem letzten Satz noch Platz gelassen, kluge Sache das, kann noch einen weiteren Satz hineinquetschen.
9h15 – Krampf in der Hand. Meine guten Vorsätzen, nicht alles aufs Papier zu schmieren, was ich weiß, habe ich vergessen vor lauter Strebsamkeit.
9h20 – jetzt erst mal 'ne Zigarette, zur Belohnung.
9h30 – Mails gecheckt, jetzt sollte ich anfangen, die Literaturübersicht für das morgige Seminar zu schreiben.
9h40 – man soll ja systematisch vorgehen, ich überführe das alles erst mal von MS Word in LaTeX.
9h45 – ich habe vergessen, wie das in LaTeX ging. Nachschlagen.
10h30 – vielleicht war ich bei der Recherche etwas abgelenkt – aber dafür bin ich jetzt voll im Bilde was das Tagesgeschehen betrifft.
10h45 – 40 Aufsätze aus Google-Scholar raussuchen und Bibtex-Einträge kopieren. Das kann dauern.
11h20 – Ende in Sicht. Hunger.
11h21 – großer Hunger. Wann gehen wir essen?
11h25 – hoffentlich kommen die anderen bald.
11h31 – Schritte im Treppenhaus, ich raffe Geld und Schlüssel zusammen und sprinte zur Tür, man könnte mich ja nach mehrwöchiger Abwesenheit vergessen.
11h32 – falsche Kollegentruppe, egal, Hauptsache Essen.
12h05 – Kaffee mit richtiger Kollegentruppe. Man muß ja soziale Kontakte pflegen, unbedingt.
12h20 – jetzt aber, Literature Review schreiben. Im Ernst.
12h22 – einige Einträge sehen komisch aus. Ich muß noch mal schauen wie das mit der Formatierung war. Ohnehin gefällt mir der „plainnat“ style nicht – vielleicht probiere ich mal Harvard Style?
12h35 – ich fange an, ernsthaft über den Inhalt meiner Literature Review nachzudenken.
12h36 – eine Mail! Studentin, hat eine Frage. Wird sofort beantwortet, ich trage schließlich Verantwortung.
12h39 – Literature Review. Auf ein Neues.
13h00 – meine Finger fliegen über die Tasten – außer, wenn ich gerade etwas nachschlagen muss in den Aufsätzen.
14h00 – eine Seite, für den Anfang gar nicht schlecht.
14h15 – wie beschreibt man den eigenen Forschungsbeitrag, wenn man noch gar nicht weiß, was am Ende rauskommt? Schwierig.
14h25 – immer noch keine Eingebung. Schwachsinnig, jetzt Ergebnisse zu beschreiben, die ich gar nicht finden werde. Darauf einen Kaffee, vielleicht hilft das.
15h20 – so mag es angehen, das bleibt jetzt so. Layout aufhübschen, dann abschicken.
15h35 – ... oder auch nicht. Eigentlich, wenn ich so drüber nachdenke... geht das irgendwie am Ziel und Zweck des Seminars vorbei. Wenn, sollte ich so schreiben, wie es auch später im Paper stehen soll. Ob ich das jetzt noch mal neu abfasse?
15h40 – aber das ist so viel Arbeit. Hausegehen will.
16h00 – aber ich sollte das wirklich noch fertig machen. Oder reicht auch morgen früh?
16h03 – ... und in die Stadt muß ich auch noch. Bevor hier alle Läden schließen.
16h05 – eine Zigarette wird mir bei der Entscheidung helfen.
16h06 – ich könnte den Rechner anlassen, in die Stadt gehen, und nachher wiederkommen.
16h07 – ich könnte den Rechner aber auch ausmachen.
16h09 – ... dann kommt ich aber ganz sicher nicht wieder.
16h10 – auf dem Weg in die Stadt. Der Rechner wartet auf mich.
16h45 – ging schneller als erwartet. Noch schnell ein Stück Kuchen mitnehmen, wo ich schon mal unterwegs bin.
17h00 – frisch ans Werk, jetzt wird eine supertolle Literature Review geschrieben.
17h30 – der erste Teil war leicht, aber mein Forschungsbeitrag hat sich in den vergangenen drei Stunden leider nicht weiterentwickelt. Was schreib ich bloß?
18h00 – nix. Ich schreibe nichts und erklär's dem Prof in einer Mail.
18h10 – drei Sätze mit Mühe abgerungen.
18h20 – mal gucken was im Fernsehen kommt. Tatort! Die, die ich gerne gucke (und das ist nur ein Stadt-Serie). Jawoll! Jetzt schnell fertig werden.
18h30 – eine Stunde noch, da kann ich das Layout noch fertig machen.
18h40 – oder das Layout macht mich fertig.
19h00 – endlich fertig. Obwohl: ich sollte vielleicht noch die Arbeiten meines Professors der Literaturliste anfügen – macht sich besser.
19h05 – wo ich schon dabei: auch gleich ausdrucken, und endlich mal lesen. Die Sachen meines Profs.
19h20 – Heimweg.
19h30 – Risotto kochen. Mehr als zwölf Stunden produktiv gewesen (nominal, nicht real). Wenn das kein erfolgreicher Tag war.
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Handarbeitsstunde
Mein erstes Kleid war aus heutiger Sicht fürchterlich. Knöchellang, aus dunkelblauem Nickistoff und schrecklich brav. Das nächste aus violettem Samt mit Wasserfallausschnitt war schon besser und ungefähr zu Abiturzeiten kriegte ich die Kurve zur Mode. Nachdem ich zum Abiball von einer Freundin ein chinesisches Kleid geliehen hatte, kaufte ich kurz danach mein erstes richtiges Abendkleid: es war hellblau mit diagonalen braunen und goldenen Streifen, ansonsten sehr schlicht und ich mag es heute noch – auch wenn ich es seit Jahren nicht mehr getragen hatte. Es folgten einige Jahre mit Varianten von „langer schwarzer Rock mit Corsage“, bis der Rock irgendwann nicht mehr nur einen heruntergetretenen Saum, sondern tatsächlich Risse im Futter hatte und aufs Altenteil kam.
Das richtige Kleid zu finden ist gar nicht so einfach. Über die unzähligen Scheußlichkeiten, die man so auf Kleiderständern findet, habe ich ja schon berichtet. Selbst die schönen Kleider jedoch erfüllen lange nicht immer alle Anforderungen. Nach Ausschluß von Glitzer, Strass, Rüschen und Polyester gilt es weitere Kriterien zu erfüllen: es muß tanzfreundlich sein – der Rock also nicht zu eng, ohne Schleppe, das Oberteil muß fest sitzen, auf daß man nicht irgendwann oben ohne dasteht (auch das hatte ich schon). Bustieroberteile gehen also nur, wenn sie perfekt passen, was sie selten tun. Sehr dünne Spaghettiträger sind prinzipiell prima, aber leider an soviel Frau wie mir oft ein bißchen lächerlich – richtige Träger sehen besser aus. Es darf nicht zu lang sein (sonst tritt man drauf) aber auch nicht zu kurz – wir sind ja nicht bei armenDoktoranden Leuten.
Dunkelblau geht gar nicht – das ist in den meisten Fällen eine Farbe von Damen, die nicht schwarz tragen wollen, aber sich auch mehr als blau nicht trauen. Grau ist großmütterlich. Dem Teint schmeicheln sollte es möglichst auch, womit bei mir gelb und rot entfallen. Trotzdem hätte ich aber gerne etwas eigenwilliges, das nicht jeder hat. Und das ganze bitte für unter 300 Euro. Seit Jahren träume ich davon, ein Kleid ganz nach meinen Wünschen schneidern zu lassen, karierte Seide fände ich chic, aber am Ende täte es mir doch zu weh, deutlich mehr als 300 Euro in etwas zu investieren, das ich allerhöchstens drei Mal trage – danach habe ich mir ein Kleid meistens leidgesehen (von den hochgezogenen Augenbrauen der üblichen verdächtigen Damen meines erweiterten Bekanntenkreise gar nicht zu reden). Angesichts der vielfältigen Herausforderung beim Schnitt bin ich ein großer Freund klassisch-schlichter Kleider in extravaganten Farben.
So wie dieses hier.

In den Stoff habe ich mich sofort verliebt. Er lag in Kinshasa vor dem Büro auf einem der unzähligen kleinen Stände. Sehr bunt, etwas steif, ein bißchen glänzend von der Wachsbeschichtung. Irgendwie klassisch – und doch eigenwillig. Klassisch auf LSD, könnte man sagen. Beim Brainstorming mit Schneiderin Céline kamen wir irgendwann aufs Abendkleid. Eine Freundin ließ sich bei der Gelegenheit eines der typisch afrikanischen Kleider schneidern, die im Schnitt ja häufig fast wie Abendkleider sind und so ließ ich mir für umgerechnet etwa zwanzig Dollar etwas machen. Etliche klägliche Malversuche meinerseits später hatte die Schneiderin verstanden, was ich mir vorstellte, und versprach, Ihr Bestes zu tun. Wie üblich wurde es erst auf die letzte Minute vorm Abflug fertig, aber: es passte. Perfekt.
Und stellte zu Hause ein ums andere Mal bei jeder Gelegenheit fest, daß das Kleid irgendwie doch nicht das richtige für gerade jene Gelegenheit war. Zu fein für Anlässe, bei denen es auch ein kurzes Kleid täte – und zu wenig elegant und zuviel eigenwillig für richtige Bälle. Schon vor der Einkaufstour in Wien hatte ich überlegt, ob man das gute Stück nicht irgendwie aufrüschen könnte. Meine Idee, den Rock mit Tüll zu unterfüttern und die rückseitige Naht so weit zu öffnen, daß man den Tüll dort auch sähe, wurde sogar von einer Schneiderin hier für machbar und hübsch befunden – sollte allerdings inklusive Material 300 Franken kosten, was mir dann doch zuviel für ein solches Experiment war.
Heute hat es mich dann wieder gepackt, das schöne Wetter verführt ohnehin zu nachmittäglichen Einkaufsbummeln und in einem der vielen Abendmoden-Geschäfte gab es einen halbfertigen Unterrock für lächerliche 40 Franken. Das Ding am Unterrock anzunähen, so dachte ich mir, kann so schwierig nicht sein. Falsch gedacht. Drei Stunden, einen steifen Rücken und gefühlte zehn Meter Nähgarn später ist der Tüll immer noch etwas schief, aber dem kann ich vielleicht noch mit einer Schere zu Leibe rücken. Drei Stunden! Für einen lächerlichen Meter Umfang Naht! Habe völlig unterschätzt, daß der voluminöse Tüll es schwer macht, unter den Rock zu greifen, um die Nadel aufzunehmen. Wie sperrig Tüll ist. Wie wenig Licht so ein kleiner Kronleuchter gibt, wenn man diffizile Handarbeiten ausführen möchte. Einen halben Meter Naht aufzutrennen zum Beispiel. Céline in Kinshasa hat gute Arbeit geleistet - der Abschluß war so eng genäht, daß ich mit der Schere kaum drankam. Immerhin sitzt der Tüll jetzt etwa so, wie es mir von Anfang an vor dem inneren Auge stand. Jetzt muß ich nur noch meine geschätzte vietnamesische Schneiderin dazu bringen, mir bis Donnerstag den Saum wieder zu schließen und den Tüll hinten festzustecken.

Und das Häkchen vom Bustier enger zu machen. Nicht vergessen.
Das richtige Kleid zu finden ist gar nicht so einfach. Über die unzähligen Scheußlichkeiten, die man so auf Kleiderständern findet, habe ich ja schon berichtet. Selbst die schönen Kleider jedoch erfüllen lange nicht immer alle Anforderungen. Nach Ausschluß von Glitzer, Strass, Rüschen und Polyester gilt es weitere Kriterien zu erfüllen: es muß tanzfreundlich sein – der Rock also nicht zu eng, ohne Schleppe, das Oberteil muß fest sitzen, auf daß man nicht irgendwann oben ohne dasteht (auch das hatte ich schon). Bustieroberteile gehen also nur, wenn sie perfekt passen, was sie selten tun. Sehr dünne Spaghettiträger sind prinzipiell prima, aber leider an soviel Frau wie mir oft ein bißchen lächerlich – richtige Träger sehen besser aus. Es darf nicht zu lang sein (sonst tritt man drauf) aber auch nicht zu kurz – wir sind ja nicht bei armen
Dunkelblau geht gar nicht – das ist in den meisten Fällen eine Farbe von Damen, die nicht schwarz tragen wollen, aber sich auch mehr als blau nicht trauen. Grau ist großmütterlich. Dem Teint schmeicheln sollte es möglichst auch, womit bei mir gelb und rot entfallen. Trotzdem hätte ich aber gerne etwas eigenwilliges, das nicht jeder hat. Und das ganze bitte für unter 300 Euro. Seit Jahren träume ich davon, ein Kleid ganz nach meinen Wünschen schneidern zu lassen, karierte Seide fände ich chic, aber am Ende täte es mir doch zu weh, deutlich mehr als 300 Euro in etwas zu investieren, das ich allerhöchstens drei Mal trage – danach habe ich mir ein Kleid meistens leidgesehen (von den hochgezogenen Augenbrauen der üblichen verdächtigen Damen meines erweiterten Bekanntenkreise gar nicht zu reden). Angesichts der vielfältigen Herausforderung beim Schnitt bin ich ein großer Freund klassisch-schlichter Kleider in extravaganten Farben.
So wie dieses hier.

In den Stoff habe ich mich sofort verliebt. Er lag in Kinshasa vor dem Büro auf einem der unzähligen kleinen Stände. Sehr bunt, etwas steif, ein bißchen glänzend von der Wachsbeschichtung. Irgendwie klassisch – und doch eigenwillig. Klassisch auf LSD, könnte man sagen. Beim Brainstorming mit Schneiderin Céline kamen wir irgendwann aufs Abendkleid. Eine Freundin ließ sich bei der Gelegenheit eines der typisch afrikanischen Kleider schneidern, die im Schnitt ja häufig fast wie Abendkleider sind und so ließ ich mir für umgerechnet etwa zwanzig Dollar etwas machen. Etliche klägliche Malversuche meinerseits später hatte die Schneiderin verstanden, was ich mir vorstellte, und versprach, Ihr Bestes zu tun. Wie üblich wurde es erst auf die letzte Minute vorm Abflug fertig, aber: es passte. Perfekt.
Und stellte zu Hause ein ums andere Mal bei jeder Gelegenheit fest, daß das Kleid irgendwie doch nicht das richtige für gerade jene Gelegenheit war. Zu fein für Anlässe, bei denen es auch ein kurzes Kleid täte – und zu wenig elegant und zuviel eigenwillig für richtige Bälle. Schon vor der Einkaufstour in Wien hatte ich überlegt, ob man das gute Stück nicht irgendwie aufrüschen könnte. Meine Idee, den Rock mit Tüll zu unterfüttern und die rückseitige Naht so weit zu öffnen, daß man den Tüll dort auch sähe, wurde sogar von einer Schneiderin hier für machbar und hübsch befunden – sollte allerdings inklusive Material 300 Franken kosten, was mir dann doch zuviel für ein solches Experiment war.
Heute hat es mich dann wieder gepackt, das schöne Wetter verführt ohnehin zu nachmittäglichen Einkaufsbummeln und in einem der vielen Abendmoden-Geschäfte gab es einen halbfertigen Unterrock für lächerliche 40 Franken. Das Ding am Unterrock anzunähen, so dachte ich mir, kann so schwierig nicht sein. Falsch gedacht. Drei Stunden, einen steifen Rücken und gefühlte zehn Meter Nähgarn später ist der Tüll immer noch etwas schief, aber dem kann ich vielleicht noch mit einer Schere zu Leibe rücken. Drei Stunden! Für einen lächerlichen Meter Umfang Naht! Habe völlig unterschätzt, daß der voluminöse Tüll es schwer macht, unter den Rock zu greifen, um die Nadel aufzunehmen. Wie sperrig Tüll ist. Wie wenig Licht so ein kleiner Kronleuchter gibt, wenn man diffizile Handarbeiten ausführen möchte. Einen halben Meter Naht aufzutrennen zum Beispiel. Céline in Kinshasa hat gute Arbeit geleistet - der Abschluß war so eng genäht, daß ich mit der Schere kaum drankam. Immerhin sitzt der Tüll jetzt etwa so, wie es mir von Anfang an vor dem inneren Auge stand. Jetzt muß ich nur noch meine geschätzte vietnamesische Schneiderin dazu bringen, mir bis Donnerstag den Saum wieder zu schließen und den Tüll hinten festzustecken.

Und das Häkchen vom Bustier enger zu machen. Nicht vergessen.
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So fern und doch so nah
Meine Eltern waren immer sehr darauf bedacht, ihren Kindern nur pädagogisch wertvolle Lektüren angedeihen zu lassen. Vor einigen Jahren habe ich mit meiner Schwester zusammen auf dem Dachboden gesessen und Kisten sortiert: fünf mit eben jenen wertvollen Büchern (oder solchen, die wir einfach toll fanden), weitere fünf mit unzähligen „Bille und Zottel“, „Tina und Tini“ und „Hanni und Nanni“ Schund. Ich kann mich nicht präzise erinnern, aber ich nehme an, daß „Die Wolke“ und „Die letzten Kinder von Schewenborn“ in den Kisten zugunsten unserer zukünftigen Kinder gelandet sind, weil wertvoll. Wenn, dann allerdings sicher mit Zögern – als Kind nämlich, daran kann ich mich noch sehr gut erinnern, fand ich beide Bücher ganz schrecklich.
Es war sicher schon einige Jahre nach Tschernobyl, die Katastrophe selbst ist ebenso wie der Mauerfall an meinem kindlichen Gemüt vorbeigegangen. Aber so ein Buch vergißt man nicht. Schon damals war mir irgendwie klar, daß es sich um wertvolle Literatur handelt und ich das Werk eigentlich gut finden sollte, um als intelligente junge Dame zu gelten. Vermutlich habe ich mich auch dahingehend geäußert – tatsächlich aber fand ich es einfach nur fürchterlich. Gruselig. Beängstigend. Und kein bißchen berührend. Das war nicht meine Realität.
Schon dieser Name: Janna-Berta. So hießen Kinder nicht. Blöder Name. Dann, daß die Eltern nicht da waren, um sich um ihren Nachwuchs in Krisensituationen zu kümmern – kam mir auch völlig unrealistisch vor, und auch beängstigend. Ich erinnere mich ganz vage an eine Szene auf einer Autobahn, ich hatte schon nicht richtig begriffen, warum die Kinder überhaupt mit Fahrrädern auf der Autobahn unterwegs waren (verboten! hatte ich im Fahrradkurs gelernt!), noch viel weniger verstand ich allerdings, warum sich niemand um die beiden kümmerte. Und warum es auf der Autobahn nicht weiterging mit Autos. Staus, ja, das kannte ich, aber Staus über Tage? Völlig absurd, das gab es doch gar nicht. Jedenfalls nicht in meiner Welt. Einerseits war das alles zwar ziemlich realitätsfern aus der Perspektive einer wohlbehüteten Tochter – andererseits aber auch sehr bedrohlich. Ich hatte Angst vor solchen Szenarien und dolles Mitleid mit den Kindern, häßliche Namen hin oder her. Die Identifikation jedoch blieb aus, ich fand das Buch diffus bedrohlich, aber nicht berührend.
Am meisten zu kämpfen jedoch hatte ich mit dem Konzept der Strahlenkrankheit. Mit meinen elf oder zwölf Jahren wußte ich sehr wohl, daß man nicht nur an äußerlichen Verletzungen mit viel Blut sterben kann, sondern auch an unsichtbaren Sachen wie Pest oder Gift, aber all das war ganz klar physiologisch, das konnte ich mir vorstellen. Sogar Gift und Dämpfe. Aber Strahlen? Etwas, das man nicht anfassen, sehen oder riechen kann, sondern nur mit tickenden Geräten messen? Das zu begreifen fällt mir bis heute schwer. Und damals ging es einwandfrei über mein Verständnis hinaus – so ein Bedrohungsszenario war so völlig weit weg, so unvorstellbar, daß ich damit einfach nichts anfangen konnte. Zu Fantasy-Romanen voller absonderlicher Ungeheuer hatte ich mehr Bezug, das erhob zumindest keinen Anspruch auf Realität, war unterhaltsam und ging trotzdem gut aus.
Dieses grauenvolle Kinderbuch jedoch war nicht unterhaltsam, sondern nur eine endlose, trostlose Quälerei, hilflose Kinder, hilflose Erwachsene, unsichtbare Gefahren, unverständliche Krankheiten – ich habe es natürlich durchgelesen, aber danach nie wieder angerührt und bin weiteren Büchern dieser Autorin wenn möglich aus dem Weg gegangen. Heute würde ich sagen, daß ich dafür einfach noch zu jung und mit der Botschaft überfordert war - frage mich aber trotzdem, ob das wirklich kindgerechte Lektüre ist.
Zwanzig Jahre später stelle ich fest: ich kann mit dem Konzept der Strahlenkrankheit immer noch nichts anfangen. Es entzieht sich mir, damals wie heute. In dem Maße, in dem ich darüber lese, erinnere ich mich an aufgeschnappte Wissenshäppchen: Dekontamination, weil Gegenstände (alle!) die Strahlung aufnehmen und weitergeben. „Walking-Ghost-Syndrom“, damals schon grauenerregender als ein Bataillon Fantasy-Zombies. Natürlich habe ich inzwischen das Vermögen, die physikalischen Erklärungen dahinter zu verstehen: Zellteilung, Schädigung des Erbguts, Krebs. Aber die Ursache, Strahlung, bleibt diffus. Sehr, sehr schwer greifbar.
Vermutlich haben die Japaner im Moment andere Sorgen, aber trotzdem frage ich mich: wie geht man damit um, wenn diese Szenarien aus Alpträumen plötzlich Realität werden? Wenn man weiß, daß man den Rest seines Lebens mit all den gesundheitlichen Risiken leben muß, quasi einer tickenden Zeitbombe im Körper? Und was sind das für Persönlichkeiten, die diese Gefahr bewußt auf sich nehmen in Fukushima? Geht es ihnen auch so, daß die Gefahr nicht faßbar bleibt und eben deshalb irreal? Tut man sowas aus Heldenmut? Schrecklich, nicht zu wissen, wie schnell das Ende kommen wird. Warum machen Menschen sowas? Wie kann man überhaupt nach so einem Übermaß an Katastrophen morgens aufstehen?
Auch das entzieht sich meinem Verständnis. Vor einem Jahr hatte ich Gelegenheit, mit einem Japaner zusammenzuarbeiten. Wir verstanden uns aus vielerlei Gründen nicht übermäßig gut, aber an einem Punkt dann überraschenderweise doch: bei der Feststellung nämlich, daß wir beide Nationen angehörten, die Schuldige des 2. Weltkriegs waren, und wie man damit fast zwei Generationen später umgeht. Das war eine Gemeinsamkeit. Seit einer Woche denke ich an ihn, an sein Volk, an das unfassbare Leid, und wünsche von ganzem Herzen, daß das Schicksal Japan nach all dem Unglück wenigstens eine zweite Atomkatastrophe und die schlimmsten Alpträume meiner Kindheit erspart.
Es war sicher schon einige Jahre nach Tschernobyl, die Katastrophe selbst ist ebenso wie der Mauerfall an meinem kindlichen Gemüt vorbeigegangen. Aber so ein Buch vergißt man nicht. Schon damals war mir irgendwie klar, daß es sich um wertvolle Literatur handelt und ich das Werk eigentlich gut finden sollte, um als intelligente junge Dame zu gelten. Vermutlich habe ich mich auch dahingehend geäußert – tatsächlich aber fand ich es einfach nur fürchterlich. Gruselig. Beängstigend. Und kein bißchen berührend. Das war nicht meine Realität.
Schon dieser Name: Janna-Berta. So hießen Kinder nicht. Blöder Name. Dann, daß die Eltern nicht da waren, um sich um ihren Nachwuchs in Krisensituationen zu kümmern – kam mir auch völlig unrealistisch vor, und auch beängstigend. Ich erinnere mich ganz vage an eine Szene auf einer Autobahn, ich hatte schon nicht richtig begriffen, warum die Kinder überhaupt mit Fahrrädern auf der Autobahn unterwegs waren (verboten! hatte ich im Fahrradkurs gelernt!), noch viel weniger verstand ich allerdings, warum sich niemand um die beiden kümmerte. Und warum es auf der Autobahn nicht weiterging mit Autos. Staus, ja, das kannte ich, aber Staus über Tage? Völlig absurd, das gab es doch gar nicht. Jedenfalls nicht in meiner Welt. Einerseits war das alles zwar ziemlich realitätsfern aus der Perspektive einer wohlbehüteten Tochter – andererseits aber auch sehr bedrohlich. Ich hatte Angst vor solchen Szenarien und dolles Mitleid mit den Kindern, häßliche Namen hin oder her. Die Identifikation jedoch blieb aus, ich fand das Buch diffus bedrohlich, aber nicht berührend.
Am meisten zu kämpfen jedoch hatte ich mit dem Konzept der Strahlenkrankheit. Mit meinen elf oder zwölf Jahren wußte ich sehr wohl, daß man nicht nur an äußerlichen Verletzungen mit viel Blut sterben kann, sondern auch an unsichtbaren Sachen wie Pest oder Gift, aber all das war ganz klar physiologisch, das konnte ich mir vorstellen. Sogar Gift und Dämpfe. Aber Strahlen? Etwas, das man nicht anfassen, sehen oder riechen kann, sondern nur mit tickenden Geräten messen? Das zu begreifen fällt mir bis heute schwer. Und damals ging es einwandfrei über mein Verständnis hinaus – so ein Bedrohungsszenario war so völlig weit weg, so unvorstellbar, daß ich damit einfach nichts anfangen konnte. Zu Fantasy-Romanen voller absonderlicher Ungeheuer hatte ich mehr Bezug, das erhob zumindest keinen Anspruch auf Realität, war unterhaltsam und ging trotzdem gut aus.
Dieses grauenvolle Kinderbuch jedoch war nicht unterhaltsam, sondern nur eine endlose, trostlose Quälerei, hilflose Kinder, hilflose Erwachsene, unsichtbare Gefahren, unverständliche Krankheiten – ich habe es natürlich durchgelesen, aber danach nie wieder angerührt und bin weiteren Büchern dieser Autorin wenn möglich aus dem Weg gegangen. Heute würde ich sagen, daß ich dafür einfach noch zu jung und mit der Botschaft überfordert war - frage mich aber trotzdem, ob das wirklich kindgerechte Lektüre ist.
Zwanzig Jahre später stelle ich fest: ich kann mit dem Konzept der Strahlenkrankheit immer noch nichts anfangen. Es entzieht sich mir, damals wie heute. In dem Maße, in dem ich darüber lese, erinnere ich mich an aufgeschnappte Wissenshäppchen: Dekontamination, weil Gegenstände (alle!) die Strahlung aufnehmen und weitergeben. „Walking-Ghost-Syndrom“, damals schon grauenerregender als ein Bataillon Fantasy-Zombies. Natürlich habe ich inzwischen das Vermögen, die physikalischen Erklärungen dahinter zu verstehen: Zellteilung, Schädigung des Erbguts, Krebs. Aber die Ursache, Strahlung, bleibt diffus. Sehr, sehr schwer greifbar.
Vermutlich haben die Japaner im Moment andere Sorgen, aber trotzdem frage ich mich: wie geht man damit um, wenn diese Szenarien aus Alpträumen plötzlich Realität werden? Wenn man weiß, daß man den Rest seines Lebens mit all den gesundheitlichen Risiken leben muß, quasi einer tickenden Zeitbombe im Körper? Und was sind das für Persönlichkeiten, die diese Gefahr bewußt auf sich nehmen in Fukushima? Geht es ihnen auch so, daß die Gefahr nicht faßbar bleibt und eben deshalb irreal? Tut man sowas aus Heldenmut? Schrecklich, nicht zu wissen, wie schnell das Ende kommen wird. Warum machen Menschen sowas? Wie kann man überhaupt nach so einem Übermaß an Katastrophen morgens aufstehen?
Auch das entzieht sich meinem Verständnis. Vor einem Jahr hatte ich Gelegenheit, mit einem Japaner zusammenzuarbeiten. Wir verstanden uns aus vielerlei Gründen nicht übermäßig gut, aber an einem Punkt dann überraschenderweise doch: bei der Feststellung nämlich, daß wir beide Nationen angehörten, die Schuldige des 2. Weltkriegs waren, und wie man damit fast zwei Generationen später umgeht. Das war eine Gemeinsamkeit. Seit einer Woche denke ich an ihn, an sein Volk, an das unfassbare Leid, und wünsche von ganzem Herzen, daß das Schicksal Japan nach all dem Unglück wenigstens eine zweite Atomkatastrophe und die schlimmsten Alpträume meiner Kindheit erspart.
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