Warum?
Herr Stubenzweig hat gefragt, warum. Warum dieses Ausmaß an Korruption, und wer ist schuld? Wir? Die entwicklungspolitische Forschung hat sich der Frage schon angenommen und zwei sich überschneidende Erklärungsansätze helfen beim Verständnis, wenn man annimmt, daß politische Institutionen und Korruption einen Gesamtkomplex darstellen, und Korruption ein Teilproblem schlechter Regierungsführung und mangelhafter Institutionen (im Sinne von Gesetzen, Mechanismen, Sanktionen) ist.
Erstens wäre da die juristische Tradition eines Landes, die sich aus der kolonialen Geschichte herleitet. In Abhängigkeit von der Kolonialmacht wird die Rechtstradition eines Landes auch heute noch entweder von den Prinzipien des britischen common law oder des kontinentaleuropäischen civil law bestimmt. Das britische common law legt – wie man nach all den Juristen-Thrillern im Fernsehen weiß – großes Gewicht auf Rechtsprechung in spezifischen Fällen, welche fast gleichrangig neben dem kodifizierten Gesetzestext stehen. Gleichzeitig gilt common law als flexibler, anpassungsfähiger an wechselnde Umstände und legt vor allem im Wirtschafsrecht mehr Gewicht auf Anlegerschutz und die Rechte des Individuums. Die Tradition des civil law geht zurück auf den römischen corpus iuiris civilis, germanische Rechtstraditionen und den franzöischen Code Civil. Der entscheidende Unterschied zum britischen Rechtskreis ist die ausgeprägte Kodifizierung des Rechts bis ins Detail, die Richtern lediglich eingeschränkte Interpretation und Auslegung erlaubt, darüber hinaus gilt civil law allerdings auch als dirigistischer, zentralistischer und räumt dem Individuum weniger Rechte ein als wesentlichen Organen oder Entitäten. Klassisches Beispiel hierfür sind im Wirtschaftsrecht die Schutzrechte von Kleinaktionären: das britische common law sieht ausgeprägte Rechte vor, das französische civil law vertraut darauf, daß Management, Großaktionäre und der Staat den Schutz gewährleisten. Zurück zur Korruption: empirische Wirtschaftsforschung zeigt einen klaren Zusammenhang zwischen der Rechtstradition und wirtschaftlicher Entwicklung, vor allem im Finanzsektor. Kausale Zusammenhänge nachzuweisen ist außerordentlich schwierig, aber die gängige Theorie fußt darauf, daß das britischstämmige System einzelne wirtschaftliche Akteure besser schützt, berechenbarer und flexibler ist, und daher wirtschaftlicher Betätigung förderlicher ist als die französische Tradition.
Eines der innovativsten Forschungsprojekte der letzten Jahre denkt in ähnlicher Richtung, stellt allerdings stärker auf das von den Kolonialmächten hinterlassene Regierungskonzept ab. Die Autoren stellen die Hypothese auf, daß die europäischen Kolonialmächte zweierlei Typen von Kolonien etablierten: Nachbildungen ihrer europäischen Heimat in Regionen, die dauerhaft angenehm bewohnbar waren (z.B. die Vereinigten Staaten, Australien, Indien) und den dafür notwendigen vernünftigen, gewaltenteiligen, administrativen Bürokratie- und Staatsorganen. In so lebensfeindlichen Regionen wie Zentralafrika hingegen beschränkten sich die Kolonialmächte auf das absolut notwendige Minimum an Verwaltungsapparaten, um die Reichtümer der Kolonie auszubeuten – hier ist Belgisch-Kongo unter Leopold II. das Paradebeispiel. Die Argumentationskette ist etwas umständlich, die Autoren weisen jedoch nach, daß es einen Zusammenhang zwischen der Sterblichkeit europäischer Siedler in verschiedenen Kolonien und heutigem Pro-Kopf Einkommen gibt – vermutlich, weil die Qualität der etablierten Regierungsapparate und Kontrollen bis heute nachwirkt.* Unabhängig von der wissenschaftlichen Qualität – und den hochkomplexen mathematischen Grundlagen empirischer Wirtschaftsforschung – ist der Zusammenhang zumindest intuitiv nachvollziehbar: in Südafrika kamen Siedler, um zu bleiben, bauten Straßen, Schulen und etablierten einen Verwaltungsapparat, den die erste Unabhängigkeitsregierung übernehmen konnte. Im lebensfeindlichen Kongo hingegen blieb die Kolonialgesellschaft klein, Siedler kamen für einige Jahre um reich zu werden, lieber ohne als mit Familie und entsprechend wenig wurde in das Land investiert und an die erste nationale Regierung unter Lumumba und später Mobutu übergeben.
Wer sich mit Kongolesen über Mobutu und Korruption unterhält, bekommt eine von zwei Versionen zu hören:
1) Unter Mobutu war alles besser. Kinshasa war noch La Belle, die Straßen waren gut erhalten und von Bäumen gesäumt, die staatlichen Unternehmen funktonierten, es gab genug zu essen, Schulen, Bildung, Infrastruktur und der Flughafen N’Djili war eines der großen Drehkreuze für Afrika. Allenfalls – so wird der Gesprächspartner konzedieren – gegen Ende der Mobutu Herrschaft Anfang der neunziger Jahre begann der Abstieg, als dem Diktator die persönliche Gesundheit und der Einfluß im Land gleichermaßen abhanden kamen. Freie Rede? Menschenrechte? Korruption?... wen schert das schon, wenn man genug zu beißen hat.
2) Mobutu war die Saat allen Übels. Das gesamte Regime war eine oligarchisch organisierte Kleptokratie, 140 Millionen Hektar Selbstbedienungsladen für die Elite, welche die von den belgischen Kolonialherren zur Unabhängigkeit überreichte Infrastruktur systematisch heruntergewirtschaftet hat und – schlimmer noch – sämtliche 60 Millionen Einwohner mit dem Korruptionsvirus infizierte, dessen Folgen heute allgegenwärtig sind.
Daran orientiert sich in der Regel auch die Beurteilung der heutigen Situation: erstere können einer leidlich freien Presse (Zeitungsartikel mit mäßiger Kritik kann man gegen Geld bei Journalisten und den einschlägigen Blättern mit gewünschtem Inhalt platzieren) und den in Europa gerühmten freien Wahlen wenig abgewinnen, solange der Magen knurrt. Zweitere sind in der Regel frei von existentiellen Sorgen und hegen auch zehn Jahre nach dem Ende der Alleinherrschaft Mobutus noch Hoffnung für ihr Land.
Um zur Ausgangsfrage zurückzukehren: wer ist schuld? Wir? Sicherlich – unter anderem. Die Kolonialisierung zerstörte die gesellschaftlichen Grundlagen der Stammessysteme in vielen afrikanischen Ländern, ohne einen adäquaten Ersatz zu schaffen und die Bevölkerung beim Umbruch zu begleiten und unterstützen. Ein Freund erzählte mir, in vielen Bantusprachen gebe es kein Wort für „stehlen“ – der Eigentumsbegriff sei einfach ein anderer. Konflikte und Unabhängigkeitskriege in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinterließen oftmals überforderte Persönlichkeiten und Machthaber – man schaue sich nur die Vita von Mobutu oder Samuel Doe an – in den verantwortlichen Regierungspositionen, die mit dem administrativen Erbe wenig anfangen konnten und ihr Land in die Katastrophe führten. Andererseits: nachher ist man immer schlauer und wer hätte damals – mit viel weniger sozialwissenschaftlicher und anthropologischer Forschung, dafür reichlich rassistischen Vorurteilen im Gepäck – vorhersehen können, wohin diese Nachlässigkeit führen würde. Darüber hinaus muß man sich schon fragen, warum es trotz jahrzehntelanger Bemühungen im Kampf gegen die Korruption nur wenige Fortschritte gibt. Von einzelnen Leuchttürmen der Redlichkeit abgesehen – gerne zitiert ein inzwischen abgesetzer oberster Korruptionskämpfer in Nigeria – muß man ehrliche Machthaber in den meisten Ländern suchen wie die Nadel im Heuhaufen. Bei allem Verständnis für das menschliche Bedürfnis, Reichtümer für zukünftige Absicherung anhäufen zu wollen, ist die Maßlosigkeit, die nach oben kein Ende und keine Scham kennt immer wieder erstaunlich – bei europäischen Investmentbankern und Wirtschaftsgrößen aber ebenso wie bei afrikanischen Politikern. Womit wir wieder bei den Institutionen wären: Europa hat Schranken, die die menschliche Gier im Zaum halten und Grenzen setzen – das war ja allerdings auch nicht immer so. Im Mittelalter waren Bankiers und Fürsten in ein Netz aus Verpflichtungen, Gefallen und finanziellen Zuwendungen verstrickt, im Gefängnis konnte und mußte für jede Annehmlichkeit bezahlt werden und der Begriff des öffentlichen Eigentums war auch ein anderer. Der gemeinsame Nenner ist möglicherweise eine kleine, gut vernetzte Elite, die sich gegenseitig stützt. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, und so wie sich im Mittelalter Adel, Fürsten und Kirche die Macht aufteilten und in einem fragilen Gleichgewicht hielten, agieren auch die heutigen Eliten in Afrika. Die Oberschicht im Kongo ist keineswegs eine homogene Einheit: es gibt die Anhänger des Mobutu Regimes, Anhänger des aktuellen Präsidenten wie auch jene der Opposition (deren Galionsfigur Urlaub im schönen Den Haag macht), es gibt Provinzgouverneure und Prätendenten auf einflußreiche Positionen und viel Geschacher um die Zuwendungen für die verschiedenen Provinzen – aber letztlich begegnen sich alle auf denselben Hochzeiten und Taufen, die Kinder gehen in dieselbe Schule, man begegnet sich im Urlaub und im Restaurant und über allem politischem Schacher gibt es doch ein gemeinsames Interesse: ein System zu erhalten, von dem die Oberschicht profitiert. Das jedoch ist keineswegs typisch afrikanisch, sondern typisch menschlich. Der Kongo ist korrupter als Deutschland, weil es im Kongo so viel leichter ist - eine Versuchung, der ja schon mancher Konzern erlegen ist.
Bei den Gesellschaften jedoch stößt jede Entwicklungszusammenarbeit an ihre Grenzen: man kann Anti-Korruptionsagenturen und –kommissionen schaffen, Richter schulen und ausbilden, Konventionen verabschieden und verbalen Druck ausüben: eine Gesellschaft zu transformieren hingegen ist praktisch nicht möglich, es sei denn man wollte zur Kolonialherrschaft zurückkehren. Der Aufbau von funktionierenden Institutionen hingegen braucht Zeit und Geduld.
* Das Problem bei empirischer Wirtschaftsforschung ist, daß ein statistischer Zusammenhang mittels Korrelation oder Regressionsanalysen leicht nachzuweisen ist, die Kausalität hingegen nur sehr schwer. Man nehme zum Beispiel Maßzahlen für die Qualität der Institutionen (im Sinne von Gewaltenteilung, Gesetzen, Rechtsstaatlichkeit) eines Landes und GDP/Capita, wie im obigen Beispiel. Einwandfrei belegen läßt sich ein positiver statistischer Zusammenhang, aber bewirken gute Institutionen wirtschaftliche Entwicklung, oder fördern wirtschaftliche Entwicklung und Reichtum Institutionen, zum Beispiel weil sich wohlhabende Länder eher aufwendige Staatsapparate leisten können? Um die Richtung des Wirkungsmechanismus zu isolieren, suchen Wissenschaftler nach geeigneten instrumental variables - zum Beispiel Siedlersterblichkeit als Indikator für heutige Institutionsqualität, der aber eben tatsächlich nur in eine Richtung wirken kann. Nachteil der Methode ist, daß mit der Auswahl der Instrumentalvariablen die Qualität der Forschung steht und fällt und man unter Umständen mit einfach Argumenten die gesamte Hypothese aushebeln kann, wenn der Wissenschaftler eine angreifbare Instrumentalvariable gewählt hat.
Erstens wäre da die juristische Tradition eines Landes, die sich aus der kolonialen Geschichte herleitet. In Abhängigkeit von der Kolonialmacht wird die Rechtstradition eines Landes auch heute noch entweder von den Prinzipien des britischen common law oder des kontinentaleuropäischen civil law bestimmt. Das britische common law legt – wie man nach all den Juristen-Thrillern im Fernsehen weiß – großes Gewicht auf Rechtsprechung in spezifischen Fällen, welche fast gleichrangig neben dem kodifizierten Gesetzestext stehen. Gleichzeitig gilt common law als flexibler, anpassungsfähiger an wechselnde Umstände und legt vor allem im Wirtschafsrecht mehr Gewicht auf Anlegerschutz und die Rechte des Individuums. Die Tradition des civil law geht zurück auf den römischen corpus iuiris civilis, germanische Rechtstraditionen und den franzöischen Code Civil. Der entscheidende Unterschied zum britischen Rechtskreis ist die ausgeprägte Kodifizierung des Rechts bis ins Detail, die Richtern lediglich eingeschränkte Interpretation und Auslegung erlaubt, darüber hinaus gilt civil law allerdings auch als dirigistischer, zentralistischer und räumt dem Individuum weniger Rechte ein als wesentlichen Organen oder Entitäten. Klassisches Beispiel hierfür sind im Wirtschaftsrecht die Schutzrechte von Kleinaktionären: das britische common law sieht ausgeprägte Rechte vor, das französische civil law vertraut darauf, daß Management, Großaktionäre und der Staat den Schutz gewährleisten. Zurück zur Korruption: empirische Wirtschaftsforschung zeigt einen klaren Zusammenhang zwischen der Rechtstradition und wirtschaftlicher Entwicklung, vor allem im Finanzsektor. Kausale Zusammenhänge nachzuweisen ist außerordentlich schwierig, aber die gängige Theorie fußt darauf, daß das britischstämmige System einzelne wirtschaftliche Akteure besser schützt, berechenbarer und flexibler ist, und daher wirtschaftlicher Betätigung förderlicher ist als die französische Tradition.
Eines der innovativsten Forschungsprojekte der letzten Jahre denkt in ähnlicher Richtung, stellt allerdings stärker auf das von den Kolonialmächten hinterlassene Regierungskonzept ab. Die Autoren stellen die Hypothese auf, daß die europäischen Kolonialmächte zweierlei Typen von Kolonien etablierten: Nachbildungen ihrer europäischen Heimat in Regionen, die dauerhaft angenehm bewohnbar waren (z.B. die Vereinigten Staaten, Australien, Indien) und den dafür notwendigen vernünftigen, gewaltenteiligen, administrativen Bürokratie- und Staatsorganen. In so lebensfeindlichen Regionen wie Zentralafrika hingegen beschränkten sich die Kolonialmächte auf das absolut notwendige Minimum an Verwaltungsapparaten, um die Reichtümer der Kolonie auszubeuten – hier ist Belgisch-Kongo unter Leopold II. das Paradebeispiel. Die Argumentationskette ist etwas umständlich, die Autoren weisen jedoch nach, daß es einen Zusammenhang zwischen der Sterblichkeit europäischer Siedler in verschiedenen Kolonien und heutigem Pro-Kopf Einkommen gibt – vermutlich, weil die Qualität der etablierten Regierungsapparate und Kontrollen bis heute nachwirkt.* Unabhängig von der wissenschaftlichen Qualität – und den hochkomplexen mathematischen Grundlagen empirischer Wirtschaftsforschung – ist der Zusammenhang zumindest intuitiv nachvollziehbar: in Südafrika kamen Siedler, um zu bleiben, bauten Straßen, Schulen und etablierten einen Verwaltungsapparat, den die erste Unabhängigkeitsregierung übernehmen konnte. Im lebensfeindlichen Kongo hingegen blieb die Kolonialgesellschaft klein, Siedler kamen für einige Jahre um reich zu werden, lieber ohne als mit Familie und entsprechend wenig wurde in das Land investiert und an die erste nationale Regierung unter Lumumba und später Mobutu übergeben.
Wer sich mit Kongolesen über Mobutu und Korruption unterhält, bekommt eine von zwei Versionen zu hören:
1) Unter Mobutu war alles besser. Kinshasa war noch La Belle, die Straßen waren gut erhalten und von Bäumen gesäumt, die staatlichen Unternehmen funktonierten, es gab genug zu essen, Schulen, Bildung, Infrastruktur und der Flughafen N’Djili war eines der großen Drehkreuze für Afrika. Allenfalls – so wird der Gesprächspartner konzedieren – gegen Ende der Mobutu Herrschaft Anfang der neunziger Jahre begann der Abstieg, als dem Diktator die persönliche Gesundheit und der Einfluß im Land gleichermaßen abhanden kamen. Freie Rede? Menschenrechte? Korruption?... wen schert das schon, wenn man genug zu beißen hat.
2) Mobutu war die Saat allen Übels. Das gesamte Regime war eine oligarchisch organisierte Kleptokratie, 140 Millionen Hektar Selbstbedienungsladen für die Elite, welche die von den belgischen Kolonialherren zur Unabhängigkeit überreichte Infrastruktur systematisch heruntergewirtschaftet hat und – schlimmer noch – sämtliche 60 Millionen Einwohner mit dem Korruptionsvirus infizierte, dessen Folgen heute allgegenwärtig sind.
Daran orientiert sich in der Regel auch die Beurteilung der heutigen Situation: erstere können einer leidlich freien Presse (Zeitungsartikel mit mäßiger Kritik kann man gegen Geld bei Journalisten und den einschlägigen Blättern mit gewünschtem Inhalt platzieren) und den in Europa gerühmten freien Wahlen wenig abgewinnen, solange der Magen knurrt. Zweitere sind in der Regel frei von existentiellen Sorgen und hegen auch zehn Jahre nach dem Ende der Alleinherrschaft Mobutus noch Hoffnung für ihr Land.
Um zur Ausgangsfrage zurückzukehren: wer ist schuld? Wir? Sicherlich – unter anderem. Die Kolonialisierung zerstörte die gesellschaftlichen Grundlagen der Stammessysteme in vielen afrikanischen Ländern, ohne einen adäquaten Ersatz zu schaffen und die Bevölkerung beim Umbruch zu begleiten und unterstützen. Ein Freund erzählte mir, in vielen Bantusprachen gebe es kein Wort für „stehlen“ – der Eigentumsbegriff sei einfach ein anderer. Konflikte und Unabhängigkeitskriege in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hinterließen oftmals überforderte Persönlichkeiten und Machthaber – man schaue sich nur die Vita von Mobutu oder Samuel Doe an – in den verantwortlichen Regierungspositionen, die mit dem administrativen Erbe wenig anfangen konnten und ihr Land in die Katastrophe führten. Andererseits: nachher ist man immer schlauer und wer hätte damals – mit viel weniger sozialwissenschaftlicher und anthropologischer Forschung, dafür reichlich rassistischen Vorurteilen im Gepäck – vorhersehen können, wohin diese Nachlässigkeit führen würde. Darüber hinaus muß man sich schon fragen, warum es trotz jahrzehntelanger Bemühungen im Kampf gegen die Korruption nur wenige Fortschritte gibt. Von einzelnen Leuchttürmen der Redlichkeit abgesehen – gerne zitiert ein inzwischen abgesetzer oberster Korruptionskämpfer in Nigeria – muß man ehrliche Machthaber in den meisten Ländern suchen wie die Nadel im Heuhaufen. Bei allem Verständnis für das menschliche Bedürfnis, Reichtümer für zukünftige Absicherung anhäufen zu wollen, ist die Maßlosigkeit, die nach oben kein Ende und keine Scham kennt immer wieder erstaunlich – bei europäischen Investmentbankern und Wirtschaftsgrößen aber ebenso wie bei afrikanischen Politikern. Womit wir wieder bei den Institutionen wären: Europa hat Schranken, die die menschliche Gier im Zaum halten und Grenzen setzen – das war ja allerdings auch nicht immer so. Im Mittelalter waren Bankiers und Fürsten in ein Netz aus Verpflichtungen, Gefallen und finanziellen Zuwendungen verstrickt, im Gefängnis konnte und mußte für jede Annehmlichkeit bezahlt werden und der Begriff des öffentlichen Eigentums war auch ein anderer. Der gemeinsame Nenner ist möglicherweise eine kleine, gut vernetzte Elite, die sich gegenseitig stützt. Eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus, und so wie sich im Mittelalter Adel, Fürsten und Kirche die Macht aufteilten und in einem fragilen Gleichgewicht hielten, agieren auch die heutigen Eliten in Afrika. Die Oberschicht im Kongo ist keineswegs eine homogene Einheit: es gibt die Anhänger des Mobutu Regimes, Anhänger des aktuellen Präsidenten wie auch jene der Opposition (deren Galionsfigur Urlaub im schönen Den Haag macht), es gibt Provinzgouverneure und Prätendenten auf einflußreiche Positionen und viel Geschacher um die Zuwendungen für die verschiedenen Provinzen – aber letztlich begegnen sich alle auf denselben Hochzeiten und Taufen, die Kinder gehen in dieselbe Schule, man begegnet sich im Urlaub und im Restaurant und über allem politischem Schacher gibt es doch ein gemeinsames Interesse: ein System zu erhalten, von dem die Oberschicht profitiert. Das jedoch ist keineswegs typisch afrikanisch, sondern typisch menschlich. Der Kongo ist korrupter als Deutschland, weil es im Kongo so viel leichter ist - eine Versuchung, der ja schon mancher Konzern erlegen ist.
Bei den Gesellschaften jedoch stößt jede Entwicklungszusammenarbeit an ihre Grenzen: man kann Anti-Korruptionsagenturen und –kommissionen schaffen, Richter schulen und ausbilden, Konventionen verabschieden und verbalen Druck ausüben: eine Gesellschaft zu transformieren hingegen ist praktisch nicht möglich, es sei denn man wollte zur Kolonialherrschaft zurückkehren. Der Aufbau von funktionierenden Institutionen hingegen braucht Zeit und Geduld.
* Das Problem bei empirischer Wirtschaftsforschung ist, daß ein statistischer Zusammenhang mittels Korrelation oder Regressionsanalysen leicht nachzuweisen ist, die Kausalität hingegen nur sehr schwer. Man nehme zum Beispiel Maßzahlen für die Qualität der Institutionen (im Sinne von Gewaltenteilung, Gesetzen, Rechtsstaatlichkeit) eines Landes und GDP/Capita, wie im obigen Beispiel. Einwandfrei belegen läßt sich ein positiver statistischer Zusammenhang, aber bewirken gute Institutionen wirtschaftliche Entwicklung, oder fördern wirtschaftliche Entwicklung und Reichtum Institutionen, zum Beispiel weil sich wohlhabende Länder eher aufwendige Staatsapparate leisten können? Um die Richtung des Wirkungsmechanismus zu isolieren, suchen Wissenschaftler nach geeigneten instrumental variables - zum Beispiel Siedlersterblichkeit als Indikator für heutige Institutionsqualität, der aber eben tatsächlich nur in eine Richtung wirken kann. Nachteil der Methode ist, daß mit der Auswahl der Instrumentalvariablen die Qualität der Forschung steht und fällt und man unter Umständen mit einfach Argumenten die gesamte Hypothese aushebeln kann, wenn der Wissenschaftler eine angreifbare Instrumentalvariable gewählt hat.
schusch,
Montag, 4. Januar 2010, 21:51
Frau Damenwahl, frohes neues erstmal,
und ein großes Danke für diesen Post!
Viel harter Stoff auf einmal.
Mal ein Geschenk nebenbei eingesteckt, das gibt es überall, aber ein Staat, der seine Staatsdiener nicht bezahlen kann, weswegen sie ihr Amt mißbrauchen müsssen, um zu leben, und seinen Bürgern nur nimmt statt gibt (Sylvain wird keine Entschädigung für sein abgerissenes Haus bekommen, obwohl es ein Gesetz gibt und er als Anwalt klagt), wie soll der funktionieren?
Er funktioniert nicht. Und es wird wieder Unruhen geben, die alles das kaputt machen, was seit der letzten Plünderung mühsam, langsam wieder aufgebaut wurde.
Um da etwas aufzubauen, braucht man Zeit. Und die Zeit ist abgelaufen, wenn die Leute wieder einmal die Schnauze voll haben. Gründe dafür gibts rund um die Uhr. Das kann sich schnell und plötzlich entladen.
Es sieht alles sehr langsam aus, da unten, die Zeit läuft aber.
und ein großes Danke für diesen Post!
Viel harter Stoff auf einmal.
Mal ein Geschenk nebenbei eingesteckt, das gibt es überall, aber ein Staat, der seine Staatsdiener nicht bezahlen kann, weswegen sie ihr Amt mißbrauchen müsssen, um zu leben, und seinen Bürgern nur nimmt statt gibt (Sylvain wird keine Entschädigung für sein abgerissenes Haus bekommen, obwohl es ein Gesetz gibt und er als Anwalt klagt), wie soll der funktionieren?
Er funktioniert nicht. Und es wird wieder Unruhen geben, die alles das kaputt machen, was seit der letzten Plünderung mühsam, langsam wieder aufgebaut wurde.
Um da etwas aufzubauen, braucht man Zeit. Und die Zeit ist abgelaufen, wenn die Leute wieder einmal die Schnauze voll haben. Gründe dafür gibts rund um die Uhr. Das kann sich schnell und plötzlich entladen.
Es sieht alles sehr langsam aus, da unten, die Zeit läuft aber.
damenwahl,
Montag, 4. Januar 2010, 22:20
Herr Schusch, Dir auch ein frohes neues Jahr!
Ja, man darf gespannt sein auf die weiteren Entwicklungen, aber so richtig spannend wird es wohl erst im nächsten Jahr, 2011. Ich wäre dann ja gerne da... .
Ja, man darf gespannt sein auf die weiteren Entwicklungen, aber so richtig spannend wird es wohl erst im nächsten Jahr, 2011. Ich wäre dann ja gerne da... .
schusch,
Montag, 4. Januar 2010, 22:38
Bei der Wahl? Danger Freak?
Ich mach dann Trekking in Grönland. Da ist es nur kalt.
Ich mach dann Trekking in Grönland. Da ist es nur kalt.
teutobrecht,
Dienstag, 5. Januar 2010, 12:53
... bin zwar etwas spaet dran mit meinem Kommentar oder besser meiner Frage, kann aber zu meiner Entlastung sagen, dass ich mir vorgestern schon einen "abgebrochen" hatte, waehrend des Abschickens aber die Verbindung zusammengebrochen zu sein scheint.
Was ich wissen wollte: Julius Nyerere, ein letztlich wohl auch gescheiterter Reformer, wenn nicht Revolutionaer, aber eine integre Persoenlichkeit. Spielen Entwicklungskonzepte wie Ujamaa-Sozialismus in der heutigen Diskussion ueberhaupt noch eine Rolle?
Und was wuerden Sie von der Hypothese halten, dass es umso unwahrscheinlicher ist, dass Persoenlichkeiten vom Schlage Nyerere auf politische Fuehrungspositionen kommen koennen, je reichen das betreffende Land ist; Tansania war und ist ja eher eins der aermeren Laender, wenn ich das recht sehe.
Ihrem Beitrag entnehme ich ja auch eine gewisse Ratlosigkeit.
MfG
G. S.
Was ich wissen wollte: Julius Nyerere, ein letztlich wohl auch gescheiterter Reformer, wenn nicht Revolutionaer, aber eine integre Persoenlichkeit. Spielen Entwicklungskonzepte wie Ujamaa-Sozialismus in der heutigen Diskussion ueberhaupt noch eine Rolle?
Und was wuerden Sie von der Hypothese halten, dass es umso unwahrscheinlicher ist, dass Persoenlichkeiten vom Schlage Nyerere auf politische Fuehrungspositionen kommen koennen, je reichen das betreffende Land ist; Tansania war und ist ja eher eins der aermeren Laender, wenn ich das recht sehe.
Ihrem Beitrag entnehme ich ja auch eine gewisse Ratlosigkeit.
MfG
G. S.
damenwahl,
Dienstag, 5. Januar 2010, 14:14
Lieber Herr teutobrecht, zum Thema Armut und Reichtum eines Landes und wie sich das auf die wirtschaftliche Entwicklung auswirkt, gibt es umfangreiche Forschung unter dem Schlagwort resource curse, empfehlenswerte Lektüre dazu von Paul Collier. Ressourcenreichtum stellt eine Quelle für Renten dar, was wiederum die gesellschaftlichen Strukturen und Machtverhältnisse beeinflußt - aber dazu könnte man einen weiteren seitenlangen Beitrag schreiben. Ihre Vermutung halte ich jedoch generell für zutreffend.
Ich bin keine Expertin für Entwicklungskonzepte, aber ich denke, sozialistische Ideen stehen nach wie vor nicht übermäßig hoch im Kurs. Das hängt natürlich auch davon ab, wen man fragt: die großen Organisationen vertreten andere Positionen als die bilateralen Organisationen oder NGOs, die wissenschaftliche Forschung hat ohnehin eine ganz andere (eher theoretische) Perspektive. Einzelne Elemente - Dezentralisierung, Selbstversorgung, Abkehr vom Primat der Importsubstitution oder der Fokussierung auf Industrialisierung - sind durchaus noch relevant, aber das Gesamtpaket wohl eher nicht.
Ich weiß nicht viel und überlege mir gut, wenn ich öffentlich Position beziehe, eines aber ist sicher: Ratlosigkeit ist in meinen Augen die einzige realistische Position, die man beziehen kann. Die Probleme sind so überwältigend und komplex, daß ich jeden, der eine Lösung zu haben glaubt, für einen Scharlatan oder Größenwahnsinnigen halten würde. Daher bekenne ich mich zu meiner Ratlosigkeit.
Ich bin keine Expertin für Entwicklungskonzepte, aber ich denke, sozialistische Ideen stehen nach wie vor nicht übermäßig hoch im Kurs. Das hängt natürlich auch davon ab, wen man fragt: die großen Organisationen vertreten andere Positionen als die bilateralen Organisationen oder NGOs, die wissenschaftliche Forschung hat ohnehin eine ganz andere (eher theoretische) Perspektive. Einzelne Elemente - Dezentralisierung, Selbstversorgung, Abkehr vom Primat der Importsubstitution oder der Fokussierung auf Industrialisierung - sind durchaus noch relevant, aber das Gesamtpaket wohl eher nicht.
Ich weiß nicht viel und überlege mir gut, wenn ich öffentlich Position beziehe, eines aber ist sicher: Ratlosigkeit ist in meinen Augen die einzige realistische Position, die man beziehen kann. Die Probleme sind so überwältigend und komplex, daß ich jeden, der eine Lösung zu haben glaubt, für einen Scharlatan oder Größenwahnsinnigen halten würde. Daher bekenne ich mich zu meiner Ratlosigkeit.
schusch,
Mittwoch, 6. Januar 2010, 23:33
Korruption wird bekämpft! Aber so was von brutalstmöglich!
http://derstandard.at/1262208939935/Korruption-Kongo-entlaesst-119-Staatsbeamte
http://derstandard.at/1262208939935/Korruption-Kongo-entlaesst-119-Staatsbeamte
damenwahl,
Mittwoch, 6. Januar 2010, 23:43
119 Staatsbeamte.... auch bekannt als: Tropfen auf den heißen Stein.
teutobrecht,
Donnerstag, 7. Januar 2010, 10:02
... vielen Dank fuer den Buchtipp; habe mir auch die Homepage dieses Professor angeschaut; scheint genau das zu sein, was ich brauche.
Mit besten Gruessen
G. Schoenbauer
Mit besten Gruessen
G. Schoenbauer
damenwahl,
Donnerstag, 7. Januar 2010, 11:15
Freut mich. Ich habe Professor Collier zwei Mal in Washington erlebt, er ist ein sehr unterhaltsamer Redner und vertritt immer wieder unkonventionelle Thesen.
teutobrecht,
Freitag, 8. Januar 2010, 10:54
... so, jetzt habe ich mir auch Ihren Beitrag vom Maerz durchgelesen. Muss sagen, dass mir die dort rekapitulierten Thesen auch durch den Kopf gegangen sind, was aber nicht damit zusammenhaengt, dass ich so neunmalklug waere, sondern damit, dass ein Teil der provokanten Thesen frueher unter anderen Begrifflichkeiten diskutiert wurden, demjenigen der Entwicklungsdikatur etwa.
Das Collier-Buch habe ich mir bestellt und freue mich schon auf die Lektuere.
Also noch einmal ein Dankeschoen und beste Gruesse
G. Schoenbauer
Das Collier-Buch habe ich mir bestellt und freue mich schon auf die Lektuere.
Also noch einmal ein Dankeschoen und beste Gruesse
G. Schoenbauer
damals,
Dienstag, 12. Januar 2010, 20:36
Entschuldigen Sie, aber Ihr Text macht ein bisschen einen "Wald-vor-Bäumen"-Eindruck, deshalb erlaube ich mir einen kleinen Einspruch, obwohl sich meine Kenntnisse über den Kongo auf die wikipedia-Seite dazu sowie einen Dokumentarfilm über Lummumba beschränken, den ich vor 1-2 Jahren sah. Aus beidem war ersichtlich, dass der Kongo sogar noch stärker als andere afrikanische Regionen ausgeplündert wurde, wohl der Bodenschätze wegen, und dass man sich in der ersten Welt sogar die Mühe machte, den ersten Präsidenten nach der Unabhängigkeit selber umzubringen. Wenn also eine Bevölkerung über Jahrhunderte auf diese Weise westlich sozialisiert wird (ich bin sicher, sie wissen inzwischen sehr gut, was "stehlen" ist), ist es doch eigentlich kein Wunder, wenn sie keinen Sinn für Rechtsstaatlichkeit entwickelt. ... eigentlich eine einfache Überlegung, für die man keine Wissenschaft bemühen muss. Oder?
teutobrecht,
Mittwoch, 13. Januar 2010, 11:38
... bei Rousseau gibt es eine Ueberlegung, die besagt, dass Demokratie eigentlich nur in armen Laendern funktionieren kann. In reichen Laender wuerden sich die Buerger ueber Verteilungsfragen die Koepfe einschlagen, die Reichen die Armen ausbeuten usw. Wenn man voraussetzen kann, dass die staatlichen Instanzen das Gewaltmonopol landesweit durchzusetzen in der Lage sind, stimmt die Ueberlegung nicht.
So aehnlich stellt sich mir dies auch in afrikanischen Laendern dar, sofern sie keine Entwicklungsdiktaturen sind. Wenn die Ueberlegung zutreffend ist, waeren die Chancen einer demokratisch-rechtsstaatlichen Entwicklung in reichen afrikanischen Laendern weniger gut als in armen. Von daher koennte man sich zumindest plausibel machen, dass in einem armen Land wie Tansania eine integre Persoenlichkeit wie Julius Nyerere viele Jahre Praesident sein konnte, und dass in einem reichen Land wie Kongo eine ebenfalls integre Persoenlichkeit wie Lumumba im Interessengeflecht der belgischen Kolonialmacht, der USA, weisser Siedler und Geschaeftsleute und des Militaers faktisch ohne Chance war; dass die CIA Lumumba gleich nach der Wahl umbringen lassen wollte, kann man heute ja in den "Familiy Jewels" nachlesen (z.B. http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB222/top06.pdf), an Nyerere war nur der ihm wesensaehnliche Willy Brandt interessiert (Nord-Sued-Kommission).
Um es noch einmal und ohne jeden Anspruch auf Richtigkeit in anderen Worten zu rekapitulieren: Reiche Laender sind besser auszuschlachten, wenn das Staatswesen darniederliegt und Militaers, Stammesfuersten, auslaendische Konzerne, die Mafia usw. das Machtvakuum ausfuellen; Laender, in denen nichts zu holen, haben bessere Demokratisierungs- und Rechtsstaatlichkeitschancen, was nicht heisst, dass sie auch verwirklicht werden.
Mit bestem Gruss
G. Schoenbauer
So aehnlich stellt sich mir dies auch in afrikanischen Laendern dar, sofern sie keine Entwicklungsdiktaturen sind. Wenn die Ueberlegung zutreffend ist, waeren die Chancen einer demokratisch-rechtsstaatlichen Entwicklung in reichen afrikanischen Laendern weniger gut als in armen. Von daher koennte man sich zumindest plausibel machen, dass in einem armen Land wie Tansania eine integre Persoenlichkeit wie Julius Nyerere viele Jahre Praesident sein konnte, und dass in einem reichen Land wie Kongo eine ebenfalls integre Persoenlichkeit wie Lumumba im Interessengeflecht der belgischen Kolonialmacht, der USA, weisser Siedler und Geschaeftsleute und des Militaers faktisch ohne Chance war; dass die CIA Lumumba gleich nach der Wahl umbringen lassen wollte, kann man heute ja in den "Familiy Jewels" nachlesen (z.B. http://www.gwu.edu/~nsarchiv/NSAEBB/NSAEBB222/top06.pdf), an Nyerere war nur der ihm wesensaehnliche Willy Brandt interessiert (Nord-Sued-Kommission).
Um es noch einmal und ohne jeden Anspruch auf Richtigkeit in anderen Worten zu rekapitulieren: Reiche Laender sind besser auszuschlachten, wenn das Staatswesen darniederliegt und Militaers, Stammesfuersten, auslaendische Konzerne, die Mafia usw. das Machtvakuum ausfuellen; Laender, in denen nichts zu holen, haben bessere Demokratisierungs- und Rechtsstaatlichkeitschancen, was nicht heisst, dass sie auch verwirklicht werden.
Mit bestem Gruss
G. Schoenbauer
damenwahl,
Donnerstag, 14. Januar 2010, 01:27
damals, die Schuld nur bei den Kolonialmächten zu suchen und daraus unbegrenzte Vertantwortung für alle Zeiten abzuleiten finde ich zu einfach. Was ich aufzeigen möchte ist gerade, daß das Land extrem widersprüchlich ist. Einerseits vermuten Sie, man müsse doch inzwischen „stehlen“ begriffen haben. Die Antwort lautet: kann sein, muß aber nicht. Andere typisch europäische Verhaltensweisen wie zeiteffizientes Arbeiten, Pünktlichkeit, oder den Abgleich lang- und kurzfristiger Vorteile bei Entscheidungen gibt es ebenfalls nicht – selbst in Kreisen, wo man anderes erwarten würde. Familienzusammenhalt wird anders definiert, Gemeineigentum ebenso. Andererseits wiederum: gerade die Eliten mit europäischer Universitätsbildung im Rücken könnten durchaus während ihrer Studien im Ausland ein Gefühl für Rechtsstaatlichkeit entwickeln (entgegen Ihrer Meinung) – sind aber manchmal in ihrer Gier noch maßloser als der Durchschnitt. Sie haben völlig Recht, ich sehe den Wald vor läuter Bäumen nicht – aber wer behauptet, eine Lösung oder eine eindimensionale Erklärung zu wissen, greift zu kurz. Einfach sind die Dinge nicht im Kongo.
Herr Schönbauer, daß die Theorie schon bei Rousseau steht, wußte ich nicht – aber was sie sagen gilt noch heute als durchaus akzeptierter wissenschaftlicher Standard. Die – meiner Meinung fazsinierende – Mindermeinung finden Sie hier.
Herr Schönbauer, daß die Theorie schon bei Rousseau steht, wußte ich nicht – aber was sie sagen gilt noch heute als durchaus akzeptierter wissenschaftlicher Standard. Die – meiner Meinung fazsinierende – Mindermeinung finden Sie hier.
g. schoenbauer,
Donnerstag, 14. Januar 2010, 10:39
Verehrte Frau damenwahl,
man kann einen Text auch verstehen, wenn man bei den einzelnen Woertern 1/4 bis 1/3 der Buchstaben weglaesst. Ein Fehler ist es allerdings, wenn man nur die ersten drei Buchstaben liest.
Und so habe ich denn den vorletzten Beitrag von "damals" als den Ihrigen aufgefasst und die darin geaeusserte Kritik, die an Sie gerichtet war, auf mich bezogen, was mich zwar verwunderte, weil Sie ja vorher schon dazu Stellung genommen hatten, mich aber das Missverstaendnis nicht durchschauen liess. So habe ich denn zweimal mehr oder weniger dasselbe geschrieben.
Einer der Beitraege von Haber und Menaldo wird gerade ausgedruckt; werde mir den Text, immerhin ueber 50 seiten, am Wochenende vornehmen.
Thanks fuer den Tipp und beste Gruesse,
Guenter Schoenbauer
man kann einen Text auch verstehen, wenn man bei den einzelnen Woertern 1/4 bis 1/3 der Buchstaben weglaesst. Ein Fehler ist es allerdings, wenn man nur die ersten drei Buchstaben liest.
Und so habe ich denn den vorletzten Beitrag von "damals" als den Ihrigen aufgefasst und die darin geaeusserte Kritik, die an Sie gerichtet war, auf mich bezogen, was mich zwar verwunderte, weil Sie ja vorher schon dazu Stellung genommen hatten, mich aber das Missverstaendnis nicht durchschauen liess. So habe ich denn zweimal mehr oder weniger dasselbe geschrieben.
Einer der Beitraege von Haber und Menaldo wird gerade ausgedruckt; werde mir den Text, immerhin ueber 50 seiten, am Wochenende vornehmen.
Thanks fuer den Tipp und beste Gruesse,
Guenter Schoenbauer
damals,
Freitag, 15. Januar 2010, 19:14
Liebe Frau Damenwahl, es war von mir gar nicht als Kritik gemeint, schon gar nicht mit dem Anspruch, eine Lösung zu haben. Immerhin habe ich schon eine Weile bei Ihnen mitgelesen - es ist mir daher sonnenklar, dass eine einfache Lösung nicht in Sicht ist. Ich wollte nur Ihre Sicht (aus dem Blickwinkel des fernen Beobachters, der ja pauschal sein darf) ergänzen, um ein bisschen Empathie werben. Wozu natürlich auch Antipathie gehören kann: dass Eliten mit europäischer Universitätsbildung das Stehlen mitunter besonders gut gelernt haben, das glaube ich gerne (ich habe als Lehrer an deutschen Privatschulen ähnliche Erlebnisse mit "Eliten" gehabt). Zur Empathie gehört die Schuld einfach mal zu benennen. Bedenken Sie doch: Auch in Deutschland hat es zwei Generationen gedauert, bis die Verwerfungen langsam wieder ins Lot kommen nach der Nazizeit - warum sollte es im Kongo schneller gehen?
Vor allem aber bitte ich Sie, mein Anmahnen eines Schuldeingeständnisses nicht als "Verantwortung für alle Zeiten" misszuverstehen. Ich finde auch, dass jedes "verantwortliche" Bemuttern ein Fortsetzen des Kolonialismus mit anderen Mitteln wäre.
... aber wahrscheinlich sind unsere Ideen gar nicht so weit auseinander, nur die Terminologien anders ... Bleiben Sie so differenziert!
Vor allem aber bitte ich Sie, mein Anmahnen eines Schuldeingeständnisses nicht als "Verantwortung für alle Zeiten" misszuverstehen. Ich finde auch, dass jedes "verantwortliche" Bemuttern ein Fortsetzen des Kolonialismus mit anderen Mitteln wäre.
... aber wahrscheinlich sind unsere Ideen gar nicht so weit auseinander, nur die Terminologien anders ... Bleiben Sie so differenziert!
damenwahl,
Freitag, 15. Januar 2010, 22:03
Lieber Herr Damals, ich glaube, wir stehen auf derselben Position. Ohne Frage gibt es eine Mitverantwortung der Kolonialmächte und für die sollte man einstehen. Auch wenn der Umgang mit dieser Schuld weit weniger öffentlich stattfindet als bei anderen Themen, so gibt es doch daran eigentlich keinen Zweifel, wenn man die gängige Literatur betrachtet. Das wollte ich, gewissermaßen, auch in meinem Beitrag deutlich machen, daher der Verweis auf die Fachdebatten.
Davon abgesehen: vielen Dank für das Kompliment und für gleichermaßen differenzierte Leser, die solche Diskussionen erst ermöglichen!
Davon abgesehen: vielen Dank für das Kompliment und für gleichermaßen differenzierte Leser, die solche Diskussionen erst ermöglichen!
teutobrecht,
Sonntag, 17. Januar 2010, 10:49
... habe mir mal die fast noch druckfrische Studie von Haber und Menaldo zum Thema "Do Natural Resources Fuel Authoritarianism?" durchgelesen.
Die Antwort ist: nein. Sie schreiben u.a.: "We find no evidence at all that oil or mineral booms undermine democracies. Indeed, the evidence indicates the opposite: democracies are made more resilient by increases in their oil and mineral reliance. We also find that there are countries, such as Mexico, Chile, and Ecuador, which have transitioned from authoritarianism to democracy in the midst of oil or mineral booms. Even more striking, the actual histories of the countries typically cited as examples of the resource curse—such as Venezuela, Iran, or Turkmenistan – contradict the claim that their
contemporary political institutions are caused by oil or mineral dependence. Venezuela, for example, may
be governed by the self-styled revolutionary Hugo Chávez today, but it was governed by a series of dictators before oil was discovered in 1917, and then transitioned to democracy at the pinnacle of the growth of its oil industry—a fact that was pointed out by Karl (1997). Iran was authoritarian for more than a century before oil was discovered. Turkmenistan was born as an autocratic petro-state when the Soviet Union collapsed. But none of the other so-called “Stans” (Uzbekistan, Tajikistan, Afghanistan,
Kazakhstan, Kyrgyzstan, Pakistan) are democratic either, even though only one of them, Kazakhstan, is a major oil or mineral producer. Much the same can be said about the history of other “resource cursed” countries. In short, when the most appropriate – historical – evidence is brought to bear, the tenet that oil and mineral reliance fuels authoritarianism fails."
Die Zahl der beruecksichtigten Laender ist ausgesprochen gross: 165. Allerdings scheint es sich dabei durchweg um Beispiele zu handeln, in denen die staatliche Machtausuebung funktioniert, ob nun demokratisch, diktatorisch, monarchisch oder - wie in Aegypten - hauptsaechlich aufs Militaer gestuetzt.
Vom Kongo ist nur an einer Stelle expressis verbis die Rede, und zwar im Vergleich mit Botswana: "Engelbert (2000) gets to the heart of the matter in his comparison of democratic and prosperous Botswana and autocratic, impoverished Congo: reliance on resources cannot explain the differences between them because both are mineral rich; their colonial institutions instead explain the
differences in development outcomes."
In der Studie werden eine Unmenge von Daten verarbeitet, auf einem Niveau, das man als "sophisticated" bezeichnen koennte. Wer Fragen hat, bitte stellen!
Die Antwort ist: nein. Sie schreiben u.a.: "We find no evidence at all that oil or mineral booms undermine democracies. Indeed, the evidence indicates the opposite: democracies are made more resilient by increases in their oil and mineral reliance. We also find that there are countries, such as Mexico, Chile, and Ecuador, which have transitioned from authoritarianism to democracy in the midst of oil or mineral booms. Even more striking, the actual histories of the countries typically cited as examples of the resource curse—such as Venezuela, Iran, or Turkmenistan – contradict the claim that their
contemporary political institutions are caused by oil or mineral dependence. Venezuela, for example, may
be governed by the self-styled revolutionary Hugo Chávez today, but it was governed by a series of dictators before oil was discovered in 1917, and then transitioned to democracy at the pinnacle of the growth of its oil industry—a fact that was pointed out by Karl (1997). Iran was authoritarian for more than a century before oil was discovered. Turkmenistan was born as an autocratic petro-state when the Soviet Union collapsed. But none of the other so-called “Stans” (Uzbekistan, Tajikistan, Afghanistan,
Kazakhstan, Kyrgyzstan, Pakistan) are democratic either, even though only one of them, Kazakhstan, is a major oil or mineral producer. Much the same can be said about the history of other “resource cursed” countries. In short, when the most appropriate – historical – evidence is brought to bear, the tenet that oil and mineral reliance fuels authoritarianism fails."
Die Zahl der beruecksichtigten Laender ist ausgesprochen gross: 165. Allerdings scheint es sich dabei durchweg um Beispiele zu handeln, in denen die staatliche Machtausuebung funktioniert, ob nun demokratisch, diktatorisch, monarchisch oder - wie in Aegypten - hauptsaechlich aufs Militaer gestuetzt.
Vom Kongo ist nur an einer Stelle expressis verbis die Rede, und zwar im Vergleich mit Botswana: "Engelbert (2000) gets to the heart of the matter in his comparison of democratic and prosperous Botswana and autocratic, impoverished Congo: reliance on resources cannot explain the differences between them because both are mineral rich; their colonial institutions instead explain the
differences in development outcomes."
In der Studie werden eine Unmenge von Daten verarbeitet, auf einem Niveau, das man als "sophisticated" bezeichnen koennte. Wer Fragen hat, bitte stellen!