Donnerstag, 14. Januar 2010
Noch mehr Bahn
Ich reise ja gerne. Und im Moment viel. Montag Abend bis neunzehn Uhr lag ich mit meiner Aufgabenliste für den Tag gut in der Zeit (obwohl ich morgens eine Stunde lang das Auto freischippen mußte, das sich im Tiefschnee festgefahren hatte), um zwanzig Uhr als ich geistig schon im Schlafmodus war, noch mal zehn Mails und Probleme, die mich bis Mitternacht beschäftigten.
Dienstag morgen um kurz nach sieben in die Bummelbahn gestiegen, um zwanzig vor Acht folgende Durchsage: „Meine Damen und Herren, bitte beachten Sie, daß unsere planmäßige Abfahrtszeit an diesem Ort um 7h49 ist.“ Der Motor wurde abgestellt, die Innenbeleuchtung reduziert und in der Stille hörte man die Heizung knacken. Leicht irritierte Fahrgäste erwachten aus ihrem Halbschlummer, schauten aus dem Fenster: nichts. Links nur verschneite Landschaft, rechts ein verschneiter Bauernhof. Kein Bahnhof, kein Häuschen, keine Lichter, keine Schilder. Unfassbar aber wahr, um pünktlich 7h48 sprang der Motor wieder an und es ging weiter.
Am nächsten Bahnhof dann der Anschluß zehn Minuten verspätet, nicht wirklich überraschend. Nach fünf Minuten auf dem Gleis rauschte eine einsame Trieblok an uns vorbei, eine Fahne Puderschnee hinter sich herziehend und kehrte weitere fünf Minuten später mit dem gesamten IC zurück, wie es sich gehört. Die Reisegeschwindigkeit und der Zwischenstopp berechtigten zu den schönsten Hoffnungen, die Verspätung wieder aufzuholen und meinen Anschlußzug im Palast der Winde doch noch zu erreichen. Zur planmäßigen Ankunftszeit verkündete der Schaffner die frohe Botschaft: sämtliche Anschlüsse würden warten. Vorerst allerdings warteten wir, wieder einmal mitten auf der Strecke. Zehn Minuten um einen ICE passieren zu lassen. Ein paar Meter weiter warteten wir erneut, in rascher Folge rauschten ein Regionalzug und ein Gütertransport an uns vorbei. Vor der Einfahrt ins Gleis warteten wir erneut und hatten am Ende dreißig Minuten Verspätung.
In all meinen Jahren mit der Deutschen Bahn habe ich selten wirklich nettes Zugpersonal erlebt. Ich wurde aus den Bistro-Wagen rausgeschmissen wenn ich nichts kaufen wollte, habe unzählbare Stunden wartend auf zugigen Bahnsteigen verbracht, und mit Schaffnern gerungen über die Frage vergessener Bahncards, umgeschriebener Tickets und verpasster Anschlußverbindungen. Für mehr als vier Stunden Verspätung in zwei aufeinanderfolgenden Reisen innerhalb von vier Wochen wurden mir seinerzeit 20 Euro Erstattung angeboten bei über 100 Euro Ticketpreis. Ich habe durchaus nette Schaffner vorbildlicher Kundenorientierung erlebt – allerdings nie, wenn ich selbst betroffen war.
Vor gut einem Jahr hatte ich mich ganz bewußt von zwei möglichen Zügen für den späteren, langsameren Anschluß ohne Umsteigen entschieden. Die etwas frühere Verbindung war so verspätet, daß es de facto einem Ausfall gleichkam und entsprechend voll war mein Zug. Im Bistro-Wagen neben mir saß ein ältlicher, magerer Herr mit großer Brille, großem Aktenkoffer und einer Zeitschrift über Insekten, in der ihn vor allem der Artikel über rote Waldameisen brennend zu interessieren schien. Als das Mitr*pa Personal zum Tisch abräumen kam, war er ernsthaft enttäuscht, hier keine Fahrplan-Auskünfte erhalten zu können und freute sich um so mehr, als der richtige Ansprechpartner in Person eines dicklichen, gemütlichen Schaffners endlich aufkreuzte. Der Schaffner suchte dem Fahrgast in vorbidlicher Manier Verbindungen heraus, notierte Gleise und gab sich überhaupt alle Mühe, die sich zum Schluß in Former einiger Getränkegutscheine fürs Bistro manifestierte.
Ich also: „Ich habe ja heute nicht zu klagen, dieser Zug ist ja pünktlich, aber es ist doch schön zu sehen, daß es in Krisenzeiten bei der Bahn auch freundliches Personal gibt. Immer wenn ich in verspäteten Zügen sitze, sind die Schaffner nur unfreundlich, ungeduldig und nicht einmal annähernd so hilfsbereit. Getränkegutscheine, sogar. Habe ich noch nie erlebt!“ Ich überreichte mein Ticket und der Schaffner - unter bedeutungsvollem Augenzwinkern - so: „Junge Frau, Sie wollten doch bestimmte auch den früheren Zug nehmen und sitzen jetzt hier mit Verspätung, nicht wahr? Ich gebe Ihnen dann auch mal zur Entschädigung einen Gutschein.“ Wir wußten natürlich beide, daß ich keineswegs im anderen Zug hätte fahren wollen, das ging aus meinem Ticket deutlich hervor. In fünfzehn Jahren als treue Bahn-Kundin habe ich mehr Tief- als Höhepunkte erlebt, aber bei allem Elend: es gab sie, die Höhepunkte.

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