Hausgäste
Manche sagen, ich habe ein gutes Herz. Jener ausländischen Kollegin zum Beispiel, die vor kurzem zu ihrem Freund ins Umland gezogen ist, habe ich schon beim ersten Kaffee angeboten, sie könne natürlich gerne, bei Bedarf, gelegentlich, bei mir übernachten, auch wenn meine Wohnung so klein ist, daß man mit einer Luftmatratze auf dem Fußboden nur noch Pferdchenspringen spielen kann.

Ich konnte ja nicht ahnen, daß sie dieses Angebot noch vor dem dritten Kaffee in Anspruch nehmen würde. Hat sie aber. Streit mit dem Freund, der setzte sie vor die Tür und so bekam ich am Montag eine e-Mail, in der sie um Obdach bat. Auf unbegrenzte Zeit, bis sie eine eigene Wohnung hier gefunden hätte. Nun würde ich nieniemals Menschen in Not meine Hilfe verwehren, erst recht keiner jungen Frau im fremden Land, reichlich allein (wie ich meinte) und in Not war sie zweifelsfrei, also bekam ich Überraschungsbesuch. Kaufte auf dem Heimweg noch Wein, Abendbrot und Schokolade, räumte ein bißchen auf und harrte der Dinge, die da kämen.

Zuerst allerdings wollte die Gute noch eine Freundin zum Abendessen treffen. Und andere Freunde, auf ein Bier. Um elf Uhr abends dann holten wir ihren Koffer, der die frei Fläche meiner kleinen vier Wände um einen weiteren Quadratmeter dezimierte. Den Wein haben wir dann trotzdem noch angefangen, zum Trost.

Am zweiten Tag dann brachte sie was zum Abendessen mit und auch ein ganz apartes Bier aus ihrer wilden Heimat, wir plauschten, wir surften, wir hörten Musik, sie zeigte mir Fotos. Das war allerdings, nachdem ich schon vormittags eine Möglichkeit für sie gefunden hatte, die leerstehende Wohnung einer Freundin zu übernehmen, für unbegrenzte Zeit, und ich muß zugeben: mein großes Herz wurde etwas kleiner, nachdem sie dieses Angebot so gar nicht zu interessieren schien.

Heute nun kann ich berichten, schrumpfte mein angeblich großes Herz auf Kieselsteingröße. Während ich nämlich morgens Kaffe koche und Obst fürs Frühstück schnippele, macht Madame sich schön. Während ich nachts fast ersticke, verwahrt sie sich gegen offene Fenster. Und während ich heute hungrig die Zeit bis zu ihrer für halb neun angekündigten Ankunft vertrieb, erhielt ich um neun eine Nachricht, sie käme in einer Stunde. Nun ist es elf, und ich sitze hier immer noch, mit meiner Erdbeer-Bowle. Weil ich ihr eine Freude machen wollte, weil ich Gäste wie Gäste behandele, weil ich eine dumme Gans bin.

Sollten Sie mal in die Schweiz kommen, suchen Sie doch das Hotel Damenwahl auf.

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mark793, Donnerstag, 22. Juli 2010, 02:26
Ah, gute Idee, es stört Sie auch sicher nicht, wenn ich mit Frau und Kind im Schlepptau komme. Die beiden sind ja doch recht genügsam und pflegeleicht.
;-)

nnier, Donnerstag, 22. Juli 2010, 10:40
"Meine Frau nimmt beim Aufstehen gerne etwas Tee und Gebäck!"

damenwahl, Donnerstag, 22. Juli 2010, 15:20
Ich werde mich bemühen... der Hotelbetrieb ist ja gerade erst angelaufen. Selbstverständlich überlasse ich meinen Gästen auch immer gerne den Vortritt im Bad, selbst wenn sie 30 Minuten brauchen und ich nur 5.

arboretum, Donnerstag, 22. Juli 2010, 17:57
Stellen Sie am besten sofort auf Kurzzeit-WG um und drücken Sie der Dame einen Putzlappen in die Hand. Und öffnen Sie nachts wieder die Fenster. Dann findet sie bestimmt auch ganz schnell selbst eine neue Bleibe.

flying turtle, Donnerstag, 22. Juli 2010, 18:20
Dem kann ich mich nur anschließen. Nett und freundlcih ist gut, bringt aber nicht weiter.
Und Sie wissen ja selbst, dass da nur ein angesagter Termin zum Auszug hilft. ;)

damenwahl, Donnerstag, 22. Juli 2010, 18:39
Das kann icht nicht. Seufz. Ich kann da nicht über meine Gastgebermentalität hinweg. Gestern abend, frustig wie ich war, habe ich trotzdem noch eine Stunde zugehört, während Madame - leicht melancholisch nach Alkoholgenuß - vor sich hin sinnierte. Da saß ich, und konnte nicht anders.

arboretum, Donnerstag, 22. Juli 2010, 23:41
Aber wenigstens das Fenster können Sie doch heute Nacht wieder aufmachen. Bitte! Sie werden hier schließlich noch gebraucht, da können wir Sie nicht ersticken lassen.

Mein Vorschlag war übrigens nicht unfreundlich gemeint. Einem freundlichen Hilfst Du mir putzen? kann sich eigentlich niemand entziehen, der auf unbestimmte Zeit zu Besuch ist. Und wenn die Dame Ihre Wohnung so selbstverständlich als Ihr Zuhause betrachtet, dass Sie stundenlang das Bad blockiert, dann kann die auch putzen helfen und auch mal den Abwasch machen. Für mich ist das eine Selbstverständlichkeit, dass ich helfe und mich nicht von vorne bis hinten bedienen lasse, wenn ich irgendwo zu Besuch bin.

damenwahl, Freitag, 23. Juli 2010, 00:26
Vielleicht sollte ich morgen mal länger über gute Gäste schreiben. Für mich ist es auch selbstverständlich, ab zwei Übernachtungen Hilfe anzubieten - um nicht zu sagen: aufzudrängen. Trotzdem bin ich als Gastgeber das genaue Gegenteil und würde NIE um Mithilfe bitten. Und jetzt waren es ja nur drei Tage. Allerdings drei sehr lange Tage auf beengten 28qm.
Puh. Gerade alle Fenster weit aufgerissen.

croco, Montag, 26. Juli 2010, 21:52
Ojeee, ich bin auch so.
Und ich habe solches auch schon erlebt.
Nur leider habe ich ein schlechtes Gedächtnis.
Für dieses Jahr ich mir vorgenommen, konsequent zu sein, bei bestimmten Leuten.
PS: Ist sie noch da?

damenwahl, Montag, 26. Juli 2010, 23:04
Nein. Dann wäre ich inzwischen erstickt oder wahnsinnig geworden. Am Ende ist sie nach drei Tagen zu einer anderen Freundin gegangen. Mit einer größeren Wohnung.