20 Seiten Papier, 8 Stempel, 3 Anläufe: Umzug
Ich bin offiziell als Diplomatin hier, und habe daher eine “Carte Diplomatique” - ein vom Außenministerium ausgestelltes Kärtchen, das den Status und die Immunitäten feststellt, und mir erlaubt, persönliche Sendungen zollfrei und kontrollfrei ins Land zu bringen. Im konkreten Fall: sieben Kisten mit Kleidung, Schuhen, Sportzeug, Büchern, ein paar Familienfotos und zwei Lieblingstassen. Bis die sieben Kisten aus London allerdings hier waren, war es ein langer Weg.
In der ersten Woche meiner Ankunft mußte ich Passfotos machen – viele. Dazu bin ich in der Mittagspause in ein Geschäft gefahren, in dem zwischen Druckern, Kopierern und alten Computern wenig Platz übrig war. Man rückte mir einen Stuhl zurecht, ein junger Helfer hielt ein weißes Tuch hinter mir als Hintergrund hoch, ein anderer schnitt die fertigen Fotos zurecht – nach zwanzig Minuten hatte ich 15 Passfotos. Sieben davon gingen mit dem Antrag ans Außenministerium – allerdings erst eine Woche später, weil der Kollege aus der Protokollabteilung vorher keine Zeit hatte. Als nächstes teilte er mir mit, daß man mir leider die korrekte Karte für meinen Status (eine rote) nicht geben könne – denn die seien dem Außenministerium leider gerade ausgegangen. Nach einigem hin und her einigten wir uns, daß die minderwertige grüne Karte immer noch besser als gar keine wäre, und nur zehn Tage später bekam ich mein Kärtchen.
Damit konnten meine sieben Umzugskisten endlich das Lager in London verlassen, Destination Abidjan Flughafen. Es war ohnehin absehbar, daß ich die Ladung persönlich würde abholen müssen, und eine genauere Adresse hatte ich zu dem Zeitpunkt auch gar nicht, weil ich während der Wohnungssuche in einem AirBnB abgestiegen war.
Nach sieben Tagen – davon zwei Übernachtungen am Flughafen in Casablanca – trafen meine Kisten hier ein. Der Protokollkollege machte sich auf den Weg, kam mittags wieder ins Büro und verkündete freudestrahlend, ich könne umgehend losfahren, und müsse nur noch 30,000 Franc Dokumentengebühr an der Kasse zahlen um meine Kisten direkt mitzunehmen. Er habe das leider gerade nicht erledigen können, weil die Kasse geschlossen gewesen sei. Auf Rückfrage stellte sich heraus, daß die Kasse erst nachmittags wieder öffnet – also besser doch nicht sofort losfahren.
Ich erhielt ein Blatt Papier von ihm – Nachweis der diplomatischen Lieferung.
Nachmittags kam ich am Frachtterminal an, fragte mich durch, irgend jemand bot seine Hilfe an, ich nahm an, wir gingen zur Kasse und mußten warten. Dann schlurfte ein älterer Herr und Kassenaufseher zu einer anderen Kasse, wo ich dann endlch zahlen durfte, gegen Beleg. Ich wähnte mich kurz vorm Ziel, aber dann gab es ein kleines Problem mit den Papieren, der Jemand schleppte mich in ein Büro.
Vorrübergehend dachte ich, ich säße einem etwas leger gekleideten Zollbeamten gegenüber, so kritisch und vorwurfsvoll wurde ich befragt – aber nein, dies stellte sich als mein Fracht-Dienstleister heraus. Dies, nachdem ein weiterer Jemand auftauchte und mich (ebenfalls vorwurfsvoll) fragte, warum ich ihn nicht angerufen hätte, er habe doch überall nach mir gesucht und Ausschau gehalten. Um keine weiteren Verwirrungen zu stiften, habe ich mich lieber wortreich entschuldigt und mein mangelhaftes Französisch veranwortlich gemacht, statt zu erklären, daß mir niemand gesagt hatte, ich solle bei der Ankunft jemanden anrufen. Immerhin hatte ich jetzt zwei Jemande, die sich mit meinen Fall befassen würden. Nach einigem hin und her verstand ich das Problem (theoretisch wenigstens): auf den Frachtpapieren war als Empfänger der Flughafen angegeben – nicht ich oder mein diplomatischer Arbeitgeber. Auch wenn die Lieferung natürlich offensichtlich von mir und für mich war, mein Name auf den Kisten, auf den Papieren als Absender, ich persönlich als Empfänger anwesend. Dennoch ein "grand problème".
Eine Stunde später saß ich immer noch in dem Büro, dann mußte ich zum Passagierterminal gehen und mehr Geld abheben für weitere Gebühren, dann saß ich wieder in dem Büro, und dann konnten wir endlich zu den Zöllnern gehen, nun mit kompletten Dokumenten.
Da waren es schon fünf Blatt Papier. Nur war es inzwischen leider 17h und der leitende Zollbeamte bereits ins Wochenende verschwunden. “Bitte kommen Sie nächste Woche wieder.”
Die folgende Woche machte sich der Protokollkollege wieder auf den Weg. Telefonierte mit dem Flughafen, dem Frachtdienstleister, und dem Zoll. Am Mittwoch vermeldete er, das “Dossier” sei nun bearbeitet, ich könne meine Kisten abholen. Aber ich möge sicherheitshalber eine Maske mitnehmen, Corona und so. Nach drei Anläufen fand ich den Kollegen, der den Maskenvorrat meines Arbeitgebers verwaltet und machte mich mit zwei Masken auf den Weg. Das war gut vorausgedacht, denn ohne Maske (wenigstens vorm Kinn, wenn schon nicht vorm Mund) kein Eintritt in die Zollbüros.
Vor Ort angekommen wurde ich diesmal bei Ankunft auf dem Vorplatz von meinem Dienstleister direkt gefunden, wir gingen zu den Zöllnern. Dank der Masken konnten wir bei im Büro des leitenden Zollbeamten vorsprechen und in der Tat, das Dossier war bearbeitet – und zur Vorlage an weitere Zoll- und Kontrollkollegen weitergeleitet worden. Die Kisten mitnehmen? “Mais non, Madame, il faut se patienter encore un peu.”
Ich kann nur spekulieren, mutmaße aber, daß das “Dossier” inzwischen mindestens zehn Seiten hatte.
Die darauffolgende Woche informierte mich der Protokollkollege erneut, ich könne nun meine Kisten abholen. Sicherheitshalber rief auch den Jemand vom Frachtdienstleister an, und der bestätigte - “Dossier traité”. Ein drittes Mal ins Taxi, ein drittes Mal den Jemand auf dem chaotischen Vorplatz finden, diesmal ohne Umweg über die Zöllner direkt zur Frachtausgabehalle. Da standen sie, meine sieben Kisten mit dem blauen Paketband – ich war geradezu gerührt von dem Anblick. Arg mitgenommen von außen, aber insgesamt unbeschadet. Wir drehten eine letzte Runde, verhandelten mit einem weiteren Zöllner, der mit der Aufsicht über den Frachtscanner betraut war, ein letztes Mal zeigte ich mein grünes Diplomatenkärtchen, und dann konnten wir die Kisten endlich auf einen kleinen LKW verladen. Die Kisten waren dann die ersten Gegenstände, die in meine frisch angemietete Wohnung eingezogen sind.
Das Dossier zu diesem Zeitpunkt: fast zweihunder Euro Gebühren, vier Mitwirkende auf meiner Seite, zwanzig Seiten Papier, und über zehn verschiedene Stempel und Unterschriften.
In der ersten Woche meiner Ankunft mußte ich Passfotos machen – viele. Dazu bin ich in der Mittagspause in ein Geschäft gefahren, in dem zwischen Druckern, Kopierern und alten Computern wenig Platz übrig war. Man rückte mir einen Stuhl zurecht, ein junger Helfer hielt ein weißes Tuch hinter mir als Hintergrund hoch, ein anderer schnitt die fertigen Fotos zurecht – nach zwanzig Minuten hatte ich 15 Passfotos. Sieben davon gingen mit dem Antrag ans Außenministerium – allerdings erst eine Woche später, weil der Kollege aus der Protokollabteilung vorher keine Zeit hatte. Als nächstes teilte er mir mit, daß man mir leider die korrekte Karte für meinen Status (eine rote) nicht geben könne – denn die seien dem Außenministerium leider gerade ausgegangen. Nach einigem hin und her einigten wir uns, daß die minderwertige grüne Karte immer noch besser als gar keine wäre, und nur zehn Tage später bekam ich mein Kärtchen.
Damit konnten meine sieben Umzugskisten endlich das Lager in London verlassen, Destination Abidjan Flughafen. Es war ohnehin absehbar, daß ich die Ladung persönlich würde abholen müssen, und eine genauere Adresse hatte ich zu dem Zeitpunkt auch gar nicht, weil ich während der Wohnungssuche in einem AirBnB abgestiegen war.
Nach sieben Tagen – davon zwei Übernachtungen am Flughafen in Casablanca – trafen meine Kisten hier ein. Der Protokollkollege machte sich auf den Weg, kam mittags wieder ins Büro und verkündete freudestrahlend, ich könne umgehend losfahren, und müsse nur noch 30,000 Franc Dokumentengebühr an der Kasse zahlen um meine Kisten direkt mitzunehmen. Er habe das leider gerade nicht erledigen können, weil die Kasse geschlossen gewesen sei. Auf Rückfrage stellte sich heraus, daß die Kasse erst nachmittags wieder öffnet – also besser doch nicht sofort losfahren.
Ich erhielt ein Blatt Papier von ihm – Nachweis der diplomatischen Lieferung.
Nachmittags kam ich am Frachtterminal an, fragte mich durch, irgend jemand bot seine Hilfe an, ich nahm an, wir gingen zur Kasse und mußten warten. Dann schlurfte ein älterer Herr und Kassenaufseher zu einer anderen Kasse, wo ich dann endlch zahlen durfte, gegen Beleg. Ich wähnte mich kurz vorm Ziel, aber dann gab es ein kleines Problem mit den Papieren, der Jemand schleppte mich in ein Büro.
Vorrübergehend dachte ich, ich säße einem etwas leger gekleideten Zollbeamten gegenüber, so kritisch und vorwurfsvoll wurde ich befragt – aber nein, dies stellte sich als mein Fracht-Dienstleister heraus. Dies, nachdem ein weiterer Jemand auftauchte und mich (ebenfalls vorwurfsvoll) fragte, warum ich ihn nicht angerufen hätte, er habe doch überall nach mir gesucht und Ausschau gehalten. Um keine weiteren Verwirrungen zu stiften, habe ich mich lieber wortreich entschuldigt und mein mangelhaftes Französisch veranwortlich gemacht, statt zu erklären, daß mir niemand gesagt hatte, ich solle bei der Ankunft jemanden anrufen. Immerhin hatte ich jetzt zwei Jemande, die sich mit meinen Fall befassen würden. Nach einigem hin und her verstand ich das Problem (theoretisch wenigstens): auf den Frachtpapieren war als Empfänger der Flughafen angegeben – nicht ich oder mein diplomatischer Arbeitgeber. Auch wenn die Lieferung natürlich offensichtlich von mir und für mich war, mein Name auf den Kisten, auf den Papieren als Absender, ich persönlich als Empfänger anwesend. Dennoch ein "grand problème".
Eine Stunde später saß ich immer noch in dem Büro, dann mußte ich zum Passagierterminal gehen und mehr Geld abheben für weitere Gebühren, dann saß ich wieder in dem Büro, und dann konnten wir endlich zu den Zöllnern gehen, nun mit kompletten Dokumenten.
Da waren es schon fünf Blatt Papier. Nur war es inzwischen leider 17h und der leitende Zollbeamte bereits ins Wochenende verschwunden. “Bitte kommen Sie nächste Woche wieder.”
Die folgende Woche machte sich der Protokollkollege wieder auf den Weg. Telefonierte mit dem Flughafen, dem Frachtdienstleister, und dem Zoll. Am Mittwoch vermeldete er, das “Dossier” sei nun bearbeitet, ich könne meine Kisten abholen. Aber ich möge sicherheitshalber eine Maske mitnehmen, Corona und so. Nach drei Anläufen fand ich den Kollegen, der den Maskenvorrat meines Arbeitgebers verwaltet und machte mich mit zwei Masken auf den Weg. Das war gut vorausgedacht, denn ohne Maske (wenigstens vorm Kinn, wenn schon nicht vorm Mund) kein Eintritt in die Zollbüros.
Vor Ort angekommen wurde ich diesmal bei Ankunft auf dem Vorplatz von meinem Dienstleister direkt gefunden, wir gingen zu den Zöllnern. Dank der Masken konnten wir bei im Büro des leitenden Zollbeamten vorsprechen und in der Tat, das Dossier war bearbeitet – und zur Vorlage an weitere Zoll- und Kontrollkollegen weitergeleitet worden. Die Kisten mitnehmen? “Mais non, Madame, il faut se patienter encore un peu.”
Ich kann nur spekulieren, mutmaße aber, daß das “Dossier” inzwischen mindestens zehn Seiten hatte.
Die darauffolgende Woche informierte mich der Protokollkollege erneut, ich könne nun meine Kisten abholen. Sicherheitshalber rief auch den Jemand vom Frachtdienstleister an, und der bestätigte - “Dossier traité”. Ein drittes Mal ins Taxi, ein drittes Mal den Jemand auf dem chaotischen Vorplatz finden, diesmal ohne Umweg über die Zöllner direkt zur Frachtausgabehalle. Da standen sie, meine sieben Kisten mit dem blauen Paketband – ich war geradezu gerührt von dem Anblick. Arg mitgenommen von außen, aber insgesamt unbeschadet. Wir drehten eine letzte Runde, verhandelten mit einem weiteren Zöllner, der mit der Aufsicht über den Frachtscanner betraut war, ein letztes Mal zeigte ich mein grünes Diplomatenkärtchen, und dann konnten wir die Kisten endlich auf einen kleinen LKW verladen. Die Kisten waren dann die ersten Gegenstände, die in meine frisch angemietete Wohnung eingezogen sind.
Das Dossier zu diesem Zeitpunkt: fast zweihunder Euro Gebühren, vier Mitwirkende auf meiner Seite, zwanzig Seiten Papier, und über zehn verschiedene Stempel und Unterschriften.
strelnikov,
Mittwoch, 6. Mai 2020, 23:56
Für diese Geschichten wurden Blogs erfunden
damenwahl,
Donnerstag, 7. Mai 2020, 00:40
Wo die herkommt, ist noch Stoff für viel mehr. Die Wohnungssuche, der Autokauf, der Möbelkauf, das Autofahren, das Internet... Ich werde mein Bestes tun.
mark793,
Donnerstag, 7. Mai 2020, 12:39
Schön, dass sich hier wieder was tut. Ich wähnte Sie noch in London.
damenwahl,
Samstag, 9. Mai 2020, 21:54
Schön, daß Sie auch noch da sind! In London wurde es mir zu langweilig. Und der Lockdown (hier: confinement) ist mit Pool deutlich angenehmer.
arboretum,
Donnerstag, 7. Mai 2020, 08:16
Bekommen Sie denn noch das rote Diplomatenkärtchen?
damenwahl,
Samstag, 9. Mai 2020, 21:53
Die Hoffnung stirbt zuletzt... Bis auf weiteres ist leider das Außenministerium geschlossen, daher wohl eher nicht in nächster Zukunft.
birjuk der muerrische,
Donnerstag, 7. Mai 2020, 21:53
Das erinnert mich (Deutscher) ein wenig an meine Heirat einer St. Petersburger hier in Berlin. Beide hatten wir fast aufgegeben: die russ. Bürokratie war genau so schlimm wie der deutsche. Yulia hätte wohl besser laut "Asyl" an der deutschen Grenze gesagt (aber das & Merkel gab's damals noch nicht)