Freitag, 4. Dezember 2009
Lauter kleine Abenteuer
Habe ich schon mal erwähnt, daß es hier nie langweilig wird? Also: es wird hier nie langweilig. Anfang der Woche zum Beispiel hatten mein Fahrer und ich ein weiteres freudiges Zusammentreffen mit unserem Freund und Helfer, der Polizei. Schande auf sein Haupt, er hatte nicht geblinkt beim Spurwechsel! Flugs wurden seine Papiere einkassiert, wir parkten auf dem Seitenstreifen und die Polizisten begannen zu betteln verhandeln. Ich erklärte, kraft meines Arbeitgebers sei es mir leider unmöglich, hier einzugreifen, nach zehn Minuten stieg ich aus, und stöckelte mit meinen Pumps durch den Dreck. Das macht Eindruck und hilft oft schon etwas, die Herren entschuldigten sich wortreich für die Unannehmlichkeit, aber es kostete mich trotzdem eine Zigarette, die Papiere zurückzuerhalten. Eine deutliche Verbesserung im Vergleich mit den ursprünglichen Forderungen, aber im Nachhinein fühlte es sich doch wie eine Niederlage an.
Mittwoch Abend dann Besuch von meinem ehemaligen Fahrer, der seit Wochen ein Geschenk übergeben möchte. Erst habe ich es aufgeschoben, dann war ich tatsächlich verhindert, dann sagte er ab, dann sagte ich ab, gestern Abend nun endlich auf ein Bier bei mir. Das Geschenk war hübsch verpackt in einer Plastiktüte mit Leo-Print, pinkfarbenem Geschenkpapier, einer wunderbar scheußlichen Karte – in gebrochenem Deutsch! – und einem Kästchen. Darin ein Armband mit Aufschrift – nicht ganz mein Name, aber fast und über die paar Buchstaben mehr will ich mich nicht beklagen. Während ich mich noch wunderte, womit ich das verdient habe, erklärte er wortreich, er wolle nunmehr sein Import-Export Geschäft mit Autos aus Kanada ausweiten, und deutsche Autos seien ja so! gefragt in Kinshasa. Ich bin hoffentlich seinen Erwartungen gerecht geworden, habe meine Hilfe bei zukünftigen Fragen angeboten und einige Hinweise gegeben, dann kamen schon deutsche Freunde zum Abendessen. Der Abend wurde entschieden zu spät und Termine morgens um acht sind auch keine gute Idee nach einem solchen Abend. Mein derzeitiger Fahrer kennt Kinshasa-Gombe wie üblich schlechter als ich, aber inzwischen habe ich gelernt, meine Gesprächspartner nach genauen Wegbeschreibungen zu fragen und so gelange ich doch ans Ziel. Morgens dann beeindruckende Sicherheitsvorkehrungen, man hätte sich beinahe in Kabul wähnen können. Das Auto fuhr in eine Schleuse, die Reifen wurden mit einem Gerät geprüft, das Innenleben unterhalb der Motorhaube inspiziert, bevor wir einfahren durften. Meine Handtasche wurde ebenfalls kontrolliert, meine Kamera mußte ich abgeben und mein Gastkärtchen ordentlich an den Ausschnitt heften. Das Gespräch war dann leider weniger spektakulär, aber leidlich informativ.
Spektakulär war dafür ein Termin am Nachmittag mit jemandem, der in einem der ärmeren Viertel einen Straßenhandel betreibt. Nach der morgendlichen Sintflut kämpfte unser Fahrer sich klug durch die verschlammten Straßen, vor uns verschwand ein Minibus bis über die Räder in einer teichgroßen Pfütze, bis wir auf einer kleinen Kreuzung hielten. Nach dem morgendlichen Regenguß befürchtete ich schon das schlimmste, aber der Geschäftsmann schlug ein kleines Resto um die Ecke vor. Ob Madame nicht lieber mit dem Auto die Straße überqueren wolle? Ich lehnte ab, hüpfte tapfer über riesige Pfützen und bedauerte wieder einmal, keine Gummistiefel mitgebracht zu haben. Ein schäbiger Innenhof, halb überdacht, ein Getränkehändler, zwei Geschäftspartner in Bürokleidung beim mittäglichen Bier, nebenan eine Tür, aus der laufend junge Männer mit Gitarren und Lautsprechern kamen und unterm Vordach eine ganze Gruppe junger Leute, die sangen. Einfach so, für sicherlich zwanzig Minuten. Von irgendwoher kam Musik vom Band und die zehn saßen im Kreis und sangen laut mit. Für uns wurden neue Stühle aufgebaut, ich bestellte eine Runde Getränke auf meine Rechnung, und beschränkte mich im übrigen aufs Zuhören und protokollieren: mein Gesprächspartner sprach so wenig Französisch, daß mein kongolesischer Kollege alle Antworten übersetzte – aber das Gespräch war sehr interessant und nett. Nebenbei tätige Entwicklungshilfe geleistet und erklärt, wie man ein Bankkonto eröffnet.
Gestern Abend dann Koffer gepackt, heute ziehe ich um ins Hotel, ein letztes Glas Wein auf meiner wunderbaren Terrasse, und ansonsten: Planung von Abschiedsessen. Am Freitag mit Freunden, am Samstag Party, am Sonntag Weihnachtsglühwein, am Montag mit der I., am Dienstag mit der J. und am Mittwoch – hoffe ich auf Herrenbegleitung.
Heute morgen nach dem ersten Termin noch schnell im Supermarkt Milch kaufen – der Kaffeekonsum steigt mit der Ermüdung – und bei der Gelegenheit Geld abheben. Bei der Ankunft am Supermarkt war der Automat defekt. Beim Verlassen funktionierte er wieder, also schob ich meine Karte ein, forderte Geld an – und dann hing der Rechner. Die Karte noch drin, das Geld ebenso. Eine Telefonnummer gab es nicht, die Sicherheitsleute wußten auch nicht weiter und mein Handy war leer. Beim Popcorn-Verkäufer um die Ecke durfte ich mein Telefon anschließen, versuchte, jemanden mit Beziehungen anzurufen, leider erfolglos. Ich schickte meinen Chauffeur los in die Bankzentrale zur Berichterstattung und wartete vor dem Automaten – stets darauf gefaßt, der Rechner möge sich erholen und meine Karte doch noch ausspucken. Unverrichteter Dinge kehrte mein Fahrer wieder, aber schließlich hatte ich am Telefon Erfolg, der Automat sei nun abgeschaltet und könne meine Karte keinesfalls zugunsten zufälliger Passanten plötzlich wieder herausgeben. Der Techniker jedoch habe erst nachmittags Zeit, solange möge ich mich bitte gedulden und später in die Hauptstelle kommen.
Daraus gelernt: keinesfalls am Tag vor dem Abflug Geld abheben wollen. Außerdem guten Vorsatz engelsgleicher Geduld trotz aller Unannehmlichkeiten eingehalten.

[Edit: Umziehen ist nicht. Ich trage meinen Koffer ganz sicher keine acht Etagen zu Fuß hinunter, und möchte diese Schwerstarbeit auch meinem Fahrer nicht zumuten. Stromausfall. Wann der Strom wiederkommt? Weiß man nicht. Haha. Auf dem Rückweg im Telefonladen vorbeigeschaut und Nummer registriert, damit man mir das Telefon nicht abschaltet. Warum ein Staat, der nicht mal ein verläßliches GDP berechnen kann, die Nummern und Daten sämtlicher Prepaid-Karten Besitzer braucht, erschließt sich mir nicht, aber sei's drum.]

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