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Jedem Mißstand seine Lobby
Die Beamten der EU-Kommission kämpfen derzeit für ihre regelmäßige Gehaltserhöhung. Da EU-Beamten, wie allgemein bekannt und leicht zu verifzieren ist, nicht schlecht verdienen, kann man die Angemessenheit der Gehaltserhöhung durchaus hinterfragen, andererseits wurden die jährlichen Erhöhungen ja nicht umsonst in eine verbindliche Formel verpackt und wenn diese Formel in gerade diesem Jahr unangemessen scheint ist das wirklich dumm. Andererseits ist es nie sehr elegant, einmal gemachte Zusagen zurückzunehmen und am Ende – unbeachtet aller finanziellen Konsequenzen – wird das ohnehin nicht gerade glänzende Image aller Streitparteien wohl weiteren Schaden genommen haben. Und die Bevölkerung der EU-Staaten wieder einmal Grund haben, über die ausufernde EU-Bürokratie und die verkrusteten Lobbying Strukturen zu lamentieren. Interessante Lektüre zu diesem Thema ist das Büchlein Postdemokratie von Colin Crouch, der Wirtschaftsunternehmen und Lobbyismus als Strippenzieher im modernen Staat sieht. Auch in unserer schönen Heimat gibt es viele sichtbare– und vermutlichen noch mehr unsichtbare – Fälle von Interessenpolitik und Lobbyismus: Beamtengehälter, wirtschaftliche Interessen großer Industrien, Krankenkassen und Gesundheitspolitik und sowieso machen ja die meisten Politiker nicht das, was sinnvoll wäre, sondern das, was am wahrscheinlichsten zur Wiederwahl führt.
Es liegt vermutlich in der Natur des Menschen, immer das eigene Interesse ohne Rücksicht auf andere durchzusetzen, sofern er irgend kann. Besonders gut kann man im Kongo. Fast immer fallen hier kollektives, gesamtgesellschaftliches und individuelles Interesse auseinander. Fast alle wesentlichen Dienstleister (Energie, Wasser, Transport...) sind seit jeher Staatsunternehmen: Dienstleister, Beschäftigungsmaßnahme und Wirtschaftsmotor in einem. Inklusive sämtlicher Behörden und Wirtschaftsunternehmen hält der Staat zumindest Teileigentum an über fünfzig Entitäten, und jede davon hat mindestens zwei Interessengruppen: die gutbezahlten Kader und die mäßig oder gar nicht bezahlten niederen Angestellten. Von Kundenlobbies hört man selten, jedoch gilt es noch die Interessen der vierzig verschiedenen Ministerien miteinzubeziehen, die allein oder gemeinsam für die Aufsicht verantwortlich sind. Alle dieser Gruppen – und ohnehin jeder einzelne für sich – denken zuallererst an sich selbst, maximieren den eigenen Vorteil und vermutlich noch den der näheren Verwandtschaft oder der eigenen Interessengruppe. Ein kollektives Interesse darüber hinaus oder Solidarität jenseits der eigenen Wohlfahrt gibt es nicht. Niemand fragt sich: welche Auswirkungen hat mein Handeln auf die Gesellschaft als Ganzes? Und leider gibt es kein Gesetz, kein Gericht und keine Institutionen, die das kollektive Interesse wirksam zu schützen vermöchten. Aus Eigennutz erwachsen harte Lebensumstände und ständiger Überlebenskampf, die wiederum den Eigennutz zur einzigen Überlebensstrategie machen. Jeder Mißstand hat eine Lobby, die von deren Erhalt profitiert, und so steckt das gesamte Land in einem kollektiven Dilemma.
Natürlich wäre es gesamtwirtschaftlich sinnvoll, hoffnungslos ineffiziente Staatsunternehmen zu reformieren, überbordende Personalbestände zu reduzieren und vergreisende Mitarbeiter in die Rente zu schicken. Dagegen sind sämtliche Mitarbeiter, die Entlassung und Arbeitslosigkeit für den Rest ihres Lebens fürchten, sogar Mitarbeiter anderer Unternehmen, und bereits Entlassene, die auf gleichwertigen Konditionen für alle Entlassenen beharren, dagegen sind diverse Gewerkschaften und natürlich – letzten Endes – Politiker, die unpopuläre Entscheidungen vermeiden. Sinnvoll wäre es auch, das Land würde sein juristisches Rahmenwerk neu strukturieren und demjenigen anderer Länder der Subregion angleichen, zum Beispiel mittels Beitritt zur Organisation pour l'Harmonisation en Afrique du Droit des Affaires. Trotz aller politischen, finanziellen, und internationalen Unterstützung jedoch hängt das Projekt immer noch in administrativen Prozessen fest, dies nun schon seit 2004. Man kann sich schon fragen, ob es möglicherweise Juristen im Lande gibt, die keine Lust haben, von einem Tag auf den anderen mit nutzlosem Wissen dazustehen und noch einmal neu lernen zu müssen, und welche Macht eine solche Lobby möglicherweise entfalten könnte in einem Land, in dem die gut ausgebildete Elite sehr klein und sehr gut vernetzt ist.
Was für große Gruppen gilt, läßt sich auch auf einzelne Mitglieder der Eliten übertragen: Ein amerikanischer Ex-Präsident kann sich als Redner oder politischer Aktivist engagieren, ein deutscher ex-Bundeskanzler als Berater der Wirtschaft oder Aufsichtsratsmitglied und im Notfall bliebe immer noch die normale Verrentung mitsamt diverser Doktortitel ehrenhalber. Diese Optionen stehen dem afrikanischen Politiker nur begrenzt zur Verfügung. Möchte er eine vernünftige Rente haben, die ihm den gewohnten Lebensstil – mitsamt regelmäßiger Flüge für die gesamte Familie in die westeuropäische Zivilisation – finanziert, muß er sich zu Amtszeiten bemühen, ein enstprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen. Ehrenhafte Tätigkeiten für Rentner in der Wirtschaft sind angesichts des desolaten bzw. kaum existenten Privatsektors dünn gesät und sollte sich die Transition aufs Altenteil aufgrund außergewöhnlicher, gewalttätiger Umstände ergeben – in Afrika nicht eben die Ausnahme – bleibt ohnehin nur noch die Flucht ins teure Exil. Unter solchen Umständen würde jeder Wirtschaftswissenschaftler bescheinigen, daß rechtzeitige Anhäufung größtmöglicher Reichtümer auf Schweizer Bankkonten eine vernünftige Strategie darstellt, solange keine Sanktionen drohen. In jedem Fall aber eine gute Altersabsicherung für schlechte Zeiten. Ähnliches gilt für jede einflußreiche Person im Einflußkreis der Machthaber: die Kombination aus fehlender Alterssicherung, politischer Fragilität und hochgradig unsicheren Zukunftsaussichten machen es für den verantwortungsbewußten Pater Familias geradezu notwendig, in guten Zeiten für die schlechten vorzusorgen. Da dies nicht nur für das Staatsoberhaupt sondern für einen wesentlichen Teil des politischen Regierungsapparats gilt, hat niemand ein Interesse daran, entschlossen gegen derartige Mechanismen zu kämpfen. Vor die Wahl gestellt, staatliche Gelder dem Erhalt der Infrastruktur oder dem Bildungswesen zuzuführen oder den privaten Kassen, fällt die Wahl nicht schwer. Infolgedessen muß aber auch der mittlere Angestellte oder Beamte für die Schuldbildung seiner Kinder bezahlen und angesichts desolter Straßen ist ein solider Geländewagen der Mittelklasse-Limousine stets vorzuziehen. Diese Ausgaben sind von einem durchschnittlichen Gehalt nicht zu bezahlen und so hält sich jeder an der nächstschwächeren Partei schadlos, um den eigenen Vorteil zu maximieren, statt die Lebensumstände für alle zu verbessern.
Das System, sich an der nächsten schwächeren oder abhängigen Partei bei fast jeder Transaktion schadlos zu halten, zieht sich bis ganz hinunter in die untersten Ränge: auch der letzte Zollbeamte oder LKW-Fahrer nutzt seine – wie auch immer beschränkte – Macht aus, das erbärmliche Hungergehalt aufzubessern. Polizisten drangaslieren die Autofahrer in der Stadt ebenso wie LKW-Fahrer und Transportunternehmen, um aus deren erbärmlichen Löhnen ihre eigenen – ebenso bescheidenen – Gehälter aufzustocken. Der LKW-Fahrer läßt Verwandte und Bekannte unter lebensgefährlichen Umständen schwarz mitfahren und beklaut außerdem noch seinen Arbeitgeber, wenn sich die Möglichkeit bietet. Zollbeamte bessern ihr Einkommen mit Naturalentnahmen von Importen auf, wer Arbeitsplätze zu vergeben hat orientiert sich nicht nur an der Qualifikation der Bewerber sondern auch dem Nutzen im weitverzweigten Beziehungsnetzwerk.
Kollektiv wäre es sinnvoll, diesen Teufelskreis zu durchbrechen: ohne die allgegenwärtige Korruption und Schikane könnte der Staat bessere Gehälter zahlen, Bildung könnte billiger und Betrug teurer werden, die Unternehmen anständige Löhne anbieten und das Leben würde berechenbarer für alle. Tatsächlich hält sich jedoch das desolate System des Eigennutzes selbst am Leben. Gehälter werden eben nicht pünktlich oder gar nicht bezahlt, Renten sind lächerlich niedrig und so muß sich jeder um Nebenverdienste bemühen, zumeist auf Kosten seiner Mitbürger. Im Kongo hat Korruption eine ganz eigene Dimension: gemeinhin ist ein Schaden der Korruption, daß sie die Preiskalkulation für Unternehmen erschwert und die Preisbildung auf Märkten verzerrt. Hier hingegen fließen informelle Zahlungen ganz selbstverständlich bei allen Beteiligten in die Preisfindung ein. Wirtschaftsteilnehmer wissen recht gut, wieviel bei welcher Transaktion an Schmiergeldern und Geschenken zu zahlen ist, fakturieren dies in den Preis mit ein, reichen die Kosten an die Kunden weiter. 85 % der kongolesischen Unternehmen gaben in 2006 an, für Transaktionen inoffizielle Zahlungen zu leisten – aber nur 20 % empfanden dies als wesentliches wirtschaftliches Hindernis. Wer einen neuen LKW für sein Transportunternehmen anschaffen möchte, weiß aus Erfahrung, wieviel an Zollbeamten bei der Einfuhr zu zahlen ist, wieviel städtische Beamte für die Zulassung erhalten und wieviel für einen durchschnittlichen Transport in Polizistentaschen landet – das gehört einfach dazu. Der gesamtgesellschaftliche Schaden hingegen – betrifft ja nicht den einzelnen. Der Einzelne kann auch nichts dagegen ausrichten. Unternehmerische Tätigkeit im Kongo ist nicht legal zu machen – es wird immer einen Wettbewerber geben, der seine Waren mit Extrazahlungen früher aus dem Zoll holt, seinen LKW schneller zuläßt dank Zuwendungen an die Beamten, seine Umsätze unterbewertet, um Steuern zu sparen. Jeder kennt die Spielregeln, jeder macht es, viele profitieren davon und für sich genommen möchte niemand etwas daran ändern, weil die Einkommensquelle bitter fehlen würde – beim LKW-Fahrer, beim Zollbeamten und auch beim Politiker oder Unternehmer. In aller Konsequenz zieht hier eine Gesellschaft an einem Strang – leider dem falschen.
Wer solche Zustände gesehen hat – ohne jedoch jemals den Finger auf das Problem legen zu können, immer nur basierend auf vermuteten Interessen und Verbindungen – ist geradezu dankbar für die Transparenz und Öffentlichkeit im europäischen System, wo Öffentlichkeit zumindest ein breites Bewußtsein für das Problem und seine Konsequenzen geschaffen hat. Wenn man sich fragt, warum Politiker in Afrika so außerordentlich und sichtbar korrupt und untreu sind, lautet die mutmaßliche Antwort: weil sie es können. Es fehlt an verantwortungsvollen Eliten, es fehlt an verläßlichen Gesetzen, vor allem aber fehlt es an Gerichten und Institutionen, Regeln durchzusetzen in einer Welt, in der sich kaum jemand jemals an Regeln hält. Minister erlassen ministerielle Dekrete in Bereichen, wo eigentlich zwei Ministerien verantwortlich wären und ein interministerielles Dekret notwendig wäre. Botschafter im Ausland verkaufen ihre Botschafterresidenz unter dubiosen Umständen und Rechtfertigungen, und die Unterscheidung zwischen öffentlichen, zu Dienstzwecken geliehenen Gütern und Privatvermögen scheint allgemeine Schwierigkeiten zu bereiten. Politikergattinnen reisen mit Millionen in Bargeldkoffern aus und mit Reisetaschen voll Mobiltelefonen wieder ein, ohne jemals auch nur das kleinste Problem mit nationalen Behörden zu haben – weil sie es können. Jeder ist mit jedem verwandt und das wird auch so bleiben, denn nur wer Geld hat, kann seinen Kindern eine anständige Ausbildung bezahlen und so bleiben die Machthaber unter sich – jede Generation aufs Neue mit allen Verbindlichkeiten, Verpflichtungen und gegenseitigen Loyalitäten. Folglich hat der Gesamtzustand eine Lobby all jener, die davon profitieren. Wie soll man da dem Polizisten auf der Straße erklären, daß er für seine Tätigkeit bereits bezahlt wurde und daher kein Anrecht auf zusätzliche Zahlungen hat?
Es liegt vermutlich in der Natur des Menschen, immer das eigene Interesse ohne Rücksicht auf andere durchzusetzen, sofern er irgend kann. Besonders gut kann man im Kongo. Fast immer fallen hier kollektives, gesamtgesellschaftliches und individuelles Interesse auseinander. Fast alle wesentlichen Dienstleister (Energie, Wasser, Transport...) sind seit jeher Staatsunternehmen: Dienstleister, Beschäftigungsmaßnahme und Wirtschaftsmotor in einem. Inklusive sämtlicher Behörden und Wirtschaftsunternehmen hält der Staat zumindest Teileigentum an über fünfzig Entitäten, und jede davon hat mindestens zwei Interessengruppen: die gutbezahlten Kader und die mäßig oder gar nicht bezahlten niederen Angestellten. Von Kundenlobbies hört man selten, jedoch gilt es noch die Interessen der vierzig verschiedenen Ministerien miteinzubeziehen, die allein oder gemeinsam für die Aufsicht verantwortlich sind. Alle dieser Gruppen – und ohnehin jeder einzelne für sich – denken zuallererst an sich selbst, maximieren den eigenen Vorteil und vermutlich noch den der näheren Verwandtschaft oder der eigenen Interessengruppe. Ein kollektives Interesse darüber hinaus oder Solidarität jenseits der eigenen Wohlfahrt gibt es nicht. Niemand fragt sich: welche Auswirkungen hat mein Handeln auf die Gesellschaft als Ganzes? Und leider gibt es kein Gesetz, kein Gericht und keine Institutionen, die das kollektive Interesse wirksam zu schützen vermöchten. Aus Eigennutz erwachsen harte Lebensumstände und ständiger Überlebenskampf, die wiederum den Eigennutz zur einzigen Überlebensstrategie machen. Jeder Mißstand hat eine Lobby, die von deren Erhalt profitiert, und so steckt das gesamte Land in einem kollektiven Dilemma.
Natürlich wäre es gesamtwirtschaftlich sinnvoll, hoffnungslos ineffiziente Staatsunternehmen zu reformieren, überbordende Personalbestände zu reduzieren und vergreisende Mitarbeiter in die Rente zu schicken. Dagegen sind sämtliche Mitarbeiter, die Entlassung und Arbeitslosigkeit für den Rest ihres Lebens fürchten, sogar Mitarbeiter anderer Unternehmen, und bereits Entlassene, die auf gleichwertigen Konditionen für alle Entlassenen beharren, dagegen sind diverse Gewerkschaften und natürlich – letzten Endes – Politiker, die unpopuläre Entscheidungen vermeiden. Sinnvoll wäre es auch, das Land würde sein juristisches Rahmenwerk neu strukturieren und demjenigen anderer Länder der Subregion angleichen, zum Beispiel mittels Beitritt zur Organisation pour l'Harmonisation en Afrique du Droit des Affaires. Trotz aller politischen, finanziellen, und internationalen Unterstützung jedoch hängt das Projekt immer noch in administrativen Prozessen fest, dies nun schon seit 2004. Man kann sich schon fragen, ob es möglicherweise Juristen im Lande gibt, die keine Lust haben, von einem Tag auf den anderen mit nutzlosem Wissen dazustehen und noch einmal neu lernen zu müssen, und welche Macht eine solche Lobby möglicherweise entfalten könnte in einem Land, in dem die gut ausgebildete Elite sehr klein und sehr gut vernetzt ist.
Was für große Gruppen gilt, läßt sich auch auf einzelne Mitglieder der Eliten übertragen: Ein amerikanischer Ex-Präsident kann sich als Redner oder politischer Aktivist engagieren, ein deutscher ex-Bundeskanzler als Berater der Wirtschaft oder Aufsichtsratsmitglied und im Notfall bliebe immer noch die normale Verrentung mitsamt diverser Doktortitel ehrenhalber. Diese Optionen stehen dem afrikanischen Politiker nur begrenzt zur Verfügung. Möchte er eine vernünftige Rente haben, die ihm den gewohnten Lebensstil – mitsamt regelmäßiger Flüge für die gesamte Familie in die westeuropäische Zivilisation – finanziert, muß er sich zu Amtszeiten bemühen, ein enstprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen. Ehrenhafte Tätigkeiten für Rentner in der Wirtschaft sind angesichts des desolaten bzw. kaum existenten Privatsektors dünn gesät und sollte sich die Transition aufs Altenteil aufgrund außergewöhnlicher, gewalttätiger Umstände ergeben – in Afrika nicht eben die Ausnahme – bleibt ohnehin nur noch die Flucht ins teure Exil. Unter solchen Umständen würde jeder Wirtschaftswissenschaftler bescheinigen, daß rechtzeitige Anhäufung größtmöglicher Reichtümer auf Schweizer Bankkonten eine vernünftige Strategie darstellt, solange keine Sanktionen drohen. In jedem Fall aber eine gute Altersabsicherung für schlechte Zeiten. Ähnliches gilt für jede einflußreiche Person im Einflußkreis der Machthaber: die Kombination aus fehlender Alterssicherung, politischer Fragilität und hochgradig unsicheren Zukunftsaussichten machen es für den verantwortungsbewußten Pater Familias geradezu notwendig, in guten Zeiten für die schlechten vorzusorgen. Da dies nicht nur für das Staatsoberhaupt sondern für einen wesentlichen Teil des politischen Regierungsapparats gilt, hat niemand ein Interesse daran, entschlossen gegen derartige Mechanismen zu kämpfen. Vor die Wahl gestellt, staatliche Gelder dem Erhalt der Infrastruktur oder dem Bildungswesen zuzuführen oder den privaten Kassen, fällt die Wahl nicht schwer. Infolgedessen muß aber auch der mittlere Angestellte oder Beamte für die Schuldbildung seiner Kinder bezahlen und angesichts desolter Straßen ist ein solider Geländewagen der Mittelklasse-Limousine stets vorzuziehen. Diese Ausgaben sind von einem durchschnittlichen Gehalt nicht zu bezahlen und so hält sich jeder an der nächstschwächeren Partei schadlos, um den eigenen Vorteil zu maximieren, statt die Lebensumstände für alle zu verbessern.
Das System, sich an der nächsten schwächeren oder abhängigen Partei bei fast jeder Transaktion schadlos zu halten, zieht sich bis ganz hinunter in die untersten Ränge: auch der letzte Zollbeamte oder LKW-Fahrer nutzt seine – wie auch immer beschränkte – Macht aus, das erbärmliche Hungergehalt aufzubessern. Polizisten drangaslieren die Autofahrer in der Stadt ebenso wie LKW-Fahrer und Transportunternehmen, um aus deren erbärmlichen Löhnen ihre eigenen – ebenso bescheidenen – Gehälter aufzustocken. Der LKW-Fahrer läßt Verwandte und Bekannte unter lebensgefährlichen Umständen schwarz mitfahren und beklaut außerdem noch seinen Arbeitgeber, wenn sich die Möglichkeit bietet. Zollbeamte bessern ihr Einkommen mit Naturalentnahmen von Importen auf, wer Arbeitsplätze zu vergeben hat orientiert sich nicht nur an der Qualifikation der Bewerber sondern auch dem Nutzen im weitverzweigten Beziehungsnetzwerk.
Kollektiv wäre es sinnvoll, diesen Teufelskreis zu durchbrechen: ohne die allgegenwärtige Korruption und Schikane könnte der Staat bessere Gehälter zahlen, Bildung könnte billiger und Betrug teurer werden, die Unternehmen anständige Löhne anbieten und das Leben würde berechenbarer für alle. Tatsächlich hält sich jedoch das desolate System des Eigennutzes selbst am Leben. Gehälter werden eben nicht pünktlich oder gar nicht bezahlt, Renten sind lächerlich niedrig und so muß sich jeder um Nebenverdienste bemühen, zumeist auf Kosten seiner Mitbürger. Im Kongo hat Korruption eine ganz eigene Dimension: gemeinhin ist ein Schaden der Korruption, daß sie die Preiskalkulation für Unternehmen erschwert und die Preisbildung auf Märkten verzerrt. Hier hingegen fließen informelle Zahlungen ganz selbstverständlich bei allen Beteiligten in die Preisfindung ein. Wirtschaftsteilnehmer wissen recht gut, wieviel bei welcher Transaktion an Schmiergeldern und Geschenken zu zahlen ist, fakturieren dies in den Preis mit ein, reichen die Kosten an die Kunden weiter. 85 % der kongolesischen Unternehmen gaben in 2006 an, für Transaktionen inoffizielle Zahlungen zu leisten – aber nur 20 % empfanden dies als wesentliches wirtschaftliches Hindernis. Wer einen neuen LKW für sein Transportunternehmen anschaffen möchte, weiß aus Erfahrung, wieviel an Zollbeamten bei der Einfuhr zu zahlen ist, wieviel städtische Beamte für die Zulassung erhalten und wieviel für einen durchschnittlichen Transport in Polizistentaschen landet – das gehört einfach dazu. Der gesamtgesellschaftliche Schaden hingegen – betrifft ja nicht den einzelnen. Der Einzelne kann auch nichts dagegen ausrichten. Unternehmerische Tätigkeit im Kongo ist nicht legal zu machen – es wird immer einen Wettbewerber geben, der seine Waren mit Extrazahlungen früher aus dem Zoll holt, seinen LKW schneller zuläßt dank Zuwendungen an die Beamten, seine Umsätze unterbewertet, um Steuern zu sparen. Jeder kennt die Spielregeln, jeder macht es, viele profitieren davon und für sich genommen möchte niemand etwas daran ändern, weil die Einkommensquelle bitter fehlen würde – beim LKW-Fahrer, beim Zollbeamten und auch beim Politiker oder Unternehmer. In aller Konsequenz zieht hier eine Gesellschaft an einem Strang – leider dem falschen.
Wer solche Zustände gesehen hat – ohne jedoch jemals den Finger auf das Problem legen zu können, immer nur basierend auf vermuteten Interessen und Verbindungen – ist geradezu dankbar für die Transparenz und Öffentlichkeit im europäischen System, wo Öffentlichkeit zumindest ein breites Bewußtsein für das Problem und seine Konsequenzen geschaffen hat. Wenn man sich fragt, warum Politiker in Afrika so außerordentlich und sichtbar korrupt und untreu sind, lautet die mutmaßliche Antwort: weil sie es können. Es fehlt an verantwortungsvollen Eliten, es fehlt an verläßlichen Gesetzen, vor allem aber fehlt es an Gerichten und Institutionen, Regeln durchzusetzen in einer Welt, in der sich kaum jemand jemals an Regeln hält. Minister erlassen ministerielle Dekrete in Bereichen, wo eigentlich zwei Ministerien verantwortlich wären und ein interministerielles Dekret notwendig wäre. Botschafter im Ausland verkaufen ihre Botschafterresidenz unter dubiosen Umständen und Rechtfertigungen, und die Unterscheidung zwischen öffentlichen, zu Dienstzwecken geliehenen Gütern und Privatvermögen scheint allgemeine Schwierigkeiten zu bereiten. Politikergattinnen reisen mit Millionen in Bargeldkoffern aus und mit Reisetaschen voll Mobiltelefonen wieder ein, ohne jemals auch nur das kleinste Problem mit nationalen Behörden zu haben – weil sie es können. Jeder ist mit jedem verwandt und das wird auch so bleiben, denn nur wer Geld hat, kann seinen Kindern eine anständige Ausbildung bezahlen und so bleiben die Machthaber unter sich – jede Generation aufs Neue mit allen Verbindlichkeiten, Verpflichtungen und gegenseitigen Loyalitäten. Folglich hat der Gesamtzustand eine Lobby all jener, die davon profitieren. Wie soll man da dem Polizisten auf der Straße erklären, daß er für seine Tätigkeit bereits bezahlt wurde und daher kein Anrecht auf zusätzliche Zahlungen hat?
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