Samstag, 9. Januar 2010
Dummheit...
... hat auch einen Namen: Damenwahl. Ich hätte schon darauf kommen können, daß laufen gehen bei Windboen bis 70 km/h keine brillante Idee ist, aber ich wollte unbedingt noch einmal das Meer sehen. Eigentlich gedachte ich, Richtung Osten am Strand entlang und je nach Wetter entweder auf dem Deich oder im Windschatten der Dünen auf der Innenseite zurückzulaufen. Das, begriff ich am Strand sofort, war völlig idiotisch – ich hätte gegen den Wind am Meer laufen müssen. Die andere Richtung hingegen ging prima, nachdem ich mich durch den tiefen Sand gekämpft hatte. Es weht tüchtig seit gestern Abend, über dem Schnee liegt schon wieder Sand, an manchen Stellen fast wie Schichtpudding, zum Wasser hin ein breiter Strandstreifen trockengefallen bei Ebbe und weitgehend fest – alles wunderbar.
Um nicht dauernd Bögen um die Wellenbrecher herum schlagen zu müssen, bin ich über die Steine gehüpft wie ein Pferdchen, unter den Schuhen krachten die Muscheln und ich wünschte, es wäre Sommer und ich könnte barfuß laufen und den Sand zwischen den Zehen spüren. Der Wind schob mich über die einsame Fläche wie eine kalte Hand zwischen den Schulterblättern, trieb immer wieder Schwaden von Sand über die Fläche wie Geister, die vor mir flüchten und während die Wellen sich am Strand brachen, wurde ich in Glückshormonen ertränkt: ganz allein, alles meins!
Bei jedem Schritt wußte ich: Du solltest umkehren, Du wirst es bereuen auf dem Rückweg, gegen den Wind, aber weil ich dumm bin und alles so schön war, bin ich gelaufen, bis es nicht mehr weiterging. Da war ich schon einige Meter hinter dem letzten Dünenübergang, rauf auf die Betonbefestigung und umkehren. Der Wind hat mich fast umgehauen, nach Luft zu schnappen war ein Fehler, danach hatte ich Sand im Mund, Sand in den Augen, Sand in der Nase. Mit zusammengekniffenen Augen kämpfte ich mich voran, vorwärts gehen eine Qual wegen der piekenden Sandkörner im Gesicht, rückwärts auch nicht gut über die Sand- und Schneeverwehungen hinweg. Die hundert Meter zurück dauerten eine Ewigkeit und als der Wind auf der Innenseite der Dünen nachließ, hatte ich weiche Knie – aber umkehren? Niemals. Der Wind heulte hörbar über das Heidekraut, so daß ich sekundenlang nach Flugzeugen in der Luft Ausschau hielt und dann erreichte ich den Deich und neue Dimensionen der Reue. Ich kam kaum noch vom Fleck und die Strecke bis zur ersten Kurve dehnte sich endlos. Der Wind wehte mir fast stetig entgegen, man konnte sich anlehnen wie an einen unzuverlässigen Verehrer, der gerade dann losläßt, wenn man sich an den Widerstand gewöhnt hat. Auf der einen Seite öde Heidelandschaft, auf der anderen nicht minder ödes Watt und keine Wahl: immer weiter geradeaus. Kein Spaß, wirklich nicht. Erstaunlich was eine lächerliche Kurve ausmachen kann, dann die wenigen Höhenmeter vom Deich hinunter, endlich kam ich wieder vom Fleck und die Dächer des Dorfes schienen nicht mehr endlos weit entfernt. Ich bin ja ein Sturkopf und genauso weit gelaufen, wie ich geplant hatte und noch ein bißchen weiter, aus Prinzip – vom Wind wollte ich mich nicht unterkriegen lassen. Zuhause den halben Nordseestrand aus den Schuhen geschüttet und dann ein Bad. Nichts ist herrlicher als das Plätschern des Wassers, die Wärme prickelt auf der Haut, und vorm Fenster wütet immer noch der Wind, aber mir kann er nichts mehr anhaben.
Hat sich der Kampf gelohnt? Immer, aber für heute bin ich bedient.

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