Montag, 25. April 2011
Knick in der Optik
Ich muss acht oder neun Jahre alt gewesen sein, als Freunde meiner Eltern sich bei irgendeinem Besuch nach der Schule erkundigten, wie man das so tut. Ich mochte Schule damals wie später im Prinzip ganz gerne, es gab schließlich viele spannende Dinge zu lernen, allein: die Schrift der Lehrer. Ich las gerne und viel, Schreib- und Druckschrift, aber irgendwie, so erklärte ich den Erwachsenen, würden die Lehrer inzwischen viel schlechter schreiben als noch in der ersten Klasse. Unordentlicher und so.

Tage später schleppte meine Mutter mich zum Optiker: das Kind stellte sich als kurzsichtig heraus. Meine erste Brille hatte einen grün-rot-blauen Rahmen, den ich so toll fand, daß ich zwei Jahre später das gleiche Modell noch einmal wählte. Heute würde ich meine Mutter gerne fragen, wie sie diese Scheußlichkeit zulassen konnte, aber fraglos erfüllte das Ding seinen Zweck. Ich erinnere mich noch, wie ich in meinem Kinderzimmer am Fenster stand und feststellte, daß ich jedes Blumenblatt in Nachbars Rabatten erkennen konnte. So scharf! So klar! Die Welt sah plötzlich ganz anders aus und ich war begeistert.

Im Laufe der Jahre gab es etliche Kontaktlinse-Episoden, aber angesichts langer Tage vor dem Bildschirm trage ich schon seit Jahren wieder meistens Brille, außer beim Ausgehen und Sport. Ich kann ohne Brille nicht mal ein Buch lesen, ich würde meine eigenen Eltern nicht erkennen, im Winter ist das Ding beschlagen, im Sommer hantiere ich mit zwei Brillen, und ohnehin dauernd kämpfe ich gegen Patschflecken auf dem Glas – kurz: es ist ein Kreuz. Ich träume von einer Existenz ohne Komplikationen, bin aber zu risikoscheu (und geizig), um zu diesem Zeitpunkt eine Operation zu erwägen. In einigen Jahren, wenn ich Geld haben werde, setzt vermutlich bereits die gegenläufige Altersweitsichtigkeit wieder ein, dann brauche ich es nicht mehr. Egal, manche sagen, ich sehe klug und apart aus mit Brille, und ohnehin nutzt es nichts, über unabänderliche Gegebenheiten zu jammern.

Im Moment jedoch leide ich wieder einmal besonders: ich brauche nämlich eine neue Sonnenbrille. Gerne hätte ich einen dieser großen Fliegenaugenbrummer, allein: so einfach ist das nicht. Ich hätte das Ding nämlich gerne mit Gläsern in meiner Stärke und das ist nicht trivial, wenn man ein multimorbider blinder Fisch ist.

Option 1 habe ich vor Jahren probiert und mir normale, getönte Brillengläser in ein altes Brillengestell einsetzen lassen. Dafür mußte selbiges geradegebogen werden, damit der Blick geradeaus durch die Gläser geht. Danach bekam ich von der Konstruktion regelmäßig Kopfschmerzen und so ist es vielleicht nicht schlimm, daß ich das Ding auf meinen weitläufigen 20 qm trotz aller Bemühungen nicht finden konnte.

Bleiben Optionen 2 und 3: ich könnte ein normales, ohnehin gerade Brillengestell wählen, das halbwegs nach Sonnenbrille aussieht und normale Brillengläser kaufen. Kostenpunkt 240 Euro. Ein mäßiger Kompromiss, denn eine normale Brille sieht nun mal nicht so cool aus wie eine modische Sonnebrille. Oder ich könnte das Gestell meiner Wahl nehmen und spezielle Sportgläser für mich schleifen lassen. Die wären bausteindick (je größer das Glas desto dicker der Rand, habe ich gelernt), ich müßte mich also in die oberen Luxusklassen der Brillenglasschleifkunst begeben und an die 500 Euro investieren. Was mir sehr viel scheint. Dafür könnte ich ja auch genauso gut Variante 2 wählen und noch eine coole Sonnenbrille. und diese ohne Spezialgläser mit Kontaktlinsen tragen.

Dafür spräche, daß ich die Sonnenbrille vor allem trage, wenn ich am Wochenende unterwegs bin, Strand, Sommer, Sonne, Freizeit. Dauernd mit zwei Brillen hantieren zu müssen (rein, raus, auf, ab) nervt mich ohnehin, also wäre es gar nicht dumm, bei solchen Anlässen öfter die Kontaktlinsen zu benutzen. Andererseits trage ich seit drei Jahren wirklich fast immer Brille – das spräche also für Variante 3, da hätte ich dann genau das, was ich will.

Seit Wochen nun klappere ich Optiker ab. Die Kette meines Vertrauens schafft es ohnehin nicht, die Gläser in meiner Stärke zu schleifen. Der High-End-Optiker vor Ort schon, und der ist sogar ausnahmsweise mit den genannten 500 Euro günstiger als der High-End-Optiker daheim in Deutschland. Die Kompromissbrillen gefallen mir eigentlich alle nicht so toll und 300 Euro für einen Kompromiss kommen mir schwachsinnig vor. 500 Euro für ein Accessoire hingegen irgendwie erst recht. Teufel auch, ich weiß beim besten Willen nicht, was ich machen soll, aber irgendeine Lösung muß her: sonst bekomme ich demnächst Falten vom Blinzeln gegen die Sonne, und das geht wirklich gar nicht.

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