Mittwoch, 20. April 2011
Männer, mal wieder
Frau Nessy, die auf meiner Blogroll, hätte ich denn eine, die Nummer eins wäre, schreibt über Online-Partnerbörsen. Dazu kann ich nicht viel sagen – aber offline gibt es ja ähnliches. Tischherren zum Beispiel. Damit verhält es sich wie mit Forrest Gumps Pralinen: man weiß vorher nie, was einen erwartet und mal hat man Glück. Mal hat man Pech.

Das erste Mal zum Beispiel, es ist schon einige Jahre her, hatte ich ziemliches Pech. Es gibt gute Gründe, warum auf Balleinladungen die Veranstalter nach Größe und Alter fragen: Zweck ist nicht – wie mir eine Gastgeberin vor kurzem berichtete – T-Shirts für alle Drucken zu lassen, und die Unterscheidung M gegen XL tut nichts zur Sache. Vielmehr sind Größe und Alter wesentliche Kriterien fürs Match-Making. Selbstverständlich werden Paare auseinandergesetzt – außer in der Verlobungszeit – allerdings möglichst Paare zu Paaren und Singles zu Singles, auch das erhöht die Erfolgschancen. Wir sind schließlich alle nicht naiv, und Bälle sind zwar zuerst fürs Feiern mit guten Freunden gedacht, aber gleich danach – zumindest für die alleinstehenden Besucher und Besucherinnen – auch ein Hochzeitsmarkt. Und wer es nicht glaubt: ich habe von mehr als einem Paar gehört, das als Tischherr und Tischdame die gemeinsame Geschichte begann.

Jedenfalls, trotz der beflissenen Frage nach dem Alter, war mein erster Tischherr zarte 19 Jahre jung, damit deutlich jünger als ich, und er benahm sich auch so. Unter lauter Studenten war meine Frage nach Studienfach und -ort durchaus verständlich, aber es war trotzdem ein schlechter Start:
„Ich gehe noch zur Schule.“
Und wo?
„In Freiburg.“
Ob er schon wisse, was er danach machen wolle?
„Nein.“
Ob es nicht Fächer gebe, die ihn interessieren würden?
„Nichts besonderes, nein.“
Ich mühte mich weiter, er käme dann wohl auch aus Freiburg, ursprünglich?
„Ja.“
Schöne Stadt, kommentierte ich, das Münster, die Bächle...
„Ja.“
Über die Gastgeber plauscht es sich vielleicht einfacher, überlegte ich. Woher er die kenne?
„Über Freunde.“
Was für Freunde?
„Schulfreunde“.
So quälten wir uns durch Vorspeise, Hauptgericht, Dessert, nichts interessierte ihn. Nicht das Essen, nicht der schöne Raum, nicht die Stadt, am allerwenigsten ich. Nach dem Dessert entschuldigte er sich kurz – er könne ohnehin kein Walzer tanzen, informierte er mich, und danach habe ich ihn nicht wieder gesehen, obwohl das Fest durchaus überschaubare Dimensionen hatte. Im weiteren Verlauf harrte ich 20 Minuten in angespannter Konversationen mit einer älteren Dame aus, die sich zu mir setzte, bis ich irgendwann durch gleichermaßen ältere Herren erlöst wurde.

Nach diesem desillusionierenden Start auf dem gesellschaftlichen Parkett hatte ich keine hohen Hoffnungen beim nächsten Fest, wurde aber eines Besseren belehrt. Ich hatte Tischherren, die so tanzwütig waren, daß sie schon vor dem Essen loslegen wollte (davon konnte ich den fraglichen Herrn abhalten, versteht sich), Tischherren mit Humor, Tischherren von vollendeter Höflichkeit. Mir wurden Stühle zurechtgerückt, Teller getragen, vorgelegt am Buffet, und kann insgesamt nicht klagen - der Vater meiner Kinder war allerdings bisher nicht dabei.

In den letzten Jahren hatte ich seltener Tischherren, für den Ball in Wien habe ich das Tanzsportgerät aus meinen Freundeskreis einfliegen lassen, aber kürzlich war mir das Glück wahrhaftig hold. Mit dem Sektglas in der Hand schlenderte ich mit Freunden Richtung Placement, unbekannte Namen, eine Stunde später dann am Tisch der erste Eindruck: gar nicht schlecht. Größer als ich, sehr passable Optik, hatte er bereits die Dame zu seiner Linken aufgegabelt. Weiterhin am Tisch ein neuer Bekannter vom Vortag, ein loser Bekannter vom Vormonat und die beiden als Alleinunterhalter ein grandioses Team. Von dem durchaus amüsanten Tischgespräch bekam ich allerdings nur wenig mit, denn der Tischherr und ich hatten viel zu bereden. Ägypten! Libyen! Afghanistan! Alles äußerst attraktive Orte für dauerhafte Aufenthalte, wie wir beide fanden. Irgendwann brachten wir uns auch mal ins Tischgespräch ein, wo gerade die 9 Flirtstufen diskutiert wurden, die Bedeutung von mehrsekündigen „versehentlichen“ Körperkontakten und die Unterschiede zwischen verschiedenen Kulturen.

Bedauerlicherweise nahm er sich unwissentlich meinen ersten Tischpartner zum Vorbild und verschwand nach dem Dessert bis auf weiteres, so daß ich den Eröffnungswalzer verpasst habe und erst mal einige Zeit dumm rumstand. Irgendwann tauchte er wieder auf, es stand im Raum, daß er mich gleich auffordern würde, aber als ihm jemand anderes zuvorkam, ließ ich nichts anbrennen. Strafe muß sein. Das war, nebenbei, eine völlig richtige Entscheidung und bescherte mir einen wunderbaren Walzer (und am nächsten Tag Visitenkarte plus Einladung nach Frankfurt). Auch bei der zweiten Gelegenheit war ein anderer schneller (und ich kann gnadenlos sein, zumindest wenn es ums Tanzen geht), aber irgendwann fanden wir doch noch auf dem Parkett zusammen. Was soll ich sagen: er war nicht nur klug, vielseitig interessiert und nett, sondern konnte auch noch tanzen. Ziemlich gut sogar. Leider zu wenig, weil wir uns andauernd so viel zu sagen hatten, daß wir uns morgens um fünf kaum voneinander losreissen konnten, als die Rausschmeisser-Lichter angingen.

Ich habe einen Perlenohrring verloren und mir in der Dusche mit dem doppelseitigen Klebeband an der Innenseite des Kleides die Haut aufgerissen, aber all das war es wert. Dachte ich, denn er fragte am nächsten Morgen beim Frühstück nach meiner Telefonnummer. Und rief nicht an.

Nicht am Tag danach, natürlich, das wäre ja wohl zuviel erwartet, leider auch nicht am Donnerstag danach, nicht am Wochenende. Einfach gar nicht, dabei gebe ich mich nun wirklich nicht unnahbar, wenn ich Interesse habe. Zunehmend blöd kam ich mir vor, wie mein deutsches Handy in der Ecke lag und nicht klingelte. Wozu aber habe ich die besten Leser der Welt, an die ich mich ratsuchend wenden kann: Werte Herren der Schöpfung: warum? Warum fragen Männer nach einer Nummer, die sie gar nicht anrufen wollen? Helfen Sie mir bitte, den Mann, das unbekannte Wesen, besser zu verstehen - damit ich meine Nummer demnächst nicht mehr an Trottel ohne Eier in der Hose rausgebe. Oder was auch immer der Grund war.

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