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Revanche
damenwahl | 15. April 09 | Topic 'Washington'
Mein gestriger Abend endete in Gesellschaft von vier Herren und blauem Licht auf der Strasse mit einem herzlichen “Have a good night, Ma’am”. Wie schon verschiedentlich erwähnt, residiert in meinem Hinterhaus eine Gospelkirche, die seit über einer Woche extensiv Ostern feiert, bevorzugt zwischen elf und ein Uhr nachts unter erheblicher Lärmentwicklung. Leider nicht mit besinnlichen Bach Kantaten, sondern mit hektischer Popmusik, lauten “Hallelujah” Sprechchören und elektronischem Verstärker. Nach über einer Woche abendlicher Beschallung war ich am Ostermontag reichlich zermürbt, vor Wut und Schlaflosigkeit den Tränen nah, und sah froh dem erwarteten Ende der Feierlichkeiten entgegen. Wurde aber gestern pünktlich um zehn eines Besseren belehrt. Nach einigen Diskussionen mit meiner Mitbewohnerin (die inzwischen mit dem Verein nicht einmal mehr spricht, nachdem weder freundliche Gespräche noch Einspruch bei offiziellen Stellen Abhilfe schaffen konnten) bin ich höchstselbst hinüber gegangen, um erstens die Querulanten zu besichtigen und zweitens in Erfahrung zu bringen, wann wieder der übliche Zeitplan von nur drei (!) abendlichen Gottesdiensten pro Woche greifen würde.
Dabei stellte sich heraus, dass diese besondere Gemeinde tatsächlich ein leuchtendes Vorbild der Ökumene ist, offenbar gleich mehrere Götter verehrt, und in diesem speziellen Fall neben dem christlichen Ostern auch das jüdische Passahfest zelebriert. Neben einem Kreuz vor der Tür hat die "Church of the Living God" auch Davidsterne und Mesusa am Türstock im Angebot. Kirchenvorsteher und -begründer ist “Bishop X.” Falls jemand weiss, wie das alles zusammengeht - ich bin immer dankbar, mich weiterbilden zu können. Nachdem ich das Exterieur einen Moment auf mich hatte wirken lassen, öffnete ich etwas zaghaft die zweiflügelige, leuchtendrote Tür und konnte gerade noch einen kurzen Blick auf schwarze Gläubige in langen weissen Schläppen erhaschen, bevor ich abgefangen und nach draussen geschoben wurde:
…[Austausch eröffnender Höflichkeiten]
"I was wondering whether you could please tell me how long your celebrations are going to last tonight and when they will be finished"
"Well, this is the way we celebrate our God [doch nur einen?] and this will go on for a couple of days"
"And when will you be finished tonight?"
"Ah, I really can't tell you, we don't know yet"
… [nicht mehr ganz so höfliche Verabschiedung]
Konkretere Antworten waren nicht zu bekommen, ich habe nochmals mein Missfallen ausgedrückt und dann aufgegeben, mit denen war deutlich nicht zu reden. In der Zwischenzeit hatte meine Mitbewohnerin die Polizei angerufen, und wenig später standen wir mit unserem Freund und Helfer auf der Strasse. Nun liess sich DC nicht lumpen, anfangs kamen zwei Wagen mit zwei Polizisten - ganz auf der Höhe der Zeit mit Netbook und Internetanschluss im Auto und allerlei anderen Spielereien und vielen Waffen. Officer X. sass im Wagen (und muss daher unbenamst bleiben, Namensschild war nicht erkennbar), Officer John S. hingegen leistete uns Damen auf der Strasse im Nieselregen Gesellschaft. Die Officers hörten sich die Klage an, es gab Diskussionen, ein Vorgesetzter wurde hinzugerufen. Mitbewohnerin B. wollte ihren kleinen Sohn nicht so lange allein im Haus lassen, dafür blieb ich allein mit den beiden Polizisten und ihren blauen Lichtern. Officer John S. fing an, sein Handy zu traktieren, die knarrenden Funkgeräte gewährten Einblick in die polizeiliche Gesamtkommunikation. Dann kam noch ein Polizeiwagen, und noch einer, die Versammlung auf der Strasse nahm langsam Partygrösse an. Während wir immer noch auf den Vorgesetzten warteten. Ich wiederholte für jeden Neuankömmling brav mein Sprüchlein (seit über einer Woche, jede Nacht, immer von zehn bis eins, Diskussionen vergebene Liebesmüh’), die Officers plauschten nett miteinander über das letzte Sportereignis, Officer X. - noch immer im Auto - surfte auf G**gle, und ich stand rum. Die Autos formten inzwischen eine veritable Strassensperre, die Kirchenheinis gingen unbeeindruckt ihrer wenig andächtigen Andacht nach und mir war kalt.
Es folgte: Auftritt Sergeant T. (Vorgesetzter) in tiefschwarzer Uniform - und exakt zeitgleich stoppte die Musik auf wundersame Weise. Das war schon ein sonderbarer Zufall. Nachdem ich erneut die Situation dargelegt hatte, setzte mir der ausserordentlich zuvorkommende Sergeant auseinander, wie schwierig das alles sei... er könne ja auch nichts tun... es müsse dafür doch Vorschriften geben [muss ich die kennen, oder er?]... ob wir denn nicht vernünftig mit der Kirche reden könnten? Der Officer hörte sich selbst ganz eindeutig lieber reden als andere - oder mich in diesem Fall -, allerdings gelang es mir zwischendurch ganz unabsichtlich diesen grandiosen Satz einzuschieben: “We certainly tried to reason with them but they just don’t give a damn”. *haha*
Aber, so Officer T., er könne ja noch mal mit den Kirchenoberen reden. Er begab sich zum Gespräch in die Kirche, ich zog mich auf seine Empfehlung hin um die Ecke zurück und beobachtete das Geschehen aus der Ferne. Nun gab es für ihn nicht wirklich viel zu tun, die Musik war ohnehin schon aus, aber kann ja nicht schaden. Anschliessend berichtete er, dies sei nach Auskunft der Kirche der letzte Abend [ach ja? das klang vorhin aber noch anders, als ich gefragt hatte] und er könne weiter nicht viel tun. Dennoch, for future reference, er sei Sergeant T. aus dem x. Bezirk, und ich möge mich vertrauensvoll weiter an die Polizei wenden, auch wenn sie nichts ausrichten könne in dieser Angelegenheit. Und dann kam dieses wunderbare "Have a good night, Ma’am" - sukzessiver Abgang der vier Polizeiwagen.
Immerhin hatte die geballte Anwesenheit des personifizierten staatlichen Gewaltmonopols die Querulanten in der Kirche hinreichend beeindruckt, dass auch nach Abrücken der Obrigkeit Ruhe herrschte. Ich muss ehrlich sagen: diese völlig skurrile Situation, mit vier Polizisten im Schein der rotierenden Blaulichter nächtens auf der Strasse zu stehen und den Lärm-Idioten wenigstens einmal so richtig einen reinzuwürgen war beinahe die Qualen der letzten Woche wert. Auch wenn ich gestern wieder erst nach Mitternacht im Bett war.
Dabei stellte sich heraus, dass diese besondere Gemeinde tatsächlich ein leuchtendes Vorbild der Ökumene ist, offenbar gleich mehrere Götter verehrt, und in diesem speziellen Fall neben dem christlichen Ostern auch das jüdische Passahfest zelebriert. Neben einem Kreuz vor der Tür hat die "Church of the Living God" auch Davidsterne und Mesusa am Türstock im Angebot. Kirchenvorsteher und -begründer ist “Bishop X.” Falls jemand weiss, wie das alles zusammengeht - ich bin immer dankbar, mich weiterbilden zu können. Nachdem ich das Exterieur einen Moment auf mich hatte wirken lassen, öffnete ich etwas zaghaft die zweiflügelige, leuchtendrote Tür und konnte gerade noch einen kurzen Blick auf schwarze Gläubige in langen weissen Schläppen erhaschen, bevor ich abgefangen und nach draussen geschoben wurde:
…[Austausch eröffnender Höflichkeiten]
"I was wondering whether you could please tell me how long your celebrations are going to last tonight and when they will be finished"
"Well, this is the way we celebrate our God [doch nur einen?] and this will go on for a couple of days"
"And when will you be finished tonight?"
"Ah, I really can't tell you, we don't know yet"
… [nicht mehr ganz so höfliche Verabschiedung]
Konkretere Antworten waren nicht zu bekommen, ich habe nochmals mein Missfallen ausgedrückt und dann aufgegeben, mit denen war deutlich nicht zu reden. In der Zwischenzeit hatte meine Mitbewohnerin die Polizei angerufen, und wenig später standen wir mit unserem Freund und Helfer auf der Strasse. Nun liess sich DC nicht lumpen, anfangs kamen zwei Wagen mit zwei Polizisten - ganz auf der Höhe der Zeit mit Netbook und Internetanschluss im Auto und allerlei anderen Spielereien und vielen Waffen. Officer X. sass im Wagen (und muss daher unbenamst bleiben, Namensschild war nicht erkennbar), Officer John S. hingegen leistete uns Damen auf der Strasse im Nieselregen Gesellschaft. Die Officers hörten sich die Klage an, es gab Diskussionen, ein Vorgesetzter wurde hinzugerufen. Mitbewohnerin B. wollte ihren kleinen Sohn nicht so lange allein im Haus lassen, dafür blieb ich allein mit den beiden Polizisten und ihren blauen Lichtern. Officer John S. fing an, sein Handy zu traktieren, die knarrenden Funkgeräte gewährten Einblick in die polizeiliche Gesamtkommunikation. Dann kam noch ein Polizeiwagen, und noch einer, die Versammlung auf der Strasse nahm langsam Partygrösse an. Während wir immer noch auf den Vorgesetzten warteten. Ich wiederholte für jeden Neuankömmling brav mein Sprüchlein (seit über einer Woche, jede Nacht, immer von zehn bis eins, Diskussionen vergebene Liebesmüh’), die Officers plauschten nett miteinander über das letzte Sportereignis, Officer X. - noch immer im Auto - surfte auf G**gle, und ich stand rum. Die Autos formten inzwischen eine veritable Strassensperre, die Kirchenheinis gingen unbeeindruckt ihrer wenig andächtigen Andacht nach und mir war kalt.
Es folgte: Auftritt Sergeant T. (Vorgesetzter) in tiefschwarzer Uniform - und exakt zeitgleich stoppte die Musik auf wundersame Weise. Das war schon ein sonderbarer Zufall. Nachdem ich erneut die Situation dargelegt hatte, setzte mir der ausserordentlich zuvorkommende Sergeant auseinander, wie schwierig das alles sei... er könne ja auch nichts tun... es müsse dafür doch Vorschriften geben [muss ich die kennen, oder er?]... ob wir denn nicht vernünftig mit der Kirche reden könnten? Der Officer hörte sich selbst ganz eindeutig lieber reden als andere - oder mich in diesem Fall -, allerdings gelang es mir zwischendurch ganz unabsichtlich diesen grandiosen Satz einzuschieben: “We certainly tried to reason with them but they just don’t give a damn”. *haha*
Aber, so Officer T., er könne ja noch mal mit den Kirchenoberen reden. Er begab sich zum Gespräch in die Kirche, ich zog mich auf seine Empfehlung hin um die Ecke zurück und beobachtete das Geschehen aus der Ferne. Nun gab es für ihn nicht wirklich viel zu tun, die Musik war ohnehin schon aus, aber kann ja nicht schaden. Anschliessend berichtete er, dies sei nach Auskunft der Kirche der letzte Abend [ach ja? das klang vorhin aber noch anders, als ich gefragt hatte] und er könne weiter nicht viel tun. Dennoch, for future reference, er sei Sergeant T. aus dem x. Bezirk, und ich möge mich vertrauensvoll weiter an die Polizei wenden, auch wenn sie nichts ausrichten könne in dieser Angelegenheit. Und dann kam dieses wunderbare "Have a good night, Ma’am" - sukzessiver Abgang der vier Polizeiwagen.
Immerhin hatte die geballte Anwesenheit des personifizierten staatlichen Gewaltmonopols die Querulanten in der Kirche hinreichend beeindruckt, dass auch nach Abrücken der Obrigkeit Ruhe herrschte. Ich muss ehrlich sagen: diese völlig skurrile Situation, mit vier Polizisten im Schein der rotierenden Blaulichter nächtens auf der Strasse zu stehen und den Lärm-Idioten wenigstens einmal so richtig einen reinzuwürgen war beinahe die Qualen der letzten Woche wert. Auch wenn ich gestern wieder erst nach Mitternacht im Bett war.
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New York
damenwahl | 13. April 09 | Topic 'Washington'
Zwei Tage in New York gewesen und das erste, was mich daheim erwartet: Gospelmusik, bis um ein Uhr nachts. Das ist doch wirklich nicht normal. Ich habe den Verdacht, daß die Gläubigen nebenan vielleicht den Herrn Jesus Christus mittels maximaler Lärmentwikcklung ein weiteres Mal von den Toten auferstehen lassen wollen. Amerikaner sind ja bekanntlich ein bißchen naiv und in Geschichte jenseits der eigenen Geographie wenig bewandert, vielleicht ist ihnen die Fruchtlosigkeit ihrer Bemühungen einfach nicht bewußt.
New York war fein, und bietet reichlich Anlaß zu Reflektionen über Land und Leute, wie auch einige spaßige Erlebnisse. Meine Freundin L. und ich kamen am Samstag in strömendem Regen an, bewaffnet mit nur einem Mini-Schirm und hatten die klimatischen Unterschiede die Ostküste hinauf klar unterschätzt. Auf gut deutsch: wir froren bitterlich und ähnelten mit jeder Minute mehr verfrorenen und abgesoffenen Ratten. Mit leeren Bäuchen retteten wir uns vor dem Regen ins nächste Restaurant und machten erste Bekanntschaft mit den inflationären Preisen der Metropole - keine Ahnung, warum sich Volkswirte Sorgen um Deflation machen, 18 USD für ein Sandwich (Beilage: ein mikroskopisch kleines Töpfchen Coleslaw) waren der Stimmung nicht gerade zuträglich. Den Versuch, Zeit bei Macy's abzusitzen, brachen wir nach etlichen Nahkämpfen mit Touristen inmitten opulenter Blumendekoration, die ganz offenbar von der Mehrheit der Besucher als wesentliche Attraktion betrachtet wurde, ab und retteten uns zu Starbucks. Ich bin ja grundsätzlich kein Anhänger der hier omnipräsenten sugar-free-low-fat Kultur für Lebensmittel, aber die neueste New Yorker Richtlinie (verbindlich für Ketten ab einer bestimmten Filialzahl), Kalorienangaben in die Speisekarte aufzunehmen, ist nicht schön, wirklich nicht. Wir haben dann doch beide Skinny Vanilla Latte genommen.
Gegen vier trafen wir bei unseren Gastgebern, Kollegen meiner Freundin, ein. Wirklich schöne Wohnung mit komfortablem Gästezimmer in Harlem, knapp oberhalb des Central Park. Da wir eine Opernkarte zuviel im Gepäck hatten, machten wir uns frühzeitig wieder auf den Weg zurück nach Downtown in die Oper, angemessen aufgebrezelt und voller Erwartungsfreude. Nun fährt die U-Bahn zwar durch bis Lincoln Center, allerdings ist 'durchfahren' in diesem Fall durchaus wörtlich zu nehmen: ab Höhe Central Bank fahren zwei von drei Linien nonstop bis zum Times Square - wie wir dann merkten, als wir die Zielstation ohne Halt passierten. Aus Schaden wird man klug, so sagt man, wir aber nicht, und machten den Fehler gleich ein weiteres Mal - fanden uns also nach dreißig Minuten wieder auf Höhe Central Park wieder. Im dritten Anlauf waren wir außerdem an der falschen Station ausgestiegen und mußten einmal raus, oberirdisch über die Straße stöckeln und erneut bezahlen. Immerhin hatte der Himmel ein Einsehen mit unserer prekären Schuhsituation und den sintflutartigen Regen eingestellt (andernfalls wäre das Wasser zu L.s Schuhen vorne hineingelaufen - Peep Toe - und in meine vermutlich hineingeschwappt und hätte sich dort in Teichen gestaut). Blieb noch genug Zeit für einen Happen zum Abendessen, bevor wir mit der Extra-Karte auf der Treppe Stellung bezogen, zwischen einem ältlichen Ehepaar, das strategisch rechts und links positioniert war und etlichen Herren, die offenbar gewerbsmäßen Schwarzmarkthandel betrieben. Ich bin mir meiner katastrophalen Uneignung für jede Vertriebstätigkeit völlig bewußt und die liebe L. stand mir in nichts nach, dennoch fand sich eine junge Frau, die uns die Karte für die Hälfte (!) des ursprünglichen Preises abkaufte. Angesichts unser Talentfreiheit für solche Unterfangen betrachteten wir das als Erfolg.
Leider wurde ich von der Met um das eigentliche Objekt meiner Sehnsucht, den Startenor, betrogen - nicht ganz unerwartet zwar, aber dennoch enttäuschend. Sich über die Qualität des Ersatzes zu beklagen, hieße allerdings auf hohem Niveau zu jammern, insgesamt ist die Met natürlich ein Erlebnis und bietet Kunst auf sehrsehr hohem Niveau. Besonders begeistert war ich vom Bühennbild: passend für die Oper "L'elisir d'amore" komplett in Zuckerbäcker-Pastellfarben gehalten. Einfache Holzstellwände waren durchgängig in gelb und rose mit Einwürfen von türkis und lila gestrichen. Herrlich artifiziell und überspitzt! Highlight war der Wagen des Dulcamara, Ton in Ton mit der restlichen Deko - ein monströses Gefährt. Wunderbar, wenn die Ausstattung die Musik und Botschaft unterstützt und die Balance findet zwischen Nachdenklichkeit und Musikverständnis, ohne dabei in sinnlose, egozentrische Provokation zu verfallen!
Wir hatten Plätze im fünften Rang ganz oben direkt über dem Orchestergraben, eingeschränkte Sicht, mäßige Akustik, aber immer noch meine liebsten Plätze, egal in welchem Haus ich sitze. Oper ohne Blick in den Orchestergraben ist für mich einfach nur der halbe Spaß - gemessen an meinen Maßstäben hatte ich also alles richtig gemacht. Besonders sympathisch fand ich die kleinen Pulte mit Lämpchen in der zweiten Reihe, das hätte ich mir vor einigen Jahren gewünscht, als ich regelmäßig mit Partitur gerüstet in die Oper ging. Völlig konsterniert war ich allerdings am Ende der Vorstellung: noch bevor die ersten Idioten zu klatschen anfangen konnten* fingen die Musiker schon an zu packen - bis der Dirigent seinen Applaus entgegennehmen konnte, war der Orchestergraben beklagenswert leer! Sehr sonderbar. Danach waren wir noch einen Absacker-Cocktail trinken - von dem Wunsch nach einem nächtlichen Dessert nahmen wir Abstand nach dem Blick auf die Karte. Während dort nämlich keine Getränkepreise verzeichnet waren (Damenkarte für zwei alleinreisende Damen?), waren die Kalorienangaben absolut unübersehbar - 1440 nachts um zwölf schien uns keine gute Idee zu sein angesichts des absehbaren Strandurlaubs im Mai (Aktion Sommerkörper, und so).
Der Sonntag begann mit einem fantastischen Osterbrunch bei unseren Gastgebern, ganz ohne Kalorienangaben für Rühreier, Bratkartoffeln, Käse und Lachs und Obstsalat und Schokoladenkuchen. Diese Gastfreundschaft wollten wir natürlich nicht mit Undank belohnen, und brachen erst gegen drei Uhr nachmittags auf. Während die gute L. sogar eine Einkaufsliste im Geiste mitgebracht hatte (Bikinishoppen, s.o.) und ich sie natürlich tatkräftig hätte unterstützten wollen, zeichnete sich doch ab, daß außer den üblichen internationalen Ketten die Läden selbst im nimmerkonsummüden NY am Sonntag geschlossen sein würden. Ins Museum zu gehen wäre bei dem traumhaften Wetter (kalt aber sonnig) wirklich Sünde gewesen, also endeten wir mit noch mehr Skinny Latte im Central Park auf der "Sheep Meadow".
Ich bin ja wahrhaftig kein ausgesprochener Freund von Großstädten und New York hat bei mir vor über zehn Jahren keinen großartigen ersten Eindruck hinterlassen. Häuserschluchten und stählerne Bordsteine machen mir Beklemmungen, multilpliziert mit Menschenmassen und potenziert durch schlechtes Wetter war ich auch im Laufe des ersten Tages wenig angetan, muß meine Meinung aber nach diesem wunderbar entspannten Sonntag revidieren: New York kann auch anders. Und ist dann eigentlich ganz nett.
*Wie ich Menschen hasse, die die Stille nicht als Bestandteil der Musik erkennen!
New York war fein, und bietet reichlich Anlaß zu Reflektionen über Land und Leute, wie auch einige spaßige Erlebnisse. Meine Freundin L. und ich kamen am Samstag in strömendem Regen an, bewaffnet mit nur einem Mini-Schirm und hatten die klimatischen Unterschiede die Ostküste hinauf klar unterschätzt. Auf gut deutsch: wir froren bitterlich und ähnelten mit jeder Minute mehr verfrorenen und abgesoffenen Ratten. Mit leeren Bäuchen retteten wir uns vor dem Regen ins nächste Restaurant und machten erste Bekanntschaft mit den inflationären Preisen der Metropole - keine Ahnung, warum sich Volkswirte Sorgen um Deflation machen, 18 USD für ein Sandwich (Beilage: ein mikroskopisch kleines Töpfchen Coleslaw) waren der Stimmung nicht gerade zuträglich. Den Versuch, Zeit bei Macy's abzusitzen, brachen wir nach etlichen Nahkämpfen mit Touristen inmitten opulenter Blumendekoration, die ganz offenbar von der Mehrheit der Besucher als wesentliche Attraktion betrachtet wurde, ab und retteten uns zu Starbucks. Ich bin ja grundsätzlich kein Anhänger der hier omnipräsenten sugar-free-low-fat Kultur für Lebensmittel, aber die neueste New Yorker Richtlinie (verbindlich für Ketten ab einer bestimmten Filialzahl), Kalorienangaben in die Speisekarte aufzunehmen, ist nicht schön, wirklich nicht. Wir haben dann doch beide Skinny Vanilla Latte genommen.
Gegen vier trafen wir bei unseren Gastgebern, Kollegen meiner Freundin, ein. Wirklich schöne Wohnung mit komfortablem Gästezimmer in Harlem, knapp oberhalb des Central Park. Da wir eine Opernkarte zuviel im Gepäck hatten, machten wir uns frühzeitig wieder auf den Weg zurück nach Downtown in die Oper, angemessen aufgebrezelt und voller Erwartungsfreude. Nun fährt die U-Bahn zwar durch bis Lincoln Center, allerdings ist 'durchfahren' in diesem Fall durchaus wörtlich zu nehmen: ab Höhe Central Bank fahren zwei von drei Linien nonstop bis zum Times Square - wie wir dann merkten, als wir die Zielstation ohne Halt passierten. Aus Schaden wird man klug, so sagt man, wir aber nicht, und machten den Fehler gleich ein weiteres Mal - fanden uns also nach dreißig Minuten wieder auf Höhe Central Park wieder. Im dritten Anlauf waren wir außerdem an der falschen Station ausgestiegen und mußten einmal raus, oberirdisch über die Straße stöckeln und erneut bezahlen. Immerhin hatte der Himmel ein Einsehen mit unserer prekären Schuhsituation und den sintflutartigen Regen eingestellt (andernfalls wäre das Wasser zu L.s Schuhen vorne hineingelaufen - Peep Toe - und in meine vermutlich hineingeschwappt und hätte sich dort in Teichen gestaut). Blieb noch genug Zeit für einen Happen zum Abendessen, bevor wir mit der Extra-Karte auf der Treppe Stellung bezogen, zwischen einem ältlichen Ehepaar, das strategisch rechts und links positioniert war und etlichen Herren, die offenbar gewerbsmäßen Schwarzmarkthandel betrieben. Ich bin mir meiner katastrophalen Uneignung für jede Vertriebstätigkeit völlig bewußt und die liebe L. stand mir in nichts nach, dennoch fand sich eine junge Frau, die uns die Karte für die Hälfte (!) des ursprünglichen Preises abkaufte. Angesichts unser Talentfreiheit für solche Unterfangen betrachteten wir das als Erfolg.
Leider wurde ich von der Met um das eigentliche Objekt meiner Sehnsucht, den Startenor, betrogen - nicht ganz unerwartet zwar, aber dennoch enttäuschend. Sich über die Qualität des Ersatzes zu beklagen, hieße allerdings auf hohem Niveau zu jammern, insgesamt ist die Met natürlich ein Erlebnis und bietet Kunst auf sehrsehr hohem Niveau. Besonders begeistert war ich vom Bühennbild: passend für die Oper "L'elisir d'amore" komplett in Zuckerbäcker-Pastellfarben gehalten. Einfache Holzstellwände waren durchgängig in gelb und rose mit Einwürfen von türkis und lila gestrichen. Herrlich artifiziell und überspitzt! Highlight war der Wagen des Dulcamara, Ton in Ton mit der restlichen Deko - ein monströses Gefährt. Wunderbar, wenn die Ausstattung die Musik und Botschaft unterstützt und die Balance findet zwischen Nachdenklichkeit und Musikverständnis, ohne dabei in sinnlose, egozentrische Provokation zu verfallen!
Wir hatten Plätze im fünften Rang ganz oben direkt über dem Orchestergraben, eingeschränkte Sicht, mäßige Akustik, aber immer noch meine liebsten Plätze, egal in welchem Haus ich sitze. Oper ohne Blick in den Orchestergraben ist für mich einfach nur der halbe Spaß - gemessen an meinen Maßstäben hatte ich also alles richtig gemacht. Besonders sympathisch fand ich die kleinen Pulte mit Lämpchen in der zweiten Reihe, das hätte ich mir vor einigen Jahren gewünscht, als ich regelmäßig mit Partitur gerüstet in die Oper ging. Völlig konsterniert war ich allerdings am Ende der Vorstellung: noch bevor die ersten Idioten zu klatschen anfangen konnten* fingen die Musiker schon an zu packen - bis der Dirigent seinen Applaus entgegennehmen konnte, war der Orchestergraben beklagenswert leer! Sehr sonderbar. Danach waren wir noch einen Absacker-Cocktail trinken - von dem Wunsch nach einem nächtlichen Dessert nahmen wir Abstand nach dem Blick auf die Karte. Während dort nämlich keine Getränkepreise verzeichnet waren (Damenkarte für zwei alleinreisende Damen?), waren die Kalorienangaben absolut unübersehbar - 1440 nachts um zwölf schien uns keine gute Idee zu sein angesichts des absehbaren Strandurlaubs im Mai (Aktion Sommerkörper, und so).
Der Sonntag begann mit einem fantastischen Osterbrunch bei unseren Gastgebern, ganz ohne Kalorienangaben für Rühreier, Bratkartoffeln, Käse und Lachs und Obstsalat und Schokoladenkuchen. Diese Gastfreundschaft wollten wir natürlich nicht mit Undank belohnen, und brachen erst gegen drei Uhr nachmittags auf. Während die gute L. sogar eine Einkaufsliste im Geiste mitgebracht hatte (Bikinishoppen, s.o.) und ich sie natürlich tatkräftig hätte unterstützten wollen, zeichnete sich doch ab, daß außer den üblichen internationalen Ketten die Läden selbst im nimmerkonsummüden NY am Sonntag geschlossen sein würden. Ins Museum zu gehen wäre bei dem traumhaften Wetter (kalt aber sonnig) wirklich Sünde gewesen, also endeten wir mit noch mehr Skinny Latte im Central Park auf der "Sheep Meadow".
Ich bin ja wahrhaftig kein ausgesprochener Freund von Großstädten und New York hat bei mir vor über zehn Jahren keinen großartigen ersten Eindruck hinterlassen. Häuserschluchten und stählerne Bordsteine machen mir Beklemmungen, multilpliziert mit Menschenmassen und potenziert durch schlechtes Wetter war ich auch im Laufe des ersten Tages wenig angetan, muß meine Meinung aber nach diesem wunderbar entspannten Sonntag revidieren: New York kann auch anders. Und ist dann eigentlich ganz nett.
*Wie ich Menschen hasse, die die Stille nicht als Bestandteil der Musik erkennen!
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Auf eine Zigarette mit...
damenwahl | 10. April 09 | Topic 'Washington'
... Peer Steinbrück? Nicht ganz, aber fast. Rauchen ist eine unschöne Angewohnheit und meine Mama wünscht sich sehr, daß ich aufhöre. Ich habe diesbezüglich aber keine guten Vorsätze, denn im Falle des Scheiterns müßte ich mich schämen, also versuche ich es gar nicht erst. Ich genieße die fünf Minuten auf der Dachterrasse meines Arbeitgebers, mit einem Kaffee in der Hand, meinen Gedanken nachhängend, und freue mich über den gelegentlichen Geistesblitz, der mich dabei überkommt: die Lösung für ein Problem bei meiner Arbeit, eine schöne Formulierung für mein Blog, ein Plan für die Zukunft...
Im Moment ist die Arbeit eher stupide und so zog es mich am Spätnachmittag noch einmal aufs Dach. Wie schon zwei Stunden vorher saß auf der Mauer ein ziemlich gut gekleideter Herr, dem Rentenalter deutlich näher als ich – also nahe am Rentenalter, einen Hefter mit Unterlagen auf den Knieen, lesend.
Die flapsige Frage, ob er schon wieder oder immer noch hier oben sei, konnte sich die Dame von Welt gerade noch verkneifen – als er mich ansprach:
Er: Is this coincidence, or do we both not have enough work?
Ich: Meeeeee? No, not at all, I am working diligently all day and this MUST be coincidence.
Er: Hey, my name is N. – where are you from?
Ich: Nice to meet, you, I’m Damenwahl, from Germany. And you?
Er: I’m from X, other side of the world. Which department are you in?
Ich: I am just a visiting fellow, short-term assignment in XYZ division.
Er: Ah, so you are working for J.?
Ich: Well, not any more more, to be precise
[Chef J. hört bald auf. Es folgte eine kurze Diskussion über meine Arbeit, seine Arbeit und die Finanzkrise. Die Dame von Welt interessiert sich ja auch sehr für ihr Gegenüber, also fragte ich ganz höflich:]
What department are you working for?
Er: XYZ department, but I just joined in January, haven’t been here very long.
Ich: And, what have you been doing before that?
Er: I was Minister of Finance…. Of country X.
Hier verschluckte sich die Dame von Welt und hatte Mühe, nicht hysterisch zu lachen. Is klar, ich rauche gerade eine Zigarette mit dem ehemaligen Finanzminister eines nicht ganz unbedeutenden Schwellenlandes, für den Rest der Welt „your excellency“ – für mich, seit eben, N. Muhahahaa! Die Damen von Welt fängt sich natürlich wieder und setzt die angenehme Konversation souverän fort. Mit Hilfe des anwesenden Finanzministers a.D. von Welt, der die momentane Sprachlosigkeit der Dame elegant überging. Ich liebe meinen Job!
Im Moment ist die Arbeit eher stupide und so zog es mich am Spätnachmittag noch einmal aufs Dach. Wie schon zwei Stunden vorher saß auf der Mauer ein ziemlich gut gekleideter Herr, dem Rentenalter deutlich näher als ich – also nahe am Rentenalter, einen Hefter mit Unterlagen auf den Knieen, lesend.
Die flapsige Frage, ob er schon wieder oder immer noch hier oben sei, konnte sich die Dame von Welt gerade noch verkneifen – als er mich ansprach:
Er: Is this coincidence, or do we both not have enough work?
Ich: Meeeeee? No, not at all, I am working diligently all day and this MUST be coincidence.
Er: Hey, my name is N. – where are you from?
Ich: Nice to meet, you, I’m Damenwahl, from Germany. And you?
Er: I’m from X, other side of the world. Which department are you in?
Ich: I am just a visiting fellow, short-term assignment in XYZ division.
Er: Ah, so you are working for J.?
Ich: Well, not any more more, to be precise
[Chef J. hört bald auf. Es folgte eine kurze Diskussion über meine Arbeit, seine Arbeit und die Finanzkrise. Die Dame von Welt interessiert sich ja auch sehr für ihr Gegenüber, also fragte ich ganz höflich:]
What department are you working for?
Er: XYZ department, but I just joined in January, haven’t been here very long.
Ich: And, what have you been doing before that?
Er: I was Minister of Finance…. Of country X.
Hier verschluckte sich die Dame von Welt und hatte Mühe, nicht hysterisch zu lachen. Is klar, ich rauche gerade eine Zigarette mit dem ehemaligen Finanzminister eines nicht ganz unbedeutenden Schwellenlandes, für den Rest der Welt „your excellency“ – für mich, seit eben, N. Muhahahaa! Die Damen von Welt fängt sich natürlich wieder und setzt die angenehme Konversation souverän fort. Mit Hilfe des anwesenden Finanzministers a.D. von Welt, der die momentane Sprachlosigkeit der Dame elegant überging. Ich liebe meinen Job!
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