Dienstag, 8. September 2009
Viele kleine Widrigkeiten
Gestern war ich die erste Nacht alleine in Kinshasa. Mitbewohner eins ist abgereist. Das ist schlecht für mein Sozialleben, aber gut für mein Budget, jetzt muß ich ihn nicht mehr durchfüttern. Mitbewohner Nummer zwei hätte eigentlich schon Freitag von seiner Dienstreise aus Kivu zurückkommen sollen, aber auf dem UN Flug am Freitag bekam er keinen Platz mehr und jener am Montag wurde abgesagt. Ich kann mir kaum vorstellen, wie ich während des Studiums über Tage alleine in meiner Wohnung vor mich hinpuzzeln konnte - die letzten zwei Jahre haben aus mir scheinbar doch noch einen geselligen Menschen gemacht oder mich zumindest so auf das Wohngemeinschaftsmiteinander konditioniert, daß ich mich gestern geradezu einsam gefühlt habe.

Nachdem mein Französisch Lehrer in aller Treuherzigkeit verkündete, er wolle sich auf eine Stelle als Verwaltungsassistent bei meinem Arbeitgeber bewerben und ich nicht das Herz hatte, ihm die völlige Aussichtslosigkeit seiner Bemühungen vor Augen zu führen;
nachdem außerdem mein Fahrer die morgendliche Verspätung abends aufholte, indem er mir zwanzig Minuten vor der vereinbarten Zeit mitteilte: Ich bin schon da.;
nachdem außerdem der Kühlschrank kläglich leer war und die Küche selbst absolut dunkel und daher unbrauchbar, aufgrund Lampenexplosion (ja, Sie lesen richtig, hier glühen die Drähte von Birnen nicht einfach durch, sondern explodieren mit einem lauten Knall in tausend Stücke);
nachdem außerdem heute morgen das Wasser wieder aus war und uns als nächstes vermutlich der Strom abgestellt wird, wenn wir nicht bis übermorgen die neueste Rechnung bezahlen, ich aber ohne Mitbewohner nicht weiß, wie ich das anstellen soll;
--- hatte ich gestern einen Abend lang keine Lust mehr auf Entwicklungsland. Ich möchte nicht mehr bei jedem Kleidungswechsel von Mücken gestochen werden. Ich möchte keine Ameisen mehr in der Brottüte und keine Maden in den Haferflocken. Ich möchte nicht mehr um Geld streiten müssen. Ich möchte morgens garantiert unbehindert duschen können. Ich möchte mich beim Verlassen des Hauses nicht mehr fragen müssen, ob abends noch alle meine Wertgegenstände da sein werden. Ob ich meinen Reisepass mit Visum zurückerhalten werde. Ob mein Vertrag für Oktober nicht langsam fertig ist.

Ich weiß, das wird vorbeigehen. Aber gerade wird mir alles ein bißchen viel.

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Montag, 7. September 2009
Taufe feudal
Am Donnerstag war ich der Quoten-Protestant. In Zentralafrika ist der Katholizismus weit verbreitet und durchdringt die Gesellschaft, oft mit geradezu evangelikalen Zügen. Unser Wachmann Olivier führt seinen Namen selbstverständlich auf die Bibel zurück. Ein Bekannter mit Namen Tamaris erzählte mir ausführlich von biblischen Begebenheiten rund um den Tamariskenbaum – hatte selbigen allerdings genausowenig jemals gesehen wie ich. Und so habe ich am Donnerstag bei der Taufe der kleinen Tochter von F. wieder einmal den Posten des etwas außenstehenden Beobachters eingenommen.

Die beiden Hauptstraßen waren wie immer nachmittags völlig zu mit geradezu ineinander verkeilten Autos, aber meine Befürchtungen, peinlicherweise die letzte zu sein, erfüllten sich nicht. Auch um halb vier (dreißig Minuten nach meiner Ankunft) stand die Festgesellschaft noch vor der Kirche. Es war unerträglich heiß, das Wasser lief mir den Rücken hinunter und sammelte sich beinahe in kleinen Pfützen in meinen Schuhen. So langsam bekomme ich Respekt vor der drohenden feucht-schwülen Regenzeit. Die Messe wurde von einem der Familie seit langen Jahren verbundenen Priester aus Belgien gelesen, der zu diesem Anlaß für eine Woche eingeflogen war. Die kleine A. trug ein etwas zu großes weißes Kleidchen – ebenfalls aus Belgien importiert – und sah aus wie ein entzückendes kleines Sahnebaiser. Die Herren trugen vorwiegend feine dunkle Anzüge, die jüngeren Damen Etuikleider und elegante Tagesgarderobe, die matronenhaften älteren weiblichen Familienmitglieder prächtige und aufwendig geschneiderte afrikanische Kombinationen. Es fehlten nur noch wagenradgroße Hüte, um das Bild der gehobenen Gesellschaft zu perfektionieren.
Die Kirche war mit unerträglich unbequemen kleinen Hockerstühlchen mit überhohen Lehnen und – dankenswerterweise – etlichen Ventilatoren bestückt, die zwar die Hitze etwas erträglicher machten, aber verhinderten, daß ich von der französischen Zeremonie mehr als drei Worte verstanden habe. Als einzige Weiße – mit Ausnahme des Priesters – fühlte ich mich entsetzlich unwohl, da im übrigen wirklich nur die engste Familie versammelt war. Mit Grauen sah ich dem anschließenden Cocktail entgegen und rechnete im Geiste aus, wann ich wohl angemessenerweise die Arbeit als Entschuldigung für einen frühen Abgang geltend machen könne. Der Empfang fand im Haus der Großmutter im Stadtteil Ma Campagne statt, dem Viertel, in dem auch die Domaine Présidentielle liegt. Der großzügige Garten war aufwendig dekoriert mit vielen Tischen, behussten und beschleiften Stühlen, Kinderspielgeräten und einem langen Buffet. Etwas verloren drückte ich mich die erste Stunde am Rande der eintreffenden Grüppchen herum, bis mir einige junge Frauen endlich entgegenkamen und mich ins Gespräch einbezogen. Waren zur Messe noch kaum dreißig Personen anwesend gewesen, wurde der Garten jetzt schnell voll, bis gegen sieben alle Tische besetzt waren. Die Eltern des Taufkindes sind Anfang dreißig und hatten offenbar sämtliche Schulfreunde der letzten zwanzig Jahre eingeladen. Jeder kannte jeden, alle waren zusammen die ersten Jahre zur Schule gegangen, die Mädchen tauschten Erinnerungen an den gemeinsamen Tanzkurs aus (ja, so was gibt es hier für die bessere Gesellschaft!). Weißt Du noch, als Marie neu war und sich überall vorstellte mit „Ich bin Marie und ich komme aus Equateur....“ – „Ja, muhahaha, und dann.... erinnerst Du Dich, als... soooo peinlich!“. Tausende Kilometer von Deutschland entfernt, aber die gleichen Geschichten wie in meiner Schulzeit. Um fünf wurden die Tische fertig dekoriert und der Champagner aufgekorkt. Mein Glas war nie leer und ich am Ende des Abends zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder ein wenig tipsy von Sprudelbrause. Wenig später kamen Tabletts mit Hors d’oeuvre, F. und seine Frau MP. waren vorbildliche Gastgeber, überall präsent, erkundigten sich in regelmäßigen Abständen nach meinem Befinden. In meinem Grüppchen junger Damen der lokalen jeunesse dorée hatte ich mich inzwischen gut eingelebt. Alle studiert, alle gereist, alle mit vernünftigen Jobs. Von Anfang an trennten sich Damen und Herren an den Tischen, was bei uns auch eingehend diskutiert wurde. Die Damen waren sich einig, dies sei typisches Verhalten für verheiratete Herren. Tatsächlich waren mehrere der jungen Frauen an meinem Tisch noch unliiert, ledige Herren hingegen habe ich keine getroffen. Wer mit Anfang dreißig hier nicht verheiratet ist, gilt als spätes Mädchen. Entsprechend spielten am anderen Ende des Gartens etliche Kinder, obwohl kaum eines der jungen Paare nach europäischen Maßstäben alt genug für Kinder im Schulalter aussah. Pünktlich zu Einbruch der Dämmerung fiel der Strom aus und ich hatte Gelegenheit zu lernen, daß trotz der noblen Umgebung Privathäuser in diesem Stadtteil nicht unbedingt über einen eigenen Generator verfügen – es blieb für eine knappe Stunde dunkel, bis unter lautem Gejohle Lichter und Musik wieder angingen und das Buffet eröffnet wurde. Zwischendurch präsentierte mir F. Familienfotoalben. Und die sahen genauso aus wie jene meiner Mama daheim. Die Fotos aus den siebziger Jahren etwas gelbstichig, Großeltern mit Enkeln, Mama mit Kindern in der Badewanne, Opa beim Spielen mit den Kleinen, Gruppenbild der Familie im Garten unter dem immer selben Baum – wären die Menschen nicht dunkelhäutiger gewesen, es hätte ein Familienalbum jeder beliebigen, gutbürgerlichen Mittelstandsfamilie in Deutschland sein können. Gegen neun Uhr hatte ich genug Champagner getrunken und nutzte die Gelegenheit, mich von einigen meiner Tischpartnerinnen – die zu weiteren Taten in die Stadt aufbrachen – nach Hause mitnehmen zu lassen. Taufe auf kongolesisch war so gar nicht kongolesisch. Aber schön.

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Samstag, 5. September 2009
Anders denken
Mein Französischlehrer lädt mich jeden Sonntag in sein Viertel ein, aber ich mag nicht gehen – das ganze kommt mir etwas sonderbar vor. Er wird langsam zutraulicher und präsentierte mir vergangene Woche erst seine Idee, eine Schule in seinem Viertel zu gründen – wofür ich mich durchaus hätte erwärmen können –, dann den Plan, im Fernsehen aufzutreten und Kommunikation in Entwicklungshilfe zu betreiben. Falls sie dazu Details wissen möchten, muß ich Sie enttäuschen: das hat sich mir noch nicht entschlossen, aber nachdem eine ausführliche Darlegung der finanziellen Bedürfnisse für diese Unterfangen Bestandteil unseres Gesprächs war, verdächtige ich ihn diverser Hintergedanken bei seinen Einladungen. Ein seit langem hier lebender Kollege belehrte mich schon vor Wochen, daß Kongolesen einen zumeist dann nach Hause einladen, wenn sie etwas wollen – das hier ist vermutlich so ein Fall. Letzte Woche fragte er (der Französischlehrer), ob mein Laptop nicht schon recht alt sei (da hat er Recht) und ich mir keinen neuen kaufen wolle (sehe ich nicht ein, da der alte noch funktioniert) – denn wenn, könne ich ihm ja vielleicht meinen alten Rechner abtreten? Anfangs konnte ich die Beschwerden meiner Kollegen, die Menschen hier hätten eine erstaunliche Erwartungshaltung in Bezug auf Großzügigkeit, Geschenke, Geldgaben, nicht nachvollziehen - inzwischen schon. Und mit jedem Tag mehr. Zu Hause würde man für eine solche Bitte den perfekten Moment abwarten und dann sehr vorsichtig eine Andeutung machen, sein Interesse an dem alten Gerät durchblicken lassen. Wohlwissend, daß ein Laptop ungeachtet des Alters ein teurer Wertgegenstand ist, daß man alte Sachen nicht wegwirft, es nie schadet, Altgeräte für Notfälle aufzubewahren, und sowieso niemand etwas zu verschenken hat.
Hier nicht. Ich würde meinen Französischlehrer gerne fragen, was er sich dabei denkt. Möglicherweise ist die finanzielle Kluft zwischen uns – ausgedrückt durch Kleinigkeiten, die für mich alltäglich sind, für ihn jedoch unerreichbarer Luxus: das Essen, die Wohnung – so groß, daß ihm nicht klar ist, daß ein Laptop auch für mich keine kleine Ausgabe ist. Möglicherweise denkt er auch gar nicht darüber nach, welche Wahrnehmung ich habe. Möglicherweise steckt aber eben auch genau jene Denkungsart dahinter, die meine Expatriate Kollegen beklagen: die Weißen sind ohnehin so reich, daß man nicht nur keine Bedenken haben muß, sondern geradezu das Recht hat, von ihnen ein Maximum an Großzügigkeit zu fordern.

Einen Abend vor der Laptop Episode war ich abends im Dunkeln in den Supermarkt um die Ecke gelaufen. Auf den hundert Metern Fußweg begegne ich jedes Mal Straßenjugendlichen, jungen Männer zwischen zehn und siebzehn, die um Geld betteln. Während ich mich normalerweise schwer tue, Bargeld zu geben, war ich an jenem Abend mit meinen Gedanken woanders und der Bengel des Tages sah so mager und bemitleidenswert aus, daß ich einen fünfhundert Francs Schein Wechselgeld (ein halber Dollar) aus der Hosentasche zog und ihm reichte. Schon waren sie zu zweit und ich erklärte, sie mögen das hübsch ordentlich teilen. Wie aus dem Nichts tauchten weitere drei, vier, fünf, sechs Jungs auf, die mir zwischen den parkenden Autos und dem überall herumliegend Schutt gar nicht aufgefallen waren. Sie seien so viele und fünfhundert Franc zu wenig. Ich war etwas eingeschüchtert von der plötzlichen Überzahl, weigerte mich und die Jungs wurden aggressiv, forderten nachdrücklich mehr Geld, griffen in meine Einkaufstüte, zerrten an meiner Handtasche. Ich setzte mich energisch zur Wehr, schubste und drängelte zurück, und nach einigen Metern, nahe der Haustür, gaben sie auf. Die ganze Angelegenheit war ein wenig beängstigend – vor allem das dahinter stehende Aggressionspotential. Wäre ich in einem Auto unterwegs gewesen, hätte es wütende Schläge auf die Motorhaube und den Kofferraum gesetzt, auch das ist hier ganz normal. Kein Tag, an dem nicht enttäuschte Straßenkinder (auch ganz kleine) zornig die passierenden Autos traktieren. Auch da spiegelt sich die Erwartungshaltung wieder, als Weißer müsse man etwas geben, und wenn nicht freiwillig, dann nehmen sie es sich. Oder versuchen es zumindest.

Bedauerlich - aus meiner absolut und zutiefst europäisch indoktrinierten Perspektive - ist, daß einem die Möglichkeit genommen wird, freiwillig und ungefragt großzügig zu sein. Bevor ich jemals dazu komme, Trinkgeld oder kleine Geschenke zu verteilen, wird immer schon eingefordert. Keine Frage, mein Gefühl, daß ein freiwilliges, nicht erbetenes Geschenk mehr wert ist als eines, das eingefordert wurde, mag deplaziert sein in dieser Kultur. Aber abgesehen davon, daß die Menschen hier vielleicht auch das Gefühl haben, nicht auf freiwillige Großzügigkeit warten zu können, weil die Not so groß ist, ist es beispielhaft für die klaftertiefen Gegensätze in der Mentalität und den moralischen Kategorien, die im Alltag zur Anwendung kommen. Ich will gar nicht werten, es ist wie es ist: nicht schlechter, nur anders.

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