Freitag, 11. September 2009
Entwicklungen
Ich habe mich verändert im letzten Jahr. Ich erinnere mich noch, wie ich vor drei Jahren bei meinem ersten Aufenthalt in einem Entwicklungsland meine erste Kakerlake gesehen habe. In der Küche meines Arbeitgebers spazierte sie über die Arbeitplatte, auf der wir gerade Sandwiches zubereiteten. Ich habe nicht hysterisch gekreischt, war aber doch nachhaltig angewidert und habe danach mit neuer Leidenschaft den Kampf gegen Lebewesen mit mehr als vier Beinen in meiner Wohnung aufgenommen. Es ist nicht leicht, in Pappkartonbauten inmitten der afrikanischen Hitze das Zuhause viecherfrei zu halten, aber dank regelmäßiger Giftaktionen mit diversen Chemikalien habe ich seinerzeit den Kampf gewonnen.
In Ägypten vor einem Jahr war ich schon deutlich entspannter, hatte allerdings Glück und habe erst an meinem letzten Tag die Untermieter im Bad gesichtet. Mittlerweile lebe ich in einem Haus, das von offenen Abwasserkanälen umgeben ist, in denen die Wachleute unten ihre Schüsseln ausspülen und ihre Wäsche waschen. Komme ich abends im Dunkeln nach Hause, gehe ich immer außen um den Schutt und Müll herum, weil ich wiederholt Ratten habe herumspringen sehen. Keine Mäuse – richtige, fette Ratten. Ich mache mir auch keine Illusionen, daß meine Wohnung kakerlakenfrei sein könnte. Spätestens seit ich morgens eine vom Mitbewohner mittels Glas zermalmte Kakerlake in der Spüle entsorgt habe, weiß ich, daß ich mehr als nur zwei zweibeinige Mitbewohner habe. In der gesamten Wohnung gibt es Ameisen. Mittlerweile packe ich Kekse oder Brot immer in zwei Plastiktüten ein, andernfalls wuseln einem beim nächsten Öffnen der Packung zahllose Krabbelviecher entgegen. Die Cafettiera, die unser homme de ménage feucht in den Schrank gestellt hat, muß man vor der Benutzung erst ausschütteln. Ich bin von mir selbst überrascht, daß mich derartige Episoden inzwischen völlig kalt lassen. Ich will gar nicht wissen, wieviel Dreck ich bei meinen diversen Mahlzeiten in den letzten Monaten verspeist habe. Brot auf der Straße gekauft. Küchlein im Supermarkt um die Ecke. Chawarma im Dönerladen. Lebensmittelkontrolle? Fehlanzeige, hier. Ich bin nicht an den Details interessiert, will nicht genau wissen, wieviele Insektenleichen in den letzten Monaten durch mich hindurchgewandert sind – ist egal, das ist es wert.
Jeden Freitag und Samstag Abend bekommen wir Musik, umsonst. Unten im Hof ist ein Restaurant, das seinen Gästen jedes Wochenende Live-Musik bietet. Das Programm ist immer dasselbe, populäre kongolesische Schlager, außerdem Guantanamera, La Bamba und Marina. Danach kann man die Uhr stellen und ich bin zuversichtlich, bis Dezember auch die kongolesischen Titel mitsingen zu können. Selbst das stört mich nicht übermäßig. Würde ich die nächsten drei Jahre hier wohnen, würde ich meine Wohnungsentscheidung vielleicht noch mal überdenken, aber für die begrenzte Zeit meines Aufenthalts ist es vertretbar. Beinahe freue ich mich abends über die heitere Untermalung.
Abgestelltes Wasser? Stromausfälle? Alles mit schöner Regelmäßigkeit fest im Programm vorgesehen, man paßt sich an. Erstens kann man auf die Wassertonnen im Bad zurückgreifen, zweitens kann ich unten im Cercle Elais duschen gehen. Gegen Stromausfälle helfen der Laptop – solange die Batterie reicht – und die immer wieder einmalige Aussicht über den Fluß und die Stadt. Nein, beide Städte, Kinshasa wie Brazzaville, die beide zu meinen Füßen liegen.
Natürlich ist das immer noch Entwicklungsland light. Strom und Wasser gehen oft aus, aber eben auch irgendwann wieder an. Meine Wohnung ist ansonsten sehr passabel, die Ratten hausen acht Etagen unter mir und überhaupt: das ganz harte Programm für Fortgeschrittene blieb mir auch in Kinshasa erspart.
Vor allem aber: ich mag die Aufregungen und kleinen Abenteuer, die jeder Tag mit sich bringt. Man weiß nie genau, was einen erwartet, welche Bilder man heute geboten bekommt. Gestern auf dem Heimweg erhob sich dem Boulevard neben den tiefen Gräben, die Freunde aus Fernost im Rahmen ihrer Infrastrukturprojekte gebuddelt haben, ein Berg von Gepäck. Mehrere Koffer, Reisetaschen, dazwischen Plastiksäcke und Pappkartons. Auf einem der Koffer saß ein Soldat in Uniform, zwischen seinen Knien stand eine schwarze Ziege, die Leine fest in der Hand. Beide beobachteten der vorbeizuckelnden Verkehr. Ich bedauere in solchen Momenten, meine Kamera nicht dabei zu haben (und wenn ich sie hätte, könnte ich dennoch keine Fotos machen, Fotos von Soldaten brächten mich vermutlich in Teufels Küche). Ich schaue dann ganz genau hin und versuche das Bild abzuspeichern, auf daß ich mich irgendwann in fünfzig Jahren erinnern kann, wenn ich in Deutschland sitze, dem Siechtum verfallen und mich nicht mehr rühren kann. Dann habe ich aber zumindest ein aufregendes Leben gehabt.

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Donnerstag, 10. September 2009
Erhellender Abend
Ich war mit meinem kongolesischen Bekannten M. Abendessen. Mir ist nicht ganz klar, warum sich jemand, der in diesem Land vermutlich glänzende Zukunftsaussichten hat und keinen Mangel an Freunden, Bekannten, Mandanten, Klienten und anderen Menschen, mit mir abgibt und sich geradezu rührend bemüht, mich zu integrieren. Egal, er tut es und ich bin froh darüber. Meistens redet er, ich kann ihm zwar auf Französisch folgen und gelegentliche Bemerkungen einflechten, bin aber selbst immer noch zu ungelenk, um komplexe Gedanken adäquat auszudrücken. Also saß ich ihm gestern Abend gegenüber, hörte zu, und lernte. Eine Menge. Die auftretenden Personen in diesem Kammerstück: meine Vorgesetzte, der schöne Franzose, und unser aller zwei Chefs. Zuerst waren wir ein Bier in der Hotelbar trinken. Dort lernte ich, daß der schöne Franzose wieder im Lande ist – buchstäblich – und vermutlich fünf Etagen über uns in seinem Hotelbett lag und sich von der langen Reise erholte. Da er mit seinem Zimmer nicht glücklich war (falsche Etage), klingelte M. einen seiner unzähligen Cousins heran, seines Zeichens im Hotel Management tätig, und arrangierte einen Zimmerwechsel für den schönen Franzosen. Nach vollbrachter Intervention wollte er den Kollegen informieren und nutzte dafür mein Telefon. Der schöne Franzose lehnte das Gespräch ab – was uns wiederum reichlich Gesprächsstoff gab. Danach waren wir noch zusammen eine Kleinigkeit essen, in einem anderen Restaurant. Und dort lernte ich: der schöne Franzose wollte eigentlich die Position meiner Vorgesetzten haben, hatte dafür auch die Unterstützung des einen Chefs, leider des falschen. Er hat jetzt eine andere Position und die ist vermutlich auch nicht schlecht – nur halt nicht jene, die er eigentlich wollte. Der schöne Franzose ist gerne in Gesellschaft der Schönen und Einflußreichen, wandelt bevorzugt in den Sälen der Macht und betreibt mit viel Energie die Herbeiführung von Möglichkeiten.*
Diese interessanten Details und Einschätzungen garnierte M. mit Anekdoten aus seiner eigenen beruflichen Kamarilla, wo er – bedeutend jünger als die meisten der ihm unterstellten Mitarbeiter – mit mannigfaltigen Intrigen zu kämpfen hat.
Ich bin nach wie vor zu naiv für diese Welt, weil ich derartige Unterströmungen selbst in meinem unmittelbaren Umfeld häufig gar nicht wahrnehme. Würde ich darüber nachdenken, wäre mir schon bewußt, daß es sie gibt – aber auf meinem Bildschirm sind sie nicht drauf, wenn man mich nicht mit der Nase darauf stößt. Vor allem aber sitze ich jetzt hier und stelle wieder einmal fest: solche Intrigen sind mir so fremd. Ich halte viel davon, sich durch qualitativ hochwertige Arbeit und Zuverlässigkeit zu empfehlen, die Machtspiele im Hintergrund hingegen durchschaue ich meistens zu spät oder gar nicht und wundere mich dann, warum ich auf die Nase falle. Aktives Engagement meinerseits ist völlig ausgeschlossen, ich bin eine lausige Lügnerin und noch schlechtere Intrigantin. Damit bin ich vermutlich völlig ungeeignet für jede Form der Karriere in einem größeren Unternehmen und es wäre weise, sich beizeiten nach einem Plan B fürs Leben umzuschauen.
Ich könnte reich heiraten und Mutter einer Division gutangezogener und wohlerzogener Kinderchen werden und dem Vaterland damit zukünftige Steuerzahler schenken. Oder ein Restaurant oder einen Delikatessen Laden eröffnen und die kulinarische Landschaft irgendeines abgeschiedenen Provinznestes bereichern. Oder ins Kloster gehen. Das sind die Möglichkeiten, die mir im Moment einfallen. Alternative Vorschläge bitte an meine Mailadresse.

*Ich bin für den schönen Franzosen vermutlich einfach nicht wichtig genug in meiner untergebenen Position, als daß er sich mit mir abgeben würde, wenn interessantere Persönlichkeiten verfügbar sind. Ernüchternde Erkenntnis und Ende aller romantischen Hoffnungen.

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Mittwoch, 9. September 2009
Es ist kindisch, aber ich freue mich jedes Mal, wenn schöne Musik im Radio kommt. Die Entdeckung des Webradios, zu Verdanken vor allem Herrn Mark und Herrn Stubenzweig, hat mir manchen drögen Arbeitstag versüßt, seit ich im eigenen Büro am Ende des Flurs sitze, wo ich niemanden störe.

Nun habe ich mir zu Weihnachten eine externe Festplatte geschenkt und die gesamte Familie zwangsverpflichtet, zumindest die wichtigsten CDs während meines Heimaturlaubs draufzuspielen, so daß ich viele Sachen jederzeit hören kann. Trotzdem freue ich mich auf kindische, völlig irrationale Weise, wenn bestimmte Werke, die ich besonders mag, im Radio kommen.

Völlig unerklärlich, aber ist so. Das tröstet mich sogar darüber hinweg, daß unsere Küche immer noch eine Dunkelkammer ist und man nunmehr begonnen hat, den Parkplatz vorm Haus aufzureißen. Die Szene vorm Haus ist so surreal - Hindernislauf -, daß ich möglicherweise am Wochenende einen Ausflug vor die Haustür mit meiner Kamera wagen werde.

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