Montag, 9. November 2009
Meine Perle
Ich habe eine Perle. Die Perle ist männlich, heißt Jean Paul und ist für kongolesische Verhältnisse die Zuverlässigkeit in Person. Jean Paul kommt drei Mal die Woche vormittags, putzt, wäscht, bügelt und kauft auf Wunsch auch für uns ein. Diesen Wunsch haben wir vor allem dann, wenn Wasser und Toilettenpapier benötigt werden – sperrige Gegenstände also, mit denen wir uns nicht abschleppen wollen. Für seine Dienste erhält Jean Paul 130 USD im Monat, außerdem bezahlen wir gelegentliche Arztrechnungen und schulden ihm Geschenke bei Geburtstagen und sonstigen familiären Großereignissen. Damit ist er schon sehr großzügig bezahlt, ein Kollege hat einen homme de ménage der jeden Tag kommt und außerdem noch kocht, der erhält aber nur 200 USD im Monat.
Jean Paul hat natürlich seinen eigenen Schlüssel zur Wohnung – wir hingegen wissen nicht einmal, wo er wohnt. Er zieht sich immer zuallererst alte Kleidung an, bevor er ans Werk geht. Ich gebe zu: an diesen Luxus habe ich mich schnell gewöhnt.
An meinem ersten Tag habe ich noch einen engagierten Versuch unternommen, die Waschmaschine selbst zu bedienen, um Kontrolle über meinen Wäsche zu behalten – leider war ich der Waschmaschine nicht gewachsen. Nach vier Stunden erfolglosen Drehens an diversen Knöpfen hatte ich bergeweise tropfnasse, seifige Wäsche, die außerdem nach dem Trocknen unangenehm roch – danach habe ich aufgegeben. Ich geniere mich zwar immer noch ein bißchen, wenn ich abends nach Hause komme und meine Unterwäsche ordentlich aufgereiht in meinem – privaten – Badezimmer auf der Wäscheleine hängt, aber es ist ohne Zweifel fein, Blusen und Röcke immer perfekt gebügelt im Schrank vorzufinden.

Jean Paul macht auch immer ordentlich die Betten:


Er ordnet die Fläschchen im Badezimmer hübsch an (alle ganz dicht an den Spiegel):


Und spült nicht nur ab, sondern räumt auch alles ordentlich ein, bevor er geht.


Als ich zur Taufe eingeladen war, hatte ich ihn relativ kurzfristig gebeten, meinen weißen Rock noch zu waschen und am selben Tag zu bügeln und er fragte tatsächlich zwei Tage später nach, ob alles recht gewesen sei, er habe den Rock ganz besonders gründlich gebügelt. Andererseits hat er am Tag vor meiner Abreise nicht waschen können, weil die Maschine kaputt war und unglückseligerweise die halbfeuchte Wäsche wieder in den Wäschekorb zurückgelegt – das war weniger klug, weil abends alles klamm war und ich folglich morgens um sechs Koffer packen mußte.
Gibt es Besonderes zu berichten, schreibt Jean Paul uns auch nette Briefchen. Zum Beispiel auf der Rückseite des Kassenbelegs vom Einkaufen: Madame Damenwahl, c’est le rapport pour aujourd’hui. L’électricién n’est pas venu, il faut l’appeler encore une fois pour demain. J’ai acheté de l’eau et du savon. Votre serviteur, Jean Paul. Noch nie hat er einen einzigen Franc Wechselgeld unterschlagen, aber es bedarf regelmäßiger Geschenke und Primes, um ihn bei Laune zu behalten. Bevor unser ehemaliger dritter Mitbewohner und ich im September abgereist sind, hat er über Wochen jeden Morgen darauf hingewiesen, wie überaus üblich es im Kongo sei, Abschiedsgeschenke zu machen. Und wenn auch Ehrlichkeit eine seiner schönsten Eigenschaften ist, Bescheidenheit gehört ganz sicher nicht dazu. Ich beteilige mich selbstverständlich seit meinem Einzug mit der Hälfte an seinem Gehalt, er hat aber sehr nachdrücklich versucht, mir angelegentlich des Abschiedsgeschenks begreiflich zu machen, daß ich nicht die Hälfte vom bestehenden Gehalt bezahlen solle, sondern eigentlich noch einmal soviel wie das bestehende Gehalt schuldig sei, weil er doch doppelte Arbeit habe. Ungeachtet der Tatsache und in der Hoffnung, mir sei unbekannt, daß die Wohnung in der Vergangenheit fast immer von zwei Personen bewohnt wurde, die sich sein Gehalt geteilt haben. Man kann es ja mal versuchen. Ich kann auf rationaler Ebene seine Wünsche nachvollziehen: als Kongolese in Kinshasa zu leben ist unendlich viel schwieriger und anstrengender, denn als Expatriate – trotzdem habe ich inzwischen begriffen, daß unbegrenztes Vertrauen nicht angebracht ist. Wer hier seine Koffer packt, um das Land zu verlassen, informiert sein Hauspersonal als allerletztes. Sobald mit der Anstellung kein festes Einkommen mehr in der Waagschale zugunsten der Ehrlichkeit liegt, steigt die Versuchung, auf den letzten Lohn zu verzichten und den Hausschlüssel zur – für kongolesische Verhältnisse – luxuriös eingerichteten Wohnung anderen Zwecken zuzuführen. Als ich solche Warnungen zum ersten Mal von Kollegen zu hören bekam, mochte ich es nicht glauben, wurde aber auf der Abschiedsparty zweier Kollegen eines Besseren belehrt: bei einem hatte man am Vorabend eingebrochen und die gesamte Wohnung ausgeräumt, inklusive Pass und Bargeld. Der Schuldige ist unbekannt, aber Fenster und Türen waren sämtlich intakt – da ist der Kreis der möglichen Verdächtigen eher begrenzt. Das ist – bei allem Verständnis für existenzielle Not – traurig, aber man gewöhnt sich daran und verhält sich entsprechend. Und auch wenn ich Jean Paul keineswegs unbegrenzt vertraue, mag ich ihn irgendwie doch gerne. Solange ich irgendwann dieses Land verlassen werde, ohne meiner Wertsachen verlustig zu gehen. Sonst überdenke ich meinen Standpunkt noch mal.

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Sonntag, 8. November 2009
Wochenende
Freitagabend: Abschiedsparty für den scheidenden Mitbewohner. Um vier Uhr verwandelte ein Regensturm unsere Terrasse in einen Swimmingpool, das Wasser stand am Rand zentimeterhoch, die Sitzmöbel (gepolstert) alle durchweicht wie ein Spülschwamm, die Straßen Schlammpisten und vom Himmel strömte es weiter ohne Unterlaß. Immerhin hörte es rechtzeitig auf, um zumindest die Terrasse halbwegs trockenlegen und die Möbel wechseln zu können. Die Party war ein großer Erfolg, davon abgesehen, daß nach elf Uhr im Haus das Wasser ausgestellt wird und folglich auch Toilettenspülkästen nicht mehr gefüllt werden – die weiteren Konsequenzen können Sie sich denken. Immerhin haben wir derer zwei, wobei die zweite im hinteren Teil der Wohnung an diesem Abend für Wohnungsbewohner und enge Freunde reserviert war.
Als wir am nächsten Morgen um elf Uhr aufstanden, hatte unser Hausmann schon aufgeräumt und geputzt – lediglich der Flur zur privilegierten Toilette bei den Schlafzimmern zeugte von nächtlichen Aktivitäten.
Sonntagmorgen: Totalausfall. Kein Wasser, kein Strom. Der Mitbewohner – auf gepackten Koffern sitzend: das kann Tage dauern. Kein Kaffee zum Frühstück, keine Rühreier, kein Licht, keine Klimaanlage. Keine Dusche, natürlich. Auch kein Brot (altes Brot toasten ging nicht, neues kaufen auch nicht, weil Treppenhaus nachtschwarz). Im Geiste plante ich schon einen Abend ohne Strom. Mit Handylicht sah ich mich den Weg durchs Treppenhaus ertasten, Abendessen gegenüber im Restaurant, noch eine Stunde dort lesen, zu Hause zwei Stunden Akkuzeit am Rechner arbeiten und um neun ins Bett. Erfreulicherweise ging der Strom um drei wieder an. Man wird dankbar, auch für Kleinigkeiten. Ich bin gerade ganz zittrig vor Vorfreude auf den ersten richtigen Kaffee des Tages – trotz über 30 Grad Außentemperatur und Sonnenbrand. Immerhin, Totalausfälle sind der Arbeitsmoral zuträglich, weil außer Arbeiten nichts andere geht.

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Freitag, 6. November 2009
Geschäftsessen
Heute morgen bin ich in der Hölle aufgewacht – gefühlt jedenfalls. Viel zu heiß im Zimmer, Luft zum schneiden dick, Knoblauchwolken bei jeder Umdrehung, zu wenig Schlaf und eingebildete Knieschmerzen. Ganze dreißig Minuten habe ich mit mir gekämpft, bevor ich schwimmen gegangen bin. Seit wann bin ich so alt, daß drei Flaschen Bier, Berge von Shrimps und ein bißchen zu wenig Schlaf mich so mitnehmen?*
Ein Bekannter arbeitet hier im Familienunternehmen und in der vergangenen Woche mit eher tristem Sozialleben habe ich das geschäftliche Interesse als Vorwand genutzt, ihn um ein Feierabend Bier zwecks Informationsaustausch zu bitten. Es klappte erst diese Woche und beinahe dachte ich: wie unbequem, diese Woche habe ich genug abendliche Unterhaltung und so rasend wichtig ist das Thema eigentlich nicht, aber gut, er hatte den Compound von Utex Africa vorgeschlagen und den wollte ich ohnehin besichtigen.
Wie bereits berichtet, wohnen die besseren Expats gerne in ummauerten Concessions und die feudalste Concession in Kinshasa ist ohne Frage Utex Africa (dem Unternehmen zugehörig, aber offen für alle solventen Mieter). Das Areal ist riesig, zieht sich vom Boulevard bis zum Fluß hinunter, zwei diskrete Toreinfahrten mit Schildern, die non-residents ausdrücklich das Betreten verbieten. Neben besonders schönen Villen und Apartmenthäusern hat der Compound nicht nur eigene Tennisplätze und einen Swimming Pool sondern auch eine Poolbar mit Restaurant.
Mein Bekannter war etwas zu spät – ich bin hier pünktlicher denn je, das muß das Abgrenzungsbedürfnis sein – aber an die Poolbar durfte ich nicht, weil ich weder den Nachnamen noch die Hausnummer meiner Verabredung nennen konnte. Also wartete ich im Auto und nutze die Zeit zum Plausch mit meinem Fahrer (sieben Kinder zwischen neun und 24 Jahren, Frau vor zehn Jahren verstorben, arme Socke). Mein Bekannter traf ein, die Wache ließ uns durch die Pforte zum Pool hinunter, milder Tadel, daß ich aufgehalten wurde (dabei tat der Wächter doch nur seine Pflicht). Wir setzten uns an einen der freien Tische mit Blick auf den Pool. Alles sehr hübsch, sehr schick, geradezu mondän. Hätte auch Nizza sein können. Gleichzeitig mit dem Bier kam der Chef des Restaurants und verwies uns an einen fein gedeckten Tisch am Rand: mein Bekannter hatte reserviert – per SMS mit Hausnummer – und auch gleichzeitig 20 Shrimps mit Frites bestellt. Für jeden von uns. Hübsch im Kreis aufgereiht, Seite an Seite, ein riesiger Teller Shrimps in Unmengen Knoblauchöl. Der Bekannte legte sich eine Lätzchen Serviette um den Hals - ich vertraute auf meine Erziehung, unter allen Umständen manierlich essen zu können. Innerhalb von Minuten lief uns beiden das rötliche Knoblauchöl über die Finger und ich gebe zu, da die Pfoten ohnehin schon hinüber waren, habe ich die Knoblauchstückchen von den Fingerspitzen geleckt. Die Marinade war unbestreitbar köstlich und ich mußte zumindest ein bißchen am Ende mit Brot aufnehmen. Den Proteinschock hingegen habe ich immer noch nicht verwunden. Rechnung aufs Haus, so wie im Hotel aufs Zimmer. Ein Zettel, eine Unterschrift. Madame war eingeladen.
Schon das Ambiente war es wert, den Termin wahrgenommen zu haben – die Informationen aber noch viel mehr. Ich liebe diese Gespräche mit Personen, die das Land wirklich gut kennen, kein Blatt vor den Mund nehmen und obendrein noch – als Nichteuropäer und Nicht-Ex-Kolonialisten – keinerlei Scheu haben, ihre Gedanken offen auszusprechen. Seine Meinung: dem Land den Geldhahn zudrehen, bis Regierung und Bevölkerung gelernt haben, kollektiv verantwortungsvoller zu handeln und nicht immer nur an den eigenen Vorteil zu denken. Davon abgesehen: Steuer auf importierte Produkte? Über 30 %. Wartezeit, bis eine Frachtladung vom Zoll freigegeben wird? Im schlimmsten Fall ein Jahr. Schwund bei einer Ladung attraktiver Güter Technologikrams? Leicht 10 %, wobei die diversen Behörden ein erstaunlich gutes Auge für neue und teure Modelle haben. Nach meinem ersten Gespräch dieser Art mit einer Exportfirma vor einigen Wochen war ich sprachlos vor Entsetzen und informierte meine Kollegen if I ever voice the idea of doing business in DRC, slap me in the face and keep me from doing it, please. Nach jedem Termin denke ich: es kann nicht schlimmer werden, aber ganz sicher: es kommt schlimmer. Jedes einzelne Mal treten neue Informationen zutage, die einem die Tränen in die Augen treiben. Und manchmal möchte man schier verzweifeln.

*Bier und Shrimps - hätte ich mir so nicht ausgesucht, aber als das Bier kam, wußte ich noch nicht, daß Shrimps folgen würden. Aber es zeigt schön, was mir am Kongo fehlt und was ich mag: einerseits die bedenkenlose Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft - andererseits die Abwesenheit von... na, Sie wissen schon was ich meine, Bier und Shrimps halt.

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