Geschäftsessen
Heute morgen bin ich in der Hölle aufgewacht – gefühlt jedenfalls. Viel zu heiß im Zimmer, Luft zum schneiden dick, Knoblauchwolken bei jeder Umdrehung, zu wenig Schlaf und eingebildete Knieschmerzen. Ganze dreißig Minuten habe ich mit mir gekämpft, bevor ich schwimmen gegangen bin. Seit wann bin ich so alt, daß drei Flaschen Bier, Berge von Shrimps und ein bißchen zu wenig Schlaf mich so mitnehmen?*
Ein Bekannter arbeitet hier im Familienunternehmen und in der vergangenen Woche mit eher tristem Sozialleben habe ich das geschäftliche Interesse als Vorwand genutzt, ihn um ein Feierabend Bier zwecks Informationsaustausch zu bitten. Es klappte erst diese Woche und beinahe dachte ich: wie unbequem, diese Woche habe ich genug abendliche Unterhaltung und so rasend wichtig ist das Thema eigentlich nicht, aber gut, er hatte den Compound von Utex Africa vorgeschlagen und den wollte ich ohnehin besichtigen.
Wie bereits berichtet, wohnen die besseren Expats gerne in ummauerten Concessions und die feudalste Concession in Kinshasa ist ohne Frage Utex Africa (dem Unternehmen zugehörig, aber offen für alle solventen Mieter). Das Areal ist riesig, zieht sich vom Boulevard bis zum Fluß hinunter, zwei diskrete Toreinfahrten mit Schildern, die non-residents ausdrücklich das Betreten verbieten. Neben besonders schönen Villen und Apartmenthäusern hat der Compound nicht nur eigene Tennisplätze und einen Swimming Pool sondern auch eine Poolbar mit Restaurant.
Mein Bekannter war etwas zu spät – ich bin hier pünktlicher denn je, das muß das Abgrenzungsbedürfnis sein – aber an die Poolbar durfte ich nicht, weil ich weder den Nachnamen noch die Hausnummer meiner Verabredung nennen konnte. Also wartete ich im Auto und nutze die Zeit zum Plausch mit meinem Fahrer (sieben Kinder zwischen neun und 24 Jahren, Frau vor zehn Jahren verstorben, arme Socke). Mein Bekannter traf ein, die Wache ließ uns durch die Pforte zum Pool hinunter, milder Tadel, daß ich aufgehalten wurde (dabei tat der Wächter doch nur seine Pflicht). Wir setzten uns an einen der freien Tische mit Blick auf den Pool. Alles sehr hübsch, sehr schick, geradezu mondän. Hätte auch Nizza sein können. Gleichzeitig mit dem Bier kam der Chef des Restaurants und verwies uns an einen fein gedeckten Tisch am Rand: mein Bekannter hatte reserviert – per SMS mit Hausnummer – und auch gleichzeitig 20 Shrimps mit Frites bestellt. Für jeden von uns. Hübsch im Kreis aufgereiht, Seite an Seite, ein riesiger Teller Shrimps in Unmengen Knoblauchöl. Der Bekannte legte sich eine Lätzchen Serviette um den Hals - ich vertraute auf meine Erziehung, unter allen Umständen manierlich essen zu können. Innerhalb von Minuten lief uns beiden das rötliche Knoblauchöl über die Finger und ich gebe zu, da die Pfoten ohnehin schon hinüber waren, habe ich die Knoblauchstückchen von den Fingerspitzen geleckt. Die Marinade war unbestreitbar köstlich und ich mußte zumindest ein bißchen am Ende mit Brot aufnehmen. Den Proteinschock hingegen habe ich immer noch nicht verwunden. Rechnung aufs Haus, so wie im Hotel aufs Zimmer. Ein Zettel, eine Unterschrift. Madame war eingeladen.
Schon das Ambiente war es wert, den Termin wahrgenommen zu haben – die Informationen aber noch viel mehr. Ich liebe diese Gespräche mit Personen, die das Land wirklich gut kennen, kein Blatt vor den Mund nehmen und obendrein noch – als Nichteuropäer und Nicht-Ex-Kolonialisten – keinerlei Scheu haben, ihre Gedanken offen auszusprechen. Seine Meinung: dem Land den Geldhahn zudrehen, bis Regierung und Bevölkerung gelernt haben, kollektiv verantwortungsvoller zu handeln und nicht immer nur an den eigenen Vorteil zu denken. Davon abgesehen: Steuer auf importierte Produkte? Über 30 %. Wartezeit, bis eine Frachtladung vom Zoll freigegeben wird? Im schlimmsten Fall ein Jahr. Schwund bei einer Ladung attraktiver Güter Technologikrams? Leicht 10 %, wobei die diversen Behörden ein erstaunlich gutes Auge für neue und teure Modelle haben. Nach meinem ersten Gespräch dieser Art mit einer Exportfirma vor einigen Wochen war ich sprachlos vor Entsetzen und informierte meine Kollegen if I ever voice the idea of doing business in DRC, slap me in the face and keep me from doing it, please. Nach jedem Termin denke ich: es kann nicht schlimmer werden, aber ganz sicher: es kommt schlimmer. Jedes einzelne Mal treten neue Informationen zutage, die einem die Tränen in die Augen treiben. Und manchmal möchte man schier verzweifeln.

*Bier und Shrimps - hätte ich mir so nicht ausgesucht, aber als das Bier kam, wußte ich noch nicht, daß Shrimps folgen würden. Aber es zeigt schön, was mir am Kongo fehlt und was ich mag: einerseits die bedenkenlose Großzügigkeit und Hilfsbereitschaft - andererseits die Abwesenheit von... na, Sie wissen schon was ich meine, Bier und Shrimps halt.

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