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Afghanistan?
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Abschiedsszenen
Der Zug steht schon im Gleis und ich suche mir rechtzeitig ein hübsches Plätzchen mit Tisch am Fenster, könnte ja sein, daß ich in einem ungewöhnlichen Anfall von Motivation lernen möchte. Ich hänge so meinen Gedanken nach und beobachte die anderen Fahrgäste draußen. Ein Pärchen in mittleren Jahren, er knetet ihren Hintern und seine Finger spielen mit den Falten ihrer Hose, er stellt Gepäck rein, geht wieder raus, geht wieder rein und doch wieder raus, um eine letzte Umarmung mit der Liebsten zu tauschen. Ein junges Ehepaar mit Säugling sucht unter großem Hin und Her einen passenden Platz – gottseidank weit weg von mir – am auffälligsten jedoch ist eine Vierergruppe. Ein Ehepaar um die fünfzig, er gepflegt, sportlich elegant gekleidet, Baskenmütze, sie eine Spur alternativ mit kurzem Fransenhaarschnitt, Mütze, Sportschuhen. Außerdem zwei junge Mädchen, um die achtzehn. Die eine mit einem geflochtenen, blonden Zopf, Jeans, flache Schuhe, Mantel. Die andere Asiatin, rundes, blasses Gesicht, die pechschwarzen Haare am Hinterkopf zusammengeknäult, im karierten Faltenrock, dicken Strümpfen, Stiefeln, sehr modisch. Suchend laufen sie den Zug auf und ab, beraten sich offenbar über die Platzwahl, die junge blonde Frau steigt ein, passiert meinen Platz, dann kommen die Mutter und die Asiatin auch herein, alle laufen etwas aufgelöst im Zug hin und her. Irgendwann treffen sie sich draußen wieder auf dem Bahnsteig, Worte werden gewechselt, die Mädchen umarmen sich, dann breitet die Mutter die Arme aus und alle vier bilden einen Kreis. Die Eltern einander gegenüber, die beiden Mädchen dazwischen eingerahmt, die Arme um die Schultern der anderen gelegt, stehen sie minutenlang mit den Gesichtern eng aneinander. Als die Gruppe sich löst, umarmt das blonde Mädchen die Mutter (sicherlich ihre Mutter, den Küssen nach zu schließen, das Verhältnis der beiden Mädchen hingegen gibt mir Rätsel auf – Ziehschwestern? Freundinnen? Gastschwester?), dann die Asiatin. Die weint inzwischen bittere Tränen, das Gesichtchen gerötet, der Vater steht etwas hilflos neben diesem Gefühlsausbruch und weiß nicht recht, was zu tun ist. Die beiden Mädchen liegen sich in den Armen, sehr herzlich und sehr verzweifelt halten sie sich am jeweils anderen und dessen Kleidung fest. Dann verabschiedet sich die blond Bezopfte erneut von ihrer Mutter, der Freundin, dem Vater, steigt in den Zug und setzt sich doch noch einmal um. Der Zug jedoch steht noch immer und so wartet sie in der Tür, halb drinnen, halb draußen und der Abschied zieht sich weiter hin, bis der Zug endlich anruckt. Die Familie samt immer noch schluchzender Asiatin läuft tatsächlich noch einige Sekunden mit dem Zug mit, winkenderweise und ich bin gerührt. Soviel Abschied für eine – dem Gepäck und der Reichweite des Zugs nach zu schließen – eher kurze Reise ist ungewöhnlich, aber herzerwärmend.
Abschiede rühren mich immer, mehr als meiner eigentlich fern vom Wasser gebauten Natur entspricht. Meine erste Abschiedsszene mit sechzehn Jahren war, nun ja, anders. Ein Jahr USA war weiter weg, als jemals jemand in meiner Familie gereist war und länger, als jemals jemand von den anderen getrennt war – ich allerdings von diesen Superlativen wenig beeindruckt. Am Abreisetag standen wir mit unzähligen anderen Austauschschülern, stoischen Vätern und weinenden Müttern in einem Flughafenterminal, die Betreuer suchten für Ordnung zu sorgen, meine Mutter tauschte sich mit der Mutter der mitreisenden Freundin aus (wobei meine den Beileidswettbewerb gewann, ging ich doch für ein Jahr, die Freundin hingegen nur für fünf Monate). In all dem Aufruhr war ich allerdings so von den vor mir liegenden Abenteuern erfüllt, daß ich mich nach durchaus gefaßtem Abschied von den Lieben auf dem Weg durch die Paßkontrolle tatsächlich nicht mehr umdrehte – noch heute beklagt meine Mutter die Hartherzigkeit ihrer Tochter. Inzwischen haben sich die lieben Eltern angepasst, und gleich, ob die Töchter in die USA, nach Argentinien oder Afrika reisen – der Bahnhof des jeweils passenden Flughafenzubringers markiert meistens die Grenzen der elterlichen Abschiedseinsätze.
Wenn ich also nächste Woche mit dem Koffer voller Sommerkleider und Arbeitsunterlagen den Zug nach Frankfurt nehme, von wo aus ich mit Ethiopian über Addis Abbeba nach Kinshasa fliege, gibt meine Mutter mir an der Haustür einen Abschiedskuß und die eindringliche Bitte, sofort nach Landung anzurufen, mit auf den Weg, mein Vater trägt mir bestenfalls – wenn er einen guten Tag hat – die Koffer bis aufs Gleis und den Rest mache ich alleine. Hätten meine Eltern mich im vergangenen Jahr immer zum Flughafen bringen wollen, sie hätten ein Feldbett in FRA aufstellen können - insofern ist das in Ordnung. Zumal ich bei Abschieden bis heute selten rührselige Szenen inszeniere.
Abschiede rühren mich immer, mehr als meiner eigentlich fern vom Wasser gebauten Natur entspricht. Meine erste Abschiedsszene mit sechzehn Jahren war, nun ja, anders. Ein Jahr USA war weiter weg, als jemals jemand in meiner Familie gereist war und länger, als jemals jemand von den anderen getrennt war – ich allerdings von diesen Superlativen wenig beeindruckt. Am Abreisetag standen wir mit unzähligen anderen Austauschschülern, stoischen Vätern und weinenden Müttern in einem Flughafenterminal, die Betreuer suchten für Ordnung zu sorgen, meine Mutter tauschte sich mit der Mutter der mitreisenden Freundin aus (wobei meine den Beileidswettbewerb gewann, ging ich doch für ein Jahr, die Freundin hingegen nur für fünf Monate). In all dem Aufruhr war ich allerdings so von den vor mir liegenden Abenteuern erfüllt, daß ich mich nach durchaus gefaßtem Abschied von den Lieben auf dem Weg durch die Paßkontrolle tatsächlich nicht mehr umdrehte – noch heute beklagt meine Mutter die Hartherzigkeit ihrer Tochter. Inzwischen haben sich die lieben Eltern angepasst, und gleich, ob die Töchter in die USA, nach Argentinien oder Afrika reisen – der Bahnhof des jeweils passenden Flughafenzubringers markiert meistens die Grenzen der elterlichen Abschiedseinsätze.
Wenn ich also nächste Woche mit dem Koffer voller Sommerkleider und Arbeitsunterlagen den Zug nach Frankfurt nehme, von wo aus ich mit Ethiopian über Addis Abbeba nach Kinshasa fliege, gibt meine Mutter mir an der Haustür einen Abschiedskuß und die eindringliche Bitte, sofort nach Landung anzurufen, mit auf den Weg, mein Vater trägt mir bestenfalls – wenn er einen guten Tag hat – die Koffer bis aufs Gleis und den Rest mache ich alleine. Hätten meine Eltern mich im vergangenen Jahr immer zum Flughafen bringen wollen, sie hätten ein Feldbett in FRA aufstellen können - insofern ist das in Ordnung. Zumal ich bei Abschieden bis heute selten rührselige Szenen inszeniere.
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Büroqualen
Lichtjahre und Ewigkeiten – gefühlt – scheint es her zu sein, daß ich einen normalen Bürojob in einem quadratischen, praktischen Gebäude aus Glas und Beton in einer deutschen Goßstadt hatte. Die Erinnerung ist weit weg an Tage, an denen man den Arbeitstag um spätestens acht begann und, wollte man um sechs gehen zwecks Jogging-Verabredung mit Freundin, hochgezogene Augenbrauen erntete und den nur halb spöttischen Kommentar „Halben Tag Urlaub genommen?“. Überhaupt war es nie klug, auf frühes Heimkommen zu spekulieren. Tage gab es, da ich mittags Unterlagen zur Durchsicht dem Chef vorlegte und dann wartete. Schlimmstenfalls hatte ich nicht mal andere Aufgaben, nur diese eine mit der unumgänglichen Chef-Durchsicht, dann vertrödelte ich die Zeit, schrieb ein paar überfällige Mails, bildete mich ein bißchen in fachfremden Themen weiter. Und wartete. Auf die Kaffeepause um drei. Die Raucherpause um fünf. Die Abschiedszigarette mit den Kollegen um sieben oder acht. Und irgendwann die letzte Bahn heim um Mitternacht. Glücklich, wer solche Tage frühzeitig erkannte, und rechtzeitig vor vier Uhr in der Kantine fürs Abendessen vorsorgte, mit Sandwich, Joghurt, vielleicht einer Cola für die späten Stunden. Ein bißchen glücklich, wer es immerhin vor sieben zum Brötchenautomaten schaffte, bevor der leergefegt war, bis auf widerliche Fleischsalat-Matsche. Schlimm, wenn man die Hoffnung auf den zeitigen Feierabend allzu lange hegte und pflegte und dann nicht nur spät arbeiten sondern auch noch hungern mußte.
Am allerschlimmsten jedoch waren solche Tage, an denen man verabredet war und die unumgängliche Chef-Besprechung Stunde um Stunde verschoben wurde. Verabredet vielleicht um acht, mit dem besten Freund in der italienischen Weinbar genau auf halbem Weg zwischen unseren Wohnungen, sorgfältig geplant für eine erwartungsgemäß unaufgeregte und berechenbare Arbeitswoche. Im Zweistundentakt schüchtern beim Chef ins Büro geschaut, der immer beschäftigt, keine Zeit für die kleinen Feuer, nur für die großen Brände. Um sechs wird klar, die Hoffnung, zeitig genug gehen zu können für ein paar Einkäufe, einen Sprint zur Reinigung, eine halbe Stunde zu Hause in Ruhe, war verfrüht. Um halb sieben den Chef besucht, noch immer Arbeitsstau auf dem allerhöchsten Schreibtisch. Um sieben innerlich Abschied genommen von der Idee, zu Hause mehr als nur die Hose wechseln zu können. Um halb acht gedacht: wenn wir jetzt schnell machen, kann ich zumindest noch das Auto abstellen und werde pünktlich sein. Um viertel vor acht eingesehen: es wird Zeit für eine Textnachricht an den Freund, ein paar Minuten Verspätung, wenn man direkt hingeht und im Anzug bleibt. Um acht gehofft, jetzt gleich, jeden Moment, es dauert nicht mehr lange, wir haben ja den Wein ohnehin auf neun Uhr verschoben. Im Gespräch mit dem Chef, endlich!, immer wieder auf die Uhr geschielt, genickt und genickt, ja, alles verstanden, die Beine kribbelig, ich will hier raus. Um halb neun aus unerfindlichen Gründen kein Ende in Sicht. Jetzt den Chef um Auszeit zu bitten für eine weitere Textnachricht – dem Ruf im Büro sehr abträglich und schlimmstenfalls eine Verlängerung der Qualen, der Chef könnte das als Freibrief für detaillierte Erläuterungen anschließend auffassen, aber Nachricht gebietet die Höflichkeit, mindestens. Um kurz vor neun ein Telefonat für den Chef und die goldene Gelegenheit, noch einmal zu verschieben oder gleich abzusagen. Beides könnte gleichermaßen falsch sein, vielleicht sind wir gleich fertig, die Kommentare kann ich morgen einarbeiten, und wenn wir jetzt, gleich, schnell... bliebe noch genug Zeit für ein Glas Wein. Das sprichtwörtliche auf heißen Kohlen sitzen muß für Situationen wie diese erfunden worden sein, man will den Chef nicht verärgern, man will raus aus dem Büro, man will der Verabredung zumindest Nachricht zukommen lassen und irgendwie geht nichts von alledem so, wie es soll. Ich habe es gehaßt, damals wie heute. Nur war ich heute die Wartende. Die um halb zehn die Reißleine zog und das Café nach zwei einsamen Bier unter den Augen einer Horde halbstarker Jugendlicher und eines einsamen Bürohengstes unverrichteter Dinge verließ.
Danke, Schicksal, daß ich das nicht mehr ertragen muß, jedenfalls nicht von der falschen Seite aus. Dies hier ist definitiv die Richtige.
Am allerschlimmsten jedoch waren solche Tage, an denen man verabredet war und die unumgängliche Chef-Besprechung Stunde um Stunde verschoben wurde. Verabredet vielleicht um acht, mit dem besten Freund in der italienischen Weinbar genau auf halbem Weg zwischen unseren Wohnungen, sorgfältig geplant für eine erwartungsgemäß unaufgeregte und berechenbare Arbeitswoche. Im Zweistundentakt schüchtern beim Chef ins Büro geschaut, der immer beschäftigt, keine Zeit für die kleinen Feuer, nur für die großen Brände. Um sechs wird klar, die Hoffnung, zeitig genug gehen zu können für ein paar Einkäufe, einen Sprint zur Reinigung, eine halbe Stunde zu Hause in Ruhe, war verfrüht. Um halb sieben den Chef besucht, noch immer Arbeitsstau auf dem allerhöchsten Schreibtisch. Um sieben innerlich Abschied genommen von der Idee, zu Hause mehr als nur die Hose wechseln zu können. Um halb acht gedacht: wenn wir jetzt schnell machen, kann ich zumindest noch das Auto abstellen und werde pünktlich sein. Um viertel vor acht eingesehen: es wird Zeit für eine Textnachricht an den Freund, ein paar Minuten Verspätung, wenn man direkt hingeht und im Anzug bleibt. Um acht gehofft, jetzt gleich, jeden Moment, es dauert nicht mehr lange, wir haben ja den Wein ohnehin auf neun Uhr verschoben. Im Gespräch mit dem Chef, endlich!, immer wieder auf die Uhr geschielt, genickt und genickt, ja, alles verstanden, die Beine kribbelig, ich will hier raus. Um halb neun aus unerfindlichen Gründen kein Ende in Sicht. Jetzt den Chef um Auszeit zu bitten für eine weitere Textnachricht – dem Ruf im Büro sehr abträglich und schlimmstenfalls eine Verlängerung der Qualen, der Chef könnte das als Freibrief für detaillierte Erläuterungen anschließend auffassen, aber Nachricht gebietet die Höflichkeit, mindestens. Um kurz vor neun ein Telefonat für den Chef und die goldene Gelegenheit, noch einmal zu verschieben oder gleich abzusagen. Beides könnte gleichermaßen falsch sein, vielleicht sind wir gleich fertig, die Kommentare kann ich morgen einarbeiten, und wenn wir jetzt, gleich, schnell... bliebe noch genug Zeit für ein Glas Wein. Das sprichtwörtliche auf heißen Kohlen sitzen muß für Situationen wie diese erfunden worden sein, man will den Chef nicht verärgern, man will raus aus dem Büro, man will der Verabredung zumindest Nachricht zukommen lassen und irgendwie geht nichts von alledem so, wie es soll. Ich habe es gehaßt, damals wie heute. Nur war ich heute die Wartende. Die um halb zehn die Reißleine zog und das Café nach zwei einsamen Bier unter den Augen einer Horde halbstarker Jugendlicher und eines einsamen Bürohengstes unverrichteter Dinge verließ.
Danke, Schicksal, daß ich das nicht mehr ertragen muß, jedenfalls nicht von der falschen Seite aus. Dies hier ist definitiv die Richtige.
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