Donnerstag, 8. Juli 2010
Bahnbloggen
Je länger ich in der fremden neuen Heimat bin, desto mehr stelle ich fest: die Strecke nach Hause ist die ungünstigste, mögliche Situation. Nah genug, oft in Versuchung zu sein, aber eigentlich zu lang, um noch angenehm zu sein.
Ich bin nächtens ICE gefahren und habe mir stündlich vom Schaffner die Ohren vollplärren lassen, bin geflogen und habe mich um mein Gepäck und dessen Zulässigkeit gestritten, habe tagsüber mit Mühe stundenlang das Geklapper würfelspielender Kinder ertragen und habe mir im „Ruhesessel im Großraumwagen“ im CNL den Rücken krummgesessen.
Jetzt also, als allerletzte Option: der Liegewagen. Erneut warf ich allen Patriotismus über Bord, bei 30 Euro Preisdifferenz fürs Spezialticket der Bahn verpasse ich doch gerne ein WM-Spiel. Am Baseler Bahnhof eine fröhliche, spanische Zugbegleiterin, die spanische Anfeuerlieder zur 73. Minute über den Bahnsteig jubelte, nach kurzer Verwirrung über den richtigen Zugteil dann meine 6er Kabine: ein Schweizer Pärchen auf Radwanderung in der unteren Etage, ein Schweizer Backpacker auf dem Weg nach Hamburg in der obersten, ich in der Mitte.

Lektion Nummer Eins: Auch wenn man die gesamte Nacht wie die Sardinen in der Büchse gedrängt auf engstem Raum verbringen wird, grüßt sich der Liegewagenfahrer eher nicht. Es war vielleicht ein Faux-pas meinerseits, ein Hallo in den Raum zu werfen, das auch nur mit befremdeten Blickeln und einem Murmeln erwidert wurde. Auch der Zusteigende in Freiburg bekam die Zähne nicht auseinander.

Lektion Nummer Zwei: Die bereitliegenden Laken sind ein bißchen wie Schlafsäcke, an einem Ende offen, das man tunlichst nach oben legen sollte, so daß die Füße zum geschlossenen Ende zeigen. Ich habe selbstverständlich beides probiert, und festgestellt, daß zweiteres bequemer ist, als den Kopf ins geschlossene Ende zu packen. Dann kann man aber den Kleiderkontakt sowohl mit der siffigen Liege als auch der noch siffigeren Wolldecke vermeiden.

Lektion Nummer Drei: Wenn möglich, das gleichfalls siffige, fludderige, klumpige Kopfkissen rechtzeitig mit abwesenden Nachbarn austauschen. Ging nicht, weil zu viele Leute bereits im Abteil.

Lektion Nummer Vier: Auch wenn einen zu fortgeschrittener Stunde der Hunger quält, ist der Bistrowagen zu meiden. Muffiger Geruch, schummerige Lichter, die Hälfte des Waggons eine lange Bar, an der triste Männergestalten wie die Spatzen auf der Hochspannungsleitung aufgereiht vor identischen Biergläsern sitzen und sich anschweigen. Nicht so schön. Und ein Snickers ersetzt keine Abendmahlzeit.

Nicht einmal dann, wenn man sich die zwei Schokoriegel über eine Stunde verteilt, während der der Zug mit Tempo 30 – allerhöchstens – über die Gleise zuckelt. Als er endlich wieder Fahrt aufnahm, rätselte ich immer noch über dieses sonderbare Fahrverhalten und überlegte, ob es sich möglicherweise um ein lärmgeschütztes Naturschutzgebiet gehandelt habe. Die Zugbegleiterin belehrte mich später eines besseren: betrunkene Fußballfans beim Post-Alkoholismus-Nachtspaziergang auf den Gleisen.

Davon abgesehen war die Nachtruhe aber endlich wirklich Nachtruhe, keine blökenden Lautsprecher, keine unbequemen semi-aufrechten „Ruhesessel“ und leidlich angenehme Kompartement-Nachbarn. Mit einigen der Passagiere, die mir auf den Gängen begegneten, hätte ich allerdings in der Tat lieber nicht das Abteil teilen wollen. Das kommt vermutlich beim nächsten Mal, wenn ich statt Schnäppchen vollen Preis gezahlt habe.

Permalink (2 Kommentare)   Kommentieren





Sonntag, 4. Juli 2010
Sommer, wie er sein soll
Ich habe dieses Wochenende meinen frisch gefundenen Nationalpatriotismus zu Hause gelassen und habe - Überraschung! - kein Fußball geguckt. Sondern ein bißchen gearbeitet und gelernt, Zahlen gedreht und gewendet, Probleme nicht gelöst sondern umschifft, und ansonsten den Sommer genossen.

Ich war heute morgen auf dem Markt, wo es viele feine Köstlichkeitn gab, Nudeln und Käse, Marmelade und frisches Brot, bin durch die Stadt gebummelt und habe Schaufenster geguckt. Dann, als alle anderen Fusi gucken waren, haben wir uns auf die Räder geschwungen und sind zum See gefahren.

Der Splitt auf den Wegen knirscht unter den Reifen, die Gabel knarrt gelegentlich, der Sattel tut meinem Hintern weh, die Sonne brennt auf den Rücken, und wenn man unter Bäumen passiert, flirrt das Licht auf den Wegen. Manchmal duftet die Luft nach Heu und gelegentlich auch nach Kamille und erinnert mich an meine nördliche Heimat, an Kindheit, Spaziergänge, Ausritte, Wanderungen und Radtouren querfeldein. Es sind kaum andere Radler, geschweige denn Fußgänger unterwegs. Am See weite grüne Flächen, fast alle unbesetzt. Hier einige ältere Damen in scheußlich gemusterten Badeanzügen, dort zwei Mädels mit Coladose und etwas weiter ein einsamer Nerd in seinem Campingstuhl. Die erste Nische, die wir anpeilen, riecht intensiv nach der Mülltonne um die Ecke, die zweite hat einen versteckten Makel: Pferdebremsen. Das merken wir aber erst, nachdem wir eine halbe Stunde im Wasser geplanscht haben. Ich schwimme Kreise um meinen Helden, der lautstark die Wassertemperaturen beklagt, (22 Grad, allerhöchstens - also ungefähr so wie im Nordmeer vor Finnland), während ich nicht genug mit den Beinen zappeln kann, um die kalten Wasserschichten unter mir aufzuwirbeln, die dann hochtreiben und den Körper streifen. Einmal nehme ich Anlauf, halte die Nase zu, strecke den einen Arm aus und versuche, mit den Füßen den Grund zu berühren, aber ich bin schon zu weit draußen und nach einem Meter wird es wirklich kalt da unten, so daß ich prustend und lachend wieder auftauche.

Seinen Ruf als echter Mann rettet der Begleiter später, als er die Jagd auf Pferdebremsen in Angriff nimmt. Gerne würde ich mich zum Trocknen in der Sonne ausstrecken, die Libellen im Gebüsch an meiner Seite beobachten und mich am blauen Himmel erfreuen, aber dauernd surrt es um meine Nase, krabbelt es an den Beinen. Anfangs verfolgt er das flirrende, schwarze Untier mit den Augen, wie es um mich herumschwirrt, und ich befürchte, mich dem Jäger und Sammler als Köder zur Verfügung stellen zu müssen, aber dann nimmt er doch seinen eigenen Arm als Grundlage, um das Biest zu plätten. Und rächt mich heldenhaft. Bleibt als Genugtuung, daß mein Blut der Bremse Henkersmahlzeit war. Jucken tut es naütrlich trotzdem.

Nebenan spielen zwei Kinder, vermutlich Geschwister, im Wasser, treiben jeder in ihrem eigenen Gummiboot herum, paddeln ein bißchen und sind völlig selbstversunken ins Spiel. Kommentieren imaginäre Wettfahrten und wilde Kämpfe, lachen und freuen sich am Spaß im Wasser. Von wo wir sitzen kann man sie nur hören, nicht sehen, aber ich kann mir vorstellen, wie sie spielen und beneide sie um diese Unbeschwertheit und den Spaß, den sie gemeinsam haben.

Auf dem Rückweg sind wir platt, irgendwann hören wir die Hupen und ahnen: wir sind Halbfinale, aber ganz ehrlich: das Spiel gegen Ghana gestern hat mich mehr interessiert, denen hätte ich nämlich das Halbfinale so richtig gewünscht. Draußen hängt immer noch drückende Hitze, manchmal weht ein Windhauch den Sommerduft durchs Fenster und ich wundere mich: ich hatte in zwei Jahren Abwesenheit fast vergessen, wie schön Sommer in Europa sein kann.

Permalink (3 Kommentare)   Kommentieren





Donnerstag, 1. Juli 2010
Heimweh
DRC feiert dieser Tage 50 Jahre Unabhängigkeit von Belgien. Die Chinesen bauen fleißig Straßen und Anderes, der ein oder andere Baum mußte weichen - ebenso die Straßenkinder (alle verscheucht), die Straßenhändler (alle vertrieben bzw. Stände abgebrannt), dafür mußten richtige Läden ihre Fronten hübsch streichen, höre ich.

Und ein neues Springbrunnen-Denkmal gibt es nun, sagt die Gerüchteküche. Ach ja, und die UN wollen wir auch bald loswerden. Souveränität und so.

Weite Teile der Stadt dürften aber von den Veränderungen nach wie vor unberührt sein. Und das sieht dann eher so aus:
http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-06/fs-guy-tillim

Wunderbare Bilder mit großer Aussage. Haben wollen.

Permalink (0 Kommentare)   Kommentieren