Dienstag, 29. Juni 2010
Schlaaaaand in der Schwyz
Die Schweizer haben genau einmal gefeiert, und seither sind sie bei den Deutschland Spielen immer für die anderen. Da müssen sich die Deutschen in der Diaspora hier natürlich zusammentun, beim einzig nennenswerten Public Viewing kam offenbar ein entfernter deutscher Kollege beinahe zu Schaden, weil er nicht für Serbien jubelte, aber besonders an Sonntagen ist das Zusammentun in der Öffentlichkeit nicht leicht und die Auswahl begrenzt: alles zu. Kneipen, Restaurants, Cafés, fast alle geschlossen. Sogar Starbucks.
Gefühlte Sünde angesichts des schönen Wetters, aber ein alter Kinosaal mit Großleinwand und einer kleinen Bar tut es auch, und da saßen am Sonntag ungefähr 40 Deutschland-Fans, 4 England Fans und ich in friedlichem Beeinander.
Ich bin wirklich kein Fußball-Fan, 2006 war ich im Ausland, 2008 für die EM wäre ich es auch gewesen, hätte mich nicht der Arbeitsvertrag an Frankfurt gekettet, ich hasse drängelnde Menschenmassen, war noch nie bei einem Public Viewing und habe auch keinerlei Absicht, diesem Mangel abzuhelfen. Bei unserem internen Tippspiel liege ich wundersamerweise immer noch im guten Mittelfeld, aber das ist nur Glück, ich tippe wahllos zwischen eins und fünf Tore mit Sympathiebonus für Entwicklungsländer – eine Strategie sieht anders aus.

Normalerweise würde ich also alles lieber tun, als Fusi gucken gehen, aber am Sonntag war ich schon froh und dankbar, in diesem verschlafenen Nest überhaupt irgendwas machen zu können, also Fußball. Und dann war das tatsächlich spannend – so richtig. Beim ersten Tor sprangen alle auf, die zwei Vuvuzelas im Raum tröteten, und ich kam mir etwas sonderbar vor, wie ich so leicht amüsiert und distanziert auf meinem Stuhl sitzen blieb. Beim zweiten Tor mußte ich schon lachen, beim dritten ertappte ich mich bei einem schüchternen „Jaa!“ und beim vierten grölte ich laut mit. Ich schnappte erleichtert nach Luft nach erfolglosen Torversuchen der Engländer und verzog das Gesicht bei mißglückten Torchancen der unsrigen und fieberte nach dem beinahe 2:2 dem nächsten deutschen Tor entgegen.

So bin ich sonst nie. Das muß der Gruppendruck gewesen sein.

Jedenfalls, die Freude war am Ende natürlich groß, aber wer mit einem veritablen Autokorso gerechnet hatte, der wurde enttäuscht. Gerechnet hatte jedenfalls die Polizei, offenbar mit Horden widerspenstiger deutscher Hooligans. An allen großen Kreuzungen der Innenstadt standen Polizeiwagen, angesichts der völlig leeren Straßen irgendwie rührend, jedenfalls völlig überflüssig für die fünf Autos mit deutscher Beflaggung, die hupend und einzeln (!) nach dem Spiel nach Hause fuhren.

Und während unsere Gruppe das weitere Programm diskutierte – also die drei möglichen Orte, an denen man an einem Sonntag noch ein Bier würde trinken können – beobachtete ich die Polizeistreife am Marktplatz. Polizist 1 kramte im Kofferraum nach dem Verbandskasten, schnitt ordentlich ein Pflaster ab, verarztete Polizist 2 (!), das alles, während Polizist 3 (Schäferhund) friedlich zusammengerollt in seinem Käfig im Kofferraum ein Nickerchen hielt.

So ist das mit den deutschen Hooligans in der Schweiz.

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Mittwoch, 23. Juni 2010
Mein Gott, ich werde alt!
500 Tage
315 Beiträge
280 Seiten in Word
200 Clicks, etwa, pro Beitrag
129 schöne, bunte Bilder, insgesamt
77 Referrers, heute, beinahe repräsentativ
35 Mitglieder, überaus geschätzte und gerngesehene,
6 Länder (USA, Brasilien, Tunesien, Kongo, Schweiz, Deutschland)
5 Mailbekanntschaften, Buchempfehlungen & anderes, Chambre séparée
3 Leser persönlich getroffen, an drei verschiedenen Orten, gerne mehr davon
1 große Leidenschaft gefunden, virtuell und doch sehr real, wer hätte das gedacht.

Als ich angefangen habe, hatte ich ein bißchen Langeweile, war ein bißchen fasziniert und sah eine praktische Möglichkeit, Tagebuch mit äußerer Kontrolle und Disziplinzwang zu führen in einem Jahr, das aufregend zu werden versprach. Mit Ehrfurcht betrachtete ich anderer Blogs Zählerstände im vierstelligen Bereich und dachte: da kommst Du nie hin. Und plötzlich ist Halbzeit, ohne daß ich es gemerkt habe.
Zeit vergeht ja bekanntlich schneller, wenn man sie nicht kontrolliert, und so habe ich bewußt keine Zähler im Layout. Nur zufällig, als letzte Maßnahme vor dem morgendlichen Arbeitsbeginn, habe ich neulich mal Tage gezählt und püntktlich bei der 498 gemerkt: ich habe ja fast Jubiläum.

Nie hätte ich gedacht, daß ich so lange durchhalten würde, daß mir doch immer wieder etwas einfallen würde, vor allem aber: nie hätte ich gedacht, daß man bei mir mitlesen würde. Ich freue mich wirklich über jeden einzelnen Kommentar, über die Nachdenklichkeit Klugheit und den Witz meiner Leser, ich bin froh und dankbar, daß Sie mich in meinem virtuellen Wohnzimmer gelegentlich beehren, meinen Alltag bereichern und mir so manche Freude machen! Bei sehr vielen von Ihnen (ich kenne Sie ja nicht alle) lese ich selbst gerne mit, und ich möchte – ganz ehrlich – diese Freuden nicht mehr missen.

Bleiben Sie mir treu, wenn ich bitten darf, für die nächsten 500 Tage, während ich im Winter meinen ersten Skiunfall haben werde, oder meinen ersten Skilehrer abschleppe (oder beides), wenn ich mit der Promotion kämpfe und im Datensalat festhänge, mir der Rechner einen Tag vor Abgabe abstürzt, wenn ich hoffentlich neue Länder des schwarzen Kontinents erkunde oder vor der schweizer Idylle zum Sprachkurs in den mittleren Osten flüchte, und vor allem: melden Sie sich, wenn Sie jemals in der Schweiz sind, ich serviere sowohl Kaffee als auch Tee, gerne auch Wein und notfalls auch Wasser. Oder Ovomaltine.

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500 Tage
Wer hätte das gedacht?

Und hier das Ständchen, das wir uns ausgesucht haben:

http://www.youtube.com/watch?v=GI_4W_pi6dA

500 Tage und immer noch Angst, Urheberrechte zu verletzen.

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Montag, 21. Juni 2010
Elitessenwatch
Heute Unmengen riesiger Stellwände mit Matrikelnummer und Prüfungseinteilungen gesehen, für all die armen Elitessen und hauptberuflichen Söhne, die hier zur zukünftigen Wirtschaftselite ausgebildet werden. Die Doktoranden klagen über zeitraubende Aufsichten und sind der Meinung, daß schleunigst Multiple-Choice-Prüfungen besonders in Mathefächern eingeführt werden sollten, damit man nicht mehr stundenlang nach Folgefehlern durch falsch angewendete Punkt-vor-Strich-Regeln suchen muß.
Im Supermarkt vor mir: zwei Elitessen beim Einkauf. Nun gebe ich durchaus zu, daß es auch in meinem Leben Zeiten gab, wo ich mich innerhalb einer Woche durch das komplette Fertigpizzen-Programm der Fa. Oetker durchgearbeitet habe, allenfalls unterbrochen von Miracoli-Nudeln (mit Frischkäse! für die extravagante Note). Beschämt gestehe ich weiterhin, daß meine liebste Lernfreundin Cha und ich uns in der härtesten aller Klausurenphasen zwei Wochen lang praktisch nur von zwei Tafeln Milka Joghurt Schokolade, zwei Dosen Red Bull und zwei Schachteln Kippen pro Abend ernährt haben. Am Wochenende gab es dann Kaiserschmarrn aus der Tüte, im Bett, und schöne Männer im Fernsehen.

Jetzt aber bin ich älter, weiser und sorge mich um Figur und Falten ernährungsbewußter und kaufte daher Bananen fürs Müsli, Frühlingszwiebeln, frisches Brot, Mozarella und ein ordentliche Flasche Wein. Den Schokoladenvorrat für drei Wochen habe ich beim letzten Deutschlandurlaub kalorienverbrennend heimimportiert, den unterschlagen wir hier aber der guten Wirkung halber.. So kann ich jetzt also von der Höhe meiner ausgewogenen und gesunden Ernährung herab berichten: die Jugend heutzutage, sehr ungesund! Die beiden Elitessen osteuropäischer Provenienz (davon gibt es hier einige) teilten sich auf zwei Kassen auf, und während die vor mir Stehende nach Kleingeld suchte, konnte ich feststellen: aufs feinste gewandet. Graue Leggings, eine sichtlich teure, schick geschnittene Strickjacke, Gummistiefel in Lackoptik mit Schnalle und Leoprint-Fellschaft. Das Portemonnaie von Gucci, die Handtasche sicher auch nicht günstig, nebenan Luis Vuitton am Arm, lange, perfekt geschnittene Haare, schmal gezupfte Augenbrauen, und als sie das Ärmchen hob, blendete mich ein Gefunkel sondergleichen.

Auf dem Kassenband: zwei Flaschen Evian, eine Packung Weintrauben (so weit, so gut), dann aber:
eine Packung Kinder Choco Fresh (Schoko Nilpferde mit Milchcreme Füllung),
eine Packung Mikado (Knabberstangen mit Schoko dran),
eine Wochenpackung Schokocroissants,
eine Familienpackung Schokokekse,
eine grosse Tüte Weingummi,
eine Dose Ovomaltine,

und ein Dreierpack Pfefferminzkaugummis. Die sind für vermutlich für danach, wenn dem Porzellanpapst gehuldigt wurde. Fast können sie mir leid tun, die Damen und in jedem Fall beneide ich sie nicht um diesen Lebenswandel.

Ich hingegen mache gleich Tomaten mit Mozzarella, Olivenöl aus Italien, und schaue, ob ich nicht im Internet auch ein paar schicke Gummistiefelchen finde. Da zumindest sind sie auf der Höhe der Zeit, die Elitessen, bei diesem Schietwetter.

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