Freitag, 23. September 2011
Kundenunterschiede
Der Deutsche ist ja bekanntlich ein sehr sensibler Supermarktkunde. Für zwei Pfennig Preisunterschied geht er statt zu R*we zum Ed*ka, und für drei fährt er sogar zum Discounter ins Industriegebiet hinaus. Er kauft Duschgel palettenweise, so es dafür Mengenrabatt gibt, und stürzt sich auf rabattierte, weil abgelaufene Lebensmittel, wenn er sie bekommen kann. Da muß man als LeMi-Anbieter vorsichtig sein und so beflissen wie möglich, und so billig wie möglich.
Bei meinem ersten Auslandsaufenthalt dachte ich noch: wie teuer hier alles ist! Beim zweiten ebenfalls, beim dritten dämmerte mir: nicht Österreich und die USA sind teuer - Deutschland ist einfach billig. Weil die Kunden so sensibel auf Preise reagieren. Das muß man nicht gut finden, ich bin genug eingeschweizert, um für Qualität zahlungswillig zu sein, und wünschte, mehr Menschen dächten wie ich, aber am Ende, so zeigt sich, bin ich doch sehr deutsch.

Schweizer sind da anders. Nie kämen sie auf die Idee, für 40 Euro Ersparnis 30 km über die Grenze zu fahren (na gut, bis vor kurzem jedenfalls nicht), Discounter sind ohnehin pfui, nur für Unterschichten und seiner LeMi-Kette ist der Schweizer treu, habe ich mir sagen lassen. Entweder man geht immer zu C*op, oder immer zur Migr*s. Ich als Deutsche fühlte mich da ungebunden, beide liegen günstig auf dem Heimweg, beide bieten ähnliche Waren (aber viel weniger Dosenfrass und Tütensuppen als deutsche Märkte) - meist habe ich spontan entschieden. Möglicherweise hatte ich eine kleine Vorliebe für den C*op, weil das Obst mir besser gefiel, die Joghurtdeckel praktischer sind, und man dort Wein bekommt. Vielleicht, ganz vielleicht hatte ich auch einfach etwas weniger Sympathie übrig für den anderen Laden, der systematisch keine Alkohol anbietet - in der Medina von Marrakech verstehe ich das, hier eher weniger.

Ab heute jedoch werde ich beim C*op nur noch das nötigste einkaufen, also den Wein. Diese deutsche Kundin nämlich hat sich geärgert. Vor längeren Abwesenheiten hamstere ich immer haltbare Lebensmittel, so daß ich, sollte ich erst nach Ladenschluß wieder in der bergigen Heimat eintreffen, trotzdem ein Frühstück und ein Abendessen machen kann (auswärts essen ist im Budget nicht vorgesehen und außerdem ist es ein schönes Gefühl, zu vollen Schränken heimzukehren). Das Aufbackbrot jedoch, bei der Heimkehr einen Tag vorm Ablaufdatum: übel verschimmelt. Und am übernächsten Tag, die gerade erst gekaufte Nektarine ebenfalls. Einen Einzelfall hätte ich ignoriert, zwei nicht. Das Brot trug einen fetten C*op-Aufdruck, die Nektarine sogar das Kleberchen mit dem Datum - allein es half mir alles nichts, da ich keinen Einkaufszettel vorlegen konnte. Auch die sonst so erfreuliche Schweizer Freundlichkeit war wie weggeblasen, jedenfalls erinnere ich mich an nichts, was nach Ausdruck des Bedauerns klang (dabei hätte das nicht mal was gekostet).

Auch das schöne Weinregal tröstet mich über diese Enttäuschung nicht hinweg, nur leider kann ich darauf nicht verzichten - aber ich kann meine sonstigen Lebensmittel zukünftig in der Migr*s kaufen. Nicht, daß das C*op sonderlich jucken würde, fürchte ich, aber das: ist eine Frage des Prinzips.

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Mittwoch, 7. September 2011
Kleine Freuden
Einen Gutschein für einen Monat Training bei einer deutschlandweiten Fitti-Kette gewinnen, von dem man als Wahlschweizerin nicht viel zu haben glaubt. Bis man dank neuer Teilzeitanstellung plötzlich zu einem Zweitwohnsitz im Rheinland kommt und doch noch etwas damit anfangen kann.

Morgens um sieben in besagtem Fitti auflaufen, zwar mit neuerworbenen Turnschuhen, aber ohne Turnstrümpfe (die sind nämlich in der Schweiz geblieben). Mental auf Blasen, Schmerzen und wunde Füße eingestellt entdecken, daß das Fitti auch morgens früh bereits Turnsocken verkauft.

Einen Abend sturmfrei in der WG haben, in Vorfreude auf den spannenden Schund-Trivialkrimi Sushi kaufen gehen. Aus Sparsamkeit zwei ordinäre Varianten bestellen und daheim feststellen, daß man noch zwei von den tollen tempura-frittierten Spezialsushis vom Haus bekommen hat.

Auf dem Balkon eine letzte Zigarette rauchen und voller Fernweh sehen, wie die Flugzeuge im Landeanflug wie beleuchtete UFOs durch den diesigen Herbstabend einschweben.

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Freitag, 22. Juli 2011
Einmal Bregenz
Manche Menschen nennen die Bregenzer Seefestspiele in einem Atemzug mit Bayreuth. Manche Menschen meinen, auf Bregenzer Karten müsse man auch ewig warten. Oder nach Bayreuth könne man einfach mal so fahren. Beide liegen völlig falsch: Bregenz verhält sich zu Bayreuth wie Hollywood-Kitsch zu Programmkino. Oder ein Fußballspiel zu einer Ballettaufführung. Nun habe ich Bayreuth in meinem jungen Leben noch nicht erlebt und halte mich daher mit einer Bewertung zurück, aber Bregenz, dazu habe ich nunmehr eine Meinung.

Keineswegs habe ich den Besuch der Premiere von Umberto Giordanos „Andrea Chénier“ diese Woche dort forciert, es ergab sich eher so, und wenn Opernaufführungen quasi meinen Weg kreuzen, sage ich nie nein. Als quasi ortskundiger Teilzeit-Schweizer rechnet man natürlich mit strömendem Regen. Bei zwölf Grad Außentemperatur ist man weiterhin gut beraten, den Wintermantel aus der sommerlichen Versenkung hervorzuholen, außerdem Schals und warme Pullover. Sogar die Stiefel mit den Lammfelleinlagen hatte ich vorsorglich angezogen – und völlig zu recht. Ich war dankbar für jedes einzelne Teil und die Entscheidung, lieber häßlich & warm als schick & kalt zu sein.

Zunächst jedoch kam die Werkseinführung, erfreulicherweise noch in geschlossenen Räumen. Ein Praktikant von Regieassistent erklärte all jenen, die es für überflüssig halten, vorher ein Textbuch zu lesen, die Handlung, garniert mit ein wenig Geschichtswissen auf 7.Klasse-Niveau. Danach eine Runde Oligarchen-Gucken neben dem roten Teppich, während eine österreichische Freundin mich über die Bedeutung dieses Abends (nur alle zwei Jahre!) für das gesellschaftliche Leben der Donaurepublik informierte. Ich persönlich würde ja weder Geld für einen Flug Schwechat-Altenrhein noch 270 Euro für eine Karte in der Festspielloge ausgeben, aber diese Ansicht wird von Wienern offenbar nicht geteilt.

Da der Regen nicht aufhören wollte, und ich mein sensationelles Wachs-Käppie zuhause nicht hatte auftreiben können, erwarb ich einen überaus kleidsamen Plastiksack Regenponcho, dann bezogen wir unsere Plätze auf den billigen Rängen. Niemals würde ich mir eine Plastiktüte ohne äußerste Notwendigkeit über den Kopf ziehen, aber auch damit stand ich allein auf weiter Flur und fortan raschelte und knisterte es fröhlich um mich herum im aufkommenden Abendlüftchen am Bodensee. Das Panorama ist unbestreitbar eine Wucht, und wuchtig war auch das Bühnenbild. Ein beturbanter Torso im Wasser hängend, in der Hand eine bewegliche Platte als Bühne, dazu sich am Hals hochwindende Treppen. Der Torso, das sollte Marat in der Badewanne sein, in Anlehnung an das bekannte Gemälde eines großen Übeltäters, aber ich befürchte, diese subtile Anspielung dürfte an das Publikum verschwendet gewesen sein – sofern man nicht in der Werkseinführung ein paar Happen für Bildungsprotzer aufgeschnappt hatte. Der Toile de Jouy darüber hingegen gefiel mir gut, sowas hätte ich gerne mal für meine Wände. Vielleicht kann ich in zwei Jahren in Bregenz einen Restposten beziehen?

Bregenz kommt natürlich nicht ohne große Action und viele Menschen aus, eine Hundertschaft Statisten muß es schon sein, ein paar Moderntänzer gerne auch, und so gab es manche Akrobatikeinlage (Verzeihung: „aerial acrobatic performers“ lautet die korrekte Bezeichnung gemäß Besetzungsliste), deren tieferer Sinn jenseits des spektakulären Effekts mir verborgen blieb. Die Symbolik kam überhaupt mit der Brechstange daher: Messer klappten hoch beim Todesurteil vorm Revolutionstribunal, der personfizierte Tod mit seiner Sense schipperte auf einem Nachen rund um den Torso und sammelte pathetisch kampfes- und revolutionswillige Jünglinge ein, Nadeln stachen von innen aus dem Marat-Kopf hervor, Blut troff aus der Nase, und als furioser Höhepunkt wurde der ganze Kopf im 3. Akt nach hinten aufgeklappt. 60 Tonnen (die Werkseinführung!) Hollywood-Action.

Abgesehen davon, daß ich zu jener antiquierten Minderheit gehöre, die Oper auch ohne Effekte und aufwendige Kleider mag, mißfällt mir in Bregenz jedoch am meisten, daß der Klang von der Gestik gelöst ist. Die Männchen auf der Bühne sind so winzig, der Schall aus Dolby-Surround ist so diffus, daß man gar nicht recht zuhören kann, weil man permanent damit beschäftigt ist, Klang und Person zu verorten. Wie bei einer Marionette, der die Fäden durchgeschnitten wurden, passt das einfach nicht so recht zusammen für mich. Ohnehin sind mir Mikrophone ein Greuel, weil mir dabei das entscheidende Element einer richtigen Aufführung (im Gegensatz zu CDs oder Filmen) fehlt, und in diesem Fall war die Anlage außerdem noch schlecht justiert. Oder der Dirigent hatte in Ego-Problem. Das Orchester war nämlich definitiv zu laut.

Ich habe im Studium noch gelernt, daß das Orchester in der Oper die Sänger lediglich begleiten und unterstützen soll, aber der moderne Dirigent sieht das – so meine kürzlichen Erfahrungen – nicht mehr so. Bedauerlicherweise mußten die eifrigen Zuhörer daher auf sämtliche Piano-Passagen der Sänger verzichten, da gab es nur eine dicke, kuschelige Orchesterdecke.

Die Sänger jedenfalls waren ganz ordentlich besetzt: die Maddalena (Norma Fantini) hatte ihre große Arie „La mamma morta“ sehr intensiv geübt und wundervoll gesungen – keine leichte Aufgabe, wenn doch jeder bei dieser Szene die Callas innerlich im Ohr hat. Aber das war sehr schön, sehr eigenständig, sehr lyrisch interpretiert. Im übrigen blieb die Sopranistin aber doch etwas blaß, ähnlich wie der Tenor. Aber Tenöre sterben ja ohnehin aus, ein leidiges Thema. Am besten gefiel mir noch der Gérard, ein satter, voller Bariton mit enormem Volumen (sängerisch, nicht physisch, zu letzterem vermag ich aufgrund der Entfernung nichts zu sagen). Die Rolle des Gérard ist mit Abstand die vielschichtigste, interessanteste: Gegenspieler des Liebespaares, und zerrissen zwischen seinen Begierden (Maddalena), seinen Idealen (der Revolution), den Anforderungen der Zeit (Jakobiner). Scott Hendricks war sich nicht zu schade, diese Zerrissenheit auch musikalisch umzusetzen. Mal brachial, mal lyrisch, mal gewalttätig, mal empfindsam, nutzte er alle Möglichkeiten sehr überzeugend, sehr authentisch – dramatische Oper, wie sie sein sollte.

Insgesamt ist mir Giordano auf jeden Fall viel lieber als Puccinis Zuckergußmusik, und allein schon die Aussicht auf den Sonnenuntergang überm See ist es wert, einmal im Leben nach Bregenz zu fahren. Aber nur einmal, das reicht dann auch.

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