Traumauto
Hier in Washington gibt es erstaunlich viele Saabs. Vor kurzem stand in meiner Straße einer in hellblau. Rot steht meist um die Ecke. Und auch sonst, auf dem morgendlichen Weg zu Arbeit, sehe ich – gefühlt zumindest – mehr Saab als zum Beispiel in Frankfurt. Was immer das heißen mag. Das wird sich vielleicht bald ändern, den bekanntlich ist ja GM in großen Schwierigkeiten. Und Saab schon vor einigen Jahren über den Tisch, nein, über den Atlantik gegangen, und seither fahren Saab-Fahrer irgendwie und recht eigentlich Opel.

Dennoch wird Saab immer das Auto meiner Kindheit bleiben, mit dem sich die bleibenden Erinnerungen auf vier Rädern verbinden (vielleicht mit Ausnahme meines Bollerwagens). Ich muß etwa sechs Jahre alt gewesen sein, als wir mit dem weißen Saab 900 Turbo meiner Eltern in den Spanien-Urlaub gefahren sind. San Sebastián in Nordspanien. Was meine Eltern sich dabei gedacht haben, im Frühling nach Nordspanien zu fahren, verstehe ich bis heute nicht.

Am Anfang jeder Reise mußte mein Vater das Auto packen, und er tat es mit Leidenschaft. Sein Faible für kleine Autos erreichte mit einem Golf GTI – schwarz mit rotem Rallye Streifen – seinen Höhepunkt zu Zeiten, als er damit drei Töchter samt Ehefrau verfrachten mußte. Die Ehefrau hat ihm den Golf dann ziemlich schnell ausgetrieben.

Jedenfalls war es meinem Vater anläßlich größerer Reisen stets ein Bedürfnis, noch eine Stunde früher als alle anderen aufzustehen, um dann um acht Uhr morgens, wenn die Familie reisefertig in der Tür stand, stolz seine Leistung vorzuführen: Paßt alles rein! Phh, machte meine Mutter nur, Kosmetikkoffer und Handtasche in Händen, und wo soll das noch hin? – und hob die zwei Stücke anklagend in die Höhe. Irgendwie ging es aber doch immer rein und irgendwann ging es auch los. Damals wie heute liebe ich den Moment des Aufbruchs, den letzten Blick auf das Haus, das Prickeln kommender Abenteuer wie auch auf die Sehnsucht der Rückkehr. Vielleicht mag ich deswegen Reisen so gerne, weil im Abschied schon die Vorfreude der Heimkehr begriffen ist.

Wir Mädchen bekamen für lange Autoreisen immer eine Märchenkassette für unseren Walkman. Diesbezüglich waren wir stets auf der Höhe der Zeit, und die Märchenkassette war schon Tage vorher Anlaß für frohe Erwartungen und Vorfreude. Vielleicht habe ich bei dieser Spanienreise meine Lieblingskassette „Tausendschön“ bekommen vielleicht aber auch erst einige Jahre später. Die schwarzen Kassetten mit den tristen, rostbraunen Aufklebern stehen mir immer noch lebhaft vor Augen. Mich beschäftigt noch heute die Frage, wie meine Eltern diese Autofahrten ausgehalten haben, denn trotz der Kassetten haben wir gerne und viel gesungen. Man hat mir Jahre später aus berufener Quelle bescheinigt, ich könne überhaupt nicht singen, schief, unsauber und einfach schlimm – meine Schwester und ich haben aber im Auto stundenlang gesungen. Halleluja, am liebsten zweistimmig, oder auch „Marmor, Stein und Eisen bricht“. Man muß seine Kinder schon sehr lieben, um das über Stunden zu ertragen. Ansonsten waren wir aber doch artig und brav.

San Sebastián war kein Erfolg. Meine wesentliche Erinnerung ist Kälte, Kälte, Kälte. Wir haben eigentlich nur gefroren – Nordspanien im Frühling halt. Meine Mutter berichtet, daß wir viel geweint haben, weil es so kalt war, Strand war keine Option, das Freizeitangebot wenig einladend. Die Ferienwohnung war muffig und ranzig, die Wände schienen aus Pappe zu sein, die Fenster zugig, an der Heizung hatte man auch gespart. Nach vier Tagen brachten die Vermieter immerhin einige Extra-Decken vorbei, aber der Urlaub muß eine veritable Katastrophe gewesen sein. Und auf der Rückfahrt wieder Kindergesang für meine armen Eltern. Aber nur bis Karlsruhe, nach fast 3000 km in einer Woche verabschiedete sich der Turbolader unseres heißgeliebten Gefährts aus unserer Reisegruppe. In der Werkstatt dauerte es, bis die freundlichen Herren in Blau feststellten, daß ein neuer Turbolader frühestens am nächsten Morgen verfügbar sei, und ohne Turbolader keine Weiterreise. Es war spät, wir Kinder vermutlich quengelig, meine Eltern orientierungslos und genervt. Eine Pension fand sich noch recht schnell, die Abfütterung der Kinder war jedoch zu fortgeschrittener Stunde ein Problem. Zumal unsere Mutter uns nie aus den Augen ließ und eine Trennung der Fraktionen daher nicht in Frage kam. Also landeten wir alle irgendwie in einem sehr, sehr noblen Restaurant, das eigentlich dem bescheidenen und durch die Reise schon strapaziertem Budget meiner Eltern keineswegs angemessen war. Ich erinnere mich noch an das feudale Ambiente, dezente Beleuchtung, einen großen runden Tisch und unbequeme Stühle mit hohen Lehnen. Mit Polstern wurden wir zwei Mädchen auf die richtige Sitzhöhe gebracht. Die nachhaltigste Erinnerung war jedoch ein sensationelles Schnitzel mit Pommes. Hauchdünn, fast zu groß für den Teller, der in meiner Erinnerung die Größe eines Wagenrads hat, und berückend lecker. Noch beeindruckender für mich unerfahrene Sechsjährige war allenfalls der Kellner, der mir den Stuhl zurechtrückte und das Fleisch schnitt und vorlegte. Ebenso wie meiner vierjährigen Schwester. Sicher, es war spät und das Restaurant fast leer, aber die fast durchgängige Präsenz der befrackten Herren hinter meinem Stuhl hat einen tiefen Eindruck hinterlassen.

Am nächsten Morgen kam der neue Turbolader und irgendwann konnten wir unsere Reise fortsetzen, obwohl ich persönlich ja gerne noch länger geblieben wäre und mir noch mehr Schnitzel gewünscht hätte. In Karlsruhe bin ich seither nie wieder gewesen. Der Saab 900 wurde irgendwann gegen einen familientauglichen Saab 9000 ausgetauscht.
Eine Zeitlang fand ich in jugendlicher Verirrung die alten Modelle ganz scheußlich anzuschauen, aber heute werde ich bei ihrem Anblick wehmütig, und kann die Sehnsucht und den weichen Tonfall meiner Eltern, wenn sie von diesem Auto reden, nachempfinden.

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arboretum, Samstag, 28. Februar 2009, 22:34
Wir waren immer zu fünft in einem R4 unterwegs, nicht bis nach Nordspanien, dafür aber mit Dachgepäckträger. Der Walkman war damals noch gar nicht erfunden, und ein Radio hatten unsere R4s auch nicht, also mussten wir schon selbst singen - Kanon. Klappte aber ganz gut.

mark793, Samstag, 28. Februar 2009, 22:51
R 4 zu fünft, das ist wirklich sehr spartanisch, da war unser VW 1600 Variant Bj. 67 als Reisegefährt schon ein bisschen komfortabler. Aber anfangs waren da nicht mal Sicherheitsgurte vorn, die wurden erst in den frühen 70ern nachgerüstet.

Bis Spanien sind wir nicht gefahren damit, aber Schweiz, Nordsee, Normandie/Bretagne haben wir damit abgeklappert. Radio gabs zwar an Bord, aber meine Eltern schalteten es so gut wie nie an. Manchmal wurde auch gesungen, ansonsten unterhielt man sich mit "Was ist das fürn Nummernschild?" und "guck mal da". Irgendwann hatte ich ein kleines Transistorradio mit nem Ohrstöpsel, aber im Auto hab ich das nur selten in Betrieb gehabt.

damenwahl, Sonntag, 1. März 2009, 01:52
Ich sehe was, was Du nicht siehst, war ganz groß bei uns. Unterbrochen von Vorträgen meines Vaters über kulturelle Denkmäler rechts und links oder die Geschichte der Region, die wir gerade durchquerten. Als Kind habe ich das verabscheut, vor allem später, als er zunehmend ein Minimum an Hintergrundwissen von uns erwartete. Heute bin ich, uh, alt und weise (oder älter und weiser) und ihm sehr dankbar.
Lustig, daß so viele offenbar in Ihrer Kindheit auf Autofahrten gesungen haben - gibt's das heute noch?

mark793, Sonntag, 1. März 2009, 02:07
Meine Frau hat mit der Kleinen mal paar Anläufe unternommen, aber für ausdauernde Arien ist die Lütte mit ihren vier Jahren noch ein bisschen klein.

Ob sie sich später auch mal mit so warmen Gedanken ans Darkmobil erinnert wie Sie an den Saab?