Neue Aussicht
Im Kongo dampften die Eiswürfel manchmal, wenn man das Tonic Water drüberlaufen ließ – hier dampfte gestern Abend der Rotwein im Glas, als ich kurz auf der Terrasse saß. Im Kongo beschlug die Brille beim Verlassen des klimatisierten Autos. Hier hat mich die Normalität wieder, die Brille beschlägt, wenn ich Räume betrete. Vergessen hatte ich, wie früh es im Winter dunkel wird, wie dunkel es überhaupt den ganzen Tag ist, vergessen das Gefühl, ständig kalte Füße zu haben und vergessen auch das feuchtkalte Wetter. Andererseits kann man im Winter Kleidung über die Heizung legen und vorgewärmt aneziehen – ein glücklicher Zufallstreffer gestern Abend im Bad. Ebenso verdrängt hatte ich das wunderbare Gefühl, in einem kalten Schlafzimmer das Federbett bis zur Nase hochzuziehen – die letzten Monate hatte ich allenfalls ein Laken, allenfalls über den Füßen.
Manchmal halte ich inne und wundere mich. Die Zahnbürste in der Hand, ärgere ich mich, daß die Wasserflasche neben dem Bett steht, bevor mir einfällt, daß ich Wasser aus dem Hahn nehmen kann. In der Stadt kaufe ich Noten, drei verschiedene Ausgaben gibt es von dem Werk das ich möchte, neben mir steht ein Ehepaar, das eine Querflöte für die Tochter kauft und endlos mit dem Verkäufer diskutiert. Dieser Überfluß! Zwischen all dem Weihnachtstrubel in der Stadt, mit Glühweinständen, Lichterketten und vielzuvielen Menschen komme ich mir fremd und deplaziert vor. Meine Mitmenschen kommen mir feist, zu wohlgenährt, zu zufrieden vor und ich frage mich, wie oft sie an jene Milliarden Menschen denken, denen es schlechter geht. Ein Mann auf Stelzen verteilt Werbezettel, ein zehnjähriges Kind streckt sich jauchzend danach, hüpft auf und ab, um ihm einen der Zettel abzunehmen und ich kämpfe mich den Tränen, weil ich an die beiden kongolesischen Jungs in ähnlichem Alter denken muß, die ich nachts auf der Straße im Dreck haben schlafen sehen, ineinander gerollt, der Ältere den Jüngeren im Arm. Kein Kind sollte so aufwachsen müssen, keines.

Freitag Abend hatten meine Eltern langjährige Freunde zu Besuch, beide Lehrer, politisch und sozial sehr engagiert, keine Kinder. Kongo verorten sie – ganz richtig – irgendwo in Afrika, über „Kinshasa“ stolpern sie einige Male, und die interessierten Rückfragen versiegen irgendwann – was ich zu erzählen habe ist zu fremd. Die Tischgespräche über Bildung und Familienpolitik, den Umgang mit Suchtkranken und Familienstreits an Weihnachten führen mir vor Augen, wie weit weg mein Leben – nicht nur räumlich – von meinem ursprünglichen Umfeld ist. Ich habe Kollegen, die Langstreckenflüge nach Dubai oder Washington hinnehmen wie die Freunde meiner Eltern eine Fahrt in die nächstgrößere Stadt und die Ex-Kollegen in Frankfurt den Flug nach London. Auch mir geht die naive Unschuld bei Langstreckenflügen langsam verloren: ein Flug ist ein Flug ist ein Flug, und nicht mehr der Anfangspunkt eines großen Abenteuers. Im heimatlichen Umfeld bin ich ein Exot, der weiter und länger gereist ist als die meisten anderen, und erlebt hat, was andere in Büchern lesen. Und damit bin ich die einzige. Es gibt sonst niemanden mit meinem Lebensweg im Bekanntenkreis meiner Eltern, keine ehemaligen Schulkameraden, keine Kinder von Freunden, keine entfernten Verwandten. Mit Details halte ich mich zurück, denn sonst ernte ich verwunderte Blicke und hochgezogene Augenbrauen. Kakerlaken in der Küche? Vierundzwanzig Stunden ohne Strom? Ein eigener Fahrer, tagtäglich? Ich bin dankbar für das Privileg meiner Erfahrungen, aber hier zu Hause macht es mich einsam – ich habe Heimweh nach Kinshasa und nach Kollegen, die meine Erfahrungen teilen.

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energist, Montag, 14. Dezember 2009, 01:37
Werte Frau Damenwahl,

zuerst noch: Herzlich willkommen zurück. (Ich bin übrigens sehr froh, daß sich meine erste Angst, Sie würden jetzt ob des Endens Ihres Aufenthaltes hier im Blog schweigen, offensichtlich nicht erfüllt hat.)

Die Befremdung, die Sie jetzt spüren ist für Sie neu? Hatten Sie noch nie die Erfahrung, daß Sie nach einer persönlichen Weiterentwicklung in Ihr altes Umfeld zurückkehren und feststellen, daß sich dort… gar nichts entwickelt hat? Hm, möglicherweise mache ich etwas falsch, ich hatte das schon sehr häufig.

Allerdings muß ich auch zugeben, daß einiges dieser Entfremdung sehr egozentrisch war und sich schnell legte. Dann hat man diese Erfahrungen zwar immer noch, man bezieht aber nicht mehr alles darauf. Die Zeit wird also auch das heilen, seien Sie optimistisch!

Ihr energist

tucholskyfuerarme, Montag, 14. Dezember 2009, 01:40
Nur kurz...
Schöner Text und vielen Dank für die vielen aufschlussreichen und kurzweiligen Texte aus dem Kongo und der restlichen Welt.

Ansonsten noch ein sehr verfrühtes "Frohe Weihnachten" für Sie.
Mit freundlichen Grüßen

strelnikov, Montag, 14. Dezember 2009, 15:56
Diese komische Gefühl beschlich mich schon nach dem Abschluss meines Zivildienstes am anderen Ende von Deutschlands.
Kommunikation bedingt wohl einen gewissen Erfahrungskonsens.

damenwahl, Montag, 14. Dezember 2009, 18:40
Energist, das Gefühl kenne ich wohl, allerdings noch nie so intensiv. Ich fühle mich fremd in Deutschland, das hatte ich zum letzten Mal vor zehn Jahren.
Vielen Dank, tucholskyfürarme, und schön, von Ihnen zu hören... . Der Kaffee war übrigens gut im Kongo.
strelnikov, das ist so wahr... Kommunikation bei unterschiedlichen Erfahrungshorizonten ist schwer - das allerdings war vor allem im Kongo augenfällig.

strelnikov, Dienstag, 15. Dezember 2009, 11:09
Wenn ich von Bulgarien begeistert erzähle blicke ich auch immer in ungläublige Auge meiner Gegenüber.
Spricht man hingegen über die Westküste der USA, kann man sich fast schon darüber unterhalten an welcher Junction man welchem Highway verslassen sollte.
Es hängt glaube ich rein von Reiseziel ab ob man einer Gespräch entwickeln kann oder nicht. Wie viele Kilometer man hinter sich hat ist eigentlich egal.

teutobrecht, Dienstag, 15. Dezember 2009, 23:55
... viele warten wohl auch nur auf ein Stichwort, um selber mit ihren eigenen Geschichten loszulegen, und wenn ich mir ein Vorurteil erlauben darf: Lehrer, die es berufsmaessig gewohnt sind, viel zu reden und Dinge zu erfragen, die ihnen selbst sattsam bekannt sind, sind auf Neues oft weniger neugierig als andere.

Ein sehr guter Freund war vor einigen Jahren fuer laengere Zeit in Begleitung seiner Frau, die fuer die GTZ ein Evaluationsprojekt im Gesundheitsbereich durchfuehrte, im Nachbarland: Kongo-Brazzaville.

Ihm verdanke ich viele der Informationen aus dieser Gegend, und natuerlich war er von Beruf Lehrer, der in seinen Erzaehlungen selten zu bremsen war.

damenwahl, Mittwoch, 16. Dezember 2009, 12:05
teutobrecht, da ist was dran. Ich selbst sage inzwischen nur noch "ich war in Afrika", weil ich die Fragen leid bin.
Bulgarien... strelnikov, da war ich noch nie, aber ich kann mir vorstellen, wie die Leute dumm gucken. Dabei würde ich eher meinen Urlaub in Bulgarien verbringen als in den USA. Wie schön, daß die Menschen vielfältig sind!

dergeschichtenerzaehler, Montag, 14. Dezember 2009, 19:03
Ich musste diese Erfahrungen selbst schon durchmachen, auch wenn ich nur ein paar Wochen unterwegs war (Ich bin jetzt schon mehr Kilometer gereist, als der Durchschnittsdeutsche). Die meisten Leute interessiert das nur wenig...Wenn man darüber schreibt, mit Bildern usw. dann funktioniert das perfekt, aber der Versuch, dass einfach mal so am Stammtisch zu erzählen scheitert häufig.

Ganz anders bei Leuten, die selbst schon viel unterwegs waren... mit denen kann man sich stundenlang über dieses Thema unterhalten.

schusch, Montag, 14. Dezember 2009, 20:08
Heimweh nach Kinshasa? Das Gefühl muss sich bei mir nicht einstellen, werd schon wieder geschickt. Urlaub im Schnee wär mir lieber. *grummel*

damenwahl, Montag, 14. Dezember 2009, 20:37
Herr GEZ, das kenne ich. Immerhin meine Schwester hört mir zu, die war selbst schon in Afrika. Heimweh, Herr Schusch, habe ich allerdings. Kann ich mit Dir tauschen?

schusch, Montag, 14. Dezember 2009, 21:05
Ist Computerei aber kein Hexenwerk, nur nervig. Könnt man drüber nachdenken ;-)

Wenn aber dann alles so klappt wie erwünscht (ja, ich muss weiterhin so denken), könnte ich aber die richtig große Parade dort abnehmen. (Und wenn nicht, dann standrechtlich erschossen.) Mich reizt allerdings schon die Parade.

damenwahl, Montag, 14. Dezember 2009, 21:07
Wenn.... ich wünsche viel Glück. Parade ist immer gut. Wann warst Du eigentlich da? Ich war erst mittags in Frankfurt, sogar die Bahn hatte noch Verspätung.

schusch, Montag, 14. Dezember 2009, 21:13
Tja. Auch mit drei Stunden. Taunusanlage FFM, 12 Uhr. Brussels ist zwar wie immer vor Euch abgeflogen aber immer noch zu spät, um den Anschluss zu kriegen. Wie immer halt. Gab zwar Gelegenheit, in Zaventem endlich mal wieder ein Hoegaarden zu schlürfen, aber dann wurde wieder geparkt, weil kein Slot nach FRA frei war. Wenns für in parkenden Flugzeugen sitzen auch Bonusmeilen gäbe, könnte ich mittlerweile wenigstens in der Business im parkenden Flugzeug sitzen.

pathologe, Dienstag, 15. Dezember 2009, 11:34
Eine aehnliche Aussicht hatte ich in den 10 Tagen Deutschland gerade jetzt im November/Dezember. Heimweh? Beidseitig, ja. Einerseits nach Deutschland, wenn man im Ausland sitzt. Weil eben einige Sachen nicht erhaeltlich sind. Andererseits nach Qatar, da der Lebensmittelpunkt dort liegt im Moment. Die Frau Pathologin aaeusserte sich ebenfalls mit den Worten "es ist schoen, wieder nach Hause zu kommen" im Gate des Frankfurter Flughafens kurz vor Abflug nach Doha.

Man muss Expat sein, um das zu verstehen, denke ich. Und ja, man wird anders. In seinen Ansichten, seinen Toleranzgrenzen, seinem Verhalten.

damenwahl, Mittwoch, 16. Dezember 2009, 11:59
Wie wahr... man wird anders. Und beidseitiges Heimweh kenne ich auch, das Gras auf der anderen Seite des Zaunes ist halt immer grüner. In Kin habe ich mich wie verrückt nach Cafés und bummeln gesehnt, jetzt wünsche ich mir dreißig Grad und ein bißchen Aufregung. Ein kleiner Streit mit Polizisten wäre geradezu erfrischend.

arboretum, Mittwoch, 16. Dezember 2009, 12:10
Ich glaube, ein kleiner Streit mit einem Polizisten sollte sich auch hier vom Zaun brechen lassen. ;-)

damenwahl, Mittwoch, 16. Dezember 2009, 12:14
Meinen Sie? Dann gehe ich jetzt mal los und suche mir ein fesches Frankfurter Exemplar. Einmal bei rot über die Ampel und wenn ich ihm anbiete, wir können das doch bei einer Zigarette und Sucré regeln, habe ich vermutlich tatsächlich ein Problem.

schusch, Mittwoch, 16. Dezember 2009, 19:40
Die ersten Polizisten, die ich seitdem außerhalb des Flughafens hier gesehen habe, gerade eben, nicht früher, waren zu Pferde. Das kann ich mir dort auch nicht vorstellen. Das gibt es da nicht.

damenwahl, Donnerstag, 17. Dezember 2009, 10:53
Doch, das gibt's. Präsidentengarde, glaube ich, oder irgendeine Sondertruppe. Einmal zwei gesehen, aber in einem der Quartiers Populaires.

strelnikov, Donnerstag, 17. Dezember 2009, 18:13
Hätten Sie vielleicht Lust jetzt wo Sie nicht mehr da sind ein paar Ort ihrer Erzählung in google maps zu markieren.
Dann könnte der interessierte Leser ein wenig mit Ihnen schwelgen. Sie können ja ihren Arbeitsplatz und ihre Wohnung aussen vor lassen.

damenwahl, Donnerstag, 17. Dezember 2009, 18:20
Ehrlich gesagt... nicht unbedingt. G**gle ist mir unheimlich mit seinem Datensammelwahn und ich möchte dazu nur ungerne beitragen. Davon abgesehen ist der Plan von Kinshasa ohnehin Mist. Tut mir leid!

zampano, Montag, 21. Dezember 2009, 16:02
Mittlerweile im zweiten ununterbrochenen "Expat"-Jahr, bin ich manches Mal auch etwas besorgt über Entfremdung von Zuhause. Mir hilft ein relativ regelmäßiger telefonischer Kontakt zu meinen engsten Freunden in Deutschland um dem Zuhause-isoliert-sein vorzubeugen, da ich dadurch gut im Bilde bin was sich bei denen so im Leben tut (vermutlich wichtiger als andersherum).
Meine frühere Erfahrung ist ausserdem, dass langfristige Abwesenheit ein recht starker Filter für Freundschaften ist - was nicht negativ sein muss.

Mich würde ja schon interessieren, wieviele Expats hier im Bloggerportal so rumschreiben. Sie, der Herr Pathologe und meine Wenigkeit umspannen immerhin schon einmal drei ausserwestliche Kulturbereiche. Das ist bald genug für eine Selbsthilfegruppe. ;-)

damenwahl, Montag, 21. Dezember 2009, 19:24
Hach, das kommt mir alles bekannt vor. Zwei gute Freundschaften verloren gegangen, viele nicht ganz so gute in die Kategorie "Bekanntschaften ohne Verlaß" umsortiert. Aber bei den verbleibenden ist man sich um so sicherer.
Selbsthilfegruppe finde ich prima. Den Titel dürfen Sie und der Herr Pathologie bestimmen.... mir mangelt es an Kreativität.