Jedem Mißstand seine Lobby
Die Beamten der EU-Kommission kämpfen derzeit für ihre regelmäßige Gehaltserhöhung. Da EU-Beamten, wie allgemein bekannt und leicht zu verifzieren ist, nicht schlecht verdienen, kann man die Angemessenheit der Gehaltserhöhung durchaus hinterfragen, andererseits wurden die jährlichen Erhöhungen ja nicht umsonst in eine verbindliche Formel verpackt und wenn diese Formel in gerade diesem Jahr unangemessen scheint ist das wirklich dumm. Andererseits ist es nie sehr elegant, einmal gemachte Zusagen zurückzunehmen und am Ende – unbeachtet aller finanziellen Konsequenzen – wird das ohnehin nicht gerade glänzende Image aller Streitparteien wohl weiteren Schaden genommen haben. Und die Bevölkerung der EU-Staaten wieder einmal Grund haben, über die ausufernde EU-Bürokratie und die verkrusteten Lobbying Strukturen zu lamentieren. Interessante Lektüre zu diesem Thema ist das Büchlein Postdemokratie von Colin Crouch, der Wirtschaftsunternehmen und Lobbyismus als Strippenzieher im modernen Staat sieht. Auch in unserer schönen Heimat gibt es viele sichtbare– und vermutlichen noch mehr unsichtbare – Fälle von Interessenpolitik und Lobbyismus: Beamtengehälter, wirtschaftliche Interessen großer Industrien, Krankenkassen und Gesundheitspolitik und sowieso machen ja die meisten Politiker nicht das, was sinnvoll wäre, sondern das, was am wahrscheinlichsten zur Wiederwahl führt.

Es liegt vermutlich in der Natur des Menschen, immer das eigene Interesse ohne Rücksicht auf andere durchzusetzen, sofern er irgend kann. Besonders gut kann man im Kongo. Fast immer fallen hier kollektives, gesamtgesellschaftliches und individuelles Interesse auseinander. Fast alle wesentlichen Dienstleister (Energie, Wasser, Transport...) sind seit jeher Staatsunternehmen: Dienstleister, Beschäftigungsmaßnahme und Wirtschaftsmotor in einem. Inklusive sämtlicher Behörden und Wirtschaftsunternehmen hält der Staat zumindest Teileigentum an über fünfzig Entitäten, und jede davon hat mindestens zwei Interessengruppen: die gutbezahlten Kader und die mäßig oder gar nicht bezahlten niederen Angestellten. Von Kundenlobbies hört man selten, jedoch gilt es noch die Interessen der vierzig verschiedenen Ministerien miteinzubeziehen, die allein oder gemeinsam für die Aufsicht verantwortlich sind. Alle dieser Gruppen – und ohnehin jeder einzelne für sich – denken zuallererst an sich selbst, maximieren den eigenen Vorteil und vermutlich noch den der näheren Verwandtschaft oder der eigenen Interessengruppe. Ein kollektives Interesse darüber hinaus oder Solidarität jenseits der eigenen Wohlfahrt gibt es nicht. Niemand fragt sich: welche Auswirkungen hat mein Handeln auf die Gesellschaft als Ganzes? Und leider gibt es kein Gesetz, kein Gericht und keine Institutionen, die das kollektive Interesse wirksam zu schützen vermöchten. Aus Eigennutz erwachsen harte Lebensumstände und ständiger Überlebenskampf, die wiederum den Eigennutz zur einzigen Überlebensstrategie machen. Jeder Mißstand hat eine Lobby, die von deren Erhalt profitiert, und so steckt das gesamte Land in einem kollektiven Dilemma.

Natürlich wäre es gesamtwirtschaftlich sinnvoll, hoffnungslos ineffiziente Staatsunternehmen zu reformieren, überbordende Personalbestände zu reduzieren und vergreisende Mitarbeiter in die Rente zu schicken. Dagegen sind sämtliche Mitarbeiter, die Entlassung und Arbeitslosigkeit für den Rest ihres Lebens fürchten, sogar Mitarbeiter anderer Unternehmen, und bereits Entlassene, die auf gleichwertigen Konditionen für alle Entlassenen beharren, dagegen sind diverse Gewerkschaften und natürlich – letzten Endes – Politiker, die unpopuläre Entscheidungen vermeiden. Sinnvoll wäre es auch, das Land würde sein juristisches Rahmenwerk neu strukturieren und demjenigen anderer Länder der Subregion angleichen, zum Beispiel mittels Beitritt zur Organisation pour l'Harmonisation en Afrique du Droit des Affaires. Trotz aller politischen, finanziellen, und internationalen Unterstützung jedoch hängt das Projekt immer noch in administrativen Prozessen fest, dies nun schon seit 2004. Man kann sich schon fragen, ob es möglicherweise Juristen im Lande gibt, die keine Lust haben, von einem Tag auf den anderen mit nutzlosem Wissen dazustehen und noch einmal neu lernen zu müssen, und welche Macht eine solche Lobby möglicherweise entfalten könnte in einem Land, in dem die gut ausgebildete Elite sehr klein und sehr gut vernetzt ist.

Was für große Gruppen gilt, läßt sich auch auf einzelne Mitglieder der Eliten übertragen: Ein amerikanischer Ex-Präsident kann sich als Redner oder politischer Aktivist engagieren, ein deutscher ex-Bundeskanzler als Berater der Wirtschaft oder Aufsichtsratsmitglied und im Notfall bliebe immer noch die normale Verrentung mitsamt diverser Doktortitel ehrenhalber. Diese Optionen stehen dem afrikanischen Politiker nur begrenzt zur Verfügung. Möchte er eine vernünftige Rente haben, die ihm den gewohnten Lebensstil – mitsamt regelmäßiger Flüge für die gesamte Familie in die westeuropäische Zivilisation – finanziert, muß er sich zu Amtszeiten bemühen, ein enstprechendes Gesetz auf den Weg zu bringen. Ehrenhafte Tätigkeiten für Rentner in der Wirtschaft sind angesichts des desolaten bzw. kaum existenten Privatsektors dünn gesät und sollte sich die Transition aufs Altenteil aufgrund außergewöhnlicher, gewalttätiger Umstände ergeben – in Afrika nicht eben die Ausnahme – bleibt ohnehin nur noch die Flucht ins teure Exil. Unter solchen Umständen würde jeder Wirtschaftswissenschaftler bescheinigen, daß rechtzeitige Anhäufung größtmöglicher Reichtümer auf Schweizer Bankkonten eine vernünftige Strategie darstellt, solange keine Sanktionen drohen. In jedem Fall aber eine gute Altersabsicherung für schlechte Zeiten. Ähnliches gilt für jede einflußreiche Person im Einflußkreis der Machthaber: die Kombination aus fehlender Alterssicherung, politischer Fragilität und hochgradig unsicheren Zukunftsaussichten machen es für den verantwortungsbewußten Pater Familias geradezu notwendig, in guten Zeiten für die schlechten vorzusorgen. Da dies nicht nur für das Staatsoberhaupt sondern für einen wesentlichen Teil des politischen Regierungsapparats gilt, hat niemand ein Interesse daran, entschlossen gegen derartige Mechanismen zu kämpfen. Vor die Wahl gestellt, staatliche Gelder dem Erhalt der Infrastruktur oder dem Bildungswesen zuzuführen oder den privaten Kassen, fällt die Wahl nicht schwer. Infolgedessen muß aber auch der mittlere Angestellte oder Beamte für die Schuldbildung seiner Kinder bezahlen und angesichts desolter Straßen ist ein solider Geländewagen der Mittelklasse-Limousine stets vorzuziehen. Diese Ausgaben sind von einem durchschnittlichen Gehalt nicht zu bezahlen und so hält sich jeder an der nächstschwächeren Partei schadlos, um den eigenen Vorteil zu maximieren, statt die Lebensumstände für alle zu verbessern.

Das System, sich an der nächsten schwächeren oder abhängigen Partei bei fast jeder Transaktion schadlos zu halten, zieht sich bis ganz hinunter in die untersten Ränge: auch der letzte Zollbeamte oder LKW-Fahrer nutzt seine – wie auch immer beschränkte – Macht aus, das erbärmliche Hungergehalt aufzubessern. Polizisten drangaslieren die Autofahrer in der Stadt ebenso wie LKW-Fahrer und Transportunternehmen, um aus deren erbärmlichen Löhnen ihre eigenen – ebenso bescheidenen – Gehälter aufzustocken. Der LKW-Fahrer läßt Verwandte und Bekannte unter lebensgefährlichen Umständen schwarz mitfahren und beklaut außerdem noch seinen Arbeitgeber, wenn sich die Möglichkeit bietet. Zollbeamte bessern ihr Einkommen mit Naturalentnahmen von Importen auf, wer Arbeitsplätze zu vergeben hat orientiert sich nicht nur an der Qualifikation der Bewerber sondern auch dem Nutzen im weitverzweigten Beziehungsnetzwerk.
Kollektiv wäre es sinnvoll, diesen Teufelskreis zu durchbrechen: ohne die allgegenwärtige Korruption und Schikane könnte der Staat bessere Gehälter zahlen, Bildung könnte billiger und Betrug teurer werden, die Unternehmen anständige Löhne anbieten und das Leben würde berechenbarer für alle. Tatsächlich hält sich jedoch das desolate System des Eigennutzes selbst am Leben. Gehälter werden eben nicht pünktlich oder gar nicht bezahlt, Renten sind lächerlich niedrig und so muß sich jeder um Nebenverdienste bemühen, zumeist auf Kosten seiner Mitbürger. Im Kongo hat Korruption eine ganz eigene Dimension: gemeinhin ist ein Schaden der Korruption, daß sie die Preiskalkulation für Unternehmen erschwert und die Preisbildung auf Märkten verzerrt. Hier hingegen fließen informelle Zahlungen ganz selbstverständlich bei allen Beteiligten in die Preisfindung ein. Wirtschaftsteilnehmer wissen recht gut, wieviel bei welcher Transaktion an Schmiergeldern und Geschenken zu zahlen ist, fakturieren dies in den Preis mit ein, reichen die Kosten an die Kunden weiter. 85 % der kongolesischen Unternehmen gaben in 2006 an, für Transaktionen inoffizielle Zahlungen zu leisten – aber nur 20 % empfanden dies als wesentliches wirtschaftliches Hindernis. Wer einen neuen LKW für sein Transportunternehmen anschaffen möchte, weiß aus Erfahrung, wieviel an Zollbeamten bei der Einfuhr zu zahlen ist, wieviel städtische Beamte für die Zulassung erhalten und wieviel für einen durchschnittlichen Transport in Polizistentaschen landet – das gehört einfach dazu. Der gesamtgesellschaftliche Schaden hingegen – betrifft ja nicht den einzelnen. Der Einzelne kann auch nichts dagegen ausrichten. Unternehmerische Tätigkeit im Kongo ist nicht legal zu machen – es wird immer einen Wettbewerber geben, der seine Waren mit Extrazahlungen früher aus dem Zoll holt, seinen LKW schneller zuläßt dank Zuwendungen an die Beamten, seine Umsätze unterbewertet, um Steuern zu sparen. Jeder kennt die Spielregeln, jeder macht es, viele profitieren davon und für sich genommen möchte niemand etwas daran ändern, weil die Einkommensquelle bitter fehlen würde – beim LKW-Fahrer, beim Zollbeamten und auch beim Politiker oder Unternehmer. In aller Konsequenz zieht hier eine Gesellschaft an einem Strang – leider dem falschen.

Wer solche Zustände gesehen hat – ohne jedoch jemals den Finger auf das Problem legen zu können, immer nur basierend auf vermuteten Interessen und Verbindungen – ist geradezu dankbar für die Transparenz und Öffentlichkeit im europäischen System, wo Öffentlichkeit zumindest ein breites Bewußtsein für das Problem und seine Konsequenzen geschaffen hat. Wenn man sich fragt, warum Politiker in Afrika so außerordentlich und sichtbar korrupt und untreu sind, lautet die mutmaßliche Antwort: weil sie es können. Es fehlt an verantwortungsvollen Eliten, es fehlt an verläßlichen Gesetzen, vor allem aber fehlt es an Gerichten und Institutionen, Regeln durchzusetzen in einer Welt, in der sich kaum jemand jemals an Regeln hält. Minister erlassen ministerielle Dekrete in Bereichen, wo eigentlich zwei Ministerien verantwortlich wären und ein interministerielles Dekret notwendig wäre. Botschafter im Ausland verkaufen ihre Botschafterresidenz unter dubiosen Umständen und Rechtfertigungen, und die Unterscheidung zwischen öffentlichen, zu Dienstzwecken geliehenen Gütern und Privatvermögen scheint allgemeine Schwierigkeiten zu bereiten. Politikergattinnen reisen mit Millionen in Bargeldkoffern aus und mit Reisetaschen voll Mobiltelefonen wieder ein, ohne jemals auch nur das kleinste Problem mit nationalen Behörden zu haben – weil sie es können. Jeder ist mit jedem verwandt und das wird auch so bleiben, denn nur wer Geld hat, kann seinen Kindern eine anständige Ausbildung bezahlen und so bleiben die Machthaber unter sich – jede Generation aufs Neue mit allen Verbindlichkeiten, Verpflichtungen und gegenseitigen Loyalitäten. Folglich hat der Gesamtzustand eine Lobby all jener, die davon profitieren. Wie soll man da dem Polizisten auf der Straße erklären, daß er für seine Tätigkeit bereits bezahlt wurde und daher kein Anrecht auf zusätzliche Zahlungen hat?

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ilnonno, Donnerstag, 31. Dezember 2009, 01:19
Wow. Dieser Text ist wirklich really veramente vraiment très très bien.

Wenn es ein wenig früher wäre, würde ich mich an einer Adaption auf europäische Verhältnisse versuchen.

damenwahl, Donnerstag, 31. Dezember 2009, 10:34
Danke. Auf die Adaption wäre ich gespannt.

jean stubenzweig, Donnerstag, 31. Dezember 2009, 01:34
Die Frage, die sich zu Ihrem Fazit mir schon seit längerer Zeit stellt: Woran liegt es, steckt es in ihnen, oder haben wir Europäer sie das gelehrt?

conma, Donnerstag, 31. Dezember 2009, 08:59
Diese Analyse ist wirklich sehr interessant und nachvollziehbar geschrieben.
Ich frage mich, wieso man im Kongo weiß, dass es notwendig ist "in guten Zeiten für die schlechten vorzusorgen". Zumindest privat.
Bei uns scheint diese Erkenntnis hingegen vollkommen unbekannt, ich habe jedenfalls nicht gehört, dass der Schuldenberg in den guten Zeiten abgebaut wurde ...

damenwahl, Donnerstag, 31. Dezember 2009, 10:34
Zugegebenermaßen, Frau Conma, wird da auch viel in LV Taschen umgesetzt. Aber eben auch viel beiseite geschafft, wenn man Zeitungen glauben kann.
Was wiederum unseren Schuldenberg betrifft: jeder weiß, daß sparen sinnvoll wäre - aber das würde keinem Politiker zur Wiederwahl verhelfen. Derselbe Mechanismus, denke ich.
Herr Stubenzweig, darüber muß ich nachdenken. Die Antwort geht nicht schnell - aber wenn ich heute Nachmittag mit einer Schachtel Zigaretten im letzten Raucher-Café der Stadt sitze, fällt mir vielleicht was ein.

teutobrecht, Freitag, 1. Januar 2010, 09:42
Lieber Herr Stubenzweig,

also ein guter Freund von mir, der laengere Zeit in Kongo-Brazzaville verbrachte, meinte das "Schlamassel" sei dem "Mohren" inhaerent, angeboren also. Das hat mich nicht entsetzt, aber insofern gewundert, als der Betreffende 30 Jahre als Lehrer taetig war, waehrend der letzten Jahre seines Lehrerdaseins nebenher ein volles Soziologiestudium durchgezogen hat und sogar am Ueberlegen war, die Zeit in Afrika zu nutzen, um Datenmaterial fuer eine Dissertation zu sammeln.
Was ich sagen will: Wenn man sich Tag fuer Tag durch das dortige Chaos zu kaempfen hat, liegt ein Gedanke, wie ihn mein Freund zum Ausdruck brachte, moeglicherweise naeher, als wenn man die Lage aus der Distanz, freilich nur auf der Grundlage eines Bruchteils der Erfahrungen, die man vor Ort zu machen mehr oder weniger gezwungen ist, einschaetzt.

Ich habe dieses Erfahrungen nicht gemacht und stelle mir ein eineiiges Zwillingspaar vor, von dem der eine Teil in Afrika bleibt und ein im grossen und ganzen "beschissenes" Leben fuehrt, der andere wird gleich nach der Geburt von Madonna oder Bill Gates adoptiert, spaeter durch die besten Schulen und Hochschulen geschleust, anschliessend bei Goldman Sachs untergebracht, und nach Erhalt des ersten Bonus wird das Paar erneut miteinander konfrontiert. Haette man trotz des gleiches Erbmaterials voellig verschiedene Menschen vor sich, was ich annehme, waere das eine Antwort auf Ihre Frage, was aber nicht heisst, dass ich nicht auf Frau Damenwahls Einschaetzung gespannt bin.

Gruss

G. Schoenbauer

bellusci, Dienstag, 19. Januar 2010, 10:34
Lieber Herr Stubenzweig,
ich komme zunehmend zur Ansicht, dass wir die das gelehrt haben und da auch brav immer so weitermachen... Ist eigentlich nicht mehr zu verantworten!
Viele Gruesse aus Uganda...

pastiz, Donnerstag, 7. Januar 2010, 15:05
Liebe Frau Damenwahl, ich habe Ihre informativen Ausführungen aus erster Hand sehr geschätzt und möchte - wenn Sie erlauben - einige Worte hinzufügen, insbesondere auch wegen der Frage des Herrn Stubenzweig „Wieso?“
Das Prinzip des Kolonialismus und Imperialismus besteht auch heute noch wie vor dem ersten WK und zementiert die Verhältnisse in der Dritten Welt und den Schwellenländern auf unbestimmte Zeit. Gerade heute floriert der Kolonialismus im alten Stil besonders in Afrika, aber auch in China, in Indien und anderen Schwellen- oder Drittweltländern, obwohl in lokalen Facetten.
Erst kürzlich konnte in einer Sendung von Spiegel TV eine diesbezüglich sehr interessante Dokumentation verfolgt werden, wo die koloniale Tätigkeit eines amerikanischen Multimillionärs derjenigen eines chinesischen Staatsunternehmens gegenübergestellt worden ist. Wo der Amerikaner noch nach bester westlicher Marketingmanier versuchte, seine Tätigkeit als segenbringend für das afrikanische Land darzustellen, hat sich der chinesische Manager mit den Worten „wir betreiben dieses Unternehmen zum Nutzen Chinas“ klar und unmissverständlich positioniert.
Beide ausländische Investoren sowohl der private als auch der staatliche haben mit Erfolg die breit getretenen Pfade des Kolonisten beschritten, Handelsabkommen mit der politischen Elite des jeweiligen Landes geschlossen, im Wege stehende (wohnende) Einheimische „umgesiedelt“ und/oder als „Arbeitnehmer“ eingestellt. Wobei das Arbeitnehmen sich auf die Ausführung untergeordneter Arbeit beschränkt (Trecker fahren, schaufeln, schleppen usw.). Die lächerlich geringen Pachtzinsen für unermessliche Produktionsflächen sind bestimmt nicht der Lohn der einheimischen Elite (die sich in der Dokumentation leider nicht zu Wort gemeldet hat). Es war rührend zu sehen, wie stolz die Einheimischen auf ihre Beschäftigung sind und wie sie sich ins Zeug legen und hätten sie es besser gewusst, dass dieses „Glück“ trügerisch im Sinne des Wortes und sehr endlich ist, wären sie in Tränen der Empörung ausgebrochen.
Nein, das Problem liegt nicht nur in der „Natur des Mohren“, es sind die alten kolonialen Muster, die von zwei Eliten in zwei Ländern gestrickt werden und die von zwei grossen Volksmassen in ebendiesen zwei Ländern getragen werden (als „Arbeiter“ und als Konsumenten). So ist es z.B. der westeuropäischen Textillobby keineswegs ein Dorn im Auge, dass immer breitere Schichten verarmen, denn diese können als Konsumenten für billig in China, Bangladesh, Indien und anderen dafür prädestinierten Ecken der Erde von armen Schluckern produzierte Ware herangezogen werden. Diese armen Schlucker können dann wiederum als Konsumenten ihr kümmerliches Gehalt für aus z.B. in Afrika von noch ärmeren Schluckern produzierte Produkte ausgeben. Eine wirkliche win-win-Situation – für die Kolonialisten und die korrupte Eliten der armen Länder.
Gleich oder ähnlich verhält es sich mit dem Fischfang an der afrikanischen Westküste, wo Fischereirechte von den zuständigen „Behörden“ an Europäer verkauft werden, die mit immensen Schleppnetzen die Gewässer tot fischen, den Meeresgrund zerstören und den einheimischen Fischern jede Lebensgrundlage rauben und im selben Atemzug dem europäischen Konsumenten weismachen, dass gerade dieser Fisch gut für ihn sei. Gleichzeitig werden von den europäischen Fangflotten auch gleich die Gewässer der Nachbarstaaten, die ihre Fischereirechte nicht verkauft haben, mit leer gefischt, ein verschlossener Briefumschlag mit dem richtigen Inhalt hat’s gerichtet, dass niemand aufmuckt.
Dies sind nur zwei kleine Beispiele, die aber das Prinzip des Neokolonialismus (heute heisst dies Globalisierung) sehr gut beschreiben.
Es ist bestimmt nicht ganz von der Hand zu weisen, dass einige Völker „bessere“ Geschäftsleute hervorbringen als andere, aufgrund der „Volksseele“ oder was auch immer, wie das z.B. in Kambodscha gut zu sehen ist, wo mit Hilfe der herrschenden Militärs und der korrupten Elite die Vietnamesen und Chinesen das Land von Norden und Osten her und die Thais von Westen her auffressen, dazwischen lächelt das Volk sein touristisch wirkungsvolles „sourir khmer“ mit einer fast kindlichen Seele (Kambodscha existiert als Land übrigens nur noch aufgrund französischer Intervention gegen die Aufteilungsbestrebungen der Thais und der Viets). Ich habe im Gespräch mit Einheimischen (z.B. Angehörigen von „Urvölkern“) mit Freundlichkeit und asiatischem Lächeln verbrämte Kritik an der eigenen Elite hören können (was eigentlich in Asien als Ausnahme gelten muss), welche die Verbitterung und die Machtlosigkeit des „kleinen Mannes“ deutlich gemacht hat.
In Burkina Faso habe ich Bekanntschaft gemacht mit der „Geschäfts(un)tüchtigkeit“ der Einheimischen, die jeden Europäer zur Verzweiflung gebracht hätte, der nicht nur seinen eigenen Nutzen vor Augen hat. Man wird dies in einer der kommenden Afrikageschichten nachlesen können.
Aber des Pudels Kern ist das koloniale Muster, die Korruption in den „Wirtschaftkolonien“ und die verschlossenen Augen und Ohren der westlichen Welt, die Profitgier und die uneinsichtige Ignoranz des westlichen Konsumenten, der eben doch auf nichts verzichten will, da es bekanntlich billiger und praktischer ist, an Weihnacht 100 Euro zu spenden.
Diesen Filz und Teufelskreis zu durchbrechen, ist Gegenstand vieler Bemühungen im kleinen Bereich, wie z.B. der Verteilung von Mikrokrediten, der beruflichen Förderung von Frauen und Mädchen, die im allgemeinen sozialer und umsichtiger (besser !) wirtschaften als Männer, das Aufbrechen der vielfältigen Abhängigkeiten, die nicht selten reine Sklaverei darstellen und ähnliches. Leider ist solches Engagement meist kaum zu sehen, weil es unspektakulär und nicht einträglich ist für die investierende Person.

damenwahl, Donnerstag, 7. Januar 2010, 19:21
Lieber Herr pastiz, ich folge Ihren Ausführungen im eigenen Wohnzimmer gerne, nebenbei bemerkt. Und bin selbstverständlich immer dankbar und erfreut, wenn jemand meine subjektive Perspektive auf Afrika ergänzt. Die hundert Varianten des Neokolonialismus... da kann man endlos drüber reden und zehn Beiträge schreiben und hätte immer noch nicht alles gesagt.

pastiz, Donnerstag, 7. Januar 2010, 22:43
Sie haben so recht und auch ich schliesse mich der hier geäusserten Ratlosigkeit an, wie denn das Problem an der Wurzel gepackt werden könne. Die Übermacht derjenigen, die die kolonialen Systeme erhalten wollen, scheint zu gross. Darf ich fragen, in welcher Eigenschaft Sie im Kongo weilen? Sie scheinen sich mit der Juristerei und der Wirtschaftswissenschaft gleichermassen gut auszukennen.