Bagatellen
Ich war schon wieder in der Bahn. Bistro-Wagen, wie gewöhnlich. Ich reserviere nie einen Sitzplatz, totale Verschwendung. Nur sehr selten ist im Bistro-Wagen kein Platz mehr frei, ich habe reichlich Raum für mein Gepäck und für die 2,50 Euro erhalte ich nicht nur den Sitzplatz sondern auch noch einen Kaffee – dringend notwendig nach durchfeierter Nacht. Ein junger und ein älterer Mann betreten den Wagen, kaufen zwei Becher Kaffee und setzen sich mir gegenüber. Auffällig starren sie mich an, als hätte ich grüne Hörner auf dem Kopf – womöglich noch Schlimmeres –, während sie an ihren Bechern nippen. Zwei ältliche Damen kommen heren, die eine in weißen Fellstiefeln, die andere in blauen Socken. Socken!
Ich gebe zu, auf langen Flügen habe ich immer dicke Socken dabei und auch in der Bahn – bei sehr sehr langen Fahrten – mache ich das gelegentlich, aber: ich laufe damit nicht von meinem Sitzplatz bis in den Bistro-Wagen. Niemals.
Der jüngere der beiden Männer mir gegenüber spielt mit seinem Becher und schnickt dabei das Plastikstäbchen zum Umrühren in hohem Bogen über den Tisch auf dem Boden. Der Blick, mit dem er dem Malheur folgt, verrät deutlich, daß er keinerlei Absicht hat, das Stäbchen aufzuheben. Ich bin in Oberlehrer-Stimmung und schieße ihm einen vernichtenden Blick auf die gegenüberliegende Bank und umgehend bückt er sich und hebt das Stäbchen auf. Geht doch.

Ansonsten: Schmelzwasser ist eklig. Matsch auch. Und diese feuchte Kälte auch. Deutschland ist so trübselig im Tauwetter. Will heim in die Sonne, oder wenigstens ein Buch und ein Bärenfell vor einem Kamin mit heißem Tee, oder so.

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nnier, Montag, 18. Januar 2010, 21:06
Gut so. Gemeinsam werden wir sie erziehen. Mir ist es neulich tatsächlich gelungen, einen klischeehaft laut herumtelefonierenden Menschen freundlich, aber bestimmt anzusprechen: Entschuldigen Sie, geht das bitte etwas leiser!? Ich bin nämlich auch schon wieder mit der Bahn gefahren.

donalphons, Montag, 18. Januar 2010, 23:26
Das nenne ich die Kraft des 19. Jahrhunderts! So und nicht anders soll die Welt (und ihre unerfreulichen Ausgeburten) auf Linie gebracht werden.

vert, Montag, 18. Januar 2010, 23:30
geht doch. sag ich ja.

damenwahl, Montag, 18. Januar 2010, 23:38
Es war mir ein Vergnügen. Glückwunsch, Herr nnier, so macht man das.

bellusci, Dienstag, 19. Januar 2010, 08:08
Zugegebenermassen, mir fehlt manchmal das truebseelige Wetter von Deutschland; ein bisschen Kaelte, Matsch und Schnee, oder auch mal Regen fuer eine Woche... ich sitze hier heute (wie immer) bei 31 Grad Celsius im Buero; Jahreszeiten sind Vergangenheit, Sommer 365 Tage non-stop.. Ich trage nun Strickjacke und Wollsocken, wenn die Temparatur auf 24 Grad "faellt".
Viele Gruesse aus Uganda!

terra40, Dienstag, 19. Januar 2010, 13:02
Und so etwas nennen Sie eine Bagatelle?
Auch ich bin in Oberlehrerstimmung und verweise Sie strengstens auf meinen eigenen Bagatellen hier auf diesem Weblog.
mit herzlichem Gruß,
Terra40 (aber Sie können mich auch Terra nennen.)

berenike, Dienstag, 19. Januar 2010, 12:56
Im ICE im Stillsein-Abteil (wie hiess das gleich noch offiziell?) reservieren ist selbst bei knapper Hartz IV-Kasse immer eine gute Investition!

damenwahl, Dienstag, 19. Januar 2010, 19:44
Frau Bellusci, das kenne ich, mir fehlten die Jahreszeiten im Kongo, aber jetzt gerade fehlt mir die Wärme. Das Gras und der Zaun... .
Bagatellen, Herr Terra, im Vergleich mit echten Problemen, wie Klimawandel, Landminen oder Hungersnöten. Daheim ist es langweilig und so habe ich nur Bahn-Geschichten zu berichten.

Ruheabteil heißt das bei der Bahn, Frau Berenike. Dort traf ich mal auf einen Vater, der sein Kind lautstark Radau machen ließ. Meinen freundlichen Hinweis auf die Aufkleber zu seinem Kopf verstand er nicht, bis ich die Legende im Faltblatt nachreichte - danach verlegte er sich auf ruhigere Unterhaltunsspiele und schimpfte leise vor sich hin, den Rest der Fahrt, über die böse, kinderfeindliche Frau (mich). Ganz abgesehen von jenen wichtigen Leuten, die überall, wirklich überall telefonieren müssen.

berenike, Mittwoch, 20. Januar 2010, 00:21
Achjarichtig, Ruheabteil. Bislang hatte ich immer Glück damit und wichtige Telefonierer schmeisse ich freundlich raus. Übermorgen werde ich wieder das Vergnügen haben.

arboretum, Mittwoch, 20. Januar 2010, 00:39
Die Idee mit dem Ruheabteil funktioniert meiner Erfahrung nach im Großraumwagen nur höchstselten. Nervige Telefoniere oder Leute, die ihre Musik über Kopfhörer so laut hören, dass man die eigene nicht mehr erahnt, musste ich schon häufiger auf die Aufkleber hinweisen. Aber die Schaffner gehen meist ganz ungerührt weiter, dabei müssten die eigentlich darauf achten und die Leute daran erinnern.

Die lautesten Telefonierer sitzen übrigens meistens auf den Plätzen direkt unter den Ruhezonen-Aufklebern oder in der Reihe davor oder dahinter.

berenike, Donnerstag, 21. Januar 2010, 13:22
Ich kann da notfalls sehr sehr bissig werden.

ilnonno, Donnerstag, 21. Januar 2010, 22:00
Gestern fuhr ich zum erstenmal seit einiger Zeit mit der Bahn. Eine längere Strecke in einem gut gefüllten Bummelzug, die Sonne strahlte mich an, schläfrig geworden döste ich vor mich hin.

Irgendwann setzt sich ein Mann neben mich, wie sich herausstellte Lehrer, und fing an, Mathearbeiten zu korrigieren.

Ab und zu blinzelte ich auf seine Seite, wie er eine Arbeit nach der andern durchging. Irgendeine zehnte Klasse.

Er blättert wieder um und plötzlich springt mich aus der gerade obenliegenden Arbeit balkendick in rot geschrieben an: "Liebster Herr yz, Tanja xy ist übelst in Dich verliebt".

Aus mir brach ein irrer, nicht zu kontrollierender Lachanfall, ich konnte mich minutenlang nicht einkriegen. Und alle (bis auf einen) fragten sich wohl, was mit dem gerade noch Schlafenden passiert sein mag...

damenwahl, Freitag, 22. Januar 2010, 13:07
Die arme Tanja xy - Kinder können so unendlich fies sein. Ich sitze auch schon wieder in der Bahn, diesmal aber Regionalexpress.

arboretum, Freitag, 22. Januar 2010, 15:22
Es gibt also doch Mathelehrer, die Mädchenherzen höher schlagen lassen - ich habe noch nie so ein Exemplar gesehen. Hoffentlich beflügelt die Verliebtheit - sofern diese rote Mitteilung überhaupt stimmt - Tanja so sehr, dass aus ihr ein wahres Mathegenie wird.