Knick in der Optik
Ich muss acht oder neun Jahre alt gewesen sein, als Freunde meiner Eltern sich bei irgendeinem Besuch nach der Schule erkundigten, wie man das so tut. Ich mochte Schule damals wie später im Prinzip ganz gerne, es gab schließlich viele spannende Dinge zu lernen, allein: die Schrift der Lehrer. Ich las gerne und viel, Schreib- und Druckschrift, aber irgendwie, so erklärte ich den Erwachsenen, würden die Lehrer inzwischen viel schlechter schreiben als noch in der ersten Klasse. Unordentlicher und so.

Tage später schleppte meine Mutter mich zum Optiker: das Kind stellte sich als kurzsichtig heraus. Meine erste Brille hatte einen grün-rot-blauen Rahmen, den ich so toll fand, daß ich zwei Jahre später das gleiche Modell noch einmal wählte. Heute würde ich meine Mutter gerne fragen, wie sie diese Scheußlichkeit zulassen konnte, aber fraglos erfüllte das Ding seinen Zweck. Ich erinnere mich noch, wie ich in meinem Kinderzimmer am Fenster stand und feststellte, daß ich jedes Blumenblatt in Nachbars Rabatten erkennen konnte. So scharf! So klar! Die Welt sah plötzlich ganz anders aus und ich war begeistert.

Im Laufe der Jahre gab es etliche Kontaktlinse-Episoden, aber angesichts langer Tage vor dem Bildschirm trage ich schon seit Jahren wieder meistens Brille, außer beim Ausgehen und Sport. Ich kann ohne Brille nicht mal ein Buch lesen, ich würde meine eigenen Eltern nicht erkennen, im Winter ist das Ding beschlagen, im Sommer hantiere ich mit zwei Brillen, und ohnehin dauernd kämpfe ich gegen Patschflecken auf dem Glas – kurz: es ist ein Kreuz. Ich träume von einer Existenz ohne Komplikationen, bin aber zu risikoscheu (und geizig), um zu diesem Zeitpunkt eine Operation zu erwägen. In einigen Jahren, wenn ich Geld haben werde, setzt vermutlich bereits die gegenläufige Altersweitsichtigkeit wieder ein, dann brauche ich es nicht mehr. Egal, manche sagen, ich sehe klug und apart aus mit Brille, und ohnehin nutzt es nichts, über unabänderliche Gegebenheiten zu jammern.

Im Moment jedoch leide ich wieder einmal besonders: ich brauche nämlich eine neue Sonnenbrille. Gerne hätte ich einen dieser großen Fliegenaugenbrummer, allein: so einfach ist das nicht. Ich hätte das Ding nämlich gerne mit Gläsern in meiner Stärke und das ist nicht trivial, wenn man ein multimorbider blinder Fisch ist.

Option 1 habe ich vor Jahren probiert und mir normale, getönte Brillengläser in ein altes Brillengestell einsetzen lassen. Dafür mußte selbiges geradegebogen werden, damit der Blick geradeaus durch die Gläser geht. Danach bekam ich von der Konstruktion regelmäßig Kopfschmerzen und so ist es vielleicht nicht schlimm, daß ich das Ding auf meinen weitläufigen 20 qm trotz aller Bemühungen nicht finden konnte.

Bleiben Optionen 2 und 3: ich könnte ein normales, ohnehin gerade Brillengestell wählen, das halbwegs nach Sonnenbrille aussieht und normale Brillengläser kaufen. Kostenpunkt 240 Euro. Ein mäßiger Kompromiss, denn eine normale Brille sieht nun mal nicht so cool aus wie eine modische Sonnebrille. Oder ich könnte das Gestell meiner Wahl nehmen und spezielle Sportgläser für mich schleifen lassen. Die wären bausteindick (je größer das Glas desto dicker der Rand, habe ich gelernt), ich müßte mich also in die oberen Luxusklassen der Brillenglasschleifkunst begeben und an die 500 Euro investieren. Was mir sehr viel scheint. Dafür könnte ich ja auch genauso gut Variante 2 wählen und noch eine coole Sonnenbrille. und diese ohne Spezialgläser mit Kontaktlinsen tragen.

Dafür spräche, daß ich die Sonnenbrille vor allem trage, wenn ich am Wochenende unterwegs bin, Strand, Sommer, Sonne, Freizeit. Dauernd mit zwei Brillen hantieren zu müssen (rein, raus, auf, ab) nervt mich ohnehin, also wäre es gar nicht dumm, bei solchen Anlässen öfter die Kontaktlinsen zu benutzen. Andererseits trage ich seit drei Jahren wirklich fast immer Brille – das spräche also für Variante 3, da hätte ich dann genau das, was ich will.

Seit Wochen nun klappere ich Optiker ab. Die Kette meines Vertrauens schafft es ohnehin nicht, die Gläser in meiner Stärke zu schleifen. Der High-End-Optiker vor Ort schon, und der ist sogar ausnahmsweise mit den genannten 500 Euro günstiger als der High-End-Optiker daheim in Deutschland. Die Kompromissbrillen gefallen mir eigentlich alle nicht so toll und 300 Euro für einen Kompromiss kommen mir schwachsinnig vor. 500 Euro für ein Accessoire hingegen irgendwie erst recht. Teufel auch, ich weiß beim besten Willen nicht, was ich machen soll, aber irgendeine Lösung muß her: sonst bekomme ich demnächst Falten vom Blinzeln gegen die Sonne, und das geht wirklich gar nicht.

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kelef, Montag, 25. April 2011, 16:42
haben sie schon die option umbramatic ventiliert? gerade bei kurzsichtigkeit ist die lichtempfindlichkeit besonders hoch. bei einer sich an der helligkeit selbst orientierenden brille hat man dann praktisch eine bildschirm-, sonnen-, wohnzimmerbrille in einem. kostet ordentlich kohle, ist aber sehr erholsam für die augen. und man kann sie nicht verlieren, weil man sie sowieso auf der nase hat. persönlich war das für mich jahrzehntelang die praktischeste und trotz des anschaffungspreises beste variation. jetzt, mit den kunstlinsen, habe ich zwei lesebrillen und zwei sonnenbrillen - alle immer dort wo ich sie gerade nicht brauche. hahaha. aber die op musste sein, wegen grauem star.

"für schön", wie das früher hiess, gibt es immer noch die kontaktlinsen-normale sonnenbrille-version.

damenwahl, Montag, 25. April 2011, 18:38
Das würde zwar das rauf-runter-Wechselproblem lösen, aber vermutlich nicht meinen modischen Vorstellungen gerecht werden. Ich hätte einfach gerne so eine richtig coole, modische Designer-Sonnenbrille. Seufz.

arboretum, Montag, 25. April 2011, 20:42
In einigen Jahren, wenn ich Geld haben werde, setzt vermutlich bereits die gegenläufige Altersweitsichtigkeit wieder ein, dann brauche ich es nicht mehr.

Das glauben Sie. Ich habe mir sagen lassen, dass man dann diese Brillengläser mit Gleitsicht braucht.

damenwahl, Montag, 25. April 2011, 21:10
Vielen Dank für die schlechten Neuigkeiten - das wird also alles nur immer schlimmer. Wunderbar.

frau klugscheisser, Dienstag, 26. April 2011, 02:39
Machen Sie Urlaub in Hong Kong oder Shanghai und lassen sich eine Brille in zwei Tagen für etwa 90 Euro machen. Das kann dann auch ein Kompromiss sein. Ich habe das regelmäßig gemacht. Inzwischen bin ich bei Kontaktlinsen angelangt. Blindfisch, ich.

damenwahl, Dienstag, 26. April 2011, 10:27
Aber sind die dann auch schön? Eine Freundin ist gerade in HK und hat mich eh eingeladen...

frau klugscheisser, Dienstag, 26. April 2011, 21:56
Sie kriegen dort dieselben Modelle wie überall anders auch. Designerware - ungefaked. Wenn Sie hinfahren, schicke ich Ihnen Tipps für zuverlässige Optiker.

damenwahl, Mittwoch, 27. April 2011, 10:30
Dann werde ich mich melden, sollte demnächst Urlaub möglich werden. Danke!

dergeschichtenerzaehler, Dienstag, 26. April 2011, 13:10
In einigen Jahren, wenn ich Geld haben werde, setzt vermutlich bereits die gegenläufige Altersweitsichtigkeit wieder ein, dann brauche ich es nicht mehr.

Das hatte ich bei meiner Kurzsichtigkeit auch immer gehofft, aber es wird wohl nicht passieren. Mathematisch gesehen könnte ja aus -2 Dioptrien 0 werden, wenn man im Alter +2 Dioptrien haben wird, aber das ist leider nicht so. Man ist dann Kurz- und Weitsichtig gleichzeitig und muss eine Gleitsichtbrille tragen. Die hat 2 Sehstärken in einem Glas...

(Oh steht ja schon weiter oben...)

damenwahl, Mittwoch, 27. April 2011, 10:28
Dann sollte ich vielleicht schnell einen Kurzurlaub in Istanbul planen, zwecks Lasern. Noch mehr Sehschwäche und ich bin blind.

c17h19no3, Dienstag, 26. April 2011, 17:45
hahaha. sehr schön.
ich habe von der 5. bis zur 7. klasse nur das gehörte mitgeschrieben und handelt mir zahllose tadel ein, weil ich nie das tafelbild in meinem heft stehen hatte. ich saß damals in der zweiten reihe, litt aber unter rasant fortschreitender blindheit, sodass ich nicht mal ein buch lesen konnte, wenn es weiter als 2 cm von meiner nase entfernt war.
mit 13 bekam ich dann meine erste brille, ein güldenes teil von grotesker hässlichkeit, dass aus mir bleichem, altmodischen kind das gespött der schule machte. ich wurde verspottet und verprügelt, mein fahrrad regelmäßig demoliert und meine büchertasche verschleppt - aber ich entdeckte auf einmal wieder die schönheit von dachziegeln, nummernschildern, kleingedruckte preise am supermarktregal und viele visuelle wunder mehr. plötzlich stellte sich dann auch noch heraus, dass ich sogar klug war und einmal richtig von der tafel abgeschriebenes sofort speicherte.

heute trage ich ausschließlich kontaktlinsen, außer kurz vorm zubettgehen - sofern ich das alleine tue. wenn nicht, stehe ich gern im roten objektschlafzimmer oder in sonstigen gemächern und sage ganz cool: "warte mal, ich muss noch eben meine augen rausmachen." je nach dem wie schön mein beischlafopfer ist, nehme ich die linsen vor oder nach dem sex raus.
ich habe inzwischen auch eine neutrale brille, die mich nicht direkt hässlich, aber auch nicht schöner macht.

als kontaktlinsen-fan rate ich daher zur variante normale sonnenbrille + linsen. meine sonnenbrille (ebenfalls modell stubenfliege tout en noir) hab ich auf dem flohmarkt gefunden. sie kostete 1 euro.

damenwahl, Mittwoch, 27. April 2011, 10:29
Das deckt sich mit meinen Erfahrungen - nach dem grün-rot-blauen Modell folgte ein Gestell in Gold und Lila. Allerdings hätte vermutlich auch die coolste Brille der Welt nicht die unsäglichen rosa Breitcordhosen kompensieren können, die mich zum Outcast machten.

ilnonno, Mittwoch, 27. April 2011, 11:48
Wenn Ihre erste Brille keine von der Mutter dringend angeratene Hornbrille war, hatten Sie alle unverschämtes Glück. Gibt es eine Dissertation, was Mütter da eigentlich denken? Diese Strumpfhosen, meine Güte...

damenwahl, Mittwoch, 27. April 2011, 12:49
Ich war es, die unbedingt weiße Söckchen in offenen Sandalen tragen wollte - das hatten nämlich die anderen Provinzprinzessinnen in der Schule auch an. Aber das vergißt man zu gerne.

berenike, Donnerstag, 28. April 2011, 21:35
Noch ne Möglichkeit, der fortschreitenden Verblindung zu entkommen: Augentraining!
Ich hatte so schlimmen Astigmatismus, dass Optiker regelmässig entsetzt die Hände über den Kopf zusammengeschlagen haben. Ist jetzt ganz weg. Und Kurzsichtigkeit von -4,5 und -5 auf -3 reduziert. Den Rest schaffe ich auch noch.

damenwahl, Donnerstag, 28. April 2011, 23:45
Wie das? Wo? Gibt's dafür ein Fitti?

ilnonno, Freitag, 29. April 2011, 00:42
Würde mich auch interessieren. Allerdings eher theoretisch, ich lebe seit 25, nein 30 Jahren mit unveränderten -4,5 und Brille sehr gut. Im Gegensatz zu Gelegenheitsbrillenträgern weiß ich auch immer, wo meine ist...

berenike, Freitag, 29. April 2011, 00:44
Was ist denn ein Fitti?

Ansonsten: Leo Angart, Vergiss deine Brille. Nymphenburger Verlag, 2004

Der Titel ist doof, das Buch ist gut.

damenwahl, Freitag, 29. April 2011, 01:10
Fitnessbude. Danke für den Tipp, haben muß.

arboretum, Freitag, 29. April 2011, 00:24
aber angesichts langer Tage vor dem Bildschirm trage ich schon seit Jahren wieder meistens Brille

Ich trage seit etwa 18 Jahren Kontaktlinsen und sitze auch ziemlich viel am Computer, aber das ist kein Problem. Klimaanlagen sind für mich hingegen scheußlich.

damenwahl, Freitag, 29. April 2011, 00:42
Ich kann's nicht. Probiert, aber es bekommt meinen Augen gar nicht, und so eitel bin ich dann auch wieder nicht. Die meisten meiner Kollegen sind mit Linsen auch glücklich vor dem PC.

ilnonno, Freitag, 29. April 2011, 00:46
Ist es nicht so, dass man Brillenträgern ansieht, dass sie gerade keine Brille aufhaben, wenn sie gerade ausnahmsweise keine Brille aufhaben? Also mit Linsen oder halbblind unterwegs sind.

damenwahl, Freitag, 29. April 2011, 01:09
Ich denke, daß man mir nach Jahrzehnten der Erfahrung beides abkauft.