Montag, 6. Dezember 2010


Fast so gut wie ein Bild von mir: ein Bild von meinem wunderbaren Ski. Der mich nur ganz selten in den Schnee geschmissen hat.

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Freitag, 3. Dezember 2010
Auszeit
Liebe Leser,
ich kann gerade nicht. Ich beginne dieses Wochenende meine Karriere als Skihaserl, die Ausstattung steht gepackt in der Ecke (was man nicht alles braucht!), inklusive Arbeitslektüre, sollte ich es nicht bis auf die Piste schaffen oder kläglich versagen.
Ich rechne allerdings fest damit, daß meine neuen Supersonderskier mich wie von alleine den Idiotenhügel hinuntertragen werden, es besteht also kein Anlaß zur Sorge.
Nächste Woche kann ich dann leider auch nicht, da muß ich arbeiten, um das Geld für die Skier, den Pass und den ganzen anderen Krempel zu verdienen.
Falsche Reihenfolge, ich weiß, aber ich hatte keine Wahl. Sehen Sie es mir nach, bleiben Sie mir treu und schauen Sie doch gegen Weihnachten wieder herein. Oder gleich erst in 2011. Könnte sein, wenn ich morgen als Naturtalent entdeckt werde, daß ich die kommenden Wochenende sämtlich auf den Idiotenhügeln der Umgebung verbringe. Wo wir doch schon mal so schön viel Schnee haben, der bei -15 Grad auch sicher noch lange liegenbleiben wird. Aber wir werden sehen, Zigaretten und Rum, innerlich angewendet, haben bisher noch immer geholfen.
Herzlichst, Ihr
Skihaserl in spe

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Sonntag, 28. November 2010
Kurzurlaub
Das Gute am "für Geld arbeiten" ist, daß man Freitags abends meistens frei hat. Endgültig, ohne Einschränkungen. Laptop aus, Bücher zu, fertig. Keine Pflichten.

Das Ungute am Doktorandenleben ist, daß es immer etwas zu tun gibt. Man arbeitet ja nicht für Geld, für irgendeinen Boss, sondern für sich und daher ist das schlechte Gewissen mein ständiger Begleiter.

Nach zwei fleißigen Wochenenden war der Samstag wie ein Kurzurlaub. Spaziergang im Schnee. Essen beim Thailänder, weltbestes Curry (noch besser als Käsefondue, ich habe die Sauce am Ende ausgelöffelt). Dazu viel Wein und Musik.

Gerade meine Zauberflöte mit William Christie wiedergefunden. Der Klang ist jedes Mal eine Offenbarung, die mir das Herz aufgehen läßt.

Ein bißchen gearbeitet heute, die Geldarbeit findet ja nun am Wochenende statt, fast zu wenig fürs gute Gewissen, aber Urlaub muß auch mal sein. Wenn auch nur Kurzurlaub.

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Donnerstag, 25. November 2010
Einkaufsbummel
Deutschland. Drei Stunden. Sechs Aufträge. Eher: Einkaufsjoggen. Einkaufsjagen. Einkaufshetzen.

1. Laufsocken kaufen. Ich bin eher der No-Nonsense-Typ, ich brauche keine ausgewählte Funktionsunterwäsche für jede Sportart, und schon gar kein High-Tech – Hauptsache ich bin praktisch angezogen. Dachte ich, bis ich nach dem Erwerb neuer Laufschuhe vor einigen Jahren regelmäßig barfuß mit kaputten Füßen nach Hause humpeln mußte. Da ich die Schuhe als wesentliche Investition betrachtete und nicht austauschen wollte, habe ich nolens volens die Tennissocken von C&A gegen Funktionszeug getauscht – und nie bereut. Treue Dienste haben sie geleistet bis vor zwei Wochen – als ich sie etwas zu beherzt aus dem Schuh hochziehen wollte und sie mit lautem Ratschen gerissen sind.
3. Kalenderblätter kaufen. Der 31. Dezember ist nämlich schon komplett vollgeschrieben mit Terminen und Notizen für 2011 und neue Einlagen, Blätter, Ferienkalender etc. waren dringend notwendig. [Edit: habe die falschen gekauft. Da muß sich eine Größe geändert haben. Mist.]
4. Päckchen zur Post bringen. Deutsche Post erspart die Zollformalitäten, Erklärungen, vom Geld gar nicht zu reden – daher wenn möglich deutsche Post. Erst recht bei Päckchen. Meine Mutter hat für mein Nikolauspäckchen 30 Euro Porto bezahlt und meinen Vater (der den Postboten gab) damit an den Rand des Herzkaspers getrieben.
5. Aldi-Einkauf. Sehr wichtig, Kühlschrank wieder vollmachen mit guten Dingen, die in der Schweiz jenseits meines Budgets sind. Gorgonzola, Dominosteine, feine Joghurts, Prosecco... solche Sachen. Dafür kaufe ich hier auch ökologisch bewußt auf dem Wochenmarkt.
6. Skier abholen. Um Punkt achtzehn Uhr Verabredung mit der Freundin eines Freundes mit deutscher Postadresse, zwecks Abholung meiner Skier, Verbringung zum Zoll für Stempel zur Steuererstattung und dann mit der Bahn Weitertransport in die steuerbegünstigte Heimat. Das war der Plan. Madame betritt die Zollstelle mit einem Riesenpaket: mannsgroß, im Ernst. Zöllner fragen: "Junge Frau, was haben Sie denn da drin? Ist da etwa ein Mann verpackt?" Ich so, etwas keck: "Nein, kein Mann... obwohl, das wäre ja gar nicht schlecht. Andererseits: der müßte doch sehr mager sein, um da reinzupassen. Skier". Woraufhin ich meine Last absetzte, das Paket öffnete, und die Papiere rausholen wollte. Bedauerlicherweise hatte der Händler das Zollformular vergessen, so daß ich wie ein begossener Pudel dastand. Beeindruckendes Riesenpaket, kein Formular. Die netten Herren haben mir dann die Rechnung gestempelt und mir damit einen Freibrief verschafft, beim Händler Theater zu machen. Vorfreu. Als Entschädigung für die Mühsal, mit dem Zeug zu Fuß durch die halbe Schweiz zu reisen. Auf der Heimfahrt viel mir auf: die waren so mit flirten beschäfigt, daß sie nicht mal nach meinem Schweizer Ausländerausweis gefragt haben. Den ich nicht dabei hatte. Ha!

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Jetzt haben Sie vielleicht gemerkt, daß ich – als Wirtschaftswissenschaftlerin! - nicht bis sechs zählen kann. Das Highlight nämlich kommt zuletzt, hier jedenfalls, war aber eigentlich Punkt 2 auf der Liste: *trommelwirbel*: ein Friseurtermin. Ich kann endlos unbekümmert und völlig uneitel tagaus tagein mit dem selben Topfschnitt rumlaufen, irgendwo um und bei schulterlang, „in den Spitzen etwas durchgestuft“, was Friseure halt so machen, damit die langweilige Einheitsfrisur etwas netter aussieht. Das wird dann in den inaktiven Phasen alle 8 Monate nachgeschnitten, damit es um und bei schulterlang bleibt, mehr nicht.

Alle zwei Jahre packt mich dann ein Rappel, es soll anders werden, ich möchte mal was Neues im Spiegel sehen, aber wenn ich erst mal beim Friseur auf dem Stuhl sitze und die Schere klappert, fehlt mir doch der Mut zu radikalen Änderungen. Zumal, wenn der Friseur meines Vertrauens bei allen von mir ausgewählten Bildchen den Kopf schüttelt, bedauernd verneint und immer wieder sagt, das sei bei meiner Haarstruktur nicht realistisch. Und am Ende auf Rückfrage verkündet: "Realistisch ist ohne Volumen". Ernüchterung. Mut zur Veränderung verflogen.

Dieses Mal nicht. Ich hatte gezielt einen Friseursalon der besseren Sorte ausgesucht, habe ausführlich mit dem Fachmann diskutiert und bin jetzt generalüberholt: Haare ungefähr wie Meg Ryan zu ihren besten Zeiten. Zopf geht nicht mehr. Gar nicht. Ob ich das dekorative Endergebnis von heute auch morgen vor dem heimischen Spiegel – mit Hilfe der neu erworbenen Haarpflegeprodukte – reproduzieren kann, werden wir sehen, aber für den Moment bin ich begeistert. Langer Tag, aber sehr erfolgreich.

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Dienstag, 23. November 2010
Gerechter Ausgleich
Letztes Jahr hatte ich viel Sommer. Von Juni bis Juli bei 30° aufwärts in Tunis. Von Juli bis September bei 25° unter grauer Wolkendecke in Kinshasa (Trockenzeit) und dann bis Dezember mit Sonnenschein (Regenzeit) und noch mehr Hitze. Der deutsche Dezember bei der Landung war ein Schock.

Dieses Jahr war es umgekehrt: ich hatte den verregnetsten Sommer meines Lebens. Ich kann mich von Mai bis Ende September an vielleicht vier Wochen ohne Regen erinnern.
Direkt vor meinem Fenster ist ein anderes Hausdach mit verstopfter Regenrinne, und so wußte ich schon beim Aufwachen, wann es ein Schirmtag werden würden. Wobei: hier sind alle Tage Schirmtage, sicher ist sicher. Anfangs war ich noch naiv, und dachte um 8h morgens: erst mal frühstücken. Es hört bestimmt gleich auf. Nach dem Frühstück dann: vielleicht mal Mails checken, es muß ja bald aufhören. Gen Mittagessen holte ich die Arbeit mit aufs Sofa und wartete weiter. Nachmittags puzzelte ich vor mich und gab den Vorsatz auf, zur Arbeit zu gehen.

Als nächstes verabschiedete ich mich von der Vorstellung, an Regentagen nicht das Haus verlassen zu wollen. Ich wäre sonst zum Einsiedler geworden und hätte inzwischen das Sprechen verlernt. Der Regelfall im Sommer war: morgens um acht Regen. Auf dem Weg zur Arbeit: Regen. Auf dem Weg zum Mittagessen um eins immer noch Regen. Bei der Kaffeepause ebenso. Und abends im Regen wieder heim. Nachts um zehn am Telefon, vor meinem Fenster: Weiter Regen. Und morgens um acht: immer noch Regen. Un_un_ter_brochen. Regen. Ich erwarb einen qualitativ hochwertigen Schirm (fünf Jahre Garantie, nix Schl*cker), Gummistiefel und eine elitessengerechte Wachsjacke.

Mittlerweile ahne ich: ich sollte auch noch das Wachsjackenmodell mit Winterkragen aus Pelz und Wollfutter anvisieren. Der Schnee im Winter verhält sich nämlich wie der Regen im Sommer: er fällt ohne Unterlaß vom Himmel. Ganze Tage ohne Pause. Zunächst jedoch habe ich Skier erworben - die kann ich demnächst möglicherweise sogar für den Heimweg bergab nutzen. Oder ich schaffe einen Rodel an. Mit Motor für bergauf fahren morgens. Das wäre mal was.

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Donnerstag, 4. November 2010
Zivilisation
Gestern habe ich gerade zu einen Clash of Civilizations erlebt: eine junge Frau präsentierte Forschungsergebnisse basierend auf Daten aus Senegal. Man muß kein Held sein, um zu wissen, daß die Datenqualität in solchen Ländern mit dem reichlich sprudelnden Statistikquell eines Bundesamtes nicht zu vergleichen ist, das war schon in Ordnung. Schwieriger war es mit der überaus praktisch orientierten Fragestellung: so praktisch, daß es den hiesigen Wissenschaftlern zum Teil schwerfiel, den Sinn darin zu erkennen.

Es ging um Gesundheit und Sensibilisierung für Risiken und so schön es wäre, könnte man aus bestimmten Maßnahmen weniger Krankheitsfälle herauslesen - so einfach ist die Welt leider nicht. Immerhin: bestimmte Indikatoren wiesen darauf hin, daß verschiedene Informationsmaßnahmen unterschiedlich wirksam sind und das ist für den Praktiker durchaus relevant. In der Präsentation ging es trotzdem hoch her aufgrund fundamentaler Verständnisprobleme, Wissenschaftler aus dem Elfenbeinturm gegen pragmatische Praktiker, ein Kollege exponierte sich mit drastischen Fragen, ein anderer kam heldenhaft angeritten wie der Ritter auf dem weißen Pferd und nahm die junge Wissenschaftlerin in Schutz - das ist heute immer noch das Gesprächsthema des Tages, sonst passiert hier helten sowas aufregendes.

Hier ist es jetzt auch Gesprächsthema, es zeigt nämlich sehr schön das Bemühen von Entwicklungszusammenarbeit, die eigene Arbeit zu verbessern. Interessant in diesem Zusammenhang, wer sich bei der Entwicklungszusammenarbeit vorbildlicher Transparenz befleißigt und wer es bei Lippenbekenntnissen belässt.
Das deutsche BMZ hält sich wacker im oberen Mittelfeld, Niederlande und Vereinigtes Königreich sind die beiden bestplazierten bilateralen Geberländer, und siehe da: die vielgescholtenen multilateralen Organisationen belegen fast durchweg Spitzenplätze. Ganz oben die Weltbank, dahinter die EU, außerdem die Asian Development Bank und - Überraschung! - die African Development Bank. Wie die da oben gelandet sind, ist mir völlig rätselhaft, die Homepage war noch vor gut einem Jahr ein uninformatives Chaos, aber solche Neuigkeiten wärmen mir das Herz.
Auch die Vereinten Nationen schneiden nicht schlecht ab, es wird ja viel geklagt über Geldverschwendung bei den großen Organisationen, über Korruption und Vetternwirtschaft, ohne Beziehungen kommt man ohnehin nicht rein, und für jede Büroklammer muß man Papiere und Projektanträge ausfüllen.

Vor gut einem Jahr unterhielt ich mich mit einer jungen Frau, die gerade sehr ernüchtert von ihrem ersten Einsatz bei einer großen Organisatione zurückgekehrt war und befand: das viele Geld für Bürokratie und Formalia solle doch lieber in Projekte investiert werden. Ich habe vehement protestiert, meine ich doch, daß große Organisationen (ebenso wie Wirtschaftsunternehmen) nicht nur über Vertrauen funktionieren können. Vertrauen als organisatorische Grundlage geht gerade solange, wie eine Handvoll Vorgesetzer alle Mitarbeiter wirklich gut kennt. Wenn das nicht mehr gegeben ist, sind klare Regeln, Vorschriften und Kontrollen sehr viel geeigneter, gewisse Standards zu sichern. Standards, wie die Länge des Arbeitstages, die vertretbaren Reisekosten, die Formate von Unterlagen, die Verfahren zur Einstellung neuer Mitarbeiter - einfach alles. Vierzig Personen können sich da noch einigen und an einem Strang ziehen - 4.000 können das nicht und dann sind Regeln prima. Leider kosten Regeln und deren Durchsetzung Zeit und Geld, produzieren viel Papierkram und natürlich kann man sagen, das ist Verschwendung, wenn es doch um die Umsetzung wohltätiger Zwecke geht.

Ich finde es trotzdem gut, vernünftig, geradezu weise. Vertrauen in die Einhaltung von Regeln ist gut, Kontrolle mit Belegen ist besser, und es freut mich zu sehen, daß die vielen Papierberge, die bei großen Organisationen - unbestreitbar - produziert werden, auch zu etwas führen: einer Transparenz, die man messen kann. Da weiß man immerhin, wo unsere Steuergelder hinwandern, auch wenn solche Studien natürlich nicht viel über interne Effizienz sagen und mancher Mißstand unberücksichtigt bleibt.

Man soll sich ja auch über das Licht in der Finsternis freuen, nicht immer nur jammern und klagen.

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Dienstag, 2. November 2010
Ein Topf voller Überraschungen
Als Kind waren wir gelegentlich wandern, wobei mein Vater sich dadurch auszeichnete, daß er zwar stets im Besitz der aktuellsten Wanderkarten und Busfahrpläne war, jedoch ganz sicher irgendwann eine Abkürzung nahm, die keine war. Wir wanderten dann ein paar Stunden länger, sahen etwas mehr von der Welt und kamen etwas später am Ziel an.
Bedauerlicherweise fürchte ich zunehmend, daß ich nach meinem Vater geraten bin: ich verpasse an den entscheidenden Weggabelungen den richtigen Weg, merke es irgendwann und brauche dann leider für alles etwas länger als andere.

Zehn Jahre nach dem Beginn meiner universitären Karriere (und acht Jahre nach allen andere) habe ich endlich das richtige fachliche Umfeld gefunden, und beobachte grün vor Neid mit leichtem Bedauern jene jugendlichen Überflieger, die schon jetzt mehr über unser Fach wissen, als es bei mir je der Fall sein wird. Berufserfahrungen bei gut beleumundeten Arbeitgebern kann ich inzwischen wohl vorweisen, aber ich habe auch etliche Monate meines Lebens mit Praktika in der zweiten und dritten Liga verbracht – während die junge Elite in diesem Alter längst beim Auswärtigen Amt hospitiert und bei M*Kinsey gerackert hat.

Wäre ich an der richtigen Abzweiung Investmentbanker geworden und hätte die Boomjahre miterlebt, das Rentenalter käme dank üppiger Boni schon beinahe in Sicht, aber stattdessen schufte ich wie ein Hamster im Laufrad und - schreibe Klausuren. Heute morgen, auf dem Weg zur Bank, wo die monatliche Miete ein erschreckendes Loch in mein Budget gerissen hat, dachte ich: es wäre wahrhaftig an der Zeit, daß mal wieder was Nettes, was Überraschendes passiert.

Und ich meine nicht die Sorte von Überraschungen, die Schusseligkeit, Hektik und Überarbeitung mir tagaus tagein bescheren. Morgens reisse ich das Paket Mehl versehentlich mit dem Müsli aus dem Schrank und es fällt – natürlich – in die vorbereitete Joghurtschüssel, der bis unter die Decke spritzt. Kaufe ich auf dem Weg zum Bahnhof ein Gebäckteilchen, gelingt es mir, die Füllung nicht nur harmlos auf der Hose zu verteilen: nein, bis in den Jackenärmel hat es das Klebzeug geschafft. Ganz steifgetrocknet, inzwischen. Wo immer ich im Moment hinkomme, sind garantiert Schlangen, und umso länger, je mehr ich in Eile bin. Ich schütte den Kaffee morgens grundsätzlich neben die Kanne, vergesse Unterlagen im Büro und merke es am Fuße der Treppe, verpasse die Anmeldefrist für den Nebenjob nächstes Jahr, schreibe schwachsinnige Mails, für die ich mich später nur auf Knien entschuldigen kann – kurz, ich bin im Moment voller Überraschungen für mich selbst, ein Trampeltier.

Die Überraschungen, die ich mir wünschen würde, sind anderer Art. Nett wäre zum Beispiel ein Dukatenesel mit rosa Schleifchen um den Hals (Lieferadresse wird auf Anfrage herausgegeben). Die Finanzierung für das Seminar, das ich so rasend gerne besuchen würde. Oder auch die Zuerkennung des verdammten Titels für herausragende – wiewohl von jedermann unbeobachtete – Erkenntnisfortschritte auf dem Niveau eines Bachelor-Studenten im zweiten Jahr. In Ermangelung solcher Wohltaten wird mir aber nun wenigstens die Sorge um die drohende Freizeit ab Mitte November abgenommen: mein alter Vorgesetzter hat Schreibtischaufgaben zu erledigen.

Ursprünglich mal ging es um Arbeiten zu, sagen wir... Thema A, Deadline Mitte des Jahres. Deren fristgerechter Abschluß war aus allerlei Gründen (damals war ich unschuldig!) irgendwann hinfällig, andere Leute wurden miteinbezogen, Daten erhoben, zwischendurch im September waren wir kurz in Verhandlungen. Eine Reise in die Wärme hätte ich keinesfalls abgelehnt, auch nicht das neue Thema B, aber am Ende zogen sich Verhandlungen mit Dritten länger hin und irgendwann war ich nicht mehr abkömmlich, weil ein Visum nicht in drei Tagen zu beschaffen ist, und so blieb ich hier.
Jetzt also ein neuer Anlauf, die Fristen für Thema A sind inzwischen auf Ende des Jahres verschoben worden (das habe ich in gelegentlichen Verteiler-Mails noch mitbekommen), die Mitarbeiterzahl am Projekt ist gewachsen, und Thema A ist nicht mehr Thema A. Ich habe ja noch einige Tage Zeit mir darüber klarzuwerden, wo eigentlich der Berührungspunkt zwischen den neuen Aufgaben und dem ursprünglichen Thema ist. Den muß es geben, das suggeriert die Nachricht des Vorgesetzten ganz deutlich (Sätze wie „as discussed earlier“ weisen darauf hin), ich habe nur noch nicht rausbekommen, wie. Das bißchen mehr Chaos fällt in meinem Chaos-Universum im Moment kaum auf, macht also nix.

Immerhin, das ist schon sehr viel näher dran an den gewünschten Überraschungen als Mehl im Joghurt. Ist wie beim Topfschlagen: Nur weiter so.

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Donnerstag, 21. Oktober 2010
Ach und Weh
Für die Seele: laufen, auf dem Berg. In der einen Richtung bereits der Vollmond, in der anderen ein spektakulärer Sonnenuntergang, der ganze Himmel rosarot-pastell, mit glitzernden Kondensstreifen. Keine Kühe mehr. Nur Stille. Danach Mozart, Sonaten für Klavier und Violine. Auch für die Seele.
Die heute einiges einstecken mußte. Ich habe mir entschieden zuviel Arbeit aufgeladen und komme kaum noch hinterher mit Hausaufgaben, Nacharbeiten, Vorlesungen. Irgendwo sitzt außerdem jemand, der Papierpfeile auf mich abschießt, jeden Tag neue administrative Aufgaben, Erstattungen für die Bahn, Steuerfragen, Versicherungsangelegenheiten, Sommerkurse, Mails. Ein Berg von Papierkram, der nicht kleiner werden will und an meiner Aufmerksamkeit zehrt.

Ich breche alle Rekorde in meinen Bemühungen, morgens aufzustehen: drei Wecker. Den ersten ignoriere ich so vollkommen, daß ich mich an sein Klingeln meist nicht einmal erinnere. Den zweiten ebenfalls, beim dritten ist das unmöglich: ein schepperndes, altes Aufziehding. Das ist der, bei dem ich eigentlich wirklich, jetzt sofort, unbedingt aufstehen sollte. Meistens drehe ich mich trotzdem noch mal um, überlege, was ich anziehen soll, oder vielleicht doch einfach liegenbleiben. Habe ich mich endlich hochgequält, ist es so spät, daß ich die Hälfte der Tage ohne Frühstück in die Uni stürze.

Mittags kämpfe ich heroisch gegen das Postmahlzeit-Tief. Will nur den Kopf auf den Tisch legen und schlafen, aber wenn jemand reinkäme? Mich so sähe? Ruf endgültig ruiniert als Faulenzer, das geht nicht. Also stiere ich stumpf auf den Bildschirm und mühe mich weiter. Ab sechzehn Uhr kämpfe ich gegen Wunsch, heimzugehen, auch hier schlage ich mich wacker, unterstützt von etlichen Bechern Kaffee. Vorgestern hatte ich beim Anblick der Unterlagen ein Déja-vu, ich glaube, ich habe tatsächlich von Vorlesungsfolien mit Formeln geträumt, die vorige Nacht.

Vor dem Träumen jedoch kommt die Schlaflosigkeit. Abends gehe ich voller guter Vorsätze zeitig ins Bett, und liege dann wach, kreise gedanklich um dumme Probleme und die kleinen Sorgen des Alltags. Das Stipendium für den Sommerkurs. Das andere Stipendium. Die Sorge um die Versicherung. Die anstehende Klausur. Die unbeantwortete Mail. Tausend Kleinigkeiten fallen mir ein, panisch schreibe ich nachts noch Mails, stehe um Mitternacht wieder auf und sortiere Unterlagen, oder sitze am Fenster und rauche – aus Prinzip, um der Probleme Herrin zu werden.

Heute dann eine Absage nach der anderen. Die Ohrfeigen kamen so schnell – patsch! patsch! patsch! - daß ich kaum Zeit hatte, die andere Wange hinzuhalten. Immerhin: aller Sorgen solcherart auf einen Schlag enthoben, gibt es wirklich keinen Grund, heute Abend wachzuliegen. Ich werde ganz wunderbar einschlafen und von schönen Dingen Träumen, dessen bin ich gewiß.

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Freitag, 24. September 2010
Provinz vs. Metropole
Es gibt in den späten Harry-Potter-Filmen einige Szenen, wo Harry in die Erinnerungen anderer Leute eintaucht. Die Erinnerung schimmert wie eine silbrige Flüssigkeit in einer Schüssel und sobald Harry das Gesicht in die Schüssel taucht, wird er kopfüber in die Erinnerung hineingezogen. So ungefähr kommt mir mein Berlin-Ausflug vor: geradezu unwirklich in seiner völligen Andersartigkeit, verglichen mit der beschaulichen Schweizer Provinz.
Am ersten Abend war ich bei einer Podiumsdiskussion im Auswärtigen Amt, ganz knapp vom verspätet gelandeten Flugzeug jetzte ich nach Mitte, schlich am Ziel etwas verschämt durch Horden von Anzugträgern um mich herum. Schöne Räume, auf jene ganz bestimmte, anonym-elegante Art geschmacksneutral eingerichtet, die öffentlichen Repräsentationsräumen oft zu eigen ist. Etwas verloren hielt ich Ausschau nach den wenigen mir bekannten Gesichtern, die wiederum im Gespräch mit anderen Anzugträgern waren. Im Gespräch mit einem Botschafter (endlich ein vertrautes Gesicht, das mich rettete) fiel mir auch irgendwann ein, mein Jackett ebenfalls überzuziehen, statt es über dem Arm zu tragen. Später soufflierten die Freunde Namen zu dem ein oder anderen nicht völlig unbekannten Gesicht der Politszene und ich lauschte und war beeindruckt.

Im Anschluß gab es Häppchen und Wein, Espressotassen mit Blumenkohlschaumsüppchen, fritierte Garnelenschwänze an Erdnußbutter, Petit Fours und Mangocreme, dazu ein hervorragender Riesling und Service, der auf unaufdringliche Weise die Gläser immer voll hielt. Alles ganz wunderbar, aber sehr anders als Mensaessen in Jeans mit den Kollegen. Während die Freunde sich dem Networking widmeten, drückte ich mich am Rand herum, versuchte mich unsichtbar zu machen, studierte die Bilder an der Wand und gab vor, die Aussicht aus der siebten Etage über Politberlin zu genießen.

Überhaupt Politik. Berlin ist ja zuallererst unsere hippe Metropole, Zentrum für Künstler, Kreative und Biolektuelle, Berlin ist endlich mal etwas, worauf man im Ausland stolz sein kann Sogar New Yorker beneiden uns seit neuestem, für einen Wohnsitz in Prenzlauer Berg muß man sich selbst im Meatpacking-District nicht schämen, wurde mir zugetragen. Von all dem habe ich viel gehört, und sogar eine Provinzgans wie ich kann Personen mit offensichtlich eigenwilligem Kleidungsgeschmack den hippen Künstlerzirkeln zuordnen, aber damit erschöpft sich meine Kenntnis dieser Szene. Anders verhält es sich mit der Politik. Kann sein, ich bilde mir das alles ein, aber irgendwie habe ich in Berlin immer das Gefühl, Politik liege in der Luft. Einerseits hatte ich das Glück (oder Unglück?), vermutlich mehr Botschaften und Ministerien von innen gesehen und mehr namhafte Politiker in Vorträgen erlebt zu haben, als, sagen wir, die Mehrheit meiner Mitschüler in der heimatlichen Provinz. Obwohl ich selbst damit rein gar nichts zu tun habe, nie in Berlin gearbeitet, nie in der Politik intrigiert habe, gibt es doch in meinem Freundeskreis das ein oder andere Rädchen des Establishment und so sehe ich in Berlin Mitte zwar die Touristen, verzweifelt auf der Suche nach der nächsten S-Bahn Station, aber gleichzeitig halte ich die Augen offen nach der großen Politik, die hier gemacht wird. Ich halte die Nase in den Wind und frage mich, hinter welchem der Fenster gerade Beschlüsse gefasst werden, wo fleißige Referenten Abstimmungsvorlagen erstellen, und Lobbyisten bei einem Café im Caras oder Einstein die Beamten zu beeinflussen suchen.

Überhaupt Berlin. Im Alter von siebzehn Jahren bescherte das Schicksal mir eine Freundin in Berlin. Westberlin. Die Familie wohnte in Charlottenburg, oder so, zwei Etagen Stilaltbau, hervorragend saniert, drei Meter hohe Decken, Stuck, dazwischen moderne, aber sehr extravagante Möbel, eine traumhafte Dachterrasse. Ich erinnere mich noch an einen der ersten Abende, wir gingen mit den Eltern und ihrem Bruder zum Lieblingsitaliener um die Ecke. Die Art, wie meine Gastgeber freundschaftlich vom Koch begrüßt wurden, dort frischer Parmesan auf den Tisch kam, Olivenöl mit Brot, Pfeffer frisch auf den Teller aus einer riesigen Mühle, beeindruckte mich nachhaltig. Wir hatten zwar auch unsere Stammrestaurants in der Provinz, wo man vom Personal vertraut begrüßt wurde, aber in Berlin schien alles unendlich viel mondäner. Wir zwei Mädels gingen bummeln am Ku'Damm und einige Jahre später auch auf Cocktailparties in Kreuzberger Ruinenhäusern, wo ich den ersten Mojito meines Lebens trank und mich sagenhaft cool fand.

Heute gehen alle coolen Leute, die ich kenne, prinzipiell nur noch im Osten aus. Kreuzberg, Prenzlberg, Friedrichshain. Viele Freunde, die seit 2000 in Berlin studiert haben, kennen den alten Westen gar nicht mehr so recht – zu peripher, Alte-Leute-Viertel. Niemand von ihnen käme auf die Idee, im alten Westen zu wohnen, Neukölln muß es sein, oder Friedrichshain. Donnerstagsmorgens kamen mir die Straßen in Charlottenburg reichlich leer vor, endlos mußte ich nach netten Cafés suchen, selbst ein Starbucks wäre irgendwann willkommen gewesen, aber die Kaffeeketten-Dichte war mit Schwarzafrika zu vergleichen. Vielleicht liegt es an der mangelnden Ortskenntnis, aber ich fühlte mich in Westberlin verloren – in Mitte hingegen kann man in Touristenströmen untergehen und muß nicht stundenlang durch Geschäftsstraßen irren, bevor das nächste halbwegs akzeptable Restaurant kommt. Ich kam mir alt vor, mit meinen Erfahrungen einer anderen Zeit, und etwas verloren.

Zurück mit einem ordentlichen Päckchen Neid auf das mondäne Leben der Freunde im Gepäck, sitze ich nun wieder in der Schweizer Gemütlichkeit, habe fünf wunderbare Tage sonnigen Herbst genossen, mich beim Joggen am Duft nach Heu, Gräsern und Herbstblumen erfreut, die Kühe auf den Wiesen mit ihren bimmelnden Glocken beobachtet und muß sagen:

all das ist auch nicht so schlecht.

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Samstag, 11. September 2010
In guter Gesellschaft
Den heutigen Tag in trauter Zweisamkeit mit meinen Dämonen verbracht. Einer dieser Tage, an denen einen jeder Anblick melancholisch macht, jeder Gedanke von Wehmut über vergangene Zeiten begleitet ist, und man ohne Unterlaß gedanklich am eigenen Scheitern kaut, all den Dingen im Leben, die man anders hätte besser machen können oder wo das Schicksal ungerecht war.

Wenn man in einem Umfeld wanderwütiger Kollegen lebt, selbst aber aller Wanderlust durch eine Überdosis verlustig gegangen ist, macht das solche Wochenenden nicht einfacher. Freitag zum Beispiel, mit einer Kollegin beim Kaffee:
Ich so: Und bist Du dieses Wochenende hier?
Sie so: Hm, eigentlich sollte ich ein paar Sachen von Zuhause besorgen, aber bei dem schönen Wetter im Zug zu sitzen... ich überlege noch.
Ich so: Die Kollegen Fritzchen und Fridolin wollen wandern gehen, ich habe überlegt, ein bißchen nach Konstanz zum Bummeln zu fahren.
Sie so, errötend: Ich wäre dann doch auch eher für wandern.

So ist das also. Eigentlich war mir am Samstag morgen über Frühstück und Zeitung die letzte Lust zu einem Einkaufsausflug auf der anderen Seite der Grenze vergangen und die paar Toilettenartikel, die ich kaufen wollte, so sagte ich mir, könnten in der Schweiz ja kaum soviel teurer sein. Ein paar Franken, was soll's. Nach zwei Stunden Arbeit vor dem Computer (Dämonen mögen Arbeit nicht, sind sehr faul, meine jedenfalls, und nehmen beim Anblick der Zahlen Reissaus) raffte ich mich zu den notwendigen Besorgungen auf, stand eine halbe Stunde später im Coop und stellte fest: Zeug-zum-Haare-schön-machen kostet hier 15,90 CHF. In Worten: fünfzehn Komma neunzig Franken. Die ganz billigen Varianten, in den unteren Regaletagen versteckt, noch immer zwölf Franken, die teuersten über zwanzig. Nachdem ich mich vom ersten Schrecken dieser Mondpreise erholt hatte, rechnete ich nach: zwölf Franken die Zugfahrt, vier Euro das gewünschte Produkt in Deutschland – rechnet man den Aufwand nicht ein, lohnt sich die Fahrt schon für eine dumme Flasche Drogerieprodukt.

Eine Stunde später war ich in Konstanz und durchaus angetan. Das ist wirklich ein putziges, kleines Nest. Viele schöne Häuser, alte Bleiglasfenster, versteckte Gassen, wunderbare Cafés. Selbstverständlich sah ich den einzigen Kollegen, der dort wohnt, auf dem Marktplatz. Er mich nicht, ich war versteckt hinter meiner Sonnenbrille, distanziert vom Leben um mich herum, ein Beobachter ohne gesehen zu werden. Gefühlt, zumindest.

Nachdem die Pflichteinkäufe abgearbeitet waren, sammelte ich den Rest des Tages unzusammenhängende Eindrücke vom Leben.

Ich wußte nicht, daß ich Kastanien am Geruch erkennen kann, aber so ist es. Noch bevor ich den ersten Baum auf dem Münsterplatz wahrgenommen hatte, war mir klar: hier stehen herbstliche Kastanien.

Ich habe keine Ahnung, warum ich als Kind Softeis so sensationell fand, heute schmeckte es einfach nur fade. Aber das Wasser des Bodensees im Hafen war so unendlich türkis, als hätte jemand die Realität gefotoshopt.

Die Schweizer sind mir immer noch ein Rätsel. Die eine Hälfte pflegt liebevoll verschindelte Giebelhäuschen mit bunten Klappläden. Gerne zum Beispiel grüne Fensterrahmen und rote Klappläden. Oder gelbe Wände und knallblaue Klappläden. Die andere wohnt in kubistischen Eigenwilligkeiten aus Stahl, Holz und Glas. Noch weniger verstehe ich sie, wenn sie den Mund aufmachen.

Worin besteht der Sinn, Wohnwagen in Campinganlagen zu sammeln, am Boden festzuschrauben und mit Terrasse und unhandlichen Gartenmöbeln zu dekorieren? Ich dachte, Wohnwägen wären zum Reisen da.

Schön: eine Obstplantage, bei der ein liebevoller Geist vor den Kopf jeder Bäumchen-Reihe einen Rosenzweig gepflanzt hatte. Mein Opa liebte Rosen. Und seinen Rosengarten. Ein paar Meter weiter ein Pferd, buchstäblich im Hintergarten weidend.

Die Post hatte erwartungsgemäß die am Mittwoch bestellte Buchsendung aus Deutschland noch nicht geliefert, dafür aber einen Brief aus den Staaten, ebenfalls Mittwoch aufgegeben. Verkehrte Welt. Gut, daß ich im Buchladen am Bahnhof noch eingekauft habe, jetzt bin ich fürs Wochenende gewappnet. Ach ja: und einen Fahrradhelm erstanden, morgen werde ich den Dämonen davonradeln. Die sind nämlich nicht nur faul, sondern auch unsportlich und langsam.

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