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Auch nicht besser
Ich liebe meine Familie – aber die Liebe wächst mit der Entfernung. Meine Mutter wurde vor Jahren gefragt, ob sie es nicht bedauere, daß nun alle Kinder aus dem Haus seien. Sie verneinte, es sei sogar ganz großartig, denn man könne sich immer zwei Mal freuen: wenn die Kinder kommen und wenn sie wieder abreisen. Mir geht es ganz ähnlich, und mehr als zehn Tage konsekutiv mit meinen Eltern und Geschwistern sind für mich ein Alptraum, gleichauf mit einem langweiligen Job in der deutschen Privatwirtschaft. Folglich habe ich die erste sich bietende Möglichkeit genutzt, vor den Weihnachtsfeiertagen noch einmal zu flüchten und Freunde in Frankfurt besucht. Am Dienstag war ich mit meiner besten Freundin C. und ihrem Liebsten S. essen. Am Mittwoch war ich mit der ehemaligen Kollegin V. zu Mittag verabredet, habe teuer gekleidete Investmentbanker mit unsäglichen Tischmanieren bestaunt und einen riesigen Eimer Thai-Curry verspeist. Danach habe ich weitergestaunt, die neue Zeil, den häßlichen Glaskasten, das Palais aus der Retorte. Das neue Palais erinnert mich in seiner Künstlichkeit an Deko-Obst aus Holz oder Plastik: hübsch anzuschauen, aber irgendwie nicht authentisch. Um sechs bin ich zum Glühweintrinken mit Freunden zum Römer geeilt und um acht war ich mit K. zum Abendessen verabredet.
K. ist ein besonderer Fall: wir haben uns vor fast drei Jahren eher zufällig kennengelernt, der Abend endete damit, daß er mich nach London einlud, auf seine Kosten. Soviel Großzügigkeit war mir eher unheimlich und letztlich haben wir uns meistens in Frankfurt getroffen, abgesehen von einer Gelegenheit, wo ich eine Freundin in London besucht habe und folglich von ihm unabhängig war. Ich erinnere mich noch, wie ich damals – seit langer Zeit zum ersten Mal wieder – zum Flughafen fuhr in aller Frühe, voller Vorfreude auf den Flug, eine vergleichsweise weite Reise, eine fremde Stadt und das vor mir liegende Abenteuer. Wiederholt hat er mich seither eingeladen, nie mochte ich kommen: innerhalb von zwei Tagen Flug und Hotel buchen und mich spontan auf den Weg zu machen war mir fremd, und so beklagte K. regelmäßig meine überaus deutsche Planungssucht und Treffen wurden auf seinen nächsten Geschäftsbesuch in Frankfurt verschoben. Dieses Mal hingegen war mir jedes Ziel recht, um der geliebten Familie noch einige Tage zu entgehen, besagte Freundin hat inzwischen eine Wohnung mit Gästebett, auch der Wechselkurs kommt mir entgegen, und so habe ich spontan am Dienstag Abend einen Flug für Donnerstag morgen gebucht und K. informiert, er möge mich in seine Abenplanung am Wochenende bitte einbeziehen. Er fragte per Textnachricht: Who are you? And what have you done with Damenwahl?
Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren: gestern Abend waren wir essen, schon nachmittags rief er an und schlug beiläufig ein indisches Restaurant vor. Ich war zu sehr mit bummeln und staunen beschäftigt, um mir über eine alternative Adresse den Kopf zu zerbrechen und so traf ich ihn um halb neun an der Bar. Selbstverständlich kannte er – wie fast überall, wo wir jemals essen waren – den Eigentümer und das halbe Personal. Natürlich hatte er schon ein Glas Whisky vor sich und bestellte für mich einen Martini, kaum daß er meiner ansichtig wurde. Um neun wurde unser Tisch frei, er bestellte ein Steak und suchte einen feinen Wein aus, ich entschied mich für dreierlei Hähnchen. Ich habe die Angewohnheit, das Beste zuletzt zu essen, gestern Abend jedoch war ich aufgeschmissen: alles war wunderbar. Das Hähnchen im Backteig mit Mangochutney, das Tandoori mit Sauce ebenso wobei die dritte Variante – Chicken Tikka – leicht vorne lag. Ich halte ja sonst nicht viel von Fresstempeln für hippe Investmentbanker, aber das Essen war definitiv gut. Ohne die Herrengesellschaft am Nebentisch wäre es noch schöner gewesen. Im Bücherregal standen übrigens Bismarcks Briefe an seine Gattin. Im Restaurant. Interessierte außer mir aber niemanden.
Heute morgen dann zum Flughafen. In der S-Bahn saß mir eine etwas ältere, grauhaarige Stewardess gegenüber – sehr gepflegt, wie sich das gehört. In Niederrad stieg eine Frau dazu, relativ jung vermutlich, aber verhärmt, etwas dicklich und schäbig gekleidet, mit tiefroten Augen und sehr ungesundem Aussehen. Ihren Bauch umfassend bat sie die übrigen Fahrgäste um etwas zu essen und während ich noch überlegte, was sie wohl von einer Spende kaufen würde, kramte die Stewardess eine Orange und eine Dose Erdnüsse aus ihrem Gepäck und überreichte beides. Die Frau hustete entsetzlich, erklärte, an der Bahnhofsmission gebe es nur noch Tee, keine Suppe, weil so viele Obdachlose dort seien. Die Stewardess verwies auf die Flughafenmission und die Frau begann zu schniefen, dann zu weinen, man würde sie nun auch aus ihrer Wohnung rauswerfen, weil sie verbotenerweise vier Paar Schuhe im Flur habe stehen lassen, dabei täten das alle. Die Stewardess versuchte zu trösten, die übrigen Anwesenden schauten verlegen zum Fenster hinaus. Nachdem die Frau – Orange und Erdnüsse in der Hand – gegangen war, entspann sich eine kurze Diskussion über das deutsche Sozialsystem und Kinder als Hauptleidtragender einer verfehlten Politik.
Wenn man etwas genauer hinschaut, sind die sozialen Unterschiede in unserem schönen Wohlstandsland genauso frappierend wie jene im Kongo. Dabei hätten wir soviel mehr Möglichkeiten, uns selbst zu helfen. Traurige Erkenntnis.
K. ist ein besonderer Fall: wir haben uns vor fast drei Jahren eher zufällig kennengelernt, der Abend endete damit, daß er mich nach London einlud, auf seine Kosten. Soviel Großzügigkeit war mir eher unheimlich und letztlich haben wir uns meistens in Frankfurt getroffen, abgesehen von einer Gelegenheit, wo ich eine Freundin in London besucht habe und folglich von ihm unabhängig war. Ich erinnere mich noch, wie ich damals – seit langer Zeit zum ersten Mal wieder – zum Flughafen fuhr in aller Frühe, voller Vorfreude auf den Flug, eine vergleichsweise weite Reise, eine fremde Stadt und das vor mir liegende Abenteuer. Wiederholt hat er mich seither eingeladen, nie mochte ich kommen: innerhalb von zwei Tagen Flug und Hotel buchen und mich spontan auf den Weg zu machen war mir fremd, und so beklagte K. regelmäßig meine überaus deutsche Planungssucht und Treffen wurden auf seinen nächsten Geschäftsbesuch in Frankfurt verschoben. Dieses Mal hingegen war mir jedes Ziel recht, um der geliebten Familie noch einige Tage zu entgehen, besagte Freundin hat inzwischen eine Wohnung mit Gästebett, auch der Wechselkurs kommt mir entgegen, und so habe ich spontan am Dienstag Abend einen Flug für Donnerstag morgen gebucht und K. informiert, er möge mich in seine Abenplanung am Wochenende bitte einbeziehen. Er fragte per Textnachricht: Who are you? And what have you done with Damenwahl?
Um zum Ausgangspunkt zurückzukehren: gestern Abend waren wir essen, schon nachmittags rief er an und schlug beiläufig ein indisches Restaurant vor. Ich war zu sehr mit bummeln und staunen beschäftigt, um mir über eine alternative Adresse den Kopf zu zerbrechen und so traf ich ihn um halb neun an der Bar. Selbstverständlich kannte er – wie fast überall, wo wir jemals essen waren – den Eigentümer und das halbe Personal. Natürlich hatte er schon ein Glas Whisky vor sich und bestellte für mich einen Martini, kaum daß er meiner ansichtig wurde. Um neun wurde unser Tisch frei, er bestellte ein Steak und suchte einen feinen Wein aus, ich entschied mich für dreierlei Hähnchen. Ich habe die Angewohnheit, das Beste zuletzt zu essen, gestern Abend jedoch war ich aufgeschmissen: alles war wunderbar. Das Hähnchen im Backteig mit Mangochutney, das Tandoori mit Sauce ebenso wobei die dritte Variante – Chicken Tikka – leicht vorne lag. Ich halte ja sonst nicht viel von Fresstempeln für hippe Investmentbanker, aber das Essen war definitiv gut. Ohne die Herrengesellschaft am Nebentisch wäre es noch schöner gewesen. Im Bücherregal standen übrigens Bismarcks Briefe an seine Gattin. Im Restaurant. Interessierte außer mir aber niemanden.
Heute morgen dann zum Flughafen. In der S-Bahn saß mir eine etwas ältere, grauhaarige Stewardess gegenüber – sehr gepflegt, wie sich das gehört. In Niederrad stieg eine Frau dazu, relativ jung vermutlich, aber verhärmt, etwas dicklich und schäbig gekleidet, mit tiefroten Augen und sehr ungesundem Aussehen. Ihren Bauch umfassend bat sie die übrigen Fahrgäste um etwas zu essen und während ich noch überlegte, was sie wohl von einer Spende kaufen würde, kramte die Stewardess eine Orange und eine Dose Erdnüsse aus ihrem Gepäck und überreichte beides. Die Frau hustete entsetzlich, erklärte, an der Bahnhofsmission gebe es nur noch Tee, keine Suppe, weil so viele Obdachlose dort seien. Die Stewardess verwies auf die Flughafenmission und die Frau begann zu schniefen, dann zu weinen, man würde sie nun auch aus ihrer Wohnung rauswerfen, weil sie verbotenerweise vier Paar Schuhe im Flur habe stehen lassen, dabei täten das alle. Die Stewardess versuchte zu trösten, die übrigen Anwesenden schauten verlegen zum Fenster hinaus. Nachdem die Frau – Orange und Erdnüsse in der Hand – gegangen war, entspann sich eine kurze Diskussion über das deutsche Sozialsystem und Kinder als Hauptleidtragender einer verfehlten Politik.
Wenn man etwas genauer hinschaut, sind die sozialen Unterschiede in unserem schönen Wohlstandsland genauso frappierend wie jene im Kongo. Dabei hätten wir soviel mehr Möglichkeiten, uns selbst zu helfen. Traurige Erkenntnis.
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