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Alle Jahre wieder
Der 31.12. ist alljährlich ein fürchterlicher Tag: überfrachtet mit Erwartungen, kann er eigentlich nur hinter selbigen zurückbleiben. Als Kind war Silvester noch perfekt: wir bekamen bunt glitzernde Hütchen, es gab Raclette oder Fondue, schon das Abendessen geriet zum Abenteuer und danach Knallbonbons, Bleigießen und Luftschlangen. Silvester war etwas ganz Besonderes, voller nicht alltäglicher Aufregungen und Festlichkeiten und um Mitternach standen wir alle im Garten, Mama hielt uns an den Kapuzen unserer Bademäntel fest damit wir dem Feuer nicht zu nahe kämen und jauchzend feuerten wir unseren Vater im Kampf mit leeren Weinflaschen und Feuerwerkskörpern an, schimpften bei jeder Fehlzündung wie die Rohrspatzen und konnten uns vor Freude kaum fassen, wenn sie bunt am Nachthimmel aufblühten.
Das erste Silvester ausserhalb der Familie verbrachte ich in Amerika mit Schulfreunden in einem Haus am See, wo ich im Laufe des Abends mehr „Death by Chocolate“ aß, als mir zuträglich war, Auftakt zu etlichen Jahren, die ich mit Schulfreunden in diversen Örtlichkeiten eher unspektakulär feierte bis zum Abitur.
Der schlimmste aller erwartungs-überfrachteten Silvesterabende, die Jahrtausendwende, sah mich mit Pinguinanzug und dunkelrotem Kummerbund im Hotel Interconti in Berlin. „Darf ich Ihnen noch ein Glas Champagner bringen? – Wenn Sie fertig sind, darf ich abräumen? – Fräulein, noch Wein bitte!“ Dem Anspruch, unter allen Umständen bei der besten Party des Jahres dabeizusein und unbedingt einen grandiosen Abend zu verbringen entzog ich mich, indem ich mit einigen guten Freunden die ganze Nacht kellnerte. Immerhin: die Bediensteten bekamen ebenfalls ein Glas Champagner und zehn Minuten Zeit, das Feuerwerk am Brandenburger Tor zu bewundern. Die vorangegangenen Tage hatte ich vor lauter Übermut mein gesamtes Gehalt in festliche Silvestergarderobe umgesetzt (wofür? - weiß ich bis heute nicht), die zu tragen ich keine Gelegenheit hatte: als mir das Geld für die Rückreise ausging, übernahm ich auch noch die Frühstücksschicht, mit kurzer Pause zum Füße in der Badewanne kühlen, und kehrte nach 72 Stunden in Berlin und mehreren Stunden auf dem Gang eines völlig überfüllten ICE völlig erschöpft wieder nach Hause zurück. Mein Vater hätte mich am Bahnhof abholen sollen, setzte allerdings auf halber Strecke sein Auto auf einen Baumstumpf, so daß ich mir ein Taxi nehmen mußte. Meine Familie lacht heute noch darüber, daß der Kofferdeckel jener Mercedes-Limousine beim rausheben meiner Reisetasche zurückfederte und die Kante mit meinem Kopf schmerzhafte Bekanntschaft machte, auch wenn ich damals in unserer Einfahrt vor Erschöpfung in Tränen ausbrach und danach zwei Tage durchschlief.
Ich habe etliche Silvester mit Freunden an meinem Studienort die Nächte durchtanzt, in kleinem, mittelgroßem und großem Kreis, ich habe in Ballkleidern, Cocktailkleidern und Jeans gefeiert – und mich mal mehr und mal weniger amüsiert. Mindestens einmal war ich schon am Vorabend eingeladen und startete in den letzten Tag des Jahres mit einem veritablen Katertier, ansonsten jedoch verschwimmen alle diese Nächte zu einem einzigen Essen, einem einzigen Feuerwerk und meine Tanzpartner und Tischherren könnte ich heute auch nicht mehr zuordnen.
In guter Erinnerung hingegen ist mir das Silvester 2005, an dem meine damals beste Freundin und ich schon nachmittags in der Küche aktiv wurden und um neunzehn Uhr ein unmäßig feudales, sich über Stunden ziehendes, mehrgängiges Abendessen starteten, nur für uns zwei. Um Mitternacht stiegen wir aufs Dach, nippten an unserem Sekt und erfreuten uns an anderer Leute Feuerwerken, bevor wir bis spät in die Nacht Musik hörten und von vergangenen Zeiten träumten. Zwei Jahre zuvor hatte ich noch kleiner gefeiert: mit mir selbst. An Einladungen mangelte es mir nicht, allein: mir fehlte der Wille, hunderte Kilometer durch die Republik zu fahren um auf irgendeinem mir unbekannten Marktplatz mit mir vorwiegend unbekannten Leuten die Zehen abzufrieren und so blieb ich daheim. Kaufte eine Flasche Sekt, lieh Noten und eine großartige Gesamtaufnahme vom Don Carlo aus und amüsierte mich prächtig bis gerade kurz nach Mitternacht.
Dieses Jahr allerdings sind die Aussichten bescheiden und ich bekomme die Auswirkungen meiner Reisefreude zu spüren. Meine engsten Freunde in Deutschland haben alle feste Arbeitsplätze, feste Wohnungen, feste Freundeskreise mit Wohnsitz in Deutschland und zumeist auch feste Beziehungen. In direkter Folge ihrer Lebensumstände haben außerdem alle feste und überaus solide Silvesterpläne: Raclette-Essen mit befreundeten Pärchen oder den Schwiegereltern ist das Standardprogramm und ich wäre dabei überflüssig und bin allenfalls aus Mitleid eingeladen. Die rauschenden Parties meiner Kollegen und Freunde in Kinshasa, London und Oslo sind für mich unerreichbar oder jedenfalls weiter weg als ich reisen möchte, und meine Anwesenheit auf der alljährlichen Party meines Studienumfelds würde vermutlich die jugendlichen Gäste inzwischen zu der Frage veranlassen, ob man nun schon Senioren einließe. Infolgedessen werde ich voraussichtlich mit meinen Schwestern zu Hause feiern, zu fortgeschrittener Stunde möglicherweise in weinseligem Zustand Fotos von den zehn Käsesorten präsentieren, die wir zu raclettieren planen (acht Pfännchen durch drei: wir werden nicht verhungern) und einen eher ruhigen Abend haben. Das ist auch sowieso besser, denn auf die Art kann ich meine Arbeit fertig machen und noch einige Bewerbungen schreiben, auf daß ich nächstes Jahr nicht länger der Katgorie Hartz IV Empfänger ohne Bezugsrecht angehören muß. Silvester wird wahrhaftig überschätzt.
Das erste Silvester ausserhalb der Familie verbrachte ich in Amerika mit Schulfreunden in einem Haus am See, wo ich im Laufe des Abends mehr „Death by Chocolate“ aß, als mir zuträglich war, Auftakt zu etlichen Jahren, die ich mit Schulfreunden in diversen Örtlichkeiten eher unspektakulär feierte bis zum Abitur.
Der schlimmste aller erwartungs-überfrachteten Silvesterabende, die Jahrtausendwende, sah mich mit Pinguinanzug und dunkelrotem Kummerbund im Hotel Interconti in Berlin. „Darf ich Ihnen noch ein Glas Champagner bringen? – Wenn Sie fertig sind, darf ich abräumen? – Fräulein, noch Wein bitte!“ Dem Anspruch, unter allen Umständen bei der besten Party des Jahres dabeizusein und unbedingt einen grandiosen Abend zu verbringen entzog ich mich, indem ich mit einigen guten Freunden die ganze Nacht kellnerte. Immerhin: die Bediensteten bekamen ebenfalls ein Glas Champagner und zehn Minuten Zeit, das Feuerwerk am Brandenburger Tor zu bewundern. Die vorangegangenen Tage hatte ich vor lauter Übermut mein gesamtes Gehalt in festliche Silvestergarderobe umgesetzt (wofür? - weiß ich bis heute nicht), die zu tragen ich keine Gelegenheit hatte: als mir das Geld für die Rückreise ausging, übernahm ich auch noch die Frühstücksschicht, mit kurzer Pause zum Füße in der Badewanne kühlen, und kehrte nach 72 Stunden in Berlin und mehreren Stunden auf dem Gang eines völlig überfüllten ICE völlig erschöpft wieder nach Hause zurück. Mein Vater hätte mich am Bahnhof abholen sollen, setzte allerdings auf halber Strecke sein Auto auf einen Baumstumpf, so daß ich mir ein Taxi nehmen mußte. Meine Familie lacht heute noch darüber, daß der Kofferdeckel jener Mercedes-Limousine beim rausheben meiner Reisetasche zurückfederte und die Kante mit meinem Kopf schmerzhafte Bekanntschaft machte, auch wenn ich damals in unserer Einfahrt vor Erschöpfung in Tränen ausbrach und danach zwei Tage durchschlief.
Ich habe etliche Silvester mit Freunden an meinem Studienort die Nächte durchtanzt, in kleinem, mittelgroßem und großem Kreis, ich habe in Ballkleidern, Cocktailkleidern und Jeans gefeiert – und mich mal mehr und mal weniger amüsiert. Mindestens einmal war ich schon am Vorabend eingeladen und startete in den letzten Tag des Jahres mit einem veritablen Katertier, ansonsten jedoch verschwimmen alle diese Nächte zu einem einzigen Essen, einem einzigen Feuerwerk und meine Tanzpartner und Tischherren könnte ich heute auch nicht mehr zuordnen.
In guter Erinnerung hingegen ist mir das Silvester 2005, an dem meine damals beste Freundin und ich schon nachmittags in der Küche aktiv wurden und um neunzehn Uhr ein unmäßig feudales, sich über Stunden ziehendes, mehrgängiges Abendessen starteten, nur für uns zwei. Um Mitternacht stiegen wir aufs Dach, nippten an unserem Sekt und erfreuten uns an anderer Leute Feuerwerken, bevor wir bis spät in die Nacht Musik hörten und von vergangenen Zeiten träumten. Zwei Jahre zuvor hatte ich noch kleiner gefeiert: mit mir selbst. An Einladungen mangelte es mir nicht, allein: mir fehlte der Wille, hunderte Kilometer durch die Republik zu fahren um auf irgendeinem mir unbekannten Marktplatz mit mir vorwiegend unbekannten Leuten die Zehen abzufrieren und so blieb ich daheim. Kaufte eine Flasche Sekt, lieh Noten und eine großartige Gesamtaufnahme vom Don Carlo aus und amüsierte mich prächtig bis gerade kurz nach Mitternacht.
Dieses Jahr allerdings sind die Aussichten bescheiden und ich bekomme die Auswirkungen meiner Reisefreude zu spüren. Meine engsten Freunde in Deutschland haben alle feste Arbeitsplätze, feste Wohnungen, feste Freundeskreise mit Wohnsitz in Deutschland und zumeist auch feste Beziehungen. In direkter Folge ihrer Lebensumstände haben außerdem alle feste und überaus solide Silvesterpläne: Raclette-Essen mit befreundeten Pärchen oder den Schwiegereltern ist das Standardprogramm und ich wäre dabei überflüssig und bin allenfalls aus Mitleid eingeladen. Die rauschenden Parties meiner Kollegen und Freunde in Kinshasa, London und Oslo sind für mich unerreichbar oder jedenfalls weiter weg als ich reisen möchte, und meine Anwesenheit auf der alljährlichen Party meines Studienumfelds würde vermutlich die jugendlichen Gäste inzwischen zu der Frage veranlassen, ob man nun schon Senioren einließe. Infolgedessen werde ich voraussichtlich mit meinen Schwestern zu Hause feiern, zu fortgeschrittener Stunde möglicherweise in weinseligem Zustand Fotos von den zehn Käsesorten präsentieren, die wir zu raclettieren planen (acht Pfännchen durch drei: wir werden nicht verhungern) und einen eher ruhigen Abend haben. Das ist auch sowieso besser, denn auf die Art kann ich meine Arbeit fertig machen und noch einige Bewerbungen schreiben, auf daß ich nächstes Jahr nicht länger der Katgorie Hartz IV Empfänger ohne Bezugsrecht angehören muß. Silvester wird wahrhaftig überschätzt.
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