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Babylon
Da meine Uni international sein möchte, finden Vorlesungen natürlich auf Englisch statt. Da meine Vorlesungen tatsächlich international sind (zum Beispiel zwei von fünf Studenten ohne hinreichende Deutschkenntnisse im Seminar) fand die Veranstaltung tatsächlich auf Englisch statt. Nachdem jedoch die beiden ausländischen Kommilitonen eines Tages früher gehen mußten, wurde auf Deutsch fortgesetzt. Und ich war irritiert: die Folien auf Englisch, die Begrifflichkeiten uns allen auf Englisch vertrauter als auf Deutsch, fielen die deutschen Worten in den ersten zwei Minuten in meinem Kopf durcheinander, bis ich mich in der neuen Sprache orientiert hatte.
Die schwarzgefleckte Sau der Englischkenntnisse unserer öffentlichkeitswirksamen Politiker hat das virtuelle Dorf schon wieder verlassen, aber mich beschäftigt die Frage noch immer, wie Sie sehen – nicht zuletzt, weil mir das Problem im Alltag dauernd begegnet.
Nun ist mein Englisch beileibe nicht perfekt. Ich mache immer wieder idiomatische Wendungen falsch, ich begegne in Filmen gelegentlich mir nur aus der Lektüre bekannten Wörtern, die ganz anders ausgesprochen werden, als ich gedacht hätte, mein Englisch leidet im Umgang mit Fremdsprachlern, ich kann geradezu zusehen, wie ich nachlässiger und fehlerhafter formuliere, aber ich komme zurecht. Ich merke es Aufsätzen häufig an, ob sie aus der Hand eines Muttersprachlers stammen oder nicht – aber jeder Muttersprachler würde wiederum meinen Texten anmerken, daß ich keiner bin. Und so schaue ich mir also mein Umfeld an und stelle fest: es ist schon alles sonderbar. Die Dozenten sprechen alle Englisch, häufig auf sehr hohem sprachlichen Niveau – funktional gesehen, für ihre Fachthemen – aber ach! der Akzent. Oder präziser: die Aussprache bestimmter Wörter. Zum Beispiel jener Dozent, der statt infinite tatsächlich infeineit sagte. Von dauernden grammatischen Fehlern auf dem Niveau der fünften Klasse schweige ich lieber. Ich kann nur vermuten, daß die Sprachkenntnisse in diesem Fall nie in größerem Umfang im Ausland getestet wurden, denn sonst wäre das wohl nicht passiert.
An diesem Punkt teilen sich die Welten: ich habe im vergangenen Jahr Überflieger meiner Altersgruppe aus aller Herren Länder kennengelernt und bei allen – auch bei den Deutschen, nebenbei bemerkt – war der längere Aufenthalt in englischsprachigen Ländern kein Alleinstellungsmerkmal mehr, sondern selbstverständlich. Je jünger, und je Überflieger, desto mehr. Ich habe es stets als Privileg empfunden, in sehr jungen Jahren im Ausland leben zu können und bin meinen Eltern bis heute dankbar für diese Möglichkeit. Ich merke überdeutlich, daß ich in Französisch niemals das Niveau meiner englischen Fähigkeiten erreichen werde. Das gedankenlose Gefühl für die Sprache, für Wendungen und Formulieren, für Satzbau und Grammatik, das ich mir in der Jugend in Englisch ganz beiläufig aneignete, ist auf Französisch unerreichbar. Ich muß mich bewußt bemühen, stehende Formulierungen abzuschauen, Floskeln aufzugreifen und in meinen Wortschatz zu integrieren und dieses Lernen ist für mich eine echte Anstrengung. Umso besser, daß mir zumindest der tägliche Kampf mit dem Englischen, den ich bei vielen Kommilitonen hier beobachte – denn wir sind zwar Elite, aber daran hapert es eben doch, provinzielle Elite, gewissermaßen – erspart bleibt.
Denn in meiner Wissenschaft ist Englisch Pflicht. Das ist schön, denn es fördert den internationalen Diskurs. Jeder von Rang und Bedeutung kann genug Englisch, um in dieser Sprache publizieren zu können, egal ob Inder, Franzosen oder Afrikaner und so verstehen sich alle, sämtliche Veröffentlichungen sind jedem zugänglich und jeder versteht jeden. Meistens jedenfalls, denn manchmal – so scheint mir – leidet das Niveau eben doch. Und das ist nicht schön. Sehr selten, aber doch gelegentlich, stolpere ich mehrfach über die Sätze in englischen Veröffentlichungen von Fremdsprachlern, die Formulierung passt einfach nicht, eingepackt in Floskeln und Fachwörter steht ein sinnloses Satzungetüm, das sich nicht erschließen will und die Erkenntnis springt einen an: das hier wäre in der jeweiligen Muttersprache nicht passiert. Dazu kommt meine gänzlich unwissenschaftliche Trauer um sprachliche Ästhetik. Englisch ist – bei allen Vorzügen – eine nüchterne, pragmatische Sprache, jedenfalls in ihrer wissenschaftlichen Variante. Im Gegensatz dazu kann ich mich im Französischen auch in nüchternen Texten an den allgegenwärtigen Resten blumiger, geschraubter Feinheiten und dem wunderbaren Klang der Wörter in meinem Kopf erfreuen oder im Deutschen an der sagenhaften Präzision und den wunderbaren Wortungetümen, die wir so frei bauen können. Ich vermisse die Vielfalt und die nationalen Eigenheiten, die in der sprachlichen Englischzentristik verloren gehen – aber es ist, wie es ist.
Vor diesem Hintergrund muß man sich fragen: wieviel Englisch sollte jemand können? Und wann darf man jemanden auslachen, dem es an Multilingualität fehlt? Die richtige Antwort lautet, so finde ich: es kommt darauf an. Mein Arzt muß kein Englisch können. Mein Handwerker ebensowenig. Mein emeritierungsnaher Professor aus früheren Zeiten, nach einer lebenslangen Karriere in der deutschen Wissenschaft, ebenso wenig. Und ein alternder Politiker, der in deutschen Innenpolitik Karriere gemacht hat auch nicht. Ich gehöre zu jener privilegierten Generation, die mit passablen Englischlehrern aufgewachsen ist, Sprachfreizeiten und Auslandssemester relativ einfach absolvieren konnte; englische Bücher stehen heute in jedem besseren Buchladen und die Notwendigkeit von Fremdsprachenkenntnissen für bestimmte Berufsbilder ist so offensichtlich, daß es in meinen Augen kaum noch Entschuldigungen gibt. In der Generation meiner Eltern war das anders, aber daraus ein disqualifizierendes Defizit abzuleiten, finde ich hart. Selbst in meinem beruflichen Umfeld, wo Fremdsprachenkenntnisse kein schmückendes Dekor sind, sondern zur Grundausstattung gehören, merkt man das sprachliche Gefälle zwischen dem jungen Gemüse, das Sprachen nebenbei in der Jugend erwerben konnte und den älteren Generationen, die es sich mühsam im Berufsleben erarbeiten mußten. Mehr noch: ich würde der älteren Generation auch dann keinen Strick drehen wollen, wenn sie trotz eigener Defizite Englischkenntnisse in der Jugend fordern, sondern nur dann, wenn sie sich schöner reden, als sie sind. Das ist dann allerdings – wie ja auch allenthalben festgestellt wurde – peinlich. Aber eben viel mehr ein charakterliches Defizit, als ein strukturelles Bildungs- oder Qualifikationsproblem. Es glaubt doch wohl niemand ernsthaft, daß alle Außenpolitiker dieser Welt und alle politischen EU-Repräsentanten fließend Englisch können? Nicht umsonst leisten wir Europäer uns schließlich einen immensen Übersetzungsapparat (den ich übrigens, trotz aller Kosten prima finde – dafür zahle ich gerne Steuern und bedauere keinen Cent).
Das oben erwähnte „Es kommt darauf an“, würde ich folgendermaßen konkretisieren: man muß wissen, wo man hinwill. Strebe ich eine Tätigkeit in einem internationalen Umfeld an, muß mich frühzeitig kümmern und bemühen und ein Kommilitone, der international arbeiten möchte, aber nie im Ausland war, ist bestenfalls naiv, schlimmstenfalls lächerlich zu schimpfen. Die Forderung jedoch, jeder müsse Englisch sprechen, ist in meinen Augen völlig überzogen, es gibt unendlich viele Berufsbilder, in denen Englisch so rasend wichtig nicht ist. Bedauerlich ist, daß man mit zarten sechzehn – wenn der Spracherwerb noch leicht fällt – nicht weiß, wohin die Reise gehen soll. Ich brauche keinen Arzt, der irgendwann mal Kindern in Südafrika die Nase geputzt hat, keine Mathelehrerin mit sozialem Jahr in Neuseeland und auch keinen Handwerker mit Auslandspraktikum. Zur persönlichen Bereicherung möge das machen, wer will, mir ist es gleich. Wenn hingegen jemand auf Englisch promovieren möchte und in jedem zweiten Satz das Dritte-Person-s vergißt, sollte derjenige seine Berufspläne noch mal überdenken oder eine Weiterbildung in Erwägung ziehen. Und natürlich nicht, egal welchen Alters, im Glashaus sitzend, mit Steinen werfen.
Die schwarzgefleckte Sau der Englischkenntnisse unserer öffentlichkeitswirksamen Politiker hat das virtuelle Dorf schon wieder verlassen, aber mich beschäftigt die Frage noch immer, wie Sie sehen – nicht zuletzt, weil mir das Problem im Alltag dauernd begegnet.
Nun ist mein Englisch beileibe nicht perfekt. Ich mache immer wieder idiomatische Wendungen falsch, ich begegne in Filmen gelegentlich mir nur aus der Lektüre bekannten Wörtern, die ganz anders ausgesprochen werden, als ich gedacht hätte, mein Englisch leidet im Umgang mit Fremdsprachlern, ich kann geradezu zusehen, wie ich nachlässiger und fehlerhafter formuliere, aber ich komme zurecht. Ich merke es Aufsätzen häufig an, ob sie aus der Hand eines Muttersprachlers stammen oder nicht – aber jeder Muttersprachler würde wiederum meinen Texten anmerken, daß ich keiner bin. Und so schaue ich mir also mein Umfeld an und stelle fest: es ist schon alles sonderbar. Die Dozenten sprechen alle Englisch, häufig auf sehr hohem sprachlichen Niveau – funktional gesehen, für ihre Fachthemen – aber ach! der Akzent. Oder präziser: die Aussprache bestimmter Wörter. Zum Beispiel jener Dozent, der statt infinite tatsächlich infeineit sagte. Von dauernden grammatischen Fehlern auf dem Niveau der fünften Klasse schweige ich lieber. Ich kann nur vermuten, daß die Sprachkenntnisse in diesem Fall nie in größerem Umfang im Ausland getestet wurden, denn sonst wäre das wohl nicht passiert.
An diesem Punkt teilen sich die Welten: ich habe im vergangenen Jahr Überflieger meiner Altersgruppe aus aller Herren Länder kennengelernt und bei allen – auch bei den Deutschen, nebenbei bemerkt – war der längere Aufenthalt in englischsprachigen Ländern kein Alleinstellungsmerkmal mehr, sondern selbstverständlich. Je jünger, und je Überflieger, desto mehr. Ich habe es stets als Privileg empfunden, in sehr jungen Jahren im Ausland leben zu können und bin meinen Eltern bis heute dankbar für diese Möglichkeit. Ich merke überdeutlich, daß ich in Französisch niemals das Niveau meiner englischen Fähigkeiten erreichen werde. Das gedankenlose Gefühl für die Sprache, für Wendungen und Formulieren, für Satzbau und Grammatik, das ich mir in der Jugend in Englisch ganz beiläufig aneignete, ist auf Französisch unerreichbar. Ich muß mich bewußt bemühen, stehende Formulierungen abzuschauen, Floskeln aufzugreifen und in meinen Wortschatz zu integrieren und dieses Lernen ist für mich eine echte Anstrengung. Umso besser, daß mir zumindest der tägliche Kampf mit dem Englischen, den ich bei vielen Kommilitonen hier beobachte – denn wir sind zwar Elite, aber daran hapert es eben doch, provinzielle Elite, gewissermaßen – erspart bleibt.
Denn in meiner Wissenschaft ist Englisch Pflicht. Das ist schön, denn es fördert den internationalen Diskurs. Jeder von Rang und Bedeutung kann genug Englisch, um in dieser Sprache publizieren zu können, egal ob Inder, Franzosen oder Afrikaner und so verstehen sich alle, sämtliche Veröffentlichungen sind jedem zugänglich und jeder versteht jeden. Meistens jedenfalls, denn manchmal – so scheint mir – leidet das Niveau eben doch. Und das ist nicht schön. Sehr selten, aber doch gelegentlich, stolpere ich mehrfach über die Sätze in englischen Veröffentlichungen von Fremdsprachlern, die Formulierung passt einfach nicht, eingepackt in Floskeln und Fachwörter steht ein sinnloses Satzungetüm, das sich nicht erschließen will und die Erkenntnis springt einen an: das hier wäre in der jeweiligen Muttersprache nicht passiert. Dazu kommt meine gänzlich unwissenschaftliche Trauer um sprachliche Ästhetik. Englisch ist – bei allen Vorzügen – eine nüchterne, pragmatische Sprache, jedenfalls in ihrer wissenschaftlichen Variante. Im Gegensatz dazu kann ich mich im Französischen auch in nüchternen Texten an den allgegenwärtigen Resten blumiger, geschraubter Feinheiten und dem wunderbaren Klang der Wörter in meinem Kopf erfreuen oder im Deutschen an der sagenhaften Präzision und den wunderbaren Wortungetümen, die wir so frei bauen können. Ich vermisse die Vielfalt und die nationalen Eigenheiten, die in der sprachlichen Englischzentristik verloren gehen – aber es ist, wie es ist.
Vor diesem Hintergrund muß man sich fragen: wieviel Englisch sollte jemand können? Und wann darf man jemanden auslachen, dem es an Multilingualität fehlt? Die richtige Antwort lautet, so finde ich: es kommt darauf an. Mein Arzt muß kein Englisch können. Mein Handwerker ebensowenig. Mein emeritierungsnaher Professor aus früheren Zeiten, nach einer lebenslangen Karriere in der deutschen Wissenschaft, ebenso wenig. Und ein alternder Politiker, der in deutschen Innenpolitik Karriere gemacht hat auch nicht. Ich gehöre zu jener privilegierten Generation, die mit passablen Englischlehrern aufgewachsen ist, Sprachfreizeiten und Auslandssemester relativ einfach absolvieren konnte; englische Bücher stehen heute in jedem besseren Buchladen und die Notwendigkeit von Fremdsprachenkenntnissen für bestimmte Berufsbilder ist so offensichtlich, daß es in meinen Augen kaum noch Entschuldigungen gibt. In der Generation meiner Eltern war das anders, aber daraus ein disqualifizierendes Defizit abzuleiten, finde ich hart. Selbst in meinem beruflichen Umfeld, wo Fremdsprachenkenntnisse kein schmückendes Dekor sind, sondern zur Grundausstattung gehören, merkt man das sprachliche Gefälle zwischen dem jungen Gemüse, das Sprachen nebenbei in der Jugend erwerben konnte und den älteren Generationen, die es sich mühsam im Berufsleben erarbeiten mußten. Mehr noch: ich würde der älteren Generation auch dann keinen Strick drehen wollen, wenn sie trotz eigener Defizite Englischkenntnisse in der Jugend fordern, sondern nur dann, wenn sie sich schöner reden, als sie sind. Das ist dann allerdings – wie ja auch allenthalben festgestellt wurde – peinlich. Aber eben viel mehr ein charakterliches Defizit, als ein strukturelles Bildungs- oder Qualifikationsproblem. Es glaubt doch wohl niemand ernsthaft, daß alle Außenpolitiker dieser Welt und alle politischen EU-Repräsentanten fließend Englisch können? Nicht umsonst leisten wir Europäer uns schließlich einen immensen Übersetzungsapparat (den ich übrigens, trotz aller Kosten prima finde – dafür zahle ich gerne Steuern und bedauere keinen Cent).
Das oben erwähnte „Es kommt darauf an“, würde ich folgendermaßen konkretisieren: man muß wissen, wo man hinwill. Strebe ich eine Tätigkeit in einem internationalen Umfeld an, muß mich frühzeitig kümmern und bemühen und ein Kommilitone, der international arbeiten möchte, aber nie im Ausland war, ist bestenfalls naiv, schlimmstenfalls lächerlich zu schimpfen. Die Forderung jedoch, jeder müsse Englisch sprechen, ist in meinen Augen völlig überzogen, es gibt unendlich viele Berufsbilder, in denen Englisch so rasend wichtig nicht ist. Bedauerlich ist, daß man mit zarten sechzehn – wenn der Spracherwerb noch leicht fällt – nicht weiß, wohin die Reise gehen soll. Ich brauche keinen Arzt, der irgendwann mal Kindern in Südafrika die Nase geputzt hat, keine Mathelehrerin mit sozialem Jahr in Neuseeland und auch keinen Handwerker mit Auslandspraktikum. Zur persönlichen Bereicherung möge das machen, wer will, mir ist es gleich. Wenn hingegen jemand auf Englisch promovieren möchte und in jedem zweiten Satz das Dritte-Person-s vergißt, sollte derjenige seine Berufspläne noch mal überdenken oder eine Weiterbildung in Erwägung ziehen. Und natürlich nicht, egal welchen Alters, im Glashaus sitzend, mit Steinen werfen.
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