Dienstag, 23. März 2010
Büroqualen
Lichtjahre und Ewigkeiten – gefühlt – scheint es her zu sein, daß ich einen normalen Bürojob in einem quadratischen, praktischen Gebäude aus Glas und Beton in einer deutschen Goßstadt hatte. Die Erinnerung ist weit weg an Tage, an denen man den Arbeitstag um spätestens acht begann und, wollte man um sechs gehen zwecks Jogging-Verabredung mit Freundin, hochgezogene Augenbrauen erntete und den nur halb spöttischen Kommentar „Halben Tag Urlaub genommen?“. Überhaupt war es nie klug, auf frühes Heimkommen zu spekulieren. Tage gab es, da ich mittags Unterlagen zur Durchsicht dem Chef vorlegte und dann wartete. Schlimmstenfalls hatte ich nicht mal andere Aufgaben, nur diese eine mit der unumgänglichen Chef-Durchsicht, dann vertrödelte ich die Zeit, schrieb ein paar überfällige Mails, bildete mich ein bißchen in fachfremden Themen weiter. Und wartete. Auf die Kaffeepause um drei. Die Raucherpause um fünf. Die Abschiedszigarette mit den Kollegen um sieben oder acht. Und irgendwann die letzte Bahn heim um Mitternacht. Glücklich, wer solche Tage frühzeitig erkannte, und rechtzeitig vor vier Uhr in der Kantine fürs Abendessen vorsorgte, mit Sandwich, Joghurt, vielleicht einer Cola für die späten Stunden. Ein bißchen glücklich, wer es immerhin vor sieben zum Brötchenautomaten schaffte, bevor der leergefegt war, bis auf widerliche Fleischsalat-Matsche. Schlimm, wenn man die Hoffnung auf den zeitigen Feierabend allzu lange hegte und pflegte und dann nicht nur spät arbeiten sondern auch noch hungern mußte.
Am allerschlimmsten jedoch waren solche Tage, an denen man verabredet war und die unumgängliche Chef-Besprechung Stunde um Stunde verschoben wurde. Verabredet vielleicht um acht, mit dem besten Freund in der italienischen Weinbar genau auf halbem Weg zwischen unseren Wohnungen, sorgfältig geplant für eine erwartungsgemäß unaufgeregte und berechenbare Arbeitswoche. Im Zweistundentakt schüchtern beim Chef ins Büro geschaut, der immer beschäftigt, keine Zeit für die kleinen Feuer, nur für die großen Brände. Um sechs wird klar, die Hoffnung, zeitig genug gehen zu können für ein paar Einkäufe, einen Sprint zur Reinigung, eine halbe Stunde zu Hause in Ruhe, war verfrüht. Um halb sieben den Chef besucht, noch immer Arbeitsstau auf dem allerhöchsten Schreibtisch. Um sieben innerlich Abschied genommen von der Idee, zu Hause mehr als nur die Hose wechseln zu können. Um halb acht gedacht: wenn wir jetzt schnell machen, kann ich zumindest noch das Auto abstellen und werde pünktlich sein. Um viertel vor acht eingesehen: es wird Zeit für eine Textnachricht an den Freund, ein paar Minuten Verspätung, wenn man direkt hingeht und im Anzug bleibt. Um acht gehofft, jetzt gleich, jeden Moment, es dauert nicht mehr lange, wir haben ja den Wein ohnehin auf neun Uhr verschoben. Im Gespräch mit dem Chef, endlich!, immer wieder auf die Uhr geschielt, genickt und genickt, ja, alles verstanden, die Beine kribbelig, ich will hier raus. Um halb neun aus unerfindlichen Gründen kein Ende in Sicht. Jetzt den Chef um Auszeit zu bitten für eine weitere Textnachricht – dem Ruf im Büro sehr abträglich und schlimmstenfalls eine Verlängerung der Qualen, der Chef könnte das als Freibrief für detaillierte Erläuterungen anschließend auffassen, aber Nachricht gebietet die Höflichkeit, mindestens. Um kurz vor neun ein Telefonat für den Chef und die goldene Gelegenheit, noch einmal zu verschieben oder gleich abzusagen. Beides könnte gleichermaßen falsch sein, vielleicht sind wir gleich fertig, die Kommentare kann ich morgen einarbeiten, und wenn wir jetzt, gleich, schnell... bliebe noch genug Zeit für ein Glas Wein. Das sprichtwörtliche auf heißen Kohlen sitzen muß für Situationen wie diese erfunden worden sein, man will den Chef nicht verärgern, man will raus aus dem Büro, man will der Verabredung zumindest Nachricht zukommen lassen und irgendwie geht nichts von alledem so, wie es soll. Ich habe es gehaßt, damals wie heute. Nur war ich heute die Wartende. Die um halb zehn die Reißleine zog und das Café nach zwei einsamen Bier unter den Augen einer Horde halbstarker Jugendlicher und eines einsamen Bürohengstes unverrichteter Dinge verließ.
Danke, Schicksal, daß ich das nicht mehr ertragen muß, jedenfalls nicht von der falschen Seite aus. Dies hier ist definitiv die Richtige.

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